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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 523

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 263/19, Beschluss v. 09.01.2020, HRRS 2020 Nr. 523


BGH 2 StR 263/19 - Beschluss vom 9. Januar 2020 (LG Bonn)

Urteilsgründe (revisionsgerichtliche Überprüfbarkeit von Gutachten über Grundstücksbewertungen).

§ 267 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Folgt das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist es sachlich-rechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Liegt der Begutachtung indes eine allgemein anerkannte, häufig angewandte (standardisierte) Untersuchungsweise zugrunde, so kann die Mitteilung des Ergebnisses, zu dem ein anerkannter Sachverständiger gelangt ist, ausreichend sein. Werden allerdings Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung geltend gemacht, können nähere Ausführungen erforderlich sein, die das Revisionsgericht in die Lage versetzen, nachzuprüfen, ob die Einwände zu Unrecht erhoben worden sind.

2. Grundstücksbewertungen liegen zwar allgemein anerkannte Grundsätze zugrunde, die auch normativ in der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken festgeschrieben sind. Es handelt sich aber bei der Anwendung dieser Grundsätze nicht um ein „standardisiertes“ Verfahren, dessen Ergebnis sich unter Anwendung dieser Grundsätze von selbst ergibt oder versteht. Erforderlich ist in jedem Fall eine konkret auf den Einzelfall bezogene Würdigung der wertbildenden Faktoren; insoweit unterscheiden sich Grundstücksbewertungen von anderen in der Rechtsprechung anerkannten Begutachtungen, denen wie etwa bei der Bestimmung von Blutgruppen oder des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln standardisierte Verfahrensweisen ohne (wesentliche) Beurteilungsspielräume zugrunde liegen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 28. März 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Diebstahls in neun Fällen sowie schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Von einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 100.192 € hatte es gemäß § 111i Abs. 2 StPO a.F. wegen entgegenstehender Ansprüche der Verletzten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. abgesehen. Dieses Urteil hatte der Senat auf die Revision des Angeklagten mit Urteil vom 5. Juli 2017 im Ausspruch gemäß § 111i Abs. 2 StPO a.F. mit den Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision des Angeklagten war mit der Maßgabe verworfen worden, dass im Hinblick auf die überlange Dauer des Revisionsverfahrens ein Monat Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Nunmehr hat das Landgericht im zweiten Rechtsgang gemäß § 111i Abs. 2 StPO a.F. ausgesprochen, dass von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz in Höhe von 48.523,33 € abgesehen wird, weil dem Ansprüche der Geschädigten im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB a.F. entgegenstehen. Zugleich hat es eine Kostenentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; einer Entscheidung über die zugleich eingelegte Kostenbeschwerde bedarf es angesichts dessen nicht mehr.

1. Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts, aufgrund derer das Landgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 111i Abs. 2 StPO a.F. zur Feststellung des Netto-Verkehrswerts des Miteigentumsanteils des Angeklagten an den in M. gelegenen Grundstücken in Höhe von 37.000 € gelangt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Folgt das Tatgericht dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist es sachlich-rechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH StraFo 2017, 372). Liegt der Begutachtung indes eine allgemein anerkannte, häufig angewandte (standardisierte) Untersuchungsweise zugrunde, so kann die Mitteilung des Ergebnisses, zu dem ein anerkannter Sachverständiger gelangt ist, ausreichend sein (vgl. BGH, 19. August 1993 - 3 StR 62/92, BGHSt 39, 291, 298 = NJW 1993, 3081, 3083). Werden allerdings Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung geltend gemacht, können nähere Ausführungen erforderlich sein, die das Revisionsgericht in die Lage versetzen, nachzuprüfen, ob die Einwände zu Unrecht erhoben worden sind (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 14, 15; Wenske, in: MüKo-StPO, § 267, Rdn. 236, 240).

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht.

aa) Das Landgericht hat sich bei der Einschätzung des Grundstückswerts auf das Gutachten eines Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken gestützt. Dieser sei von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen und habe das Ergebnis seiner Begutachtung logisch, widerspruchsfrei und in sich schlüssig vorgetragen. Er habe hierbei insbesondere zu den maßgeblichen wertbildenden Faktoren, wie der konkreten Lage des Grundstücks, der Größe und Aufteilung, der Nutzungseignung, dem Erhaltungszustand und den vorhandenen baulichen Mängeln Stellung genommen. Hierbei habe er zugleich nachvollziehbar auf die derzeitige Situation am Immobilienmarkt rekurriert und diese in Beziehung zum konkreten Objekt gesetzt. Auch die sich in Bezug auf die vor der Hauptverhandlung erhobenen Einwände gegen sein schriftliches, vorbereitendes Gutachten ergebenden Fragen habe der Sachverständige widerspruchsfrei und erschöpfend beantwortet, ohne sich auf sein vorläufiges Begutachtungsergebnis zu versteifen. Er habe dieses mit einer nachvollziehbaren Begründung zu Gunsten des Angeklagten korrigiert. Der Sachverständige habe vom Angeklagten in einer Sitzungsunterbrechung vorgelegte Bilder spontan sachverständig bewertet und in das Ergebnis seiner Begutachtung mit einer für die Strafkammer nachvollziehbaren und schlüssigen Begründung einfließen lassen.

bb) Diese Zusammenfassung des Sachverständigengutachtens, das lediglich das Ergebnis und die der Bewertung zugrundeliegenden Parameter mitteilt, aber darauf verzichtet, die konkrete Wertermittlung der Grundstücke anhand dieser Kriterien darzulegen, erschöpft sich damit in allgemeinen Wendungen, die es dem Revisionsgericht nicht ermöglichen, das Ergebnis des Gutachtens auf seine Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Hierfür wäre es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest erforderlich gewesen, die wesentlichen, dem Gutachten zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen für die Begutachtung wie die allgemeinen Wertverhältnisse am Grundstücksmarkt einerseits und Lage, Größe und Nutzungsmöglichkeiten der Grundstücke, Angaben zu Art, Alter und Zustand der Bebauung mit Hinweisen zur Wohn- und Nutzfläche sowie das Verfahren der Wertermittlung andererseits anzugeben (vgl. § 2, 8 der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken vom 19. Mai 2010, BGBl. I S. 639 [ImmoWertV]). Dies erfordert zwar nicht eine vollständige Wiedergabe des Gutachtens in Einzelheiten mit allen Rechenschritten, gebietet aber zur Überprüfung durch das Revisionsgericht zumindest eine auf die Grundstücke bezogene, konkrete Darlegung der wesentlichen wertbildenden Faktoren.

cc) Darüber hinaus wäre es vorliegend vonnöten gewesen, die von dem Angeklagten konkret erhobenen Einwendungen gegen das Urteil zu benennen und zu erläutern, in welcher Weise das Gutachten dem Rechnung getragen hat. Insoweit teilt das Urteil mit, der Sachverständige habe auf die sich aus den Einwänden ergebenden Fragen „widerspruchsfrei und erschöpfend“ antworten können. Ohne Kenntnis dieser Umstände kann das Revisionsgericht indes nicht überprüfen, ob die gutachterliche Einschätzung sich hinreichend mit dem Vorbringen des Angeklagten auseinandergesetzt hat und das gegenüber dem vorbereitenden Gutachten gefundene Ergebnis mit den Grundsätzen für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken in Einklang steht.

c) Diese Angaben zum Inhalt des Sachverständigengutachtens waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil es sich im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um eine Begutachtung gehandelt hat, der eine allgemein anerkannte, häufig angewandte (standardisierte) Untersuchungsweise zugrunde liegt. Grundstücksbewertungen liegen zwar allgemein anerkannte Grundsätze zugrunde, die auch normativ in der Verordnung über die Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken festgeschrieben sind. Es handelt sich aber bei der Anwendung dieser Grundsätze nicht um ein „standardisiertes“ Verfahren, dessen Ergebnis sich unter Anwendung dieser Grundsätze von selbst ergibt oder versteht. Erforderlich ist in jedem Fall eine konkret auf den Einzelfall bezogene Würdigung der wertbildenden Faktoren; insoweit unterscheiden sich Grundstücksbewertungen von anderen in der Rechtsprechung anerkannten Begutachtungen, denen wie etwa bei der Bestimmung von Blutgruppen oder des Wirkstoffgehalts von Betäubungsmitteln standardisierte Verfahrensweisen ohne (wesentliche) Beurteilungsspielräume zugrunde liegen.

2. Die Sache bedarf deshalb unter Einholung eines aktualisierten Sachverständigengutachtens neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 523

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 693; NStZ 2021, 62; StV 2020, 833

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner