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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 843

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 197/18, Beschluss v. 01.08.2018, HRRS 2018 Nr. 843


BGH 2 ARs 197/18 2 AR 133/18 - Beschluss vom 1. August 2018

Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und des erstinstanzlichen Gerichts (Zuständigkeit mit Aufnahme in den Vollzug).

§ 462a Abs. 4 Satz 1 und 3 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Mit Aufnahme in den Vollzug wird die Zuständigkeit eines Gerichts für nachträgliche Entscheidungen in allen Verfahren begründet, auch wenn die Zuständigkeit in dem Einzelverfahren, in dem die Entscheidungen zu treffen sind, an sich nicht gegeben wäre. Eine Entscheidungszersplitterung soll so vermieden werden. Deshalb sind alle nachträglichen Entscheidungen bei einem Gericht oder einer Strafvollstreckungskammer konzentriert, wobei die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer stets die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges verdrängt.

2. Die Fortwirkungszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer endet erst, wenn die Vollstreckung aller Strafen, hinsichtlich derer ihre Zuständigkeit aufgrund des Konzentrationsprinzips entstanden ist, vollständig erledigt ist oder der Verurteilte in eine Justizvollzugsanstalt im Bezirk einer anderen Strafvollstreckungskammer aufgenommen ist.

Entscheidungstenor

Für die Bewährungsaufsicht und die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Neustadt am Rübenberge vom 7. Februar 2017 - 64 Ds 7512 Js 98445/16 (832/16) - beziehen, ist die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück beim Amtsgericht Lingen (Ems) zuständig.

Gründe

I.

Mit seit dem 15. Februar 2017 rechtskräftigen Urteil vom 7. Februar 2017 hat das Amtsgericht Neustadt am Rübenberge den Verurteilten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zu diesem Zeitpunkt verbüßte der Verurteilte eine Ersatzfreiheitsstrafe vom 11. Dezember 2016 bis zum 24. März 2017 in der Justizvollzugsanstalt … . Wegen Bewährungsverstößen hat das Amtsgericht Neustadt am Rübenberge mit Beschluss vom 1. Dezember 2017 die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.

Gegen diesen Beschluss hat der Verurteilte Beschwerde eingelegt. Die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Hannover hat mit Beschluss vom 9. Januar 2018 den angefochtenen Widerrufsbeschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Auswärtige Strafkammer des Landgerichts Osnabrück bei dem Amtsgericht Lingen (Ems) verwiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Amtsgericht Neustadt am Rübenberge sei für die Entscheidung über den Widerruf nicht mehr zuständig gewesen, da die Zuständigkeit für die Bewährungsüberwachung und die nachträglichen Bewährungsentscheidungen gemäß § 462a Abs. 1 und Abs. 4 StPO auf die Auswärtige Strafkammer des Landgerichts Osnabrück aufgrund der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch den Verurteilten übergegangen sei. Die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück hat die Bewährungssache zunächst am 1. Februar 2017 übernommen, ihren Übernahmebeschluss jedoch am 21. Februar 2017 angesichts der bereits am 24. März 2017 erfolgten Entlassung des Verurteilten aus der Justizvollzugsanstalt … aufgehoben und die Sache - über die Staatsanwaltschaft Hannover - an das Landgericht Hannover zurückgegeben.

Mit Beschluss vom 26. März 2018 hat das Landgericht Hannover die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht der Landgerichte Hannover und Osnabrück für die Gerichtsstandsbestimmung zuständig.

Die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung obliegt der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück beim Amtsgericht Lingen (Ems).

Diese ist gemäß § 462a Abs. 4 Satz 1 und 3 StPO aufgrund des Konzentrationsprinzips mit der Aufnahme des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt … zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe (vgl. Appl in KK-StPO, 7. Aufl., § 462a Rn. 7 mwN) im Verhältnis zu den erkennenden Gerichten sachlich zuständig geworden für die Überwachung der Strafaussetzung zur Bewährung aus allen Verurteilungen (Senatsbeschluss vom 5. April 2000 - 2 ARs 83/00, NStZ 2000, 446; Appl in KK-StPO, 7. Aufl., § 462a Rn. 33; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 462a Rn. 32).

Mit Aufnahme in den Vollzug wird die Zuständigkeit eines Gerichts für nachträgliche Entscheidungen in allen Verfahren begründet, auch wenn die Zuständigkeit in dem Einzelverfahren, in dem die Entscheidungen zu treffen sind, an sich nicht gegeben wäre. Eine Entscheidungszersplitterung soll so vermieden werden. Deshalb sind alle nachträglichen Entscheidungen bei einem Gericht oder einer Strafvollstreckungskammer konzentriert, wobei die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer stets die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges verdrängt (Senatsbeschluss vom 18. April 1975 - 2 ARs 83/75, BGHSt 26, 118, 120; vom 14. August 1981 - 2 ARs 174/81, BGHSt 30, 189, 192; vom 12. Juli 2012 - 2 ARs 183/12; vom 9. Juli 2015 - 2 ARs 139/15, NStZ-RR 2015, 290 [Ls.]; Appl in KK-StPO, 7. Aufl., § 462a Rn. 33). Die Fortwirkungszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer endet erst, wenn die Vollstreckung aller Strafen, hinsichtlich derer ihre Zuständigkeit aufgrund des Konzentrationsprinzips entstanden ist, vollständig erledigt ist oder der Verurteilte in eine Justizvollzugsanstalt im Bezirk einer anderen Strafvollstreckungskammer aufgenommen ist (Senatsbeschluss vom 14. November 2007- 2 ARs 446/07, BGH NStZ-RR 2008, 124, 125; vom 16. Dezember 2009 - 2 ARs 424/09, BGH NJW 2010, 951 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 843

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 328 ; StV 2020, 510

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner