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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 314

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 1/16, Beschluss v. 04.02.2016, HRRS 2016 Nr. 314


BGH StB 1/16 - Beschluss vom 4. Februar 2016

Dringender Tatverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung („Al Shabab“); Fortdauer der Untersuchungshaft über circa ein Jahr und fünf Monate noch verhältnismäßig (eingeschränkte Nachprüfung des dringenden Tatverdachts durch das Beschwerdegericht während laufender Hauptverhandlung; Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers; Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung; Abwägung; Verhältnismäßigkeit; Beschleunigungsgebot in Haftsachen; vermeidbare Verfahrensverzögerungen; Ausschöpfen der möglichen Dauer der einzelnen Termine; mehrere Angeklagte; Sachverhalte mit Auslandsbezug; Prozessverhalten der Angeklagten).

§ 129a Abs. 1 StGB; § 129b Abs. 1 StGB; § 112 StPO; § 116 StPO; § 120 StPO; Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 EMRK

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das verhandelnde Gericht hat in Haftsachen grundsätzlich die Dauer der einzelnen Hauptverhandlungstermine im Rahmen des Möglichen auszuschöpfen. Der Einwand, das Gericht sei zeitgleich mit der Durchführung von Hauptverhandlungen in weiteren Verfahren befasst gewesen, ist regelmäßig nicht geeignet, die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten zu rechtfertigen. Die Justizverwaltung hat mit Blick auf die rechtstaatliche Ordnung und den grundrechtlich verbürgten Freiheitsanspruch des Betroffenen vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stehen, um Strafverfahren, insbesondere bei Haftsachen, angemessen führen und in einem vertretbaren Zeitraum abschließen zu können.

2. Allerdings kann zu berücksichtigen sein, dass ein Verfahren sich gegen mehrere Angeklagte richtet und Sachverhalte betrifft, die sich im Wesentlichen im Ausland zugetragen haben. Diese Umstände erfordern zum einen eine überdurchschnittlich zeit- und arbeitsintensive Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlungstermine; zum anderen sind sie dazu geeignet, die konkreten Hauptverhandlungstermine weniger voraussehbar zu machen, als dies bei einer geringeren Anzahl von Angeklagten der Fall ist. Auch das Prozessverhalten der Angeklagten kann in die Betrachtung miteinzubeziehen sein, ohne dass damit dessen Beurteilung nach seiner „Sachdienlichkeit“ verbunden ist.

3. Bei Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft ist das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.

4. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass deren weiterer Vollzug nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig vom Tatvorwurf und von der Straferwartung Grenzen. Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Länge der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu.

5. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.

6. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Anzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung.

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. April 2015 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I. Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 6. September 2014 seit diesem Tage in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschwerdeführer habe sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung Al Shabab beteiligt (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB). Ihm wird darüber hinaus vorgeworfen, tateinheitlich eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben (§ 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB). Nach dem Haftbefehl liegt dem Beschwerdeführer im Sinne eines dringenden Tatverdachts Folgendes zur Last:

Die 2006 aus dem extremistischen Flügel der UIC (Union of Islamic Courts - Union Islamischer Gerichtshöfe) hervorgegangene Organisation Al Shabab, die viele Anhänger der islamistischen Gruppierung Al Ittihad Al Islamiya an sich binden konnte, propagiert den „Jihad“ als einen Befreiungskampf gegen „Imperialisten“ und „christliche Kreuzfahrer“. Ihre primären Ziele sind die Vertreibung der in Somalia stationierten Truppen der African Union Mission (AMISOM), der Sturz der von dieser gestützten somalischen Regierung, die Errichtung eines Kalifats in Somalia und die dortige Einführung der Scharia. Schon 2009 hatte der frühere Führer von al Qaida, Usama bin Laden, die Kämpfer von Al Shabab zum weiteren „Jihad“ aufgerufen und Somalia als einen Schauplatz des Kampfes zwischen dem Islam und den „internationalen Kreuzfahrern“ bezeichnet. Seit Februar 2012 ist die Gruppierung Bestandteil des Netzwerks von al Qaida. Sie hat eine global-jihadistische Ausrichtung. Zur Erreichung ihrer Ziele kämpft die Vereinigung zum einen militärisch gegen Truppen benachbarter Staaten und Staatenverbände, die versuchen, die somalische Regierung zu stabilisieren. Zum anderen begeht sie regelmäßig Überfälle sowie Entführungen und verübt Anschläge sowie Selbstmordattentate innerhalb und außerhalb Somalias, darunter den Sprengstoffanschlag in Kampala (Uganda) im Juli 2010, bei dem mehr als 70 Menschen getötet und zahlreiche Personen, darunter ein Deutscher, verwundet wurden. Im Jahre 2013 bekannte sich die Vereinigung u.a. zu einem Überfall auf ein Einkaufszentrum in Nairobi (Kenia), bei dem mehr als 60 Besucher sowie Sicherheitskräfte starben. Auch im Jahre 2014 wurden bei von ihr zu verantwortenden Anschlägen mehr als 100 Personen getötet. Die Al Shabab ist wie andere islamistische Vereinigungen hierarchisch aufgebaut. Der an der Spitze stehenden Emir Mahad Umar Abdalkarim wird von einem Vertreter, einem Pressesprecher sowie einem Konsultativrat (Shura) unterstützt; darunter bestehen verschiedene Komitees mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen. Die Organisation betreibt eine Medienstelle und - jedenfalls zweitweise - einen lokalen Fernsehsender. Der Beschwerdeführer und vier Mitangeklagte, die sämtlich deutsche Staatsangehörige sind, entschlossen sich im Jahre 2012, nach Somalia zu reisen und sich dort der Al Shabab anzuschließen. Sie identifizierten sich mit der Ideologie, den Zielen und Handlungen der Organisation. Für den Fall, dass sie bei ihrem Einsatz für die Vereinigung sterben würden, fertigten sie Abschiedsbriefe oder ließen Abschiedsvideos aufnehmen.

Im April bzw. Mai 2012 reisten die Mitangeklagten A. W. und N. nach Somalia; im Oktober 2012 folgten ihnen der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten Ab. W. und T. Sie alle begaben sich in ein „Clearinghouse“ der Al Shabab in Baraawe/Somalia, wo sie auf ihre körperliche und ideologische Eignung für die Aufnahme in die Organisation geprüft wurden. Anfang des Jahres 2013 legten zunächst die Mitangeklagten Ab. W. und T. den Treueeid auf den Emir der Al Shabab ab und absolvierten im Anschluss ein viermonatiges Trainingslager. Dabei wurden sie zur Teilnahme an Kampfhandlungen und zum Umgang mit Waffen ausgebildet. Danach versahen sie etwa fünf Monate lang einen paramilitärischen Dienst in einem Verteidigungsposten für die Organisation. Die Pressestelle der Al Shabab drehte von ihrem Einsatz ein Propaganda-+Video, das im Internet veröffentlicht wurde. Nach krankheitsbedingter Verzögerung legten auch der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten A. W. und N. den Treueeid ab und begannen Mitte des Jahres 2013 ihre Ausbildung für den bewaffneten Kampf in einem Trainingslager. Nach deren Abschluss trafen sich alle fünf Angeklagten wieder. Zu Beginn des Jahres 2014 versahen der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten A. W. und N. für etwa vier Monate einen paramilitärischen Dienst als Kämpfer an der Front in der Region Jobuinka. Nach etwa einem Monat stieß der Mitangeklagte Ab. W. zu ihnen. Der Mitangeklagte T. war von Januar bis Mai 2014 als Kämpfer in einem Verteidigungsposten in der Nähe von Jilib tätig.

Da die Realität nicht ihren Vorstellungen entsprach, entschlossen sich alle fünf Angeklagten im Juli 2014, die Al Shabab und Somalia zu verlassen. Sie reisten nach Kenia und dort zunächst nach Nairobi. Von Kenia aus begaben sich der Beschwerdeführer sowie die Mitangeklagten A. W. und N. am 6. September 2014 nach Frankfurt am Main, wo sie festgenommen wurden. Die Mitangeklagten Ab. W. und T. wurden am 29. August 2014 in Kenia festgenommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 26. März 2015 (Az.: AK 3 bis 7/15) gegen den Beschwerdeführer und die vier genannten Mitangeklagten im Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121 ff. StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet. Er hat diese Entscheidung darauf gestützt, dass ein dringender Tatverdacht für eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach den § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB bestehe und offen gelassen, ob daneben mit hoher Wahrscheinlichkeit die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach § 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB erfüllt seien und wie gegebenenfalls das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen Delikten zu beurteilen sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der Entscheidung Bezug genommen.

Bereits zuvor hatte der Generalbundesanwalt gegen den Beschwerdeführer und fünf weitere Angeklagte unter dem 4. März 2015 Anklage zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben. Die Anklageschrift hat einen Umfang von 81 Seiten, benennt u.a. 23 Zeugen, zwei Sachverständige und zahlreiche weitere Beweismittel. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 14. April 2015 die Anklage zugelassen, das Hauptverfahren eröffnet und die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Die Hauptverhandlung hat am 12. Juni 2015 begonnen und dauert derzeit noch an.

Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz seiner Verteidiger ohne Datum, beim Oberlandesgericht eingegangen am 17. Dezember 2015, Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung vom 14. April 2015 eingelegt und beantragt, diese sowie den Haftbefehl vom 6. September 2014 aufzuheben, hilfsweise den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen. Zur Begründung hat er ausgeführt, in seinem Freiheitsgrundrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt zu sein, weil das Verfahren nicht mit der verfassungsrechtlich geforderten Beschleunigung geführt worden sei. Den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßgaben sei zu keinem Zeitpunkt Rechnung getragen worden; es sei auch nicht zu erwarten, dass dies in Zukunft geschehen werde.

Der Generalbundesanwalt beantragt, die Beschwerde zu verwerfen. Bezüglich der Begründung wird auf die Ausführungen in dessen Stellungnahme vom 23. Dezember 2015 (SAO „Vorgänge ab Eingang der Anklageschrift“ Bd. V, Bl. 177 ff.) sowie den Schriftsatz vom 11. Januar 2016 verwiesen.

Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 21. Dezember 2015 nicht abgeholfen. Es hat ausgeführt, der Beschwerdeführer sei der ihm in der Anklage vorgeworfenen Straftaten dringend verdächtig. Zur Begründung hat es mit ausführlichen Darlegungen auf die weitestgehend geständige Einlassung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung sowie die bisher erhobenen Beweise abgestellt. Die Haftgründe der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) seien gegeben. Das Beschleunigungsgebot sei hinreichend beachtet worden. Im zurückliegenden Zeitraum sei die Hauptverhandlung an insgesamt 27 Tagen durchgeführt worden. Im Rahmen einer Vorbesprechung sei Einvernehmen dahin erzielt worden, dass zunächst mit einem reduzierten Beweisprogramm begonnen werden sollte, um die Möglichkeit einer Verständigung und das damit zusammenhängende Einlassungsverhalten der Angeklagten zu klären. In dem Hauptverhandlungstermin am 3. Juli 2015 hätten fünf Angeklagte, darunter der Beschwerdeführer, um einen Verständigungsvorschlag gebeten. Diesen habe der Senat ausgearbeitet und am 21. Juli 2015 bekannt gegeben. Die Angeklagten hätten ihn abgelehnt und angekündigt, sich einlassen zu wollen, dies aber erst nach Ablauf der dem bereits vor Prozessbeginn feststehenden Erholungsurlaub geschuldeten Sommerpause. Die Einlassungen seien sodann nur schleppend abgegeben worden. Dies sei u.a. dadurch begründet gewesen, dass der Beschwerdeführer und seine beiden mitangeklagten Brüder sich darauf geeinigt hätten, dass zunächst der älteste Bruder Angaben mache. Dessen Verteidiger habe sich auserbeten, bei der Einlassung zugegen zu sein, andernfalls werde sein Mandant nichts sagen. Aus diesem Grund habe auf die Verhinderung des Verteidigers bei einzelnen Terminen Rücksicht genommen werden müssen. Daneben seien Beweise erhoben worden; u.a. habe im September 2015 der Sachverständige Dr. S. sein Gutachten erstattet. Weitere Unterbrechungen seien auf langfristig geplante Erholungsurlaube zurückzuführen gewesen. Der Senat habe die sitzungsfreie Zeit zur Aufarbeitung der Ergebnisse der Hauptverhandlung sowie zur kompakten Terminsvorbereitung genutzt. Eine engere Terminierung sei wegen der gleichzeitigen Inanspruchnahme des Senats in zwei weiteren, parallel geführten Staatsschutzverfahren nicht möglich gewesen. Für Januar 2016 seien ergänzende Einlassungen zweier Mitangeklagter angekündigt. Die Hauptverhandlung solle an einem Kurztermin am 11. Januar 2016 sowie ab dem 14. Januar 2016 zweimal wöchentlich an den regulären Terminen fortgesetzt werden; zu diesen seien bereits mehrere Zeugen geladen. Der Vollzug der Untersuchungshaft sei nach wie vor verhältnismäßig; die Dauer des Freiheitsentzuges sei selbst dann noch angemessen, wenn man im Rahmen dieser Abwägung eine Reststrafenaussetzung nach § 57 StGB antizipiere. Es sei davon auszugehen, dass Anfang März 2016 die Beweisaufnahme abgeschlossen werden könne. Die weitere Untersuchungshaft stehe zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der genannten Entscheidung Bezug genommen.

In der Zeit vom 21. bis zum 29. Januar 2016 konnte wegen der Erkrankung eines Senatsmitgliedes nicht zur Sache verhandelt werden.

II. Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin jedenfalls der - von der Verteidigung in diesem Beschwerdeverfahren nicht angegriffene - dringende Tatverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB).

a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 28. August 2014 - StB 22/14, juris Rn. 5; 8. Oktober 2012 - StB 9/12 JR 2013, 419, 420; 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrens stand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.

b) Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht in seinem umfangreichen Beschluss vom 21. Dezember 2015 ausreichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung einen dringenden Tatverdacht dahin belegen, dass die Al Shabab im Tatzeitraum eine ausländische terroristische Vereinigung darstellte, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet waren, Katalogtaten nach § 129a Abs. 1 StGB zu begehen. Darüber hinaus hat es ebenfalls in genügender Weise Ausführungen gemacht, welche die Annahme tragen, der Angeklagte habe sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligt. Die Anforderungen an die Begründungstiefe der in laufender Hauptverhandlung ergehenden Haftentscheidungen sind damit insoweit gewahrt.

2. Das Oberlandesgericht ist zudem zutreffend davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund der Schwerkriminalität nach § 112 Abs. 3 StPO auch derjenige der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO weiterhin vorliegt. Dem nach wie vor insbesondere aus der erheblichen Straferwartung folgenden hohen Fluchtanreiz stehen keine ausreichend belastbaren privaten Bindungen und soziale Beziehungen des Angeklagten in Deutschland gegenüber. Die gegebenen Umstände schließen zudem eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1 StPO aus.

3. Die Fortdauer der nunmehr etwa ein Jahr und fünf Monate andauernden Untersuchungshaft ist mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwägung der gegebenen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens - insbesondere dessen zu erwartende Gesamtdauer - noch verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Insoweit gilt:

a) Bei Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft ist das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass deren weiterer Vollzug nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig vom Tatvorwurf und von der Straferwartung Grenzen. Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Länge der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu.

Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Anzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, juris Rn. 39 ff. mwN; BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 12 ff.).

b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrechtzuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Dem steht im Ergebnis - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - auch der Verlauf der Hauptverhandlung nicht entgegen.

aa) Gegen den Angeklagten besteht aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit, dass dieser sich als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt hat, der dringende Verdacht einer gewichtigen Straftat. Diese ist mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahre bedroht und wiegt auch mit Blick auf die konkret gegebenen Umstände schwer.

bb) Das Ermittlungsverfahren ist ohne Verzögerung betrieben worden. Der Generalbundesanwalt hat bereits frühzeitig und noch vor der ersten Haftprüfung durch den Senat Anklage erhoben. Auch im Zwischenverfahren sind Versäumnisse, die zu einer Verlängerung des Verfahrens geführt haben, nicht zu erkennen. Das Oberlandesgericht hat vielmehr alsbald über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und sehr zeitnah mit der Hauptverhandlung begonnen.

cc) Das Verfahren richtet sich gegen insgesamt sechs Angeklagte und hat komplexe Tatvorwürfe mit deutlichen Auslandsbezügen zum Gegenstand; es weist somit insgesamt einen überdurchschnittlichen Umfang auf.

dd) Das Oberlandesgericht hat die Hauptverhandlung - mit Ausnahme der urlaubsbedingten, sich im Rahmen der Vorgaben der Strafprozessordnung haltenden Unterbrechungen - in der Regel zweimal wöchentlich durchgeführt. Insoweit ist gegen die Verhandlungsdichte nichts zu erinnern. Bei der Bewertung des bisherigen Verlaufs der Hauptverhandlung ist allerdings nicht zu verkennen, dass das Oberlandesgericht die ohne Weiteres mögliche Dauer eines Hauptverhandlungstermins regelmäßig bei weitem nicht ausgeschöpft hat. Soweit es in diesem Zusammenhang darauf verweist, es sei zeitgleich mit der Durchführung von Hauptverhandlungen in zwei weiteren Verfahren befasst gewesen, sind derartige Umstände nicht geeignet, die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers zu rechtfertigen. Die Justizverwaltung hat mit Blick auf die rechtstaatliche Ordnung und den grundrechtlich verbürgten Freiheitsanspruch des Betroffenen vielmehr dafür Sorge zu tragen, dass ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stehen, um Strafverfahren, insbesondere bei Haftsachen, angemessen führen und in einem vertretbaren Zeitraum abschließen zu können. Jedoch fällt hier auch ins Gewicht, dass das Verfahren sich gegen insgesamt sechs Angeklagte richtet und Sachverhalte betrifft, die sich im Wesentlichen im Ausland zugetragen haben. Diese Umstände erfordern zum einen eine überdurchschnittlich zeit- und arbeitsintensive Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlungstermine; zum anderen sind sie dazu geeignet, die konkreten Hauptverhandlungstermine weniger voraussehbar zu machen, als dies bei einer geringeren Anzahl von Angeklagten der Fall ist. So beruht hier der bisherige konkrete Verlauf der Hauptverhandlung zumindest auch auf dem Prozessverhalten der Angeklagten und ihrer Verteidiger, die etwa angekündigte Einlassungen zur Sache nur zu bestimmten Zeitpunkten und unter bestimmten Voraussetzungen abzugeben bereit waren. Dies ist bei der Prüfung der Fortdauer der Untersuchungshaft sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 f.) als auch nach derjenigen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Entscheidung vom 6. November 2014 - Application no. 67522/09 Ereren gegen Deutschland, NJW 2015, 3773, 3775) und des Senats (vgl. Beschluss vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, JR 2013, 419, 421) zu berücksichtigen, ohne dass es in diesem Zusammenhang maßgeblich darauf ankommt, ob es sich um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder dessen Grenzen überschritten sind.

ee) Soweit weiter das voraussichtliche Ende des Verfahrens von Bedeutung ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. April 2013 - StB 6/13), ist anzunehmen, dass die Prognose des Oberlandesgerichts, die Hauptverhandlung in naher Zukunft abschließen zu können, bei allen Unwägbarkeiten, die mit Prognosen notwendigerweise verbunden sind, auf einer tragfähigen Grundlage beruht. Dies gilt auch mit Blick auf die zwischenzeitliche Erkrankung eines Mitglieds des Senats des Oberlandesgerichts. Das Oberlandesgericht ist gleichwohl ersichtlich darum bemüht, das Verfahren in einem überschaubaren Zeitraum abzuschließen.

ff) Das zügige Betreiben des Verfahrens bis zum Beginn der Hauptverhandlung führt dazu, dass trotz deren bisherigen Verlaufs die zu erwartende Gesamtdauer der Untersuchungshaft bis zu dem voraussichtlichen Abschluss des Verfahrens auch vor dem Hintergrund der im Raum stehenden Straferwartung und einer möglichen Reststrafenaussetzung zur Bewährung noch nicht als unverhältnismäßig zu bewerten ist. Anhaltspunkte dafür, dass die besonderen Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrests bereits nach deren hälftiger Verbüßung (§ 57 Abs. 2 StGB) vorliegen, sind nicht ersichtlich. Somit käme allenfalls eine Aussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs. 1 StGB) in Betracht. Der Senat hat auch insoweit keinen Anlass, die Ausführungen des Oberlandesgerichts in dessen Nichtabhilfeentscheidung in Zweifel zu ziehen, wonach der hierfür maßgebende Zeitpunkt noch nicht erreicht ist. Dies gilt auch für den Fall, dass eine Verurteilung wegen eines tateinheitlich verwirklichten Delikts nach § 89a StGB unterbleibt.

gg) Der Senat weist allerdings abschließend nachdrücklich darauf hin, dass die Anforderungen an die Zügigkeit, mit der ein Strafverfahren durchzuführen ist, mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen. Vor diesem Hintergrund liegt seiner Entscheidung die Erwartung zugrunde, dass die Hauptverhandlung bis zu ihrem Ende in besonderer Weise intensiv betrieben werden wird. Dies gilt auch bezüglich der Dauer der einzelnen Termine. Das Oberlandesgericht wird auch mit Blick auf möglicherweise weiterhin geltend gemachte Interessen der übrigen Verfahrensbeteiligten alle nach der Strafprozessordnung vorgesehenen Möglichkeiten auszuschöpfen und dabei gegebenenfalls etwa zu erwägen haben, das Verfahren gegen den weitestgehend geständigen Beschwerdeführer abzutrennen und diesen gesondert abzuurteilen.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 314

Bearbeiter: Christian Becker