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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 638/99, Urteil v. 11.04.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 638/99 - Urteil v. 11. April 2000 (LG Karlsruhe)

Leichtfertige Todesverursachung durch Abgabe von Betäubungsmitteln; Eigenverantwortliche Selbstgefährdung; Objektive Zurechnung

§ 222 StGB; § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG 1981

Leitsätze

1. Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei Abgabe von Heroin und Tod des Rauschgiftkonsumenten. (BGH)

2. Zum Grundsatz der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. (Bearbeiter)

3. Der Regelungsinhalt des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ist dadurch geprägt, daß der Gesichtspunkt der Selbstgefährdung nach der positivrechtlichen Entscheidung des Gesetzgebers die objektive Zurechnung der Todesfolge nicht hindern soll (so schon BGHSt 37, 179, 182/183). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 21. Juli 1999 wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten durch diese Revision entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer Revision in einem der Fälle eine Verurteilung auch wegen tateinheitlich begangener fahrlässiger Tötung und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen zum Fall II 2 der Urteilsgründe erhielt die Angeklagte im August 1998 aus Kirgistan eine Lieferung von wenigstens 10 g Heroin zum Zwecke der Weiterveräußerung. Dabei handelte es sich um sehr starkes ("weißes") Heroin, dessen Heroinhydrochloridanteil bei mindestens 80 Prozent lag. Die Angeklagte wußte, daß die Injektion dieses hochprozentigen Rauschgifts lebensgefährlich war. Sie verkaufte aus dieser Menge an verschiedene Personen, darunter am 7. September 1998 an den damals 20jährigen K. und am 15. September 1998 an den ebenfalls 20jährigen Ka. jeweils ein Gramm zum Preise von 150 DM. Sie wies die Abnehmer darauf hin, daß es sich um sehr starkes Material handele. Beim Konsumieren müsse man aufpassen und "nicht spritzen, sondern nur sniefen".

K. konsumierte das von ihm erworbene Heroin wenig später auf nicht bekannte Art und Weise; er erlitt dadurch am 9. September 1998 eine toxische Hirnschädigung. Im Krankenhaus entwickelte sich ein Wachkoma mit spastischer Lähmung aller vier Extremitäten. Im weiteren Verlauf wurde er in ein Fachkrankenhaus für Hirnverletzte verlegt. Er kann sich nicht mehr gezielt bewegen, sich nicht selbst an- und auskleiden, nicht ohne Hilfe essen, nicht sprechen, nicht stehen und auch Sinnzusammenhänge nur begrenzt erfassen.

Ka. konsumierte das Rauschgift noch am 15. September 1998 durch Sniefen und verstarb aufgrund dessen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht drogenabhängig, hatte in zurückliegender Zeit gelegentlich Drogen konsumiert, damit aber im Februar 1998 aufgehört und nun wieder Heroin genommen, weil er "mal wieder Lust darauf hatte". Zum Zeitpunkt des Konsums war er weder krank noch alkoholisiert. Den Hinweis der Angeklagten beim Erwerb, es handele sich um sehr starkes Heroin, hatte er verstanden.

Zwei weitere Personen nahmen an dem von der Angeklagten erworbenen und von ihnen konsumierten Heroin keinen Schaden. Der eine war im Umgang mit Drogen erfahren und an harte Drogen gewöhnt. Der andere nahm die Warnung der Angeklagten sehr ernst und konsumierte das Heroin nur in kleinen Mengen. Ka. als Gelegenheitskonsument hatte die Warnung der Angeklagten indessen nicht zum Anlaß genommen, das erworbene Rauschgift in kleinere Portionen aufzuteilen.

2. Das Landgericht hat den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG (leichtfertige Todesverursachung durch Abgabe von Betäubungsmitteln) geprüft und leichtfertiges Handeln der Angeklagten verneint. Ka. sei nicht drogenabhängig und auch nicht erkennbar erkrankt gewesen. Die Angeklagte habe ihn, wie schon zuvor andere Käufer, vor der starken Wirkung des von ihr verkauften Heroins gewarnt. Aus diesem Grunde sei sie auch nicht der fahrlässigen Tötung schuldig. Ka. sei weder durch eine Intoxikationspsychose noch sonst in seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. Die Strafbarkeit der Angeklagten sei daher insoweit durch den Rechtsgedanken der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers ausgeschlossen.

II.

Diese Würdigung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die Maßstäbe der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für den im Anschluß an die Abgabe von Betäubungsmitteln eingetretenen Tod des Rauschgiftkonsumenten sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.

a) Der Bundesgerichtshof hat in mittlerweile ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, daß im Grundsatz die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts unterfällt, wenn das mit der Gefährdung vom Opfer bewußt eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar (so grundlegend BGHSt 32, 262; siehe auch BGHSt 37, 179; BGH NStZ 1987, 4061 1992, 489). Das gilt auch für den Fall der Abgabe von Heroin (so BGH NStZ 1985, 319 f.). Dabei hat der Bundesgerichtshof darauf abgestellt, daß derjenige, der sich an einem Akt der eigenverantwortlich gewollten und bewirkten Selbstgefährdung beteiligt, an einem Geschehen teilnimmt, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGHSt 32, 262, 265). Das Gesetz bedroht nur die Tötung oder Verletzung eines anderen mit Strafe. Die Strafbarkeit des sich Beteiligenden wegen Körperverletzung oder Tötungsdelikts beginnt erst dort, wo dieser kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfaßt als der sich selbst Gefährdende. Der Senat hat auf sich beruhen lassen, wie es sich verhielte, wenn der sich selbst Gefährdende außerstande war, die Risiken seines Tuns sachgerecht abzuwägen oder der Verlockung zum Drogenkonsum viel Widerstand entgegenzusetzen. Offengeblieben ist auch die Frage, was gilt, wenn denjenigen, der sich an der Selbstgefährdung eines eigenverantwortlich Handelnden aktiv beteiligt, Garantenpflichten für dessen Leib oder Leben treffen (BGH aaO S. 266).

b) Anerkannt ist darüber hinaus in der Rechtsprechung, daß das im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte entwickelte Prinzip der Selbstverantwortung und die Grundsätze zur bewußten Selbstgefährdung bei der Auslegung und Anwendung der Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes eine Einschränkung erfahren (BGHSt 37, 179; zu weiteren schutzzweckorientierten Einschränkungen des Grundsatzes eigenverantwortlicher Selbstgefährdung vgl. BGHSt 39, 322, 324 f.). Denn strafrechtliche Verantwortlichkeit ist Verantwortlichkeit unter einem bestimmten rechtlichen Aspekt nach den dafür geltenden normativen Voraussetzungen (BGHSt 32, 262, 266). Gerade dem vom Landgericht geprüften - Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, der den Tod eines Menschen infolge der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln voraussetzt, ist damit nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers typischerweise eine selbstgefährdende Handlung des später zu Tode Gekommenen immanent. Der Regelungsinhalt des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG ist dadurch geprägt, daß der Gesichtspunkt der Selbstgefährdung nach der positivrechtlichen Entscheidung des Gesetzgebers die objektive Zurechnung der Todesfolge nicht hindern soll (so schon BGHSt 37, 179, 182/183). Allerdings erweist sich die auf der subjektiven Tatseite zu stellende Anforderung, daß dem Täter Leichtfertigkeit zur Last fallen muß, als gewisse Einschränkung des Anwendungsbereichs.

2. Der Senat hält an diesen Maßstäben fest (vgl. aber Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 11, 21). Sie gelten auch für den vorliegenden Fall. Auf dieser Grundlage begegnet die Ablehnung einer der Angeklagten zuzurechnenden fahrlässigen Tötung zum Nachteil Ka. keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Den festgestellten Gesamtumständen ist zu entnehmen, daß der zu Tode gekommene Ka. nicht etwa außer Stande war, die Risiken seines Tuns sachgerecht abzuwägen oder der Verlockung zum Drogenkonsum nennenswerten Widerstand entgegenzusetzen. Vielmehr ergeben die Urteilsgründe, daß er eigenverantwortlich und aus freien Stücken das Heroin in selbstgefährdender Weise konsumiert hat. Ka. war weder alkoholisiert noch in irgendeiner Weise erkrankt, als er das Heroin sniefte. Im Umgang mit Drogen, auch Heroin, war er nicht unerfahren, weil er in früherer Zeit Gelegenheitskonsument gewesen war. Zum Vorfallszeitpunkt war er nicht drogenabhängig. Auch hatte er die Warnung der Angeklagten verstanden. Wenn das Landgericht bei dieser Sachlage von einer freiverantwortlich getroffenen Entschließung des Opfers zur Selbstgefährdung ausgeht, so läßt das einen Rechtsmangel nicht erkennen.

Eine täterschaftliche Verantwortung der Angeklagten für den Tod des Ka. ergibt sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines überlegenen Sachwissens, das grundsätzlich die Zurechnung des vom Opfer selbst bewirkten Todeseintritts zu rechtfertigen vermag (vgl. BGHSt 32, 262, 265; BGH NStZ 1986, 266; siehe auch BGHSt 36, 1, 17 zum Sexualverkehr eines HIV-Infizierten; vgl. in der Literatur Jähnke in LK 11. Aufl. § 222 Rdn. 21; Wessels/Beulke, Strafrecht AT 28. Aufl. Rdn. 187; Wessels/Hettinger, Strafrecht BT Teil 1 23. Aufl. Rdn. 191). Wann ein solches Sachwissen als überlegen zu erachten ist, hängt von den Umständen des Falles ab und unterliegt in erster Linie der Würdigung des Tatrichters (vgl. in anderem Zusammenhang BGHSt 7, 112, 115). Dessen Feststellungen zum Wissensstand der Angeklagten und des Opfers erweisen sich nicht als lückenhaft; seine Bewertung ist tragfähig und verkennt den rechtlichen Zurechnungsmaßstab nicht.

Ka. kannte den Warnhinweis der Angeklagten, es handele sich um sehr starkes Heroin, man müsse beim Konsumieren aufpassen. Ihm war - neben dem ebenfalls als allgemeinbekannt vorauszusetzenden grundsätzlichen Risiko bei Heroinkonsum - überdies zum Zeitpunkt seines Rauschgiftgenusses bekannt, daß zuvor K. infolge Heroinkonsums ins Koma gefallen war und im Krankenhaus lag. Wiewohl ihm die Kenntnis fehlte, daß K. sein Heroin aus derselben Quelle bezogen hatte wie er, so war dieser Umstand doch ganz allgemein dazu angetan, warnende Wirkung zu entfalten und ihm auch die mahnenden Worte der Angeklagten ins Bewußtsein zu rufen.

Die Beschwerdeführerin vermißt weitergehende Feststellungen dazu, ob auch der Angeklagten der Umstand bekannt war, daß K. ins Koma gefallen war. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen konnte es darauf indessen ersichtlich nicht mehr entscheidend ankommen, zumal die Strafkammer ausdrücklich hervorgehoben hat, K. habe das Heroin auf nicht bekannte Art und Weise konsumiert und Ka. sei das Schicksal des K. bekannt gewesen. Unter diesen Rahmenbedingungen hätte ein etwaiger weiterer Hinweis der Angeklagten an Ka. , ein anderer Abnehmer des Heroins der selben Qualität sei bereits ins Koma gefallen, die im übrigen bereits ausgesprochene Warnung allenfalls unterstreichen können, die Aussagekraft der Warnung aber inhaltlich nicht wesentlich zu steigern vermocht; denn über Dosierung und Umstände des Konsums durch K. war nichts feststellbar. Ein etwa weitergehendes Sachwissen der Angeklagten wäre unter den gegebenen Umständen kein insoweit überlegenes Wissen gewesen. Die Erfassung des Risikos durch den im Umgang mit Drogen nicht unerfahrenen Ka. hing maßgeblich vom Wissen um die Stärke des Stoffes ab. Darauf aber hatte die Angeklagte hingewiesen und so ihr überlegenes Sachwissen in dem wesentlichen Punkt an das Opfer vermittelt. Danach erschöpfte sich der Beitrag der Angeklagten unter dem Aspekt des § 222 StGB in der Förderung eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers. Die Bewertung des Landgerichts ist deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen.

Im übrigen hat das Landgericht auch eine leichtfertige Verursachung des Todes im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG rechtsfehlerfrei abgelehnt. Dies beanstandet auch die Beschwerdeführerin nicht.

3. Das angefochtene Urteil läßt auch sonst weder einen Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten noch einen solchen zu ihrem Nachteil (vgl. § 301 StPO) erkennen. Das Landgericht durfte die schweren Folgen der Tat im Fall II 2 der Urteilsgründe, die Hirnschädigung bei K. und den Tod von Ka., bei der Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 1992, 489).

Externe Fundstellen: NJW 2000, 2286; NStZ 2001, 205

Bearbeiter: Karsten Gaede