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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 640/98, Urteil v. 27.02.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 1 StR 640/98 - Urteil v. 27. Februar 1999 (LG Freiburg)

Totschlag; Beweiswürdigung; Vorsatz; Tateinheit;

§ 52 Abs. 1 StGB; § 212 Abs. 1 StGB; § 222 StGB; § 337 StPO; § 261 StPO;

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zu den Anforderungen an die Feststellung einer vorsätzlichen Tötung.

2. Zur Tateinheit bei einheitlicher Tathandlung.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 27. Februar 1998 werden verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision und die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen des Nebenklägers.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unberechtigter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer solchen Waffe in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und im anderen Fall in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit Sachbeschädigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Sperrfrist von zwei Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt.

Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, daß der Angeklagte nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts und zusätzlich wegen Sachbeschädigung verurteilt wurde (Fall 2 a), sowie die Annahme von Tateinheit (im Fall 2 b) zwischen dem Waffendelikt und der Sachbeschädigung. Diese Revision bleibt ebenso ohne Erfolg wie die auf die Sach- und Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten.

Der Angeklagte hat in angetrunkenem Zustand (maximal 3,08 p.m.) mit seiner Pistole, für die er waffenrechtliche Erlaubnisse nicht hatte, in einer Gaststätte einen Schuß abgegeben. Dabei war er der irrigen Meinung, die Waffe sei nicht geladen. Anschließend "hantierte" er erneut an der Waffe, die danach wieder geladen war. Als er sich schließlich mit seiner Ehefrau und dem späteren Tatopfer S. H. im Aufzug zur gemeinsamen Wohnung befand, löste sich, als der Angeklagte wieder "mit der Waffe hantierte, aus im einzelnen nicht geklärten Umständen beim Berühren des Abzugs ein Schuß", der S. H. tödlich in die Stirn traf.

An einem der folgenden Tage verbrachte der Angeklagte die Leiche in den Pkw der Getöteten und fuhr den Wagen, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Dabei trug er die schußbereite Waffe erneut bei sich. Zur Spurenbeseitigung täuschte er einen Verkehrsunfall vor, indem er den Wagen anzündete und einen Abhang herunterrollen ließ, und warf die Waffe unauffindbar weg.

I. Revision der Staatsanwaltschaft

1. Der Revision ist zuzugeben, daß erhebliche Zweifel bestehen, ob sich der zweite Schuß tatsächlich versehentlich gelöst hat. Das aber hat das Landgericht auch gesehen und - insbesondere unter Berücksichtigung der einer vorsätzlichen Tötung gerade entgegenstehenden Motivlage - eingehend erörtert, weshalb es sich von einer vorsätzlichen Schußabgabe auf den Kopf des Tatopfers nicht überzeugen konnte. Diese dem Tatrichter zukommende Beweiswürdigung ist jedoch nur dann wegen eines Rechtsfehlers angreifbar, wenn sie Unklarheiten, Widersprüche oder Lücken enthält, wenn ein Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze vorliegt oder wenn die Urteilsgründe ergeben, daß der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewißheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 337 Rdn. 26 ff. und § 261 Rdn. 41 m.w. Nachw.). Einen Rechtsfehler dieser Art vermag der Senat nicht zu erkennen.

a) Zwar hat das Landgericht an mehreren Stellen jeweils nur davon gesprochen, der Angeklagte habe an der Waffe "hantiert". Damit war nichts Konkretes zur tatsächlichen Handhabung gesagt. Das ist hier jedoch aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, weil das Landgericht im Rahmen möglicher Aufklärung nichts zusätzlich feststellen konnte - der Angeklagte und die Zeugen haben keine konkreten oder aber widersprüchliche Angaben gemacht.

b) Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß bei Waffen dieser Art - der genaue Typ konnte nicht geklärt werden - bei einem Abzugsgewicht von 2,1 bis 2,2 kp sich eine Schußauslösung durch bloßes "Berühren" kaum erklären läßt. Aber das Landgericht hat mit "berühren" ersichtlich nicht eine Handlung im exakten Wortsinn gemeint, sondern damit sagen wollen, daß sich der Schuß löste, als der Angeklagte in nicht näher aufklärbarer Weise so mit dem Abzug in Kontakt kam, daß sich ein Schuß lösen konnte. Zum anderen muß die Waffe, die nicht untersucht werden konnte, nicht notwendig das bei diesen Pistolentypen übliche Abzugsgewicht auch tatsächlich gehabt haben.

c) Mit seiner Bemerkung, im Falle einer vorangegangenen Bedrohung" wäre zu erwarten gewesen, daß das Opfer den Kopf abwende und nicht "in die Mündung sieht", wollte das Landgericht ersichtlich nur darauf hinweisen, daß der Schuß in die Stirn gegen ein vorangegangenes Zielen auf den Kopf spreche.

d) Unzutreffend ist zwar die Mitteilung des Landgerichts, die tatsächliche Schußentfernung habe sich nicht objektiv eingrenzen lassen. Die Raumgröße des Fahrstuhls in Verbindung mit den Körpergegebenheiten der Beteiligten ließ eine Eingrenzung zu. Jedoch nur aus einem Nahschuß (aus weniger als etwa 50 cm), der hier nicht feststellbar war, hätten sich für den Angeklagten nachteilige Schlüsse ziehen lassen. Darüber hinaus konnte auch die Feststellung der maximalen Schußentfernung kein Argument für einen vorsätzlichen Schuß ergeben. Die Waffe befand sich beim "Hantieren" in nicht näher feststellbarer Bewegung. Der (bekannte) Schußwinkel ließ daher auch keinen Schluß auf einen vorsätzlichen Schuß auf den Kopf des Opfers zu.

e) Dafür, daß die Tötung nicht im Fahrstuhl, sondern bei anderer Gelegenheit später erfolgt ist, hatte das Landgericht - im Gegensatz zu den im Fahrstuhl vorhandenen Tatspuren - keine wesentlichen Anhaltspunkte. Der entgegenstehenden Aussage des Zeugen G., der das Opfer später noch gesehen haben will, ist das Landgericht mit jedenfalls möglichen Schlüssen nicht gefolgt.

2. Bei der Schußabgabe in der Gaststätte durch bewußtes Betätigen des Abzuges ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, der Angeklagte sei der Auffassung gewesen, die Waffe sei nicht geladen. Danach waren Erörterungen über eine nur vorsätzlich zu begehende Sachbeschädigung nicht erforderlich.

Soweit starke Bedenken veranlaßt waren, der Angeklagte habe zweimal ohne Vorsatz scharf geschossen, durfte das Landgericht diese Bedenken unter Hinweis auf die erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten relativieren.

3. Unter den hier gegebenen Umständen begegnet die Annahme von Tateinheit zwischen dem Führen der Waffe, dem gleichzeitigen Fahren ohne Fahrerlaubnis und der Sachbeschädigung des Pkw durch Vortäuschen eines Verkehrsunfalls keinen durchgreifenden Bedenken.

Stehen das Waffenführen und die (nur) gleichzeitig begangene Straftat in keinem Zusammenhang, dann ist grundsätzlich Tatmehrheit gegeben (BGH NStZ 1997, 604, 605), es fehlt dann regelmäßig am Merkmal "durch die gleiche Handlung" (Steindorf aaO Rdn. 41; Tröndle, StGB 48. Aufl.. § 244 Rdn. 16). Besteht jedoch ein solcher Zusammenhang, kommt Tateinheit in Betracht (Steindorf aaO). Davon konnte das Landgericht hier ausgehen, da das Handeln des Angeklagten, mit dem er sämtliche Straftatbestände verwirklichte, der Spurenbeseitigung diente. Insoweit konnte das Landgericht von einer einheitlichen Tathandlung ausgehen.

II. Die Revision des Angeklagten ist nicht begründet.

Daß sich der Schuß löste, als der Angeklagte mit der Waffe "hantierte", wird von den Feststellungen und den beweiswürdigenden Erörterungen getragen. Der Angeklagte hatte die geladen in seinem Hosenbund steckende Waffe am Griff herausgenommen, anschließend erfolgte der Schuß. Hat er nicht selber vorsätzlich auf S. H. geschossen, so löste sich der Schuß jedenfalls in einem Zeitpunkt, als er noch in irgendeiner Form, weiche das Landgericht als "hantieren" umschreibt, die Waffe in der Hand hatte. Wenn auch seine Ehefrau, was das Landgericht nicht ausschließt, bereits jetzt ihre Hand an der Waffe hatte, weil er sie ihr übergeben wollte oder sollte, so beseitigt das jedenfalls seine Verantwortlichkeit für das Sich-Lösen des Schusses nicht.

Die erstmals in der Hauptverhandlung gemachte Aussage der Ehefrau, sie habe die Waffe, die er ihr übergeben wollte oder sollte, bereits in der Hand gehabt, als sich der Schuß löste, hat das Landgericht nach zulässigen Schlußfolgerungen aus ihrem Aussageverhalten, den Widersprüchen beim Ablauf der Waffenübergabe und im Hinblick auf die Tatrekonstruktion nicht geglaubt.

Die Einwände der Revision gegen die Annahme (nur) erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Hinblick auf die Alkoholisierung des Angeklagten greifen nicht durch. Das Landgericht hat bei dem äußerst trinkgewohnten Angeklagten zulässig aus seinem Verhalten während und nach der Tat den Schluß gezogen, Schuldunfähigkeit sei nicht gegeben.

Die Verfahrensrügen sind verspätet angebracht.

Bearbeiter: Karsten Gaede