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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 507

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 5/25, Beschluss v. 06.02.2025, HRRS 2025 Nr. 507


BGH 1 StR 5/25 - Beschluss vom 6. Februar 2025 (LG Rottweil)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen; Erfolgsprognose: erforderliche Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der Behandlungsfähigkeit und Behandlungsbereitschaft des Angeklagten).

§ 63 Satz 1, Satz 2 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 7. Oktober 2024 im Maßregelausspruch und im Ausspruch über den Vorwegvollzug mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Strafe angeordnet. Die auf die unausgeführte Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zu den gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen, an die seit der am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift (BGBl. I Nr. 203, S. 2) höhere Anforderungen zu stellen sind, hat das Landgericht keine hinreichenden Feststellungen getroffen. Für die Anwendung des Zweifelssatzes ist insoweit kein Raum (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Januar 2024 - 4 StR 397/23 Rn. 5 und vom 19. Dezember 2023 - 2 StR 402/23 Rn. 5; jeweils mwN).

a) Die Annahme eines Hangs nach § 64 Satz 1 Halbsatz 2 StGB erfordert eine Substanzkonsumstörung, infolge derer eine dauernde und schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, der Gesundheit, der Arbeits- oder der Leistungsfähigkeit eingetreten ist und fortdauert. Tatsächliche Umstände, die eine solche Wertung tragen könnten, ergeben sich aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht. Zwar ist diesen zu entnehmen, dass der Angeklagte nach mehrjähriger Abstinenz im Jahr 2022 erneut begann, Alkohol im Übermaß zu trinken, und sich daraus eine Alkoholabhängigkeit entwickelte. Anlass hierfür sei die leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung (ICD-10: F 70.1) des Angeklagten gewesen, die allerdings nicht den für die Annahme eines Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB erforderlichen Schweregrad erreiche. Hieraus allein folgt ein Hang im vorbenannten Sinne jedenfalls nicht hinreichend sicher (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Januar 2024 - 4 StR 397/23 Rn. 5 und vom 9. November 2023 - 4 StR 358/23 Rn. 7). Nach den Urteilsfeststellungen arbeitete der Angeklagte seit seiner Entlassung aus der im Jahr 2004 angeordneten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Jahr 2005 bis November 2023 praktisch durchgehend als Küchenhelfer bei verschiedenen Arbeitgebern, bei denen er „zufriedenstellende Arbeitsleistungen“ erbrachte. Entlassungen in der Vergangenheit waren jedenfalls teilweise nicht auf seinen Alkoholkonsum, sondern auf unzureichende kognitive Fähigkeiten zurückzuführen. Auch im persönlichen Nahbereich fiel der Angeklagte nicht auf. Damit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen; eine dauernde und - kumulativ - schwerwiegende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit tragen die knappen Feststellungen nicht. Auch Ausführungen dazu, welchen Einfluss die festgestellte Intelligenzminderung auf die Lebensverhältnisse des Angeklagten und sein Verhalten hat, fehlen.

b) Aus diesem Grund kann den Urteilsgründen auch ein symptomatischer Zusammenhang dergestalt, dass die Anlasstat „überwiegend“ auf den Hang zurückgeht, nicht hinreichend sicher entnommen werden. Die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat ist für die Annahme der Kausalität nur noch dann ausreichend, wenn sie quantitativ andere Ursachen überwiegt (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 69 f.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2023 - 1 StR 214/23 Rn. 11 ff. mwN; Beschlüsse vom 13. Dezember 2023 - 3 StR 304/23 Rn. 15 f.; vom 2. November 2023 - 6 StR 316/23 Rn. 8 und vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23 Rn. 3). Das Landgericht hätte deshalb eine Aussage zu der Frage treffen müssen, inwieweit der Alkoholkonsum neben der Intelligenzminderung die ausschlaggebende („überwiegende“) Ursache für die Brandlegung war. Dies gilt umso mehr, weil sich der Angeklagte gerne als „Retter“ geriert habe, um Lob und Anerkennung zu erhalten (UA S. 10, S. 26).

c) Schließlich ist auch die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht durch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte belegt.

Das Landgericht hat seine Wertung, es bestehe eine hinreichend konkrete Aussicht für einen erfolgreichen Therapieabschluss, ausschließlich damit begründet, der Angeklagte habe zuletzt Therapiemotivation und Veränderungsbereitschaft gezeigt. Diese Erwägung lässt eine nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 47 ff., 69 ff.; BGH, Beschlüsse vom 16. November 2023 - 6 StR 452/23 Rn. 5 f. und vom 2. November 2023 - 6 StR 316/23 Rn. 11) erforderliche Gesamtabwägung nicht erkennen, die namentlich Behandlungsfähigkeit und Behandlungsbereitschaft des Angeklagten in den Blick nimmt und bei der es damit in erster Linie um in der Person und Persönlichkeit des Täters liegende Umstände geht. Dazu gehören insbesondere solche, die seine Sucht und deren Behandlungsfähigkeit unmittelbar kennzeichnen - vor allem Art und Stadium der Sucht, bereits eingetretene physische und psychische Veränderungen und Schädigungen, frühere Therapieversuche sowie eine aktuelle Therapiebereitschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2023 - 3 StR 304/23 Rn. 17 mwN). Dem offensichtlich nachhaltigen Vollzug der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kommt aufgrund des langen Zeitabstands von mehr als zehn Jahren insoweit kein hohes prognoserelevantes Gewicht mehr zu. Vor allem hat das Landgericht bereits nicht nachvollziehbar erläutert, weshalb es den erst in der Hauptverhandlung geänderten Angaben des Angeklagten zu seiner Therapiebereitschaft, auf die allein eine Erfolgsprognose ohnehin nicht gestützt werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Oktober 2023 - 6 StR 405/23 Rn. 7), folgt. Außerdem fällt die gebotene Auseinandersetzung mit den festgestellten prognoseungünstigen Umständen aus. So hätte das Landgericht neben dem Einfluss der Intelligenzminderung auf die Therapiefähigkeit insbesondere die Angaben des Sachverständigen in den Blick nehmen müssen, wonach bei dem Angeklagten weder ein Leidensdruck noch Reflektionsbereitschaft oder Introspektionsfähigkeit vorlägen.

d) Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Dies zieht den Wegfall der Anordnung eines Vorwegvollzugs nach sich. Der Senat hebt die jeweils zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.

2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 507

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede