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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 151

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 448/21, Beschluss v. 01.12.2021, HRRS 2022 Nr. 151


BGH 1 StR 448/21 - Beschluss vom 1. Dezember 2021 (LG Mannheim)

Strafzumessung (Verhältnis von minder schwerem Fall und vertypten Strafmilderungsgründen).

§ 46 StGB; § 50 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 10. August 2021 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch und die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

2. Der Strafausspruch hält hingegen sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht es unterlassen hat zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 213 Alt. 2 StGB mit einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe in Betracht zu ziehen ist.

a) Die Schwurgerichtskammer hat bei der Strafrahmenwahl ausgeführt, dass wegen des vertypten Milderungsgrundes des Versuchs der Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB (mit einem Strafrahmen von zwei Jahren bis zu elf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe) nach einer „Gesamtwürdigung der Tatumstände“, insbesondere mit Blick auf die „relativ geringen Verletzungen“ der beiden Geschädigten geboten gewesen sei. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 213 Alt. 2 StGB hat sie nicht erörtert. Dies ist rechtsfehlerhaft.

b) Wenn der gesetzliche Tatbestand für eine mögliche Strafrahmenverschiebung einen minder schweren Fall vorsieht, so hat das Tatgericht zunächst die allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte in die Prüfung des minder schweren Falles einzustellen. Sollten die Voraussetzungen hierfür verneint werden, so ist bei Vorliegen eines vertypten Milderungsgrundes - wie hier der des Versuchs nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB - auch dieser bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, heranzuziehen. Erst wenn auch dann die Voraussetzungen eines minder schweren Falles verneint werden, hat eine Prüfung wegen einer Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB zu erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2018 - 1 StR 78/18 Rn. 10; Beschlüsse vom 23. Januar 2018 - 3 StR 579/17 Rn. 4 und vom 19. November 2013 - 2 StR 494/13 Rn. 4 jeweils mwN).

3. Der Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Feststellungen bleiben jedoch bestehen (§ 353 Abs. 2 StPO), weil sie hiervon nicht betroffen sind. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 151

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede