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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 722

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 78/18, Urteil v. 28.06.2018, HRRS 2018 Nr. 722


BGH 1 StR 78/18 - Urteil vom 28. Juni 2018 (LG Nürnberg-Fürth)

Beihilfe (Definition); Strafzumessung (Strafrahmenwahl in Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund vorliegt).

§ 27 Abs. 1 StGB; § 27 Abs. 2 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Beihilfe meinte eine Hilfeleistung, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert, ohne dass sie für den Eintritt des Erfolges in irgendeiner Weise kausal werden muss.

2. Nach ständiger Rechtsprechung ist in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 Abs. 1 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26. Oktober 2017, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Die Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts buchte die Angeklagte per Internet am 10. Januar 2017 für ihren Ehemann ein Hotelzimmer in Barcelona, weil er nicht über eine Kreditkarte verfügte und daher keine Internetbuchung vornehmen konnte. Sie hatte in den Monaten zuvor mit ihm regelmäßig Kokain konsumiert und wusste spätestens seit Ende des Jahres 2016, dass die Fahrten ihres Ehemanns nach Spanien jeweils der Beschaffung erheblicher Mengen von Kokain für den gewinnbringenden Weiterverkauf in Deutschland und dem gemeinsamen Konsum dienten und auch die anstehende Reise denselben Zweck verfolgte. Tatsächlich war mit dem spanischen Lieferanten der Erwerb von einem Kilogramm Kokain für 41.000 € vereinbart worden. Am 13. Januar 2017 führte ihr Ehemann in seinem PKW 482,42 g Kokain (Kokainhydrochlorid 448,5 g) nach Deutschland ein.

Im Rahmen einer in der Hauptverhandlung getroffenen Verständigung räumten sämtliche Angeklagte die Tatvorwürfe aus der Anklageschrift in vollem Umfang ein, wenngleich die Angeklagte stets betonen ließ, von einem nicht strafbaren Verhalten ihrerseits ausgegangen zu sein (UA S. 4). Sie gab hierbei an, sie habe bei Buchung des Hotelzimmers billigend in Kauf genommen, dass der Aufenthalt ihres Ehemanns in Barcelona der Beschaffung von Betäubungsmitteln dienen könnte, da sie zu jener Zeit gemeinsam mit ihm Kokain konsumiert habe und somit jeder Aufenthalt ihres Ehemanns außerhalb des gemeinsamen ehelichen Haushalts aus ihrer Sicht der Beschaffung von Betäubungsmitteln habe dienen können. Positive Kenntnis vom Zweck der Fahrt nach Barcelona habe sie jedoch erst wenige Stunden nach der Hotelbuchung erlangt (UA S. 15).

Die Strafkammer hat einen minder schweren Fall des § 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BtMG verneint. Bei dessen Prüfung hat sie zu Gunsten der Angeklagten - neben anderen Aspekten - gewertet, dass sie ein Geständnis, „in subjektiver Hinsicht aber nur ein Teilgeständnis“, abgelegt hat, dass ihr Tatbeitrag nur geringe kriminelle Energie erfordert habe und am unteren Rand des strafwürdigen Verhaltens anzusiedeln sei, und die Haupttat mit großer Wahrscheinlichkeit auch ohne ihren Tatbeitrag mit gleichem Erfolg begangen worden wäre (UA S. 24). Die Beihilfe als vertypten Strafmilderungsgrund hat sie nicht erwähnt.

Bei der Festsetzung der Einzelstrafe hat die Strafkammer die bei der Strafrahmenwahl genannten Strafzumessungsgesichtspunkte erneut abgewogen und eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet.

II.

Die Nachprüfung des Urteils auf die Revision der Angeklagten hat lediglich im Strafausspruch einen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben. Hinsichtlich der Verfahrensrügen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 8. Februar 2018 Bezug genommen.

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafkammer ist aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagte bei der Buchung des Hotelzimmers billigend in Kauf genommen hat, dass die Fahrt ihres Ehemanns nach Barcelona der Beschaffung einer nicht unerheblichen Menge Kokain diente, sie deshalb mit der tatsächlich eingeführten Menge rechnete und diese Menge billigend in Kauf nahm. Die Wertung dieses Tatbeitrags als Beihilfe (§ 27 StGB), also einer Hilfeleistung, die die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert, ohne dass sie für den Eintritt des Erfolges in irgendeiner Weise kausal werden muss (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410 mwN), ist ohne Rechtsfehler.

2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Die Strafkammer hat nicht bedacht, dass nach ständiger Rechtsprechung in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minder schweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 Abs. 1 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob ein minder schwerer Fall vorliegt (BGH, Beschlüsse vom 16. November 2017 - 2 StR 404/17 mwN und vom 17. März 2016 - 1 StR 47/16). Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zu Grunde legen (BGH aaO). Das Landgericht hat diese Prüfungsreihenfolge nicht beachtet und nicht erkennbar erwogen, ob das Vorliegen des vertypten Milderungsgrunds der Beihilfe allein oder in Verbindung mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen die Annahme eines minder schweren Falls des § 30 Abs. 2 BtMG rechtfertigen kann.

Da die Strafkammer ihrer Strafzumessung den nach §§ 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG (sechs Monate bis elf Jahre und drei Monate) zugrunde gelegt, sich bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe an dem unteren Bereich des eröffneten Strafrahmens orientiert und eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt hat, die Strafrahmenuntergrenze des § 30 Abs. 2 BtMG demgegenüber aber bei drei Monaten liegt, kann der Senat - anders als der Antrag des Generalbundesanwalts - nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei zutreffender Prüfungsreihenfolge zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre.

Der Senat kann offenlassen, ob die im Vorspann des Urteils getroffene Feststellung, die Angeklagte habe die Tatvorwürfe aus der Anklageschrift „vollumfänglich“ eingeräumt, wenngleich sie stets habe betonen lassen, von einem nicht strafbaren Verhalten ihrerseits ausgegangen zu sein (UA S. 4), in einem unauflösbaren Widerspruch mit der Feststellung in der Strafzumessung steht, die Angeklagte habe „in subjektiver Hinsicht nur ein Teilgeständnis“ (UA S. 24) abgelegt, die Strafzumessung also darüber hinausgehend auch deshalb fehlerhaft ist, weil die Strafkammer das Geständnis der Angeklagten nicht uneingeschränkt als Strafmilderungsgrund eingestellt hat. Der Senat hat aber deshalb die dem Strafausspruch zugehörigen Feststellungen insgesamt aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 722

Externe Fundstellen: StV 2019, 447

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner