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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 254

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 312/21, Urteil v. 16.12.2021, HRRS 2022 Nr. 254


BGH 1 StR 312/21 - Urteil vom 16. Dezember 2021 (LG Karlsruhe)

Einziehung (Erlangen durch die Tat bei mittelbarem Erlangen über einen anderen Tatbeteiligten).

§ 73 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Für ein Erlangen „durch“ die Tat reicht aus, dass zunächst einer der Tatbeteiligten den Taterlös vereinnahmt, bevor er ihn an den von der Einziehung betroffenen Tatbeteiligten überträgt. Der Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen Tatbeitrag und Vereinnahmen des Tatertrags wird dadurch nicht unterbrochen. Die Mittelbarkeit eines solchen Zuflusses steht der Einziehung nicht entgegen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe - Zweigstelle Pforzheim - vom 8. März 2021 aufgehoben, soweit es die Angeklagte betrifft und von einer Einziehung abgesehen worden ist, und gegen die Angeklagte als Gesamtschuldnerin die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 14.986,17 € angeordnet.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft zu tragen; jedoch wird die Gebühr für die Revisionsinstanz um 4/5 ermäßigt. Die Staatskasse hat 4/5 der im Revisionsverfahren der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; die Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Von einer Einziehung hat das Landgericht unter Anwendung der Härtefallregelung des § 73c StGB aF abgesehen. Die allein hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterstützte die Angeklagte ihren gesondert verfolgten Ehemann, den bereits rechtskräftig verurteilten A., bei dessen bandenmäßigem Betäubungsmittelhandel dadurch, dass sie ihn bei Auslieferungen begleitete, in seiner Abwesenheit Kaufpreisgelder von Kunden entgegennahm und Streckmittel besorgte; indes waren weder diese Mitwirkungen bestimmten Haupttaten zuzuordnen noch war die Angeklagte nach der landgerichtlichen Wertung Bandenmitglied. Mit den für sie bestimmten Anteilen aus den Drogengeschäften bestritten die Angeklagte und A. den Lebensunterhalt für sich, das gemeinsame Kind und den Sohn der Angeklagten aus einer anderen Beziehung. Zum einen zahlten A. oder die Angeklagte die Rauschgiftmittelerlöse auf deren Girokonto in bar ein, und zwar in Höhe von 6.680 € aus den verfahrensgegenständlichen elf Taten (Tatzeitraum von Ende Mai 2019 bis März 2020) und in Höhe von weiteren 34.510 € aus vorangegangenen, nicht weiter aufklärbaren Drogengeschäften. Zum anderen überwies die Bande, die neben A. aus den ebenfalls rechtskräftig verurteilten V. und T. bestand, weitere aus den Rauschgiftgeschäften erzielte Gelder - als angebliche Löhne der Angeklagten aus einer Scheinanstellung bei einem griechischen Restaurant getarnt - auf das Girokonto, und zwar in Höhe von 8.306,17 € aus den verfahrensgegenständlichen elf Taten und in Höhe von weiteren 19.454,77 € aus vorangegangenen, nicht weiter aufklärbaren Drogengeschäften. Zuletzt wurde das Konto im Minus geführt.

2. Die wirksam auf das Absehen von einer Einziehungsanordnung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist teilweise begründet.

a) Die Abschöpfung des Wertes der aus den verfahrensgegenständlichen elf Taten insgesamt erzielten Veräußerungserlöse in Höhe von 14.986,17 € ist gemäß § 73 Abs. 1 Alternative 1, § 73c Satz 1 StGB gerechtfertigt und geboten.

aa) Bezüglich des erlangten „etwas“ ist wie folgt zu unterscheiden:

(a) In nicht genauer aufklärbarem Umfang nahm die Angeklagte Kaufpreisgelder in bar entgegen; insoweit erlangte sie daran die tatsächliche Verfügungsgewalt (§ 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB). Da das Bargeld nicht sichergestellt wurde, ist dessen (Nenn-)Wert einzuziehen (§ 73c Satz 1 StGB).

(b) Im Übrigen konnte die Angeklagte zwar über die aus den Rauschgiftverkäufen vereinnahmten Bargelder nicht verfügen, die von ihrem Ehemann auf ihr Girokonto oder auf ein anderes Konto eingezahlt und anschließend - als „Gehalt“ getarnt - auf ihr Girokonto überwiesen wurden. Insoweit erlangte sie abzuschöpfende Vermögensvorteile jeweils mit der zugehörigen, in das Kontokorrent eingestellten Kontogutschrift; diese Vorteile sind als Wertersatz (§ 73c Satz 1 StGB) einzuziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - 1 StR 579/18 Rn. 42; Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19 Rn. 113).

Die Mittelbarkeit eines solchen Zuflusses (Umwandlung von Bar- in Buchgeld) steht der Einziehung nicht entgegen. Denn es reicht aus, dass zunächst einer der Tatbeteiligten den Taterlös vereinnahmt, bevor er ihn an den von der Einziehung betroffenen Tatbeteiligten überträgt; dadurch wird der Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen Tatbeitrag und Vereinnahmen des Tatertrags nicht unterbrochen (vgl. BGH, Urteile vom 28. Juli 2021 - 1 StR 519/20 Rn. 100 und vom 28. November 2019 - 3 StR 294/19, BGHSt 64, 234 Rn. 31 f., 34 f.). Hier war es der von der Bande unter Einbeziehung der Angeklagten von vornherein geplante Weg, sie, A. und die Familie durch sämtliche Einzahlungen und Überweisungen auf das Girokonto an den Taterträgen partizipieren zu lassen.

bb) Die Härtefallregelung des § 73c StGB aF ist nach dem 1. Juli 2017 nicht mehr anwendbar (vgl. auch § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO); das Landgericht hat seinen Rechtsirrtum offengelegt (UA S. 17).

cc) Der Zufluss und die tatsächliche Verfügungsbefugnis der Angeklagten über die Gelder in Höhe von 14.986,17 € werden von der Beweiswürdigung getragen, und zwar durch das Geständnis der Angeklagten sowie durch die Auswertung ihres Girokontos durch die Kriminalbeamtin K. .

dd) Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann der Senat selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend; vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20 Rn. 18). Bereits mit der Anklage ist die Angeklagte auf die Möglichkeit der Einziehung des Wertes dieser Erlöse präzise hingewiesen worden. Sie haftet mit A. gesamtschuldnerisch; dessen namentliche Erwähnung in der Entscheidungsformel bedarf es nicht (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 28. Juli 2021 - 1 StR 519/20 Rn. 141 mN).

b) Eine erweiterte Einziehung des Wertes von nicht aus den verfahrensgegenständlichen Taten erzielten Erlösen in Höhe von weiteren 53.964,77 € (§ 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) ist hingegen ausgeschlossen. Denn eine solche Abschöpfung setzt voraus, dass diese Geldmittel bei der Begehung der Anknüpfungstaten (von Mai 2019 bis März 2020) im Vermögen der Angeklagten noch „gegenständlich vorhanden“ waren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 - 5 StR 327/21 Rn. 3; vom 5. Oktober 2021 - 3 StR 294/21 Rn. 5; vom 21. September 2021 - 3 StR 158/21 Rn. 13-15; vom 19. August 2021 - 5 StR 238/21 Rn. 4; vom 4. März 2021 - 5 StR 447/20 Rn. 8-10 und vom 3. November 2020 - 6 StR 258/20 Rn. 7; je mwN; Urteil vom 1. Juni 2021 - 1 StR 675/18 Rn. 15). Gegenstände im Sinne des § 73a Abs. 1 StGB sind individualisierte Sachen und Rechte (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2018 - 1 StR 244/18, BGHR StGB § 73 Abs. 1 Anwendungsbereich 1 Rn. 10; Urteil vom 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19 Rn. 155). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist jedenfalls der zeitnahe Verbrauch der jeweils vereinnahmten Drogengelder für den Lebensunterhalt der Familie der Angeklagten zu entnehmen; damit ist ausgeschlossen, dass solche Kaufpreiserlöse noch als Buchgeld in Kontokorrentabschlüssen ab Ende Mai 2019 identifizierbar und damit abschöpfbar waren (vgl. auch - offensichtlich bezüglich der Einzahlung auf ?Privatkonten? von einem engeren Gegenstandsbegriff ausgehend: BGH, Beschluss vom 4. März 2021 - 5 StR 447/20 Rn. 4, 11; dazu auch BGH, Beschluss vom 21. September 2021 - 3 StR 158/21 Rn. 15). Tragfähige Feststellungen dazu, dass die Angeklagte, die auch Eltern- und Mutterschaftsgeld bezog, Ende Mai 2019 über Gelder aus vorangegangenen Drogengeschäften verfügte, sind von einem neuen Rechtsgang demnach nicht zu erwarten.

3. Nachdem in erster Instanz nicht nach § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO verfahren worden war, ist nunmehr eine Kostenentscheidung nach Bruchteilen bezüglich der Revisionsinstanz (§ 473 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO) unumgänglich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2021 - 1 StR 423/20 Rn. 6-8). Im Übrigen bleibt es bei der Kostenentscheidung des Landgerichts. Da in Höhe von 53.964,77 € das Absehen von einer Einziehung - wenn auch mit anderer Begründung - Bestand hat, ist der Senat nicht zu einer Kostenverteilung der besonderen Auslagen der Angeklagten in der ersten Instanz, die die Einziehung betreffen, berufen (vgl. § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StPO und BGH, aaO Rn. 11 mN).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 254

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede