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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 790

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 675/18, Urteil v. 01.06.2021, HRRS 2021 Nr. 790


BGH 1 StR 675/18 - Urteil vom 1. Juni 2021 (LG München I)

Erweiterte Einziehung von Taterträgen (Anforderungen an den Nachweis der Herkunft aus einer rechtswidrigen Tat; rückwirkende Anwendbarkeit).

§ 73a Abs. 1 StGB; Art. 316h Satz 1 EGStGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 7. Juni 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer erweiterten Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen worden ist.

Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in vier Fällen und wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.335 Euro angeordnet. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass eine Anordnung über die (erweiterte) Einziehung des Wertes von Taterträgen des Angeklagten aus anderen rechtswidrigen Taten unterblieben ist. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat zur Frage, ob eine erweiterte Einziehung von Taterträgen (§ 73a Abs. 1 StGB) anzuordnen ist, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der zu den Tatzeiten im Juli 2016 als Rettungsfahrer bei der J. e.V. angestellte Angeklagte hat keine Schulden, jedoch - nicht näher spezifiziertes - Vermögen in Höhe von etwa 380.000 Euro. In den Zeiten seiner beruflichen Tätigkeiten verdiente er maximal 1.900 Euro netto monatlich. Zudem bot er von 2011 bis 2016 über ein Internetportal Escort-Dienstleistungen an; pro Auftrag vereinnahmte er zwischen 120 Euro und 400 Euro. Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht München am 20. Oktober 2015 in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichts München I vom 23. Februar 2016 wegen Diebstahls in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Der Wert der Tatbeute betrug insgesamt 48.880 Euro. Ob insoweit eine Einziehungsentscheidung ergangen war, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

2. Das Landgericht hat eine Einziehung des Wertes von Taterträgen über den Wert der durch die verfahrensgegenständlichen Taten erlangten Tatbeute abgelehnt. Eine erweiterte Einziehung (§ 73a StGB) wegen anderer rechtswidriger Taten würde vorliegend gegen das verfassungsrechtlich garantierte Rückwirkungsverbot verstoßen, weil Art. 316h Satz 1 EGStGB regele, dass - abweichend von § 2 Abs. 5 StGB - die durch Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) eingeführte Vorschrift der erweiterten Einziehung gemäß § 73a StGB auch für Taten anzuwenden sei, die vor Inkraftsetzung der Neuregelung am 1. Juli 2017 begangen worden seien. Die Vorgängerregelung (§ 73d Abs. 1 Satz 1 StGB aF) habe eine Verfallsentscheidung nur in Fällen zugelassen, in denen eine rechtwidrige Tat nach einer Strafnorm begangen worden sei, die auf § 73d StGB aF verwiesen habe. Durch das Entfallen dieses Verweisungserfordernisses in der Gesetzesnovellierung könne nunmehr grundsätzlich jede rechtswidrige Tat Anknüpfungstat für eine erweiterte Einziehung sein. Dies führe zu einer unzulässigen (echten) Rückwirkung. Im Ergebnis erfordere das Rückwirkungsverbot daher, dass § 73a Abs. 1 StGB nur dann anzuwenden sei, wenn sowohl die neue Anknüpfungstat als auch die früheren rechtswidrigen Erwerbstaten nach Inkrafttreten der Neuregelung begangen worden seien (mit Verweis auf Fischer, StGB, 68. Aufl., § 73a Rn. 3 sowie zu § 73d StGB aF BGH, Beschluss vom 27. April 2001 - 3 StR 132/01 Rn. 5; Urteil vom 20. September 1995 - 3 StR 267/95 Rn. 14, BGHSt 41, 278, 283 f.).

Darüber hinaus hat das Landgericht die Voraussetzungen der erweiterten Einziehung nach § 73a StGB damit verneint, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne, „ob und gegebenenfalls welche Werte“ deliktischer Herkunft seien. Zielführende Erkenntnisquellen zur Herkunft des „angesammelten Vermögens“ des Angeklagten seien - neben den durchgeführten Finanzermittlungen, wonach die „Herkunft von etwa 286.000,00 €“ letztlich nicht nachvollziehbar gewesen sei (UA S. 41), sowie den vereinzelten Angaben des Angeklagten zu weiteren Erwerbsquellen - nicht vorhanden.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts, dass eine erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) zu unterbleiben hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel wirksam auf die unterbliebene erweiterte Einziehung des Wertes von Taterträgen beschränkt. Diese Beschränkung ist wirksam, weil keine Wechselwirkung zwischen der begehrten Einziehungsanordnung und dem Rechtsfolgenausspruch, insbesondere auch nicht zur getroffenen Einziehungsanordnung hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten, besteht. Die entscheidungserhebliche Frage kann losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt geprüft werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2021 - 3 StR 184/20 Rn. 10 mwN).

2. Der rechtliche Ansatz des Landgerichts, dass die Neuregelung der erweiterten Einziehung nach § 73a StGB nur dann anzuwenden sei, wenn sowohl die (früheren) Erwerbstaten als auch die verfahrensgegenständlichen Taten nach dem Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Juli 2017 begangen worden seien, trifft nicht zu. Die Übergangsvorschrift des Art. 316h Satz 1 EGStGB bestimmt, dass die Neuregelung ab diesem Stichtag auch für vor diesem Zeitpunkt begangene Straftaten - also sowohl für Erwerbs- als auch für Anknüpfungstaten - Geltung beansprucht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 3 StR 347/18). Im Gegensatz zur Einführung der Vorgängerregelung des erweiterten Verfalls (§ 73d StGB aF; vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1995 - 3 StR 267/95 Rn. 14, BGHSt 41, 278, 283 f.; Beschlüsse vom 27. April 2001 - 3 StR 132/01 Rn. 5 und vom 28. Januar 2003 - 5 StR 438/02 Rn. 2) entfaltet die erweiterte Einziehung in § 73a StGB nunmehr eine echte Rückwirkung.

Art. 316h Satz 1 EGStGB ist, obgleich im Gesetzgebungsverfahren erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit u.a. mit Blick auf die Rückwirkung der Abschöpfungsmaßnahmen geäußert wurden (BT-Drucks. 18/9525, S. 65; BT-Drucks. 18/11640, S. 76; gegenteilig: BT-Drucks. 18/11640, S. 82 ff.), mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 2 BvL 8/19). Das neue Vermögensabschöpfungsrecht führt zu einer echten Rückwirkung der Eingriffsnormen (BVerfG, aaO Rn. 130 ff.), die aber - so das Bundesverfassungsgericht - durch überragende Belange des Gemeinwohls gerechtfertigt ist (BVerfG, aaO Rn. 144 ff.). Das gilt nicht nur für die Fallkonstellation, dass inkriminierte Gewinne aus Straftaten, die vor Inkrafttreten des Reformgesetzes zum Abschöpfungsrecht bereits verjährt waren, nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB eingezogen werden können. Auch in Fällen der erweiterten Einziehung nach § 73a StGB, bei der nach der Vorgängerregelung des § 73d StGB aF ein erweiterter Verfall auch bei verjährten Erwerbstaten ohnehin möglich war (vgl. BVerfG, aaO Rn. 7 mit Verweis auf BVerfGE 110, 1, 25, Rn. 92), ist die Zielsetzung des Gesetzgebers, alle Erwerbstaten (BT-Drucks. 18/9525, S. 65) rückwirkend dem neuen Vermögensabschöpfungsrecht zu unterstellen, verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Februar 2012 - 2 BvL 8/19, Rn. 112).

3. Die Würdigung des Landgerichts, dass das nicht näher dargestellte Vermögen des Angeklagten nicht nachweisbar strafrechtlich inkriminiert ist, ist nicht ohne Rechtsfehler.

a) Die erweiterte Einziehung von Taterträgen gemäß § 73a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass das Tatgericht aufgrund erschöpfender Beweiserhebung und -würdigung die Überzeugung gewonnen hat, der Angeklagte habe die betreffenden Gegenstände aus rechtswidrigen Taten erlangt. Deren Konkretisierung hinsichtlich einzelner bestimmter Taten oder hinsichtlich ihres allgemeinen Charakters ist nicht erforderlich. Dabei dürfen an die Überzeugungsbildung keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Ein bloßer Verdacht der illegalen Herkunft des Gegenstandes reicht allerdings für dessen Einziehung nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2020 - 5 StR 165/20 Rn. 7 mwN).

b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht an seine Überzeugungsbildung (vgl. zum Maßstab BGH, aaO und Urteil vom 18. September 2019 - 1 StR 320/18, BGHSt 64, 186 Rn.15 ff., jeweils mwN) überspannte Anforderungen gestellt.

Die Strafkammer geht offenbar selbst davon aus, dass der Angeklagte das festgestellte „Vermögen“ von 380.000 Euro nicht selbst durch seine beruflichen Tätigkeiten, die von Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen waren, erwirtschaftet hat. Auch unter Berücksichtigung einer Entlohnung aus nicht näher überprüften Escort-Dienstleistungen in den Jahren 2011 bis 2016, bei denen der Angeklagte im Jahresschnitt 20.000 Euro erzielt haben will, und einer Erbschaft seiner Großmutter von mehr als 5.000 Euro bleibt nach dem Ergebnis der Finanzermittlung die Herkunft von 286.000 Euro nicht nachvollziehbar (UA S. 41). Diesen Umstand sowie die weitere Feststellung, dass bei dem Angeklagten „in den Jahren 2008 bis 2016 eine deutliche Erhöhung seines Vermögens“ - bei „sehr hohe(n) Bareinzahlungen“ - eingetreten ist, stellt das Landgericht nicht in seine Überzeugungsbildung ein. Ebenso wenig berücksichtigt es, dass bei dem Angeklagten in einem „Selfstorage“-Lagerraum in Kunststoffboxen bei einer Durchsuchung Diebesgut aufgefunden wurde. Der vom Landgericht herangezogene Umstand, dass die Verfolgung diverser Diebstahlsverdachtsfälle „keine belastbaren Erkenntnisse“ ergeben hat, steht einer Einziehung von Vermögenswerten im Rahmen der erweiterten Einziehung gerade nicht entgegen. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob der Angeklagte das Vermögen aus einer illegalen Erwerbsquelle erlangt hat, wobei es ihm aus Gründen der Unschuldsvermutung nicht obliegt, die Rechtmäßigkeit der Erlangung von Vermögenswerten darzutun.

4. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des unterbliebenen Ausspruchs der erweiterten Einziehung mitsamt den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO), weil sich der Angeklagte insoweit gegen diese nicht verteidigen konnte.

Das neue Tatgericht wird nähere Feststellungen zu dem „Vermögen“ und dessen Herkunft durch die Entwicklung des Vermögensstatus des Angeklagten zu treffen und das Ergebnis in Beziehung zu möglichen legalen Erwerbsquellen zu setzen haben. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass taugliche Zugriffsobjekte der erweiterten Einziehung gemäß § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB nur solche Gegenstände sind, wenn sie oder ihre Surrogate bei Begehung der die erweiterte Einziehung eröffnenden Anknüpfungstaten im Juli 2016 noch im Vermögen des Angeklagten vorhanden waren (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2020 - 6 StR 258/20 Rn. 7 mwN).

Im Verfahren des Amtsgerichts München - Urteil vom 20. Oktober 2015 - ist der Angeklagte wegen Vermögensdelikten verurteilt worden und hat Vermögenswerte in Höhe von 48.880 Euro erlangt. Sofern diese Vermögenswerte in das „Vermögen“ des Angeklagten von 380.000 Euro eingeflossen und noch darin enthalten sind, unterliegt dieser Betrag nicht der erweiterten Einziehung im vorliegenden Verfahren, weil insoweit Feststellungen zu konkreten Straftaten (rechtskräftig) vorliegen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 790

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 336; StV 2021, 709

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede