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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 498

Bearbeiter: Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 25/20, Beschluss v. 12.02.2020, HRRS 2020 Nr. 498


BGH 1 StR 25/20 - Beschluss vom 12. Februar 2020 (LG München II)

Schuldunfähigkeit (alternatives Fehlen der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit); Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährdungszusammenhang).

§ 20 StGB; § 63 Satz 1 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 1. August 2019 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zwei Tatmesser eingezogen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte unter paranoider Schizophrenie. Infolge seiner Verfolgungswahnvorstellungen wollte er die ihm nur vom Sehen her bekannte Mitarbeiterin eines Supermarktes, die Zeugin P., aus Wut zur Rede stellen, weil sie in ?seinem früheren Leben … ‚gewisse Dinge getan‘“ habe. Um die Auseinandersetzung zu suchen, begab sich der Beschuldigte, ein Taschen- und ein Küchenmesser griffbereit in einer Seitentasche seiner Hose mit sich führend, am 26. Juli 2018 in die Supermarktfiliale, entnahm einem Schrank zwei Zigarettenpackungen und steckte diese in seine Hosentasche (Fall I. 1. der Urteilsgründe). Die Kassiererin M. bemerkte dies und hielt den Beschuldigten am Rucksack fest; in P. s Gegenwart ergriff der stellvertretende Marktleiter Mi. den Beschuldigten und führte diesen in sein Büro. Dort angekommen, schlug der Beschuldigte mit seinen Armen um sich, um sich aus der Umklammerung durch Mi. zu lösen, trat diesem gegen das Schienbein und stieß mit seinem Kopf gegen dessen Brustkorb. Der Beschuldigte wollte fliehen und die Zigaretten behalten. Zugleich suchte er nach wie vor die Konfrontation mit P., welcher er Angst machen wollte. Der Beschuldigte war bei dieser wie auch den beiden nachfolgenden Taten (Diebstahl mit Waffen; Besitz eines Schlagrings) infolge der paranoiden Schizophrenie ?nicht in der Lage, das Unrecht der Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln? (UA S.13).

II.

1. Die Unterbringungsanordnung (§ 63 StGB) weist durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten auf.

a) Die Feststellung, der Beschuldigte habe sich im Besitz der gestohlenen Zigaretten erhalten wollen (§ 252 StGB), ist nicht tragfähig belegt. Diese Absicht, den Gewahrsam an den entwendeten Gegenständen zu sichern, um sich diese zuzueignen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1986 - 2 StR 414/86 Rn. 18, BGHR StGB § 252 Besitzerhaltungsabsicht 1), lässt sich nicht mit dem für die Verhängung der Maßregel erforderlichen symptomatischen Zusammenhang vereinbaren: Wenn der Beschuldigte die Tat beging, um infolge seines wahnhaften Verfolgungserlebens die Auseinandersetzung mit der Zeugin P. zu suchen, widerspricht dies dem Ziel, unter Mitnahme der Beute zu fliehen. Diesen Widerspruch hat das Landgericht nicht aufgelöst (vgl. insbesondere UA S. 33); er lässt sich insbesondere nicht damit erklären, dass die Besitzerhaltungsabsicht nicht alleiniger Beweggrund der Tat sein muss. Vor diesem Hintergrund trägt allein das Geständnis des Beschuldigten nicht die Annahme der Besitzerhaltungsabsicht, zumal ein ?Geständnis?, das ersichtlich in einem wahnbedingten Zusammenhang steht, besonders kritischer Überprüfung bedarf.

b) Zudem bleibt unklar, ob das Landgericht seiner Unterbringungsanordnung eine fehlende Unrechtseinsicht oder eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit zugrunde gelegt hat: Während sich der festgestellte Sachverhalt auf eine mangelnde Einsichtsfähigkeit stützt (UA S. 13), geht das Landgericht in der Beweiswürdigung von einer aufgehobenen Steuerungsfähigkeit aus (insbesondere UA S. 21, 24). Die Frage, welche der beiden Alternativen (§ 20 StGB) das Landgericht annehmen wollte, darf indes nicht offenbleiben. Denn die Einschränkung oder gar Aufhebung der Steuerungsfähigkeit ist grundsätzlich erst dann zu prüfen, wenn der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war. Mangels eindeutiger Feststellungen ist dem Revisionsgericht in solchen Fällen die Ãœberprüfung verwehrt, ob die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtsfehlerfrei ist (BGH, Beschlüsse vom 7. November 2018 - 5 StR 449/18 Rn. 7; vom 11. Juli 2017 - 3 StR 90/17 Rn. 12; vom 7. März 2017 - 3 StR 521/16 Rn. 6; vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 Rn. 18; vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13 Rn. 5; vom 8. April 2003 - 3 StR 79/03 Rn. 9 und vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86 Rn. 3, BGHR StGB § 63 Schuldfähigkeit 1).

2. Die Einziehung der beiden Tatmesser hat ebenfalls keinen Bestand. Im Sicherungsverfahren nach § 413 StPO können nur Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden. Einziehungsentscheidungen als sonstige Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) kommen dagegen allein im selbständigen Einziehungsverfahren in Betracht (§ 435 StPO), wenn die Voraussetzungen des § 76a Abs. 1 Satz 1, 2 StGB vorliegen. Der insoweit gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche gesonderte Antrag ist nicht gestellt worden, sodass es für die Einziehung an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2018 - 3 StR 549/17 Rn. 13; vom 20. Juni 2018 - 2 StR 127/18 Rn. 3; vom 12. Dezember 2017 - 3 StR 558/17 Rn. 3 und vom 6. August 2019 - 3 StR 46/19 Rn. 13 [zu § 74b Abs. 1 Nr. 1 StGB]).

3. Die Feststellungen zu den äußeren Geschehensabläufen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

4. Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird - sollte es wiederum zu Beutesicherungsabsicht mit Gewalt gelangen - im Fall I. 1. der Urteilsgründe zu beachten haben, dass das Mitsichführen der beiden Messer ohne deren Verwendung dem Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB unterfällt, nicht dem des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 498

Externe Fundstellen: StV 2021, 217

Bearbeiter: Christoph Henckel