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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 202

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 386/19, Beschluss v. 13.11.2019, HRRS 2020 Nr. 202


BGH 1 StR 386/19 - Beschluss vom 13. November 2019 (LG Mannheim)

Erpressung (Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der angestrebten Bereicherung: Vorstellung eines von der Rechtsordnung anerkannten Anspruchs); räuberischer Diebstahl (Beutesicherungsabsicht).

§ 253 Abs. 1 StGB; § 252 StGB; § 16 Abs. 1 S. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Eine unrechtmäßige Bereicherung strebt der Täter nicht an, wenn er sich einen Anspruch auf die erstrebte Leistung gegen das Opfer zumisst, der von der Rechtsordnung anerkannt wird und den er demgemäß mit gerichtlicher Hilfe in einem Zivilprozess durchsetzen könnte. Hierbei ist allein die Vorstellung des Täters über die materielle Rechtslage, nicht aber seine Einschätzung der Beweislage maßgebend (vgl. BGHSt 48, 322, 328 f.).

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 30. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung und besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es festgestellt, dass das hinzuverbundene und die Erpressungstat betreffende Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Die Firma „p.“ betrieb eine Werbeplattform im Internet, auf der Kunden Werbung buchen konnten. Der an dem Unternehmen auch selbst beteiligte Zeuge M. erläuterte im Sommer 2016 dem Angeklagten, dass mit diesem Geschäftsmodell überdurchschnittlich hohe Renditen erzielt werden würden und es zu „99,9 Prozent sicher“ sei. Der Verlust einer Investition drohe lediglich, wenn „sich der Vorstand in Luft auflöse“. Der Angeklagte erwarb daraufhin „p. “-Anteile, für die er 3.500 Euro bezahlte. Das Geld stammte von seinem Vater, der eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes durch Enthaupten einer Tante des Angeklagten verbüßt und der die Investition genehmigte. Die Firma „p.“ finanzierte sich nahezu ausschließlich durch die Einlagen der angeworbenen Investoren, aus denen auch die Provisionen anwerbender Anteilsinhaber wie dem Zeugen M. bezahlt wurden.

Dem Angeklagten wurde im Jahr 2017 bewusst, dass er keine lukrativen Renditen erzielen würde und auch die investierten 3.500 Euro nicht mehr an ihn zurückfließen würden. Er entschloss sich daher, den Zeugen M. zur „Rückzahlung“ durch Androhung körperlicher Repressalien zu bewegen. Hierbei ging der Angeklagte - wegen der nicht aufklärbaren Rolle des Zeugen in dem „Schneeballsystem“ oder einer etwaigen Eigenhaftung des Zeugen als Handelsvertreter womöglich irrig - davon aus, keinen rechtlich begründbaren Anspruch gegen ihn zu haben. Am 8. April 2017 forderte der Angeklagte den Zeugen M. auf, an ihn 3.500 Euro zu zahlen. Für den Fall der Nichtzahlung drohte der Angeklagte damit, er werde seinem Vater, um dessen Tötungsdelikt der Zeuge wusste, die Adresse des Zeugen mitteilen. Sein Vater werde Leute schicken, die dem Zeugen den Kopf abschlagen oder ihn zumindest ins Krankenhaus bringen. Der Zeuge M. nahm die Drohung ernst und wandte sich an die Polizei, woraufhin der Angeklagte sein Vorhaben als gescheitert ansah.

Das Landgericht hat in diesem Geschehen eine versuchte räuberische Erpressung gesehen (Fall II.1. der Urteilsgründe).

2. Am 13. Mai 2018 gegen 3.25 Uhr betraten der Angeklagte, dessen maximale Blutalkoholkonzentration 1,5 Promille betrug, und ein unbekannter Mittäter ein Hotel in W. durch einen unverschlossenen Nebeneingang, um - wie zuvor verabredet - gemeinsam mehrere Flaschen mit hochprozentigen Spirituosen zu entwenden. Der Angeklagte nahm zu diesem Zweck in der Hotelbar eine Flasche Whiskey mit 0,7 Liter Inhalt an sich und wollte sich wieder entfernen. Der als Nachtportier eingesetzte Zeuge Q. war durch ein Geräusch aus der Hotelbar aufmerksam geworden und stellte - während der Mittäter mit zwei Flaschen Alkohol aus dem Hotel flüchten konnte - dem Angeklagten nach, der die Whiskey-Flasche in der Hand trug. Am Ende des Speisesaals holte er ihn ein. Der Angeklagte wandte sich um und sagte zu dem Zeugen, er solle sich „verpissen“. Der Zeuge erwiderte: „Ihr könnt doch hier nicht klauen.“ Der Angeklagte fürchtete, der Hotelangestellte werde versuchen, ihm den erlangten Gewahrsam an der Flasche wieder zu entziehen.

Der Angeklagte fasste nunmehr den Entschluss, sich gewaltsam gegen den Zeugen Q. zur Wehr zu setzen, um sich einerseits im Besitz der erbeuteten Flasche zu erhalten und um andererseits die Flucht fortsetzen zu können. Zu diesen Zwecken stieß der Angeklagte, der die Whiskey-Flasche an ihrem Hals in einer Hand hielt, dem Zeugen den Flaschenboden mehrfach gegen Kopf und Körper. Zudem versetzte er ihm mehrere Faustschläge. Um die Flasche nicht zu zerstören, in deren Besitz er sich halten wollte, führte der Angeklagte lediglich mit mittlerer Wucht Stoßbewegungen mit dem „ganzen Flaschenboden“ gegen den Zeugen aus. Der Zeuge trug durch die Stöße und Schläge diverse Prellungen am Kopf, an einem Unterarm und am Schlüsselbein davon. Als es ihm zur Verteidigung gelang, einen Stuhl zu greifen und damit nach dem Angeklagten zu schlagen, riss dieser zur Abwehr seine Hand, in der er die Flache trug, reflexhaft nach oben. Der Stuhl schlug daraufhin gegen die Flasche, die zerbrach. An ihren Scherben zog sich der Angeklagte Schnittverletzungen an den Fingern zu. Der Zeuge nutzte diesen Moment, um sich zurückzuziehen und einen Notruf abzusetzen, während der Angeklagte vom Tatort flüchtete.

Das Landgericht hat den Angeklagten in diesem Fall des besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen (Fall II.2. der Urteilsgründe).

II.

Das Urteil hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, das sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat. Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. September 2014 - 1 StR 389/14 Rn. 14 mwN).

2. Vor diesem Hintergrund ist die Beweiswürdigung des Landgerichts bei beiden Taten zumindest lückenhaft.

a) Im Fall II.1. der Urteilsgründe ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich unrechtmäßig im Sinne von § 253 Abs. 1 StGB zu bereichern beabsichtigt, nicht ausreichend belegt. Eine unrechtmäßige Bereicherung strebt der Täter nicht an, wenn er sich einen Anspruch auf die erstrebte Leistung gegen das Opfer zumisst, der von der Rechtsordnung anerkannt wird und den er demgemäß mit gerichtlicher Hilfe in einem Zivilprozess durchsetzen könnte. Hierbei ist allein die Vorstellung des Täters über die materielle Rechtslage, nicht aber seine Einschätzung der Beweislage maßgebend (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 7. August 2003 - 3 StR 137/03, BGHSt 48, 322, 328 f.). Insoweit kranken die Ausführungen des Landgerichts bereits grundlegend daran, dass es die Rechtslage - auch nach dem vom Generalbundesanwalt erwähnten Vermögensanlagegesetz - nicht geklärt hat, obgleich diese von indizieller Bedeutung für das Vorstellungsbild des Angeklagten über eine Forderung gegen den Zeugen M. ist. Die Strafkammer geht vielmehr von einem etwaigen sog. umgekehrten Tatbestandsirrtum (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2007 - 3 StR 274/07 Rn. 2 mwN, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 15) des nicht geständigen Angeklagten aus, was indes im Rahmen der Beweiswürdigung näherer Begründung bedurft hätte.

Ohnehin lässt das Urteil nicht erkennen, dass das Landgericht alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Insbesondere hätte sich die Strafkammer nicht darauf beschränken dürfen auszuschließen, dass der Angeklagte sich von dem Zeugen M. betrogen fühlte. Schon die Einlassung des Angeklagten (UA S. 16) gebot die weitergehende Erörterung, ob er sich als Ergebnis laienhafter Bewertung der Umstände nicht eine von der Rechtsordnung anerkannte Garantie- oder Beraterhaftung des Zeugen M. vorstellte. Hierzu drängte zugleich die von der Strafkammer als zentrales Beweismittel herangezogene WhatsApp-Kommunikation vom 9. April 2017 zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen. Denn auch dort warf er diesem vor, „es mir garantiert“ sowie ihm „geraten“ zu haben, die Investition zu tätigen (UA S. 20/21).

Dass der Angeklagte gleichwohl eine aus seiner Sicht unberechtigte Geldforderung gegen den Zeugen erhob, ist damit ein unzureichend begründeter Schluss des Landgerichts. In der Folge hat es sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte - was für die subjektive Tatseite genügen würde (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2012 - 2 StR 547/11 Rn. 10 mwN) - die Unrechtmäßigkeit des erstrebten Vermögensvorteils zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.

b) Ebenso wenig genügt im Fall II.2. der Urteilsgründe die knappe Beweiswürdigung des Landgerichts zur Besitzerhaltungsabsicht des Angeklagten nach § 252 StGB den rechtlichen Anforderungen. Der Täter muss zum Ziel haben, sich durch die Gewaltanwendung oder Drohung im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten. Diese Absicht muss nicht der einzige Beweggrund für die Gewaltanwendung oder den Einsatz des Nötigungsmittels sein (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 - 4 StR 170/05 Rn. 13 mwN). Eine bloße Fluchtabsicht reicht jedoch nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2014 - 1 StR 389/14 Rn. 11 mwN).

Das Landgericht hat eine alleinige Motivation des Angeklagten, durch die Gewaltanwendung seine Flucht zu ermöglichen, nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Das maßgebende Indiz für seine zugleich bestehende Besitzerhaltungsabsicht hat es darin gesehen, dass der Angeklagte die Flasche in bewusst „schonender“ Weise eingesetzt hat. Es hat sich hierbei jedoch nicht mit naheliegenden anderen Gründen für ein derartiges Vorgehen befasst, obwohl sein Beweisergebnis auch nicht durch eine Flucht des Täters unter Mitnahme der Beute (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 4. September 2014 - 1 StR 389/14 Rn. 12) gestützt wird. Insoweit weist die Revision zu Recht darauf hin, dass wuchtige Schläge mit der - hierdurch womöglich zerberstenden - Flasche zu weitaus gravierenderen Verletzungen des Zeugen hätten führen können, die der Angeklagte womöglich vermeiden wollte. Dies kommt hier nicht zuletzt deshalb ernsthaft in Betracht, weil er sich zugleich selbst einer größeren Verletzungsgefahr ausgesetzt hätte.

Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung hätte das Landgericht - über den von ihm in den Blick genommenen geringen Wert der Beute hinaus - zudem bedenken müssen, dass der Angeklagte aufgrund seiner u.a. durch einen besonders schweren Raub bedingten Hafterfahrung mit einer spürbaren Bestrafung zu rechnen hatte. Denn infolge dieses Umstands liegt es nicht fern, dass die Absicht des Täters, seine Identifizierung zu verhindern, nicht nur der vorherrschende, sondern möglicherweise sogar der alleinige Beweggrund der Gewaltanwendung ist (vgl. KG, Beschluss vom 1. Juli 2016 - 121 Ss 100/16 Rn. 3; OLG Koblenz, Beschluss vom 13. Juli 2006 - 1 Ss 151/06 Rn. 19 mwN).

III.

1. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, im Fall II.2. der Urteilsgründe auch hinsichtlich der an sich rechtsfehlerfrei festgestellten tateinheitlich verwirklichten gefährlichen Körperverletzung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2016 - 2 StR 559/15 Rn. 17). Der Senat hebt die gesamten Feststellungen wegen der engen Verknüpfung zwischen innerem und äußerem Tatgeschehen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

2. Im neuen Rechtsgang wird bei dem bisherigen Fall II.2. der Urteilsgründe unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zu erörtern sein, ob die Wegnahme der Whiskey-Flasche in den Räumlichkeiten des Hotels und damit im Gewahrsamsbereich des Berechtigten bereits vollendet war (vgl. zu den Grundsätzen BGH, Urteil vom 6. März 2019 - 5 StR 593/18 Rn. 3 ff.; SSW-StGB/Kudlich, 4. Aufl., § 242 Rn. 34 mwN). Ein für die Strafbarkeit des Angeklagten nach § 252 StGB erforderlicher vollendeter Diebstahl (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 3 StR 180/10 Rn. 4) wäre schon aufgrund der von seinem Mittäter entwendeten Spirituosen zu bejahen (§ 25 Abs. 2 StGB). Es ist aber bisher nichts dafür ersichtlich, dass der Angeklagte die Gewalt (auch) deshalb angewendet haben könnte, um sich oder seinen Mittäter in dem Besitz der von diesem eigenhändig gestohlenen Flaschen zu erhalten (vgl. hierzu allgemein BGH, Beschluss vom 16. September 2014 - 3 StR 373/14 Rn. 5 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 202

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 175

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede