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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 243

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 444/18, Urteil v. 19.12.2018, HRRS 2019 Nr. 243


BGH 1 StR 444/18 - Urteil vom 19. Dezember 2018 (LG Cottbus)

Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen (Beginn der Verjährung: Erlöschen der Beitragspflicht; Darstellung der geschuldeten Beiträge im Urteil).

§ 266a Abs. 1 StGB; § 78a Satz 1 StGB; § 267 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verfolgungsverjährung sobald die Tat beendet ist. Nach gefestigter Rechtsprechung tritt bei Taten nach § 266a Abs. 1 StGB als echtem Unterlassungsdelikt Beendigung erst ein, wenn die Beitragspflicht erloschen ist (vgl. BGH wistra 2012, 235 Rn. 4), sei es durch Beitragsentrichtung, sei es durch Wegfall des Beitragsschuldners oder durch das Ausscheiden des Täters aus der Vertreterstellung.

2. Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung, die geschuldeten Beiträge - für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert - nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 2017, 352, 353), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 376). Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (vgl. BGH NStZ 2010, 635 Rn. 4 ff.).

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten S. und die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 9. Januar 2018 werden verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 64 Fällen und die nichtrevidierende Angeklagte darüber hinaus wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen, davon in einem Fall wegen Versuchs verurteilt. Es hat die Angeklagten jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt.

Gegen dieses Urteil richtet sich zum einen die durch den Angeklagten eingelegte Revision, mit der er das Verfahrenshindernis der Verjährung geltend macht und die allgemeine Sachrüge erhebt. Zum anderen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit zuungunsten beider Angeklagter eingelegten Revisionen, die vom Generalbundesanwalt nicht vertreten werden, gegen das Urteil. Sie beanstandet insbesondere die Höhe der geschätzten Bruttoentgelte, auf deren Grundlage das Landgericht die nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge berechnet hat und macht lückenhafte Feststellungen zu den Steuerdelikten geltend.

A.

Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

I. Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Die miteinander verheirateten Angeklagten beschäftigten seit 2001 Mitarbeiter, die im Rahmen von Drückerkolonnen Zeitschriftenabonnements vertrieben. Im Zeitraum von Januar 2004 bis April 2009, also über 64 Monate, waren es insgesamt ca. 900 Arbeitnehmer, die zunächst für das von der Angeklagten betriebene Einzelunternehmen Pr. (P.) und ab dem 1. August 2006 für die von ihr als formelle Geschäftsführerin geführte M. Ltd. & Co. KG (KG) tätig waren.

Der Angeklagte war von 2001 bis 2009 in den durch seine Ehefrau gegründeten Unternehmen tätig. Faktisch war er sowohl für die Geschäftsführung des Einzelunternehmens als auch der KG verantwortlich. Insbesondere den Mitarbeitern gegenüber trat er als maßgeblicher Entscheidungsträger und als Vorgesetzter in Erscheinung. Er gab seiner Ehefrau Weisungen, die sie befolgte. Auch nach der Trennung der Eheleute im Jahr 2007 blieb es dabei, dass der Angeklagte die Geschäfte verantwortlich führte.

Für ihre Tätigkeit wurden die Werber von den Kolonnenführern aufgeteilt und mittels Sammeltransporten an ihre Einsatzorte gebracht. Die Werber hatten keine Möglichkeit, an anderen als den vorgegebenen Standorten tätig zu werden. Der Angeklagte überprüfte die Zusammensetzung der Teams und änderte diese nach seinen Wünschen. Er überwachte die vorgegebenen Arbeitszeiten, kontrollierte die Menge der abgeschlossenen Verträge und die Auszahlung der sogenannten Provision.

Für den Zeitraum Januar 2004 bis April 2009 meldeten die Angeklagten die 900 Beschäftigten, die als Arbeitnehmer bei ihnen tätig waren, weder sozialversicherungsrechtlich an, noch führten sie Sozialversicherungsabgaben für sie ab. Vielmehr suggerierten sie ihnen, selbständige Handelsvertreter zu sein.

Das Einzelunternehmen hatte seinen Geschäftssitz zunächst in C. In 2004 wurde der Sitz nach F., sodann vom 1. März 2007 bis 1. Februar 2010 nach W. und ab dem 1. Februar 2010 nach Lauchhammer verlegt. Noch im Juli 2008 erfolgte eine Gewerbeanmeldung für die P. Die am 31. Juli 2006 gegründete KG hatte ihren Sitz ebenfalls in L. Die Tätigkeit der KG wurde im April 2009 eingestellt, da die KG in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 7. September 2011 mangels Masse eingestellt; die Gesellschaft wurde von Amts wegen am 5. Juli 2012 aus dem Handelsregister gelöscht.

II. Steuerhinterziehung

Die Angeklagte machte in den Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar 2009 bis März 2009, den Quartalsanmeldungen für das II. und III. Quartal 2009 sowie in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 und 2008 auf Veranlassung des Angeklagten unberechtigt Vorsteueransprüche für die KG aus Scheinrechnungen der nicht als Unternehmer tätigen Werber geltend. Die Umsatzsteuervoranmeldung für das IV. Quartal 2009 reichte sie nicht ein. Für diesen Voranmeldungszeitraum standen ihr berechtigte Vorsteueransprüche zu. Die abgegebenen Voranmeldungen und die Umsatzsteuerjahreserklärung 2008 enthielten jeweils eine Zahllast. Die aus der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 resultierende Erstattung setzte das Finanzamt nicht mehr fest. Es entstand ein Gesamtsteuerschaden von knapp 500.000 Euro.

B.

Die Revision des Angeklagten I.

Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor; Verfolgungsverjährung ist insbesondere für die im Zusammenhang mit dem Einzelunternehmen P. begangenen Taten des Veruntreuens und Vorenthaltens von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB durch den Angeklagten nicht eingetreten.

1. Nach § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verfolgungsverjährung sobald die Tat beendet ist. Nach gefestigter Rechtsprechung - von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass gibt - tritt bei Taten nach § 266a Abs. 1 StGB als echtem Unterlassungsdelikt Beendigung erst ein, wenn die Beitragspflicht erloschen ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. März 2012 - 1 StR 662/11, wistra 2012, 235 Rn. 4; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 78a Rn. 14 und § 266a Rn. 18a), sei es durch Beitragsentrichtung, sei es durch Wegfall des Beitragsschuldners (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2012 - 1 StR 662/11, NZWiSt 2013, 64 mwN) oder durch das Ausscheiden des Täters aus der Vertreterstellung (MüKo-StGB/Radtke StGB, 3. Aufl., § 266a Rn. 116).

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen, wonach die Angeklagten die Beitragspflichten für das Unternehmen P. im Zeitraum Januar 2004 bis Juli 2006 nicht erfüllt haben, waren die Taten zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zwar vollendet, allerdings nicht beendet.

a) Die Angeklagte hatte weder die Beiträge geleistet noch waren diese verjährt (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). An ihrer Stellung als Beitragsschuldner hat sich auch dadurch nichts geändert, dass ab August 2006 nicht mehr die Angeklagte im Rahmen der P. die Arbeitnehmer beschäftigt hatte, sondern die von beiden Angeklagten geführte KG. Die Beitragspflicht einer natürlichen Person erlischt, wenn kein anderer Grund (Zahlung, Verjährung) vorliegt, erst mit dem Tod der natürlichen Person (vgl. Thul in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., A. Beitragsvorenthaltung Rn. 278; Hüls/Reichling, StraFo 2011, 305 f.). Es ist unerheblich, wann die gewerbliche Tätigkeit des Einzelunternehmens eingestellt wird. Denn das Einzelunternehmen ist nicht der Arbeitgeber nach § 266a Abs. 1 StGB, da diesem die eigenständige Rechtspersönlichkeit fehlt.

b) Auch ein Wegfall einer Vertreterstellung nach § 14 StGB des Angeklagten und eine damit einhergehende Tatbeendigung kommt nicht in Betracht. Vertreter ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 StGB u.a. derjenige, der von dem Inhaber eines Betriebes bzw. Unternehmens oder sonst dazu befugt ist, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten. Für einen Vertreter in diesem Sinne beginnt die Verjährungsfrist, sobald seine Pflicht zu handeln, entfällt (BGH, Urteil vom 4. April 1979 - 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 380; MüKo-StGB/Radtke StGB, 3. Aufl., § 266a Rn. 116). Dies ist der Fall, sobald seine Vertreterstellung endet.

aa) Das Einzelunternehmen hat ausweislich der Feststellungen jedenfalls bis Februar 2010 bestanden. Dass das Einzelunternehmen noch aktiv war, wird belegt durch die noch nach 2006 erfolgten mehrfachen Sitzverlegungen des Unternehmens, zuletzt im Februar 2010 nach L., an den Sitz der Betriebsstätte der KG, und die im Juli 2008 erfolgte Gewerbeanmeldung.

bb) Der Angeklagte war jedenfalls bis zum Ende des Tatzeitraums im April 2009 in den Unternehmen seiner Ehefrau, mithin auch für die P. tätig. Er war ihr Vertreter und damit auch der des Einzelunternehmens. Dies ist aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ausreichend zu entnehmen.

Die Funktion des Angeklagten und sein geschäftliches Verhältnis zu seiner Ehefrau waren bis zum Ende des Tatzeitraums im April 2009 unverändert. Demnach war die Ehefrau zwar formell als Inhaberin der P. verantwortlich, sie hatte aber die Vertretung von Beginn der Geschäftstätigkeit an auf den Angeklagten übertragen. Hierzu gehörten auch die Anmeldung der Arbeitnehmer und die Beitragsentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge. Die angeklagte Ehefrau hatte sowohl die P. als auch die KG einzig auf Veranlassung des Angeklagten gegründet. Die P. war aus dem ehemaligen Geschäft des Vaters des Angeklagten entstanden. Der Angeklagte traf die maßgeblichen Entscheidungen und gab Anweisungen, die seine Ehefrau auch tatsächlich ausführte. Sie selbst war im Tatzeitraum noch als Werberin tätig. Sie erhielt aus ihren eigenen Unternehmen - also der P. und der KG - einen wöchentlichen Verdienst als Werberin in Höhe von 200 Euro bis 250 Euro. Zusätzlich zahlte der Angeklagte ihr jährlich ein Weihnachtsgeld in Höhe von 1.000 Euro aus, was er allerdings nach der Trennung auf ca. 200 bis 300 Euro reduzierte. Es ist daher auszuschließen, dass der Angeklagte seine Vertretungsmacht für das Einzelunternehmen nach Juli 2006 nicht mehr ausgeübt hat oder ihm diese von seiner Ehefrau entzogen worden ist.

2. Die mit Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens gegenüber dem Angeklagten am 28. September 2011 (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB), mit Anklageerhebung am 19. Januar 2015 (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StGB) und mit Eröffnung des Hauptverfahrens am 16. Januar 2017 unterbrochene Verjährungsfrist war also zum Zeitpunkt des Erlasses des erstinstanzlichen Urteils am 9. Januar 2018, auch unter Berücksichtigung der Frist des § 78c Abs. 3 StGB, noch nicht abgelaufen.

II.

1. Die Ãœberprüfung des Urteils auf die Revision des Angeklagten hat im Schuldspruch in den Fällen 1. - 64. der Urteilsgründe wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Sowohl die Verantwortlichkeit des Angeklagten als faktischer Geschäftsführer für beide Unternehmen als auch die Arbeitgebereigenschaft ist aufgrund rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung und unter Zugrundelegung zutreffender rechtlicher Maßstäbe (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2016 - 1 StR 185/16, wistra 2017, 321 Rn. 15; vom 13. Oktober 2016 - 3 StR 352/16, wistra 2017, 64, 65 und vom 5. Juli 2018 - 1 StR 111/18 Rn. 12) festgestellt worden.

2. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht den Schuldumfang rechtsfehlerfrei bestimmt.

Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung, die geschuldeten Beiträge - für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert - nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (BGH, Beschlüsse vom 4. März 1993 - 1 StR 16/93, StV 1993, 364; vom 20. April 2016 - 1 StR 1/16, NStZ 2017, 352, 353 und vom 5. Juli 2018 - 1 StR 111/18 Rn. 12; Urteil vom 20. März 1996 - 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543; MüKo-StGB/Radtke StGB, 3. Aufl., § 266a Rn. 61, 133), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (BGH, Urteil vom 11. August 2010 - 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376). Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (BGH, Beschluss vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635 Rn. 4 ff.; MüKo-StGB/Radtke StGB, 3. Aufl., § 266a Rn. 136 f.).

Danach durfte das Landgericht die Höhe der vorenthaltenen Beiträge schätzen. Die Grundlagen dieser Schätzung hat es nachvollziehbar dargelegt, indem es das ausgezahlte Nettoarbeitsentgelt für jeden einzelnen Arbeitnehmer anhand der festgestellten Provisionszahlungen über die abgeschlossenen Abonnements festgestellt und tabellarisch aufgeführt hat. Dabei hat es sich rechtsfehlerfrei an den günstigsten Beitragssätzen orientiert, um einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang (§ 261 StPO; vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2016 - 1 StR 505/16, StraFo 2017, 254, 256; vom 6. April 2016 - 1 StR 523/15, NStZ 2016, 728, 729 und vom 10. November 2009 - 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635 Rn. 8) feststellen zu können.

Zwar hat es der Hochrechnung des Nettoentgelts auf das Bruttoentgelt nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 20. April 2016 - 1 StR 1/16, NStZ 2017, 352, 353 und vom 6. April 2016 - 1 StR 523/15, wistra 2016, 363 Rn. 18 ff.) die unzutreffende Annahme zugrunde gelegt, dass die Abzüge vom Bruttoarbeitslohn, nämlich Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, ggf. Kirchensteuer und Sozialversicherungsabgaben, in der Steuerklasse VI immer 40 % betragen. Der Senat kann aber anhand der mitgeteilten Berechnungsgrundlagen hier ausschließen, dass eine Neuberechnung des Bruttoentgelts für den jeweiligen Arbeitnehmer pro Monat einen Schadensbetrag ergeben hätte, der zu einer maßgeblichen Veränderung des Schuldgehalts der Taten und zu einer abweichenden Strafzumessung durch das Landgericht geführt hätte.

C.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft I.

Auch die zulasten beider Angeklagter eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft wegen der Verurteilung wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Sozialversicherungsabgaben haben aus den oben ausgeführten Gründen keinen Erfolg.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf die Verurteilung der Angeklagten wegen Steuerhinterziehung ist unbegründet.

1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen eine Verurteilung der Angeklagten wegen Steuerhinterziehung aus dem vom Generalbundesanwalt schon in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen. Soweit eine Verurteilung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO erfolgt ist (Fälle 1. - 4., 6. - 8. der Urteilsgründe), hat das Landgericht das Abgabedatum, die Höhe der Vorsteuer aus den Scheinrechnungen sowie die Tatsache, ob eine zustimmungsbedürftige Anmeldung vorlag (vgl. § 168 S. 2 AO) festgestellt. Hinsichtlich der Tat nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO werden die Abgabefrist, der Umsatzsteuerschaden und die berechtigten Vorsteueransprüche (§ 15 UStG) festgestellt. Die Höhe des Steuersatzes, deren Angabe die Revision vermisst, ergibt sich im verfahrensgegenständlichen Zeitraum bereits aus dem Gesetz (§ 12 Abs. 1 UStG).

2. Auch die Strafzumessung ist ohne Rechtsfehler. Das Landgericht hat in allen Fällen den Regelstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO angewendet. Soweit eine Hinterziehung von über 50.000 Euro zu berücksichtigen war, ist es zwar von der Verwirklichung des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO ausgegangen, hat aber die Indizwirkung wegen mildernder Umstände als entkräftet angesehen. Für den Versuchsfall hat es den Strafrahmen gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert.

Insbesondere die Nichtannahme besonders schwerer Fälle ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht ist zutreffend vom Vorliegen der tatbestandsähnlichen Voraussetzungen des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO ausgegangen. Es hat zudem bedacht, dass durch das Vorliegen der Voraussetzungen eines Regelbeispiels nur indiziert wird, dass es sich um einen besonders schweren Fall handelt und diese Indizwirkung im Einzelfall entfallen kann. Die Erschwernis- und Milderungsgründe auf diese Weise nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen, ist Sache des Tatgerichts (vgl. BGH, Urteil vom 5. September 2017 - 1 StR 365/16, wistra 2018, 224 Rn. 19 ff. mwN). Dem ist das Landgericht im Rahmen der gebotenen umfassenden Gesamtbetrachtung nachgekommen.

3. Soweit die Revision vertritt, dass das Landgericht im Fall 5 der Urteilsgründe den Vorsteueranspruch bei der Schadensfeststellung berücksichtigt habe, entspricht dies nicht den Urteilsfeststellungen. Das Landgericht berücksichtigt den Vorsteuervergütungsanspruch tatsächlich erst im Rahmen der Strafzumessung, nämlich bei der Gesamtwürdigung, ob die Indizwirkung entkräftet wird. Es kann daher offen bleiben, ob die Voraussetzungen der geänderten Rechtsprechung des Senats vorliegen, wonach der Vorsteuervergütungsanspruch insoweit bereits beim Schuldumfang zu berücksichtigen ist, als ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz besteht (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2018 - 1 StR 642/17, NJW 2019, 165 Rn. 16 ff.). Vorliegend kann der Senat jedenfalls ausschließen, dass sich die nur auf Strafzumessungsebene erfolgte Berücksichtigung des wirtschaftlichen Schadens nachteilhaft (vgl. § 301 StPO) für die Angeklagte ausgewirkt hat, da das Landgericht das Vorliegen eines besonders schweren Falles abgelehnt und die Höhe des tatsächlich geringeren Steuerschadens im Rahmen der Strafzumessung umfassend berücksichtigt hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 243

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 111

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede