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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 830

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 605/16, Beschluss v. 10.07.2018, HRRS 2018 Nr. 830


BGH 1 StR 605/16 - Beschluss vom 10. Juli 2018 (LG Hof)

Bankrott (Begriff der Zahlungsunfähigkeit: Überzeugungsbildung des Tatgerichts, Abgrenzung zur Zahlungsstockung, Berücksichtigung rechtskräftig festgestellter, aber bestrittener Forderungen).

§ 283 Abs. 1 StGB; § 17 Abs. 2 InsO; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Schuldner ist im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die prozessuale Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt sowohl für das Insolvenzverfahren als auch im Insolvenzstraftaten betreffenden Strafverfahren in der Regel durch eine betriebswirtschaftliche Methode, die eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraussetzt (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 216 f. mwN).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich das Tatgericht im Strafprozess die Überzeugung (§ 261 StPO) vom Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 InsO auch auf der Grundlage wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen bilden, zu denen etwa das Ignorieren von Rechnungen oder Mahnungen sowie gescheiterte Vollstreckungsversuche gehören (vgl. BGH NJW 2014, 164, 165). Die auf solche Weise feststellbare Zahlungsunfähigkeit ist allerdings von der bloßen, straftatbestandlich nicht genügenden Zahlungsstockung abzugrenzen (siehe nur BGH NStZ-RR 2018, 216 f.). Dazu muss zusätzlich zur stichtagsbezogenen Gegenüberstellung eine Prognose erstellt werden, ob innerhalb einer Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder Veräußerung von Vermögensgegenständen (vgl. BGH NJW 2014, 164, 165).

3. Sind Forderungen rechtskräftig zuerkannt und kann deshalb aus ihnen sogleich vollstreckt werden, müssen sie bei der Bewertung der Zahlungsunfähigkeit berücksichtigt werden. Auf die materielle Richtigkeit der zugrunde liegenden Urteile kommt es dann im Hinblick auf das Krisenmerkmal nicht an.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hof vom 4. August 2016 wird mit der Maßgabe verworfen, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe ein Monat als vollstreckt gilt. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Bankrotts in zwei Fällen sowie wegen falscher Versicherung an Eides Statt zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf zahlreiche Verfahrensbeanstandungen sowie die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO). Näherer Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen belegen in beiden verfahrensgegenständlichen Fällen die Voraussetzungen des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund der vom Angeklagten ausgegangenen Anweisung, ihm vertraglich zustehende Provisionszahlungen nicht mehr - wie bisher - auf unter seinem Namen geführte Konten, sondern auf ein näher bezeichnetes Konto seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau sowie auf eines einer GmbH zu zahlen. Das Verhalten des Angeklagten erweist sich als „Beiseiteschaffen“ von zur Insolvenzmasse gehörender Gegenstände nach Eintritt des Krisenmerkmals der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 InsO.

a) aa) Der Schuldner ist im Sinne der vorgenannten Vorschrift zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die prozessuale Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt sowohl für das Insolvenzverfahren (vgl. nur BGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 - IX ZR 50/15, NJW 2018, 396, 398) als auch im Insolvenzstraftaten betreffenden Strafverfahren in der Regel durch eine betriebswirtschaftliche Methode, die eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraussetzt (BGH, Beschlüsse vom 12. April 2018 - 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f. mwN sowie vom 16. Mai 2017 - 2 StR 169/15, wistra 2017, 495, 498). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich das Tatgericht im Strafprozess die Überzeugung (§ 261 StPO) vom Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 InsO auch auf der Grundlage wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen bilden, zu denen etwa das Ignorieren von Rechnungen oder Mahnungen sowie gescheiterte Vollstreckungsversuche gehören (BGH, Beschlüsse vom 21. August 2013 - 1 StR 665/12, NJW 2014, 164, 165; vom 23. Juli 2015 - 3 StR 518/14, NStZ-RR 2015, 341, 342 und vom 12. April 2018 - 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f. jeweils mwN). Die auf solche Weise feststellbare Zahlungsunfähigkeit ist allerdings von der bloßen, straftatbestandlich nicht genügenden Zahlungsstockung abzugrenzen (siehe nur BGH, Beschluss vom 12. April 2018 - 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f.; näher Radtke/Petermann in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Vor §§ 283 ff. Rn. 77 mwN). Dazu muss zusätzlich zur stichtagsbezogenen Gegenüberstellung eine Prognose erstellt werden, ob innerhalb einer Drei-Wochen-Frist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit sicher zu rechnen ist, etwa durch Kredite, Zuführung von Eigenkapital, Einnahmen aus dem normalen Geschäftsbetrieb oder Veräußerung von Vermögensgegenständen (BGH, Beschlüsse vom 21. August 2013 - 1 StR 665/12, NJW 2014, 164, 165 und vom 12. April 2018 - 5 StR 538/17, NStZ-RR 2018, 216 f.).

bb) Von diesen Anforderungen ausgehend hat das Landgericht sich seine Überzeugung von der spätestens ab dem 1. Dezember 2011 bestehenden Zahlungsunfähigkeit des Angeklagten beanstandungsfrei auf der Grundlage einer stichtagsbezogenen Betrachtung gebildet, in die es der Sache nach zusätzlich beweiswürdigend wirtschaftskriminalistische Anzeichen einbezogen hat. Bereits anhand der zeugenschaftlichen Angaben des Insolvenzverwalters und des mit einer Vielzahl von Vollstreckungsmaßnahmen betrauten Obergerichtsvollziehers K. konnte das Landgericht ohne Rechtsfehler die Voraussetzung der Zahlungsunfähigkeit zum genannten Zeitpunkt annehmen und zudem eine bloße Zahlungsstockung ausschließen. Aus den im angefochtenen Urteil mitgeteilten Auskünften des Insolvenzverwalters ergibt sich, dass sich an den zum Stichtag festgestellten Verhältnissen selbst bis zur tatgerichtlichen Hauptverhandlung knapp fünf Jahre später nichts geändert hat (UA S. 46).

cc) Die zahlreichen sachlichrechtlichen Einwendungen der Revision gegen die Annahme der Zahlungsunfähigkeit des Angeklagten i.S.v. § 17 Abs. 2 InsO greifen nicht durch.

Entgegen der von ihr vertretenen Auffassung waren die nach den Urteilsfeststellungen rechtskräftig titulierten Schadensersatzforderungen von Gläubigern als fällige Forderungen in die Gegenüberstellung von Verbindlichkeiten einerseits und liquiden Mitteln andererseits einzustellen. Zwar setzt die Fälligkeit von Forderungen, zu deren vollständiger Erfüllung der Schuldner wegen Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt oder innerhalb angemessener Frist nicht mehr in der Lage ist, voraus, dass - über die Fälligkeit i.S.v. § 271 BGB hinaus - die geschuldete Leistung „ernsthaft eingefordert“ wird. Dies ist der Fall, wenn eine Handlung des Gläubigers gegeben ist, aus der sich der Wille ergibt, die Erfüllung möglicher Zahlungsansprüche zu verlangen (BGH, Beschlüsse vom 19. Juli 2007 - IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286, 293 und vom 16. Mai 2017 - 2 StR 169/15, wistra 2017, 495, 498). Dieses Einfordern, an das ohnehin keine hohen Anforderungen zu stellen sind (BGH, Beschluss vom 16. Mai 2017 - 2 StR 169/15, wistra 2017, 495, 498), ergibt sich bereits aus dem Umstand des jeweils erfolgreichen Einklagens der Forderungen, das zu rechtskräftigen Entscheidungen darüber geführt hat. Wird eine geltend gemachte Forderung rechtskräftig zugesprochen, besteht diese von Anfang an und ist deshalb bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen (siehe nur Ch. Brand in Bittmann [Hrsg.], Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl., § 12 Rn. 46 mwN). Die materielle Berechtigung entsprechend titulierter Forderungen ist zwar grundsätzlich nicht im Insolvenzverfahren zu prüfen (siehe nur BGH, Beschluss vom 23. Juni 2016 - IX ZB 18/15, DB 2016, 1929, 1930 f. mwN), sondern außerhalb dessen geltend zu machen. Sind solche Forderungen, wie die hier fraglichen Schadensersatzansprüche, aber rechtskräftig zuerkannt und kann deshalb aus ihnen sogleich vollstreckt werden, müssen sie bei der Bewertung der Zahlungsunfähigkeit berücksichtigt werden. Auf die materielle Richtigkeit der zugrunde liegenden Urteile kommt es dann im Hinblick auf das Krisenmerkmal nicht an. Die von der Revision vertretene Auffassung, die Strafgerichte müssten selbst bei rechtskräftig zuerkannten Forderungen deren materielle Berechtigung eigenständig prüfen, geht sowohl an den insolvenzrechtlichen Anforderungen des § 17 Abs. 2 InsO als auch dem Schutzzweck des § 283 StGB vorbei. Soweit die Revision geltend macht, Zahlungsunfähigkeit sei auch im Hinblick auf erhebliche Vermögenswerte des Angeklagten in Gestalt von u.a. einer Unternehmensbeteiligung und von Eigentum an Grundstücken ausgeschlossen, dringt sie damit ebenfalls nicht durch. Dem Vorhandensein von Vermögen kommt für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit als Geldilliquidität lediglich im Rahmen der Prognose über die kurzfristig mögliche Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit Bedeutung zu. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler in der zugrundeliegenden Beweiswürdigung gerade bezüglich der Unternehmensbeteiligung des Angeklagten ausgeschlossen, dass durch deren - ohnehin nicht gelungene - Veräußerung nicht innerhalb einer maximal dreiwöchigen Frist Liquidität zurückgewonnen werden konnte.

b) Die getroffenen Feststellungen tragen bei Anlegung der dafür geltenden rechtlichen Maßstäbe (siehe nur BGH, Urteil vom 17. März 1987 - 1 StR 693/86, BGHSt 34, 309, 310 f. und Beschluss vom 17. März 2016 - 1 StR 628/15, StV 2017, 79 ff.) auch das Beiseiteschaffen i.S.v. § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch die Anweisung des Angeklagten, ihm zustehende Provisionszahlungen auf zwei nicht ihm zustehende Konten zu leiten. Da es sich bei den betroffenen Konten jeweils um solche handelte, die nicht auf seinen Namen geführt wurden und über die er nicht (unmittelbar) verfügen konnte, war der Zugriff seiner Gläubiger auf die entsprechenden, zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erschwert.

2. Die erhobenen Verfahrensrügen dringen im Ergebnis aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen, die durch die nachfolgenden Schriftsätze der Verteidigung nicht in Frage gestellt werden, nicht durch. Ergänzend bemerkt der Senat insoweit lediglich Folgendes:

a) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigt hat, konnte der u.a. auf Verlesung eines Schreibens einer näher bezeichneten Steuerberatungsgesellschaft vom 12. März 2012 gerichtete Beweisantrag (Nr. 5) zwar nicht rechtsfehlerfrei auf den Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) gestützt werden, weil mit der Urkunde lediglich deren Existenz und Inhalt bewiesen werden sollte (zum genannten Ablehnungsgrund näher BGH, Urteil vom 21. August 2014 - 1 StR 13/14, NStZ-RR 2014, 316, 317). Allerdings kann aus den in der Antragsschrift dargelegten Gründen das Beruhen des Urteils auf der fehlerhaft begründeten Ablehnung sicher ausgeschlossen werden.

b) Ebenso verhält es sich jedenfalls bei der Ablehnung des Beweisantrags (Nr. 9) auf Verlesung des in einem Rechtsstreit zwischen einer geschädigten Anlegerin und dem Angeklagten ergangenen Urteils des Oberlandesgerichts Bamberg vom 20. Februar 2010. Auch insoweit sollte unmittelbar der Inhalt des Urteils bewiesen werden. Bei darauf beschränkter Beweistatsache konnte der Antrag nicht wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels zurückgewiesen werden. Wie sich aber bereits aus dem Beweisantrag selbst ergibt („Die unter Beweis gestellte Begründung des ausgeurteilten Anspruchs durch das OLG Bamberg hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.“), zielte der Antrag letztendlich darauf ab, die Berücksichtigung des titulierten Anspruchs bei der Zahlungsunfähigkeit als fällige Forderung gegen den Angeklagten auszuschließen. Da es - wie zu 1.b) dargelegt - aber allein auf die rechtskräftige Zuerkennung der Forderung ankommt und die diesbezüglichen Beweisanträge der Verteidigung von einer rechtsirrigen Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit ausgingen, kann wiederum sicher ein Beruhen ausgeschlossen werden. Denn das Landgericht hat ungeachtet des fehlerhaften Ablehnungsgrundes erkannt, dass es auf den Inhalt des fraglichen Urteils unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommt.

3. Wegen der durch die Bearbeitung zahlreicher vorrangiger Haftsachen und des Umfang des Revisionsstoffs bedingten Dauer des Revisionsverfahrens erklärt der Senat einen Monat der Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 830

Externe Fundstellen: NJW 2019, 382; NStZ 2019, 83

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede