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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1074

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 5/16, Urteil v. 28.06.2016, HRRS 2016 Nr. 1074


BGH 1 StR 5/16 - Urteil vom 28. Juni 2016 (LG Traunstein)

Verantwortlichkeit eines Jugendlichen (Voraussetzungen); Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen: Gefährlichkeitsprognose).

§ 3 Satz 1 JGG; § 63 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Nach § 3 Satz 1 JGG ist ein Jugendlicher strafrechtlich verantwortlich, wenn positiv feststeht, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug gewesen ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ob die erforderliche Verantwortungsreife gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage seiner Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Jugendlichen, zu dessen Persönlichkeit zur Tatzeit und den Umständen der konkreten Tat - gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe - wertend zu beurteilen. Kann die nach § 3 Satz 1 JGG erforderliche Einsichts- und Handlungsreife nicht sicher festgestellt werden, scheidet ein Schuldspruch aus (vgl. BGH NStZ 2013, 286).

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. September 2015 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Auf die Revision des Angeklagten wird das oben genannte Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den jugendlichen Angeklagten wegen Verschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften in Tatmehrheit mit drei sachlich zusammentreffenden Fällen des Besitzes kinderpornographischer Schriften zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Von weiteren Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, des Verschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften und des Besitzes kinderpornographischer Schriften hat es den Angeklagten aus „tatsächlichen Gründen“ freigesprochen.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts und einer Verfahrensbeanstandung gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten wendet sich gegen den Teilfreispruch und die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

A.

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der im September 1998 geborene Angeklagte zeigte bereits im Vorschulalter Verhaltensauffälligkeiten, die psychiatrische Interventionen nach sich zogen. Nach ambulanten und teilstationären Behandlungen erfolgte im Jahre 2006 eine mehrmonatige stationäre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik. Anschließend war der Angeklagte bis Juni 2012 stationär in einer intensivtherapeutischen Gruppe untergebracht. Nachdem sich bereits im Jahre 2006 sexualisierende Verhaltensweisen gezeigt hatten, verstärkten sich diese in der Folge immer mehr. Im Alter von neun Jahren kam es zu ersten sexuellen Handlungen mit anderen in der Einrichtung untergebrachten Kindern; deren Frequenz steigerte sich im Laufe des nächsten Jahres dahin, dass der Angeklagte fast täglich sexuellen Verkehr mit anderen Kindern hatte. Daneben fiel der Angeklagte während des Heimaufenthalts durch Diebstähle und Brandlegungen auf.

Im Anschluss an die Heimunterbringung lebte der Angeklagte überwiegend zu Hause, unterbrochen von Zeiten der Unterbringung in psychiatrischen Kliniken. Versuche, den Angeklagten in einem Heim unterzubringen, scheiterten an dessen Verhaltensauffälligkeiten. Die Familie bekam aber während des Aufenthalts des Angeklagten eine intensivsozialpädagogische Einzelbetreuung. In dieser Zeit kam es zu massiven Bedrohungen gegenüber Lehrern. Der Betreuer übergab am 5. März 2013 der Polizei ein Notebook „Toshiba“ des Angeklagten, auf dem sich von diesem heruntergeladene Bilder befanden, die sexuelle Handlungen zwischen Kindern zum Gegenstand hatten. Dennoch beschaffte sich der Angeklagte immer wieder neue Computer und lud kinderpornographische Bilder aus dem Internet herunter. Infolge der Sicherstellung des Notebooks war der Angeklagte jedoch so weit nachgereift, dass er bei der Begehung der folgenden Taten verantwortlich im Sinne des § 3 Satz 1 JGG war:

a) Am 28. Mai 2013 übermittelte der Angeklagte aufgrund einheitlichen Tatentschlusses innerhalb von elf Minuten drei E-Mails an L., denen insgesamt neun kinderpornographische Fotos angehängt waren.

b) Am Folgetag wurden im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten ein Computer „Dell 62“ und ein USB-Stick „Sandisk“ sichergestellt, auf denen sich - wie der Angeklagte wusste - zwölf kinderpornographische Fotos befanden.

c) Am 22. Juli 2014 übergab die Mutter des Angeklagten der Polizei dessen Computer „Dell 65“ und einen USB-Stick „16 GB“. Hierauf befanden sich 21 kinderpornographische Fotos.

d) Am 12. August 2014 wurde im Rahmen einer weiteren Wohnungsdurchsuchung ein Computer „Fujitsu“ des Angeklagten sichergestellt, auf dem sich - wie er ebenfalls wusste - mindestens 21 kinderpornographische Bilder befanden.

2. Das sachverständig beratene Landgericht ist vom Vorliegen einer Autismus-Spektrum-Störung in Kombination mit einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens sowie einer psychosexuellen Entwicklungsstörung ausgegangen. Diese Störung erfülle im Hinblick auf den langandauernden Verlauf und den klinischen Schweregrad das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit. Die Einsichtsfähigkeit sei hiervon jedoch nicht berührt, vielmehr sei von einer erheblich eingeschränkten Fähigkeit des Angeklagten zur Impulskontrolle mit mangelnden Hemmungsmechanismen und einer nicht angemessenen Reife der Impulskontrolle auszugehen, was „im Tatzeitraum“ zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt habe.

3. Die Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, dass keine „hands-on-Delikte“ als Verurteilungsgrundlage verwertbar gewesen und die verbleibenden Anlasstaten nicht ausreichend erheblich seien. Zudem seien künftig keine Taten mehr zum Nachteil von Kindern zu erwarten, da der Angeklagte seine Interessen auf etwa gleichaltrige Sexualpartner verlagere.

II. 1. Aufgrund der unverändert zugelassenen Anklageschrift lagen dem Angeklagten darüber hinaus die folgenden Taten zur Last:

Am 30. Oktober 2012 habe er M. wissentlich ein kinderpornographisches Bild per E-Mail übermittelt (Ziffer 1. der Anklageschrift).

Der Angeklagte habe im Oktober 2012 in einem Aufzug eines Feuerwehrhauses an dem am 4. Januar 2000 geborenen Geschädigten H. Oralverkehr vollzogen (Ziffer 2.1 der Anklageschrift).

Ebenfalls im Oktober 2012 habe er an H. in einem Waldstück bei der Schule in zwei Fällen Oralverkehr teilweise bis zum Samenerguss vollzogen (Ziffer 2.2 der Anklageschrift).

Wiederum im Oktober 2012 habe er an H. im elterlichen Badezimmer oralen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss ausgeführt (Ziffer 2.3 der Anklageschrift).

Darüber hinaus habe der Angeklagte am 16. Februar 2013 an den Zeugen B. per E-Mail 25 kinderpornographische Bilder übermittelt (Ziffer 3. der Anklageschrift).

Am 5. März 2013 habe der Betreuer des Angeklagten dessen Notebook der Polizei übergeben, auf welchem sich - wie der Angeklagte wusste - 40 von ihm aus dem Internet heruntergeladene kinderpornographische Bilder befanden (Ziffer 4. der Anklageschrift).

2. Das Landgericht hat das diesen Anklagevorwürfen zugrunde liegende tatsächliche Geschehen im Wesentlichen entsprechend dem Anklagevorwurf festgestellt, dabei aber für die Anklagevorwürfe zu 2.2 und 2.3 als Tatzeitpunkt März bzw. April 2013 für möglich erachtet. Jedenfalls aber hat es sich nicht davon überzeugen können, dass der Angeklagte zu diesen Tatzeitpunkten gemäß § 3 JGG reif genug war, das Unrecht der vorgenannten Taten einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.

B.

Revision der Staatsanwaltschaft

I. Verfahrensrüge

Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Aufklärungsrüge, mit der die ungenügende Ausschöpfung des psychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung gerügt wird, erweist sich bereits als unzulässig.

1. Dies gilt schon deswegen, weil Inhalt und Ergebnis der den Sachverständigen betreffenden Beweisaufnahme nicht mit den Mitteln des Revisionsrechts feststellbar sind (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 3. Juli 1962 - 1 StR 157/62, BGHSt 17, 351, 352 f.; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 364 mwN). Ein Beweis für die Richtigkeit der Behauptung, der Sachverständige sei zur sittlichen und geistigen Reife des Angeklagten bei den Taten nicht gehört worden, ergibt sich aus den Urteilsgründen entgegen der Ansicht der Revisionsführerin nicht mit der erforderlichen Klarheit. Auch soweit es in den Urteilsgründen heißt, dass die vom Sachverständigen beurteilte - und bejahte - Einsichtsfähigkeit diejenige im Sinne des § 21 StGB betreffe und getrennt von der altersentwicklungsbedingten - von der Strafkammer verneinten - Einsichtsfähigkeit zu sehen sei, belegt dies nicht den Inhalt der Vernehmung des Sachverständigen. Vielmehr kann diese Ausführung auch allein der Erklärung geschuldet sein, wieso die sachverständigen Ausführungen zu den Voraussetzungen des § 21 StGB nicht im Widerspruch zu dem Ergebnis der Prüfung des § 3 Satz 1 JGG stehen, ohne dass es einen tragfähigen Schluss auf den Inhalt der Beweisaufnahme gestattet.

2. Zudem sind aber auch die Vortragserfordernisse gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht eingehalten. Denn die Revisionsführerin unterlässt es, das vorbereitende schriftliche Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen vollständig vorzutragen. Allein anhand der aus dem Zusammenhang gerissenen einzelnen Auszüge aus dem Gutachten kann der Senat nicht beurteilen, ob sich das Landgericht angesichts des vorbereitenden Gutachtens zur Vernehmung des Sachverständigen zu den Voraussetzungen des § 3 Satz 1 JGG hätte gedrängt sehen müssen.

II. Sachrüge

1. Der Teilfreispruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand. Soweit das Landgericht die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten nach § 3 Satz 1 JGG insoweit nicht feststellen konnte, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Nach § 3 Satz 1 JGG ist ein Jugendlicher strafrechtlich verantwortlich, wenn positiv feststeht, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug gewesen ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Ob die erforderliche Verantwortungsreife gegeben ist, hat der Tatrichter auf der Grundlage seiner Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Jugendlichen, zu dessen Persönlichkeit zur Tatzeit und den Umständen der konkreten Tat - gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe (vgl. § 43 Abs. 2 JGG) - wertend zu beurteilen. Kann die nach § 3 Satz 1 JGG erforderliche Einsichts- und Handlungsreife nicht sicher festgestellt werden, scheidet ein Schuldspruch aus (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 2012- 4 StR 271/12, NStZ 2013, 286 und vom 3. Februar 2005 - 4 StR 492/04, ZJJ 2005, 205 mit Anm. Ostendorf; Eisenberg, JGG, 18. Aufl., § 3 Rn. 4; MünchKomm-StGB/Altenhain/Laue, 2. Aufl., § 3 JGG Rn. 5).

b) Das Landgericht hat diesen Maßstab zugrunde gelegt. Dementsprechend ist es zutreffend davon ausgegangen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 JGG für jede Tat gesondert zu prüfen ist und von mehreren Einzelfaktoren abhängig sein kann. Hervorgehoben hat es das Alter des Täters, die Tatumstände und bisherige erzieherische Beeinträchtigungen, insbesondere durch die Heimunterbringung.

Hinsichtlich der Reife für die auf kinderpornographische Schriften bezogenen Taten hat es den schon früh begonnenen und häufigen sexuellen Kontakten des Angeklagten mit anderen Kindern während seines Heimaufenthalts ausschlaggebende Bedeutung zugemessen. Dieser habe mit den pornographischen Bildern auf seinem Computer Darstellungen von genau dem besessen, was er seit seinem neunten Lebensjahr selbst erlebt habe und für ihn „normaler“ Alltag gewesen sei. Die Sozialisation sowie die geistige und sittliche Entwicklung des Angeklagten seien unter dem Eindruck frühzeitiger sexueller Kontakte mit anderen Kindern erfolgt. Dieser Eindruck habe nach der Rückkehr in das Elternhaus fortgewirkt. Erst durch die Übergabe des Notebooks am 5. März 2013 sei er dahingehend nachgereift, dass er begriffen habe, der Besitz kinderpornographischer Bilder sei verboten.

Für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 3 JGG hinsichtlich der sexuellen Handlungen mit H. hat das Landgericht an diese Überlegungen angeknüpft und einen Reifeprozess nach der Heimentlassung bis zu diesen Taten, auch wenn sie im März oder April 2014 stattgefunden haben sollten, nicht erkennen können. Hierzu hat es ausgeführt, dass der Angeklagte mit der ersten sexuellen Handlung an H. - nur vier Monate nach der Heimentlassung und einen Monat nach dem 14. Geburtstag des Angeklagten - das zuvor im Heim erlebte Verhalten fortgesetzt habe. Es habe sich zudem um Ausdruck von Zuneigung gehandelt. Ein Anlass in der Lebensgeschichte, der ihm verdeutlicht hätte, dass diese Handlungen verboten sind, sei nicht ersichtlich. Für die beiden später gelagerten sexuellen Handlungen komme hinzu, dass der Geschädigte die sexuellen Handlungen zugelassen habe oder die Initiative von ihm ausgegangen sei, so dass sein Verhalten keinen Beitrag zu der Erkenntnisreife des Angeklagten geliefert habe, Verbotenes zu tun. Ein äußerer Anlass für einen Reifeprozess bis zu diesen weiteren sexuellen Kontakten liege nicht vor.

c) Diese Ausführungen zeigen keine Rechtsfehler auf. Sie gehen von einem zutreffenden Maßstab aus und sind insbesondere nicht lückenhaft. Das Landgericht hat alle Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen und dabei nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 2. April 2015 - 3 StR 635/14). Hierbei durfte es den Tatumständen, wonach die sexuellen Handlungen Ausdruck von Zuneigung waren und die Initiative auch vom Geschädigten ausging, im Rahmen der Gesamtwürdigung Bedeutung zumessen. Es ist auch nicht zu befürchten, dass das Landgericht die langjährigen therapeutischen Interventionen vor dem Hintergrund der schon früh aufgetretenen sexualisierten Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten aus dem Blick verloren haben könnte. Dem steht schon entgegen, dass es sich ausdrücklich mit den Erlebnissen des Angeklagten während der Heimunterbringung auseinandergesetzt hat. Dass es hieraus Schlüsse gezogen hat, die die Revisionsführerin als lebensfremd erachtet, zeigt noch keine Lückenhaftigkeit auf, sondern ist Gegenstand der dem Tatgericht obliegenden Würdigung, die vom Revisionsgericht auch dann hinzunehmen ist, wenn eine andere Bewertung möglich gewesen wäre. Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe geprüft, ob es einen Anlass gegeben hat, der dem Angeklagten das Verbotensein seiner Handlungen verdeutlicht hätte, dies unter Berücksichtigung auch der langjährigen therapeutischen Bemühungen aber verneint. Das Urteil enthält keine Umstände, die diesem tatgerichtlichen Schluss den Boden entziehen. Zwar ist festgestellt, dass die Initiative zu den sexuellen Handlungen während der Heimunterbringung meist vom Angeklagten ausging. Hieraus hätte aber entgegen der Ansicht der Revisionsführerin nicht der Schluss gezogen werden müssen, dem Angeklagten - immerhin war er während dieser Zeit im Heim unter 14 Jahren, mithin strafunmündig - sei das Verbotensein solcher Handlungen vermittelt worden und dies habe in ihm die nach § 3 JGG erforderliche Reife geweckt.

2. Jedoch hält die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose weist durchgreifende Rechtsfehler auf.

a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt allerdings nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 - 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 3. September 2015 - 1 StR 255/15, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 34; Urteil vom 28. Oktober 2015 - 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015,169; Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).

b) Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht.

aa) Indem es für die Ablehnung der Maßregel darauf abstellt, die abgeurteilten Anlasstaten seien nicht ausreichend erheblich, lässt dies die Anwendung eines unzutreffenden Maßstabs besorgen. Denn die Anlasstaten selbst müssen nicht erheblich sein (BGH, Urteile vom 15. August 2013 - 4 StR 179/13 und vom 29. September 2015 - 1 StR 287/15, NJW 2016, 341). Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustands zu erwarten und ob diese erheblich sind. Bei Abweichungen vom Schweregrad der Anlasstaten ist aber eine besonders sorgfältige Darlegung der Gefährlichkeitsprognose erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2013 - 5 StR 120/13, BGHSt 58, 242; Urteile vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 und vom 23. Januar 1986 - 4 StR 620/85, NStZ 1986, 237).

bb) Durch den unzutreffenden Maßstab verfehlt das Landgericht auch die Anforderungen an die Prognose zukünftigen delinquenten Verhaltens. So wurde eine die Krankheits- und Delinquenzgeschichte des Angeklagten in den Blick nehmende Gesamtwürdigung nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätten die rechtswidrigen Taten zulasten von H. Berücksichtigung finden müssen, auch wenn es den Angeklagten insoweit aus rechtlichen Gründen freigesprochen hat. Denn maßgeblich für die Beurteilung krankheitsbedingter Gefährlichkeit sind in erster Linie zu Tage getretene tatsächliche Verhaltensweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2014 - 1 StR 116/14). Zudem hätte in den Blick genommen werden müssen, dass der Angeklagte im zwar noch strafunmündigen Alter mit Brandlegungen und später mit „massiven“ Bedrohungen aufgefallen ist. Eine Auseinandersetzung damit, inwieweit die in diesem Verhalten zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit auch unter Berücksichtigung der festgestellten Nachreifung noch fortwirkt, fehlt jedoch.

Allein der Hinweis auf eine Interessenverlagerung des Angeklagten auf etwa gleichartige Sexualpartner vermag diese Würdigung nicht zu ersetzen. Dies gilt schon allein deswegen, weil eine Interessenverlagerung des Angeklagten nicht belegt ist. Vielmehr ist ein gewisses Spannungsverhältnis zu den Feststellungen im Übrigen auszumachen, wonach der Angeklagte noch im August 2014 kinderpornographisches Material besessen und sich in der Folge überwiegend nicht auf freiem Fuß befunden hat.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer am zutreffenden Maßstab orientierten Gefährlichkeitsprognose auch unter Berücksichtigung der Nachreifung des Angeklagten die Voraussetzungen des § 63 StGB festgestellt hätte.

3. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft erweist sich danach als unzulässig. Die Aufhebung des Absehens von der Maßregel nach § 63 StGB zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs nach sich. Denn gemäß § 5 Abs. 3 JGG ist über die Verhängung von Jugendstrafe und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur aufgrund einheitlicher Betrachtung zu entscheiden (dazu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - 2 StR 135/07), so dass auch die verhängte Jugendstrafe keinen Bestand haben kann.

C.

Revision des Angeklagten

Auf die Revision des Angeklagten kann die Verurteilung wegen des Verschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften in Tatmehrheit mit drei Fällen des Besitzes kinderpornographischer Schriften keinen Bestand haben.

Das Landgericht hat zum Inhalt der kinderpornographischen Schriften keinerlei Feststellungen getroffen, sondern lediglich unter Wiedergabe des Gesetzeswortlauts ausgeführt, dass es sich um kinderpornographische Fotos gehandelt habe, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergeben und ausschließlich reale sexuelle Handlungen von oder an Kindern zum Gegenstand haben. Das Urteil enthält - wegen der Einzelheiten - auch keine Bezugnahme auf bei den Akten befindliche Abbildungen (vgl. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO), so dass dem Revisionsgericht die Überprüfung des Schuldspruchs verwehrt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2007 - 2 StR 279/07).

D.

1. Das nun zuständige Tatgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob es sich erneut vom Vorliegen strafbarer, mithin im Zustand der gemäß § 3 JGG erforderlichen Reife begangener Besitz- bzw. Besitzverschaffungshandlungen überzeugen kann. Dabei kann die durch das Gesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10, 12) neu gefasste Vorschrift des § 184b StGB nach Maßgabe des § 2 StGB in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3007, 3009), geändert durch Gesetz vom 31. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2149, 2150), Anwendung finden. Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung wird zu beachten sein, ob die den einzelnen Taten zugeordneten Bilder aufgrund eines neuen Tatentschlusses auf die sukzessive sichergestellten Speichermedien gelangt sind (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 - 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208).

2. Sollten strafbare Besitz- bzw. Besitzverschaffungstaten festgestellt werden, wären die Voraussetzungen des § 63 StGB bezogen auf diese Anlasstaten zu prüfen. Der Senat braucht daher hier nicht zu entscheiden, ob er der Ansicht folgen könnte, beim Zusammentreffen entwicklungsbedingter und psychopathologischer Zustände, die einerseits eine fehlende Verantwortlichkeit nach § 3 JGG, andererseits einen Zustand im Sinne des § 21 StGB begründen, sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen, soweit deren Voraussetzungen vorliegen (BGH, Urteil vom 29. Januar 1975 - 2 StR 579/74, BGHSt 26, 67; Thüringer OLG, Beschluss vom 29. Januar 2007 - 1 Ws 16/07, NStZ-RR 2007, 217; a.A. OLG Karlsruhe, Urteil vom 17. Februar 2000 - 2 Ss 225/99, Die Justiz 2000, 151 [zum Verhältnis bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB]; Renzikowski, NJW 1990, 2905, 2910 Fn. 67; Übersicht zum Meinungsstand bei Eisenberg, aaO § 3 Rn. 35 ff.).

3. Sollte sich, was nahe liegt, auf dieser Grundlage erneut ergeben, dass der Angeklagte bei der Begehung dieser Taten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhten, wird eine umfassende Gefährlichkeitsprognose entsprechend der oben aufgezeigten Maßgaben erforderlich. Dabei hat das neue Tatgericht aber Feststellungen dazu zu treffen, ob der Angeklagte die Taten, für die er für nicht verantwortlich erachtet worden ist, begangen hat. Ein Rückgriff auf die Feststellungen des den Angeklagten freisprechenden Urteilsteils ist dem Gericht verwehrt, da der Angeklagte sich gegen die darin getroffenen Feststellungen nicht wehren konnte (vgl. hierzu zuletzt BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 - 1 StR 56/15, NJW 2016, 728). Sollte es dann im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose erneut delinquente Verhaltensweisen im strafunmündigen Zustand zu würdigen haben, wird es insbesondere in den Blick zu nehmen haben, wie sich eine gegebenenfalls eingetretene Nachreifung auswirkt.

Im Hinblick auf eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB wird darüber hinaus infolge der Ziele eines Strafverfahrens gegen Jugendliche (Schutz, Förderung und Integration des Jugendlichen) stets besonders eingehend zu prüfen sein, ob die Maßregel erforderlich ist oder weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 1991 - 4 StR 89/91, BGHSt 37, 373).

4. Für die gegebenenfalls erforderliche Strafzumessungsentscheidung weist der Senat auf die vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufgezeigten Begründungserfordernisse für die Bemessung von Jugendstrafe hin.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1074

Externe Fundstellen: NStZ 2017, 644

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede