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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1279

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 100/21, Beschluss v. 06.07.2021, HRRS 2021 Nr. 1279


BGH 4 StR 100/21 - Beschluss vom 6. Juli 2021 (LG Münster)

Mord (Heimtücke: mehraktiges Tatgeschehen, durchgehender Tötungsvorsatz, bedingter Tötungsvorsatz).

§ 211 StGB; § 15 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Handelt es sich um ein mehraktiges Tatgeschehen, bei dem dem Tatopfer die todesursächliche Verletzungsfolge nicht mit dem ersten Angriff, sondern durch einen späteren Teilakt beigebracht wird, kommt es darauf an, ob das Gesamtgeschehen als eine natürliche Handlungseinheit zu bewerten ist und deshalb eine Tat im Rechtssinne vorliegt. Dies ist der Fall, wenn zwischen einer Mehrheit gleichgearteter, strafrechtlich erheblicher Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind.

2. Mit bedingtem Vorsatz handelnde Täter gehen grundsätzlich einem anderen Handlungsantrieb nach und haben kein Tötungsmotiv. Mehrere mit bedingtem Tötungsvorsatz begangene Handlungen zum Nachteil desselben Opfers müssen daher nicht notwendig subjektiv miteinander verknüpft sein.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 7. Dezember 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte und eines der beiden späteren Tatopfer, der Geschädigte H., bewohnten gemeinsam eine Wohnung in Münster. Nach verschiedenen Streitigkeiten und einem körperlichen Übergriff des Angeklagten verließ der Geschädigte H. die Wohnung. Am 25. April 2020 beabsichtigte er, zusammen mit der Zeugin K. und dem weiteren Geschädigten Ko. Möbelstücke aus der Wohnung zu holen. Der Angeklagte verweigerte dem Geschädigten H. und der Zeugin K. zunächst den Zutritt zur Wohnung, gab die Wohnungstür dann aber doch frei, als der weitere Geschädigte Ko. an der Tür erschien.

Der Geschädigte H. betrat daraufhin die Wohnung und machte einige Schritte in den breiten Wohnungsflur hinein. Rechts hinter ihm stand der Angeklagte; während der weitere Geschädigte Ko. auf der Türschwelle wartete. In dieser Situation griff der Angeklagte hinter dem Rücken des Geschädigten H. für diesen nicht erkennbar nach einem Hammer mittlerer Größe und schlug ihm damit zwei Mal gezielt von hinten auf den Kopf. Dabei erkannte er, dass die Schläge tödlich sein könnten. Dies nahm er zumindest billigend in Kauf. Mit einem solchen Angriff hatte der Geschädigte in diesem Moment nicht gerechnet, was dem Angeklagten bewusst war und er zur Tatbegehung ausnutzte. Der Angeklagte wollte den Geschädigten vertreiben und dafür bestrafen, dass er ihn mit der Wohnung alleine ließ. H. sackte infolge der Schläge benommen zusammen und blieb zunächst im Wohnungsflur liegen.

Als der weitere Geschädigte Ko. dem Geschädigten H. zu Hilfe kommen wollte, entschloss sich der Angeklagte, auch diesen anzugreifen, und schlug mit dem Hammer gezielt auf dessen Kopf ein. Dabei traf er ihn an der Stirn. Der durch den wuchtigen Schlag zu Boden gegangene Ko. „robbte“ durch die Wohnungstür zurück in das Treppenhaus. Der Angeklagte setzte ihm nach und schlug ihm erneut mit dem Hammer gezielt auf den Kopf. Bei beiden Schlägen war ihm bewusst, dass er Ko. töten könnte. Dies nahm er billigend in Kauf. Ko. wehrte sich nun mit Fußtritten gegen den weiter auf ihn einschlagenden Angeklagten. Nachdem es ihm gelungen war, einen weiteren Hammerschlag zu parieren, vermochte er schließlich dem Angeklagten den Hammer zu entreißen. Der Angeklagte erkannte, dass er Ko. nicht mehr mit dem Hammer „bezwingen“ konnte und lief zurück in die Wohnung. Dort ergriff er einen bereitliegenden Teleskopschlagstock und drohte damit Ko., der ihm mit dem Hammer in der Hand bis zur Türschwelle gefolgt war. Als Ko. daraufhin flüchtete, blieb der Angeklagte zurück. Er hatte erkannt, dass der Angriff auf Ko. spätestens durch dessen Flucht gescheitert war.

Stattdessen wandte sich der Angeklagte erneut dem Geschädigten H. zu. Dieser war inzwischen wieder aufgestanden, hatte sich möglicherweise noch ins Badezimmer begeben und stand dem Angeklagten nun schräg gegenüber im vorderen Flurbereich. Nicht ausschließbar kam es zwischen beiden noch zu einer kurzen verbalen Auseinandersetzung, bevor der Angeklagte dem Geschädigten zunächst einen wuchtigen Schlag mit dem Teleskopschlagstock auf die Stirn versetzte. Dann ergriff er ein im Flur liegendes Survival-Messer mit einer Klingenlänge von 10 cm und stach wuchtig in die rechte Seite des Halses sowie in den Rumpf des sich noch auf den Beinen haltenden Geschädigten. Der Messerstich in den Hals führte nach kurzer Zeit zum Tod von H. Auch bei dem Schlag mit dem Teleskopschlagstock und den Messerstichen hielt es der Angeklagte zumindest für möglich, dass der Geschädigte daran sterben könnte und nahm diese Folge jeweils zumindest billigend in Kauf.

2. Die Strafkammer hat die Angriffe auf den Geschädigten H. als eine Tat im Rechtssinne bewertet und insoweit einen Heimtückemord gemäß § 211 Abs. 2, 2. Gruppe, 1. Variante StGB angenommen. Hinsichtlich der Hammerschläge zum Nachteil des Geschädigten Ko. ist sie von einem versuchten Totschlag gemäß § 212 Abs. 1, §§ 22, 23 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB ausgegangen.

II.

Die Annahme eines vollendeten Heimtückemordes zum Nachteil des Geschädigten H. hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, das bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 ? 4 StR 337/20, NStZ 2021, 609 Rn. 12 f.; Beschluss vom 2. Dezember 1957 - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 143; weitere Nachweise bei Schneider in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 211 Rn. 151). Handelt es sich um ein mehraktiges Tatgeschehen, bei dem dem Tatopfer die todesursächliche Verletzungsfolge nicht mit dem ersten Angriff, sondern durch einen späteren Teilakt beigebracht wird, kommt es darauf an, ob das Gesamtgeschehen als eine natürliche Handlungseinheit zu bewerten ist und deshalb eine Tat im Rechtssinne vorliegt. Dies ist der Fall, wenn zwischen einer Mehrheit gleichgearteter, strafrechtlich erheblicher Betätigungen ein derart unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 ? 5 StR 480/18, NStZ 2020, 345, 346; Beschluss vom 17. November 2016 - 3 StR 402/16 Rn. 8; Urteil vom 25. November 2004 - 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263 Rn. 3; Beschluss vom 25. November 1992 - 3 StR 520/92, NStZ 1993, 234; Urteil vom 16. Mai 1990 - 2 StR 143/90, NStZ 1990, 490, 491; Urteil vom 21. September 1983 ? 2 StR 19/83, NJW 1984, 1568).

2. Von diesen Grundsätzen ist die Strafkammer im Ansatz zutreffend ausgegangen. Die dazu angestellten Erwägungen schöpfen den festgestellten Sachverhalt aber nicht aus.

a) Nach der Auffassung der Strafkammer sind der erste mit dem Hammer geführte Angriff auf den Geschädigten H. und der spätere Schlagstock- und Messereinsatz als ein einheitlicher, von einem durchgehenden Tötungsvorsatz getragener Geschehensablauf anzusehen. Der Messerstich als letztlich todesursächlicher Teilakt werde von der heimtückischen Begehungsweise bei dem ersten mit dem Hammer geführten Angriff mitumfasst. Auch wenn es dem Geschädigten H. gelungen sei, sich wiederaufzurichten und ihm der Angeklagte nun offen feindselig gegenübertrat, sei der Geschädigte noch nicht zu einer sonst zu erwartenden körperlichen Verteidigung in der Lage gewesen.

b) Die Erwägung der Strafkammer, der erste mit dem Hammer geführte Angriff auf den Geschädigten H. und der spätere Schlagstock- und Messereinsatz seien von einem „durchgehenden Tötungsvorsatz“ getragen, vermag die Annahme eines die beiden Handlungsabschnitte verbindenden subjektiven Elementes nicht zu begründen. Denn sie nimmt nicht ausreichend in den Blick, dass der Angeklagte nach den Feststellungen jeweils nur mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte. Mit bedingtem Vorsatz handelnde Täter gehen grundsätzlich einem anderen Handlungsantrieb nach und haben kein Tötungsmotiv (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2019 ? 4 StR 442/18, NStZ 2019, 608 Rn. 20 mwN). Mehrere mit bedingtem Tötungsvorsatz begangene Handlungen zum Nachteil desselben Opfers müssen daher nicht notwendig subjektiv miteinander verknüpft sein. Nach den Feststellungen kam es dem Angeklagten bei den Hammerschlägen darauf an, den Geschädigten zu vertreiben und dafür zu bestrafen, dass er ihn mit der Wohnung allein ließ. Ob er dieses Handlungsziel auch noch im zweiten Tatabschnitt verfolgte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Dies versteht sich hier - trotz der zeitlichen Nähe - auch nicht von selbst, denn das von der Strafkammer für möglich gehaltene Zwischengeschehen (kurze verbale Auseinandersetzung mit dem Angeklagten) kann zu einem neuen Handlungsentschluss des Angeklagten geführt haben, der der Annahme eines gemeinsamen subjektiven Elements entgegensteht. Hierzu hätten sich die Urteilsgründe daher verhalten müssen.

c) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes zum Nachteil des Geschädigten H. beruht auf dem aufgezeigten Rechtsfehler. Denn der Senat vermag nicht gänzlich auszuschließen, dass die Strafkammer bei einer Einstellung des Zwischengeschehens in ihre Würdigung zu einer Aufspaltung des Geschehens gelangt wäre (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 6. Mai 2008 - 5 StR 92/08, NStZ 2008, 569).

III.

Die tatmehrheitliche Verurteilung wegen versuchten Totschlags zum Nachteil des Zeugen Ko. weist zwar für sich gesehen keinen Rechtsfehler auf. Ihre Aufhebung ist jedoch wegen des engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs geboten, um dem neuen Tatrichter in sich geschlossene und widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1279

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 46; StV 2022, 94

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß