HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 556
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 571/24, Beschluss v. 17.12.2024, HRRS 2025 Nr. 556
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 24. Juli 2024 auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 9. Oktober 2024, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 24. Juli 2024 im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über diese nach §§ 460, 462 StPO sowie über die Kosten des Rechtsmittels zu treffen ist.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Nordhausen vom 30. November 2023 und durch Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 18. Dezember 2023 gegen ihn verhängten Einzelstrafen - unter Auflösung der dort jeweils gebildeten Gesamtstrafen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es gegen ihn wegen schweren Raubes eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision erzielt der Angeklagte - nach Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist - den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
1. Dem Angeklagten war auf seinen Antrag und seine Kosten (§ 473 Abs. 7 StPO) aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Der Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 9. Oktober 2024, mit dem dieses die Revision des Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen hat, ist damit gegenstandslos.
2. Die aufgrund der Revisionsrechtfertigung veranlasste Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch und zu den Einzelstrafaussprüchen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Bildung der Gesamtstrafe hält indes rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Der Gesamtstrafenbildung des Landgerichts liegen folgende tatsächliche Feststellungen zugrunde:
aa) Am 24. März 2023, rechtskräftig seit dem 24. Juni 2023, wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Erfurt wegen Diebstahls (Tatzeit 27. Dezember 2022) zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt; diese Strafe wurde im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 19. Februar 2024 vollstreckt.
Am 24. April 2023, rechtskräftig seit dem 20. Oktober 2023, verurteilte ihn das Amtsgericht Nordhausen wegen Diebstahls (Tatzeit 15. Januar 2023) zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro.
Am 26. Mai 2023, rechtskräftig seit dem 5. Juli 2023, erfolgte eine weitere Verurteilung durch das Amtsgericht Nordhausen wegen Diebstahls (Tatzeit 24. März 2023 gegen 20.30 Uhr) zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15 Euro.
Diese drei Verurteilungen führte das Amtsgericht Nordhausen durch Gesamtstrafenbeschluss vom 7. März 2024, rechtskräftig seit dem 27. März 2024, ungeachtet der bereits vollständigen Vollstreckung der Strafe aus der Verurteilung vom 24. März 2023 auf eine Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 Euro zurück.
bb) Am 30. November 2023, rechtskräftig seit diesem Tag, verurteilte das Amtsgericht Nordhausen den Angeklagten wegen Diebstahls in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Der Verurteilung lagen Taten vom 9. Mai 2023 (Einzelstrafe 40 Tagessätze zu je 15 Euro), vom 27. Juni 2023 (Einzelstrafe 90 Tagessätze zu je 15 Euro), vom 13. Juli 2023 (Einzelstrafe 50 Tagessätze zu je 15 Euro) und vom 14. Juli 2023 (Einzelstrafe 50 Tagessätze zu je 15 Euro) zugrunde.
cc) Schließlich verurteilte ihn das Amtsgerichts Leipzig am 18. Dezember 2023, rechtskräftig seit diesem Tag, wegen Diebstahls in zwei Fällen und Computerbetrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Zugrunde lagen Taten vom 19. August 2023 (Einzelstrafe vier Monate Freiheitsstrafe) und zweimal vom 20. August 2023 (Einzelstrafen in Höhe von vier Monaten und sechs Monaten Freiheitsstrafe).
dd) Die im hiesigen Verfahren zur Aburteilung stehenden Taten beging der Angeklagte am 16. August 2023 und am 6. Januar 2024.
b) Das Urteil leidet im Hinblick auf die Gesamtstrafenbildung an einem Darstellungsmangel.
aa) Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung müssen die Urteilsgründe die einzelnen Taten, die Tatzeiten, (kurz) die ihnen zugrundeliegenden Lebenssachverhalte und die jeweils verhängten Einzelstrafen, das Datum der Verurteilung, gegebenenfalls das Datum der Berufungshauptverhandlung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 - 2 StR 542/12, Rn. 4), den Eintritt der Rechtskraft sowie ihren Vollstreckungsstand mitteilen (vgl. zum Darstellungserfordernis Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1475 mwN). Liegen wie hier mehrere Vorverurteilungen vor, kommt es nach § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung auf dasjenige Urteil in dem früheren Verfahren an, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmalig geprüft werden konnten. Das ist jede Entscheidung zur Schuld- und Straffrage, namentlich auch ein Berufungsurteil, wenn wenigstens noch über einen Teil des Strafausspruchs zu befinden war (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 24. Juli 2018 - 3 StR 245/18, Rn. 7 mwN).
bb) Die Strafkammer ist bei ihrer Gesamtstrafenbildung von einem Zäsurzeitpunkt zum 24. April 2023 ausgegangen. Sie hat dabei zunächst zutreffend gesehen, dass die Geldstrafe aus der Verurteilung vom 24. März 2023 im Zeitpunkt des Gesamtstrafenbeschlusses vom 7. März 2024 bereits vollstreckt war, so dass dieser Verurteilung keine Zäsurwirkung mehr zukommen konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2017 - 3 StR 497/16, NStZRR 2017, 169, und vom 14. Dezember 2022 - 6 StR 403/22, Rn. 6 mwN; Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 1247 mwN). Denn der fehlerhafte Gesamtstrafenbeschluss vom 7. März 2024 konnte die materielle Rechtslage und damit die Erledigung der Einzelstrafe vom 24. März 2023 nicht mehr beeinflussen (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 1235 iVm Rn. 1238).
Der Senat kann indes nicht beurteilen, ob sich die von der Strafkammer angenommene Zäsurwirkung zum 24. April 2023 als zutreffend erweist. Denn die Urteilsgründe teilen nicht mit, wann letztmalig die tatsächlichen Feststellungen, die der Verurteilung des Amtsgerichts Nordhausen vom 24. April 2023 zugrunde liegen, geprüft wurden. Eine nachträgliche Prüfung erscheint nicht ausgeschlossen, da hier zwischen der zugrundeliegenden Entscheidung und dem Eintritt der Rechtskraft knapp sechs Monate lagen. Sollten die tatsächlichen Feststellungen, beispielsweise aufgrund eines Einspruchs des Angeklagten gegen den Strafbefehl, neuerlich geprüft worden sein, könnte auch der Verurteilung vom 26. Mai 2023 Zäsurwirkung zukommen. Auch hier bleibt indes offen, wann die tatsächlichen Feststellungen dieses Verfahrens letztmalig geprüft wurden. Spätester Zäsurzeitpunkt wäre in jedem Fall der 5. Juli 2023, da an diesem Tag die Verurteilung vom 26. Mai 2023 rechtskräftig wurde.
Angesichts dessen ist die Einbeziehung der vom Amtsgerichts Nordhausen in der Verurteilung vom 30. November 2023 zugemessenen beiden Einzelgeldstrafen von 40 Tagessätzen und 90 Tagessätzen zu je 15 Euro für die Taten vom 9. Mai 2023 sowie vom 27. Juni 2023 möglicherweise zu Unrecht erfolgt. Hierdurch ist der Angeklagte beschwert. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die Einbeziehung einer oder beider Einzelgeldstrafen auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt und der Angeklagte eine gegebenenfalls unter Einbeziehung dieser beiden Einzelgeldstrafen neu zu bildende Gesamtgeldstrafe bezahlt hätte.
3. Der Senat entscheidet gemäß § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO, der bei Rechtsfehlern, die ausschließlich die Bildung der Gesamtstrafe betreffen, die Möglichkeit eröffnet, auf eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung im Beschlusswege nach §§ 460, 462 StPO zu verweisen.
4. Mit der abschließenden Sachentscheidung ist auch über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. November 2004 - 4 StR 426/04, BGHR StPO § 354 Abs. 1b Satz 1 Entscheidung 3; vom 13. Januar 2022 - 6 StR 469/21, Rn. 6, und vom 31. August 2022 - 4 StR 372/21, Rn. 13).
HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 556
Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede