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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1240

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 203/25, Beschluss v. 26.06.2025, HRRS 2025 Nr. 1240


BGH 6 StR 203/25 - Beschluss vom 26. Juni 2025 (LG Stendal)

Versuchter Mord, besondere gesetzliche Milderungsgründe, Versuch (fakultative Strafmilderung; Gesamtschau, Persönlichkeit des Täters, besonders sorgfältige Abwägung bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe: Unvorbestraftheit, Maßgeblichkeit des deutschen Rechts).

§ 211 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 2 StGB; § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine besonders sorgfältige Abwägung der für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte ist geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt.

2. Für die Tilgungsreife, Tilgung und damit Verwertbarkeit deutscher Vorstrafen ist ausschließlich das deutsche Recht maßgeblich.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteils des Landgerichts Stendal vom 25. Februar 2025 im Strafausspruch aufgehoben, wobei die zugehörigen Feststellungen Bestand haben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit wissentlicher schwerer Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Diese hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen geriet der Angeklagte mit seinem alkoholisierten Mitbewohner in Streit. Aus Verachtung über seinen Alkoholkonsum übergoss der Angeklagte ihn großflächig mit Benzin und zündete ihn an. Dessen Tod hielt er ebenso für möglich und nahm dies billigend in Kauf wie mit dem Brand einhergehende unermessliche Schmerzen. Er wusste weiterhin, dass er im Falle seines Überlebens durch eine Vielzahl auffälliger Narben entstellt sein würde. Der Mitbewohner erlitt großflächige Verbrennungen und überlebte nur dank umgehender ärztlicher Behandlung. Er musste sich 22 Operationen unterziehen und schwebte mehrmals in Lebensgefahr. Durch die erlittenen Brandnarben und die hierdurch veränderte Hautstruktur ist sein äußeres Erscheinungsbild entstellt.

II.

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die auf die allgemeine Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Indes hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat zwar geprüft, ob eine Milderung der absoluten Strafdrohung des § 211 Abs. 1 StGB aufgrund des Versuchs nach § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt. Bei der insoweit gebotenen Gesamtschau aller Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2024 - 6 StR 258/24, Rn. 14) hat die Strafkammer aber nicht berücksichtigt, dass der zur Tatzeit 58-jährige Angeklagte ausweislich der Urteilsfeststellungen nicht vorbestraft ist.

aa) Zwar ist eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich. Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt aber vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2024 - 6 StR 388/24, Rn. 5). Eine besonders sorgfältige Abwägung ist geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. November 2024 - 6 StR 258/24, Rn. 14; vom 21. November 2023 - 4 StR 286/23, Rn. 12).

bb) Gemessen hieran sind die Erwägungen lückenhaft. Das Tatgericht hat die ‒ nach den Urteilsfeststellungen zu bejahende ‒ Unbestraftheit nicht erkennbar strafmildernd berücksichtigt, obwohl es sich dabei um einen gewichtigen Strafzumessungsgrund handelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2022 - 1 StR 185/22, Rn. 3; vom 27. September 2023 ‒ 4 StR 211/23, Rn. 8). Die Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Gütersloh ist nach den tatgerichtlichen Feststellungen im Bundeszentralregister bereits getilgt. Weder die Tat noch die Verurteilung durfte daher zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2011 ‒ 5 StR 585/10, Rn. 6). Darauf, dass die Vorverurteilung im lettischen Zentralregister noch eingetragen ist, kommt es nicht an. Für die Tilgungsreife, Tilgung und damit Verwertbarkeit deutscher Vorstrafen ist ausschließlich das deutsche Recht maßgeblich (ebenso bei ausländischen Vorstrafen, vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2015 - 3 StR 588/14).

b) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht.

3. Im Hinblick auf den Strafausspruch bedarf die Sache deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen werden durch den Rechtsfehler nicht berührt; sie können aufrechterhalten (vgl. § 353 Abs. 2 StPO) und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1240

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede