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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 58

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 479/22, Beschluss v. 06.12.2022, HRRS 2023 Nr. 58


BGH 5 StR 479/22 - Beschluss vom 6. Dezember 2022 (LG Kiel)

Niedrige Beweggründe bei Tötung des Partners (Trennung; übersteigertes Besitzdenken; tatbestimmende Verzweiflung; Trennung auf Betreiben des getöteten Partners; Menschenbild des Grundgesetzes).

§ 211 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Niedrig i.S.d. § 211 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung ein Beweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind.

2. Ergibt sich das Tötungsmotiv aus einer Trennung vom Ehe-, Lebens- oder Intimpartner, kann für einen niedrigen Beweggrund sprechen, dass der Täter dem anderen Teil aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht, den berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bestrafen will oder dass er handelt, weil er die Trennung nicht akzeptiert und eifersüchtig ist. Gegen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes kann dagegen sprechen, dass die Trennung zu tatbestimmenden und tatauslösenden Gefühlen der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit geführt hat. Zu bedenken kann dabei auch sein, dass nicht selten der Täter die Trennung selbst maßgeblich zu verantworten hat.

3. Der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, stellt entgegen der Auffassung des Landgerichts für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz dar. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts ist es aus Sicht des Senats unvereinbar, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 5. Juli 2022 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die der Nebenund Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie Einziehungs- und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten erweist sich im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet.

Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchte der Angeklagte am 10. Dezember 2021, seine frühere Freundin mit mehreren Messerstichen heimtückisch zu töten und verletzte sie dabei schwer, wobei seine Steuerungsfähigkeit aufgrund des Zusammenwirkens einer Persönlichkeitsstörung und erheblicher Alkoholisierung erheblich vermindert war. Das (weitere) Mordmerkmal eines Handelns aus niedrigen Beweggründen hat das Landgericht unter Hinweis auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 - 1 StR 150/19, NStZ 2019, 518; vom 15. Mai 2003 - 3 StR 149/03, NStZ 2004, 334) unter anderem mit folgender Erwägung abgelehnt: „Dies gilt umso mehr, als die Trennung von der Geschädigten ausgegangen war, die dem Angeklagten zuletzt unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass ihre Beziehung zu Ende sei (‚Es ist aus und vorbei!‘), was als Indiz weiterhin gegen die Annahme niedriger Beweggründe spricht.“ Dieser Erwägung vermag der Senat nicht zu folgen. Niedrig ist ein Beweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 13. November 2019 - 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40 mwN).

Ergibt sich das Tötungsmotiv aus einer Trennung vom Ehe-, Lebens- oder Intimpartner, kann für einen niedrigen Beweggrund sprechen, dass der Täter dem anderen Teil aus übersteigertem Besitzdenken das Lebensrecht abspricht (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2020 - 5 StR 124/20, NStZ 2021, 226 mwN), den berechtigten Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bestrafen will (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2020 - 5 StR 543/19, NStZ 2020, 617 mwN) oder dass er handelt, weil er die Trennung nicht akzeptiert und eifersüchtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2017 - 2 StR 656/13, NStZ 2018, 527). Gegen das Vorliegen eines niedrigen Beweggrundes kann dagegen sprechen, dass die Trennung zu tatbestimmenden und tatauslösenden Gefühlen der Verzweiflung und inneren Ausweglosigkeit geführt hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2006 - 5 StR 97/06, NStZ-RR 2006, 340, 342 mwN). Zu bedenken kann dabei auch sein, dass nicht selten - wie auch hier - der Täter die Trennung selbst maßgeblich zu verantworten hat (vgl. näher MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 105; ders., NStZ 2022, 543, 544, jeweils mwN).

Der Umstand, dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, stellt entgegen der Auffassung des Landgerichts für sich gesehen kein gegen die Annahme niedriger Beweggründe sprechendes Indiz dar. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes und den Werten des durchweg auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und gegenseitige personelle Achtung angelegten deutschen Rechts (vgl. zur Relevanz bei der Bewertung eines Tötungsmotivs BGH, Urteil vom 13. November 2019 - 5 StR 466/19, NStZ-RR 2020, 40) ist es aus Sicht des Senats unvereinbar, der legitimen Inanspruchnahme des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben eine derartige Relevanz für die sozialethische Bewertung des Tötungsmotivs zuzusprechen.

Dass das Landgericht mit teilweise rechtsfehlerhafter Begründung die Annahme niedriger Beweggründe abgelehnt hat, beschwert den Angeklagten indes nicht.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 58

Bearbeiter: Christian Becker