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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 436

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 418/22, Beschluss v. 24.01.2023, HRRS 2023 Nr. 436


BGH 3 StR 418/22 - Beschluss vom 24. Januar 2023 (LG Düsseldorf)

Schwere Zwangsprostitution (Ausbeutung); Adhäsionsantrag (Prozesszinsen).

§ 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 404 Abs. 2 StPO; § 187 Abs. 1 BGB; § 291 Satz 1 BGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass dem Opfer in objektiver Hinsicht ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies bei ihm zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, die Lösung aus der Prostitution zu erschweren.

2. Von einer Ausbeutung ist ohne Weiteres auszugehen, wenn die Prostituierte ihre gesamten Einnahmen abgeben muss und nur gelegentlich geringe Summen zurückerhält. Abgaben in Höhe von 50 % der Einnahmen können die Annahme einer Ausbeutung nahelegen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 29. April 2022

a) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) in Fall 8 der Urteilsgründe, bb) in den Aussprüchen über (1) die Gesamtstrafe, (2) die Einziehung des Mobiltelefons Samsung Galaxi S20 Ultra 5 G (SMG988B) mit der Rufnummer , (3) die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit sie 49.360 € übersteigt;

b) in den Adhäsionsaussprüchen jeweils dahin geändert, dass Zinsen erst ab dem 27. April 2022 zu zahlen sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit versuchter Erpressung, Körperverletzung und tätlicher Beleidigung, wegen ausbeuterischer in drei und dirigistischer Zuhälterei in zwei Fällen sowie Körperverletzung in Tateinheit mit Herstellen jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 75.450 € sowie dreier näher bezeichneter Mobiltelefone angeordnet, den Angeklagten verurteilt, an zwei Adhäsionsklägerinnen je 2.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. April 2022 zu zahlen, und festgestellt, dass er verpflichtet ist, ihnen zukünftige aus den Taten resultierende Schäden zu ersetzen. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung in Fall 8 der Urteilsgründe (Gliederungspunkt B. V.) hat keinen Bestand.

a) Nach den vom Landgericht in diesem Fall getroffenen Feststellungen ging der Angeklagte ein Liebesverhältnis mit einer Prostituierten ein und zog in ihre Mietwohnung. Sie erwirtschaftete während des Zusammenlebens zwischen dem 8. November 2020 und dem 21. Mai 2021 mindestens 97.600 €. Hiervon wurden die gemeinsamen Lebenshaltungskosten in Höhe von 1.000 € pro Woche sowie 930 € Monatsmiete finanziert. Circa 2.000 € behielt die Zeugin wöchentlich für sich. Mindestens 26.090 € vereinnahmte der Angeklagte für eigene Zwecke. Hiermit war die Geschädigte unzufrieden. Er besänftigte sie, indem er vorgab, sie an von ihm erwarteten eigenen Einkünften beteiligen zu wollen. Wenigstens einmal rief er sie mit dem in der Beschlussformal näher bezeichneten Mobiltelefon an, um sich nach dem Verbleib von ihr einbehaltener Prostitutionserlöse zu erkundigen.

Die Strafkammer hat diesen Fall als ausbeuterische Zuhälterei im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB gewürdigt und mit einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren geahndet. Ferner hat sie den Wert der Taterträge in Höhe von 26.090 € sowie das besagte Mobiltelefon eingezogen.

b) Der Schuldspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn eine Ausbeutung im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass dem Opfer in objektiver Hinsicht ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies bei ihm zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, die Lösung aus der Prostitution zu erschweren (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2002 - 4 StR 66/02, NStZ-RR 2002, 232, 233; Urteil vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 297/13, NStZ 2014, 453 Rn. 15; Beschluss vom 29. Januar 2020 - 4 StR 87/19, NStZ 2021, 538 Rn. 8). Hiervon ist ohne Weiteres auszugehen, wenn die Prostituierte ihre gesamten Einnahmen abgeben muss und nur gelegentlich geringe Summen zurückerhält. Abgaben in Höhe von 50 % der Einnahmen können die Annahme einer Ausbeutung nahelegen (BGH, Urteile vom 3. März 1999 - 2 StR 608/98, BGHR StGB § 181a Abs. 1 Nr. 1 Ausbeuten 4; vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 297/13, NStZ 2014, 453 Rn. 15; jeweils mwN).

Daran gemessen belegen die getroffenen Feststellungen keine Ausbeutung. Nach diesen verwendete die Zeugin im Tatzeitraum etwa 72.000 € für sich (27,5 Wochen à 2.000 € zzgl. des auf sie entfallenden Anteils an den Lebenshaltungskosten, circa 17.000 €). Dies stellt eine erhebliche Summe dar und entspricht knapp 74 % ihrer Einnahmen. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erkennen, dass der Angeklagte die persönliche und wirtschaftliche Lage der Zeugin schwerwiegend einschränkte, indem er den verbleibenden Teil ihrer Einkünfte an sich nahm. Hinsichtlich dieser Zeugin hat das Landgericht auch nicht festgestellt, dass sie die Prostitution nicht jederzeit hätte aufgeben können. Entgegen den Ausführungen der Strafkammer liegt eine tatbestandsmäßige Ausbeutung ebenfalls nicht darin begründet, dass der Angeklagte der Zeugin vorspiegelte, sie als Kompensation für seinen Profit an späteren eigenen Einkünften teilhaben lassen zu wollen.

c) Die Aufhebung der Verurteilung in Fall 8 der Urteilsgründe bringt den Gesamtstrafenausspruch und die auf dieser Tat gründenden Einziehungsentscheidungen zu Fall.

d) Die an sich fehlerfrei getroffenen zugehörigen Feststellungen werden jeweils aufgehoben, um der nunmehr zur Entscheidung berufenen Strafkammer zu ermöglichen, zu Fall 8 der Urteilsgründe insgesamt neue, widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen (§ 353 Abs. 2 StPO).

2. Prozesszinsen an die Adhäsionsklägerinnen sind gemäß § 404 Abs. 2 StPO, § 291 Satz 1, § 187 Abs. 1 analog BGB erst ab dem auf die - hier mit Antragstellung am 26. April 2022 eingetretene - Rechtshängigkeit folgenden Tag zu entrichten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - 3 StR 306/19, juris Rn. 4 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 436

Bearbeiter: Fabian Afshar/Karsten Gaede