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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 408

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 9/23, Beschluss v. 07.02.2023, HRRS 2023 Nr. 408


BGH 6 StR 9/23 - Beschluss vom 7. Februar 2023 (LG Rostock)

Grundsätze der Strafzumessung (rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Gesinnung: Schuldgrundsatz, innerer Zusammenhang mit der Tat; strafschärfende Berücksichtigung weiterer nicht abgeurteilter Straftaten: Erfordernis prozessordnungsgemäßer Feststellung).

§ 46 Abs. 1, Abs. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar kann auch die Gesinnung des Täters bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (§ 46 Abs. 2 StGB). Dies gilt aber nur, wenn diese aus der Tat spricht, mit ihr also in einem inneren Zusammenhang steht.

2. Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen - um eine strafschärfende Bewertung zu eröffnen - mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren.

3. Das Erfordernis des inneren Zusammenhangs zwischen der Gesinnung des Täters und dessen Tat ergibt sich aus dem Schuldgrundsatz.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 20. September 2022 aufgehoben

a) im gesamten Strafausspruch und

b) hinsichtlich der Einziehung von „110,265 g Koffein“; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis und die Einziehung sichergestellten Marihuanas und Koffeins angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Während der Schuldspruch sowie die Maßregelanordnungen auf die durch die Sachrüge veranlasste umfassende revisionsgerichtliche Überprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben haben, unterliegt der Strafausspruch durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.

a) Das Landgericht hat bei seiner Strafzumessung berücksichtigt, dass „es sich bei dem Angeklagten um einen Nazi-Verblendeten handelt“, was deutlich mache, dass dieser „nicht nur im vorliegenden strafrechtlichen Kontext, sondern in komplexer Hinsicht dazu disponiert ist, sich über Normen hinwegzusetzen, die ein zivilisiertes Zusammenleben ermöglichen sollen; dies ist strafzumessungserheblich und hat sich zu seinen Lasten ausgewirkt“. Den Schluss auf diese Einstellung des bislang unbestraften Angeklagten hat es aus zahlreichen Gegenständen gezogen, die im Zuge einer Wohnungsdurchsuchung neben den zum Handel bestimmten Betäubungsmitteln sichergestellt werden konnten. Dabei handelte es sich etwa um „ein Buch mit der Aufschrift ‚Adolf Hitler‘“ und um auf einem Mobiltelefon gespeicherte Bilddateien mit Hakenkreuzsymbolen und weiteren auch antisemitischen Inhalten.

b) Diese straferschwerende Bewertung hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.

aa) Grundlage der Strafzumessung sind die Bedeutung der Tat für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der in ihr zutage tretenden persönlichen Schuld des Angeklagten (vgl. BGH, Urteile vom 30. September 1952 - 2 StR 675/51, BGHSt 3, 179, 180; vom 24. Juni 1954 - 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 4. August 1965 - 2 StR 282/65, BGHSt 20, 264, 266; Beschluss vom 20. Juni 2017 ? 4 StR 575/16, NStZ 2017, 577). Zwar kann auch die Gesinnung des Täters bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (§ 46 Abs. 2 StGB). Dies gilt aber nur, wenn diese aus der Tat spricht, mit ihr also in einem inneren Zusammenhang steht (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 1979 - 4 StR 606/78, NJW 1979, 1835; LK/Schneider, 13. Aufl., § 46 Rn. 88). Ein außerhalb der Tatausführung liegendes Verhalten und die Lebensführung des Angeklagten müssen - um eine strafschärfende Bewertung zu eröffnen - mit der Straftat zusammenhängen, auf diese Weise Schlüsse auf ihren Unrechtsgehalt zulassen oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewähren (vgl. BGH, Urteile vom 24. Juni 1954 - 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; vom 26. Juli 1983 - 1 StR 447/83, StV 1984, 21).

Nichts anderes gilt für die mit den Gesetzen zur Umsetzung von Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. Juni 2015 (BGBl. I S. 925) und zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 30. März 2021 (BGBl. I S. 441) in § 46 Abs. 2 StGB näher benannten rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe und Ziele des Täters. Zwar sollte die Bedeutung dieser Umstände für die gerichtliche Strafzumessung durch ihre gesetzliche Erwähnung stärker hervorgehoben werden und die Aufgabe des Strafrechts widerspiegeln, insbesondere zu Zwecken der positiven Generalprävention, für das Gemeinwesen grundlegende Wertungen zu dokumentieren und zu bekräftigen (vgl. BT-Drucks. 18/3007, S. 7; LK/Schneider, aaO, Rn. 77 ff. mwN; krit. - weil lediglich deklaratorischer Natur - etwa SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 46 Rn. 96; SK-StGB/Horn/Wolters, 9. Aufl., § 46 Rn. 132). Der schon vom Schuldgrundsatz eingeforderte innere Zusammenhang zur Tat ist aber auch hier zwingend (vgl. LK/Schneider, aaO, § 46 Rn. 80; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 46 Rn. 15c; SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 46 Rn. 99).

bb) Die deshalb notwendige tatschulderhöhende Beziehung der Gesinnung des Angeklagten zur Tat hat das Landgericht nicht dargelegt. Eine solche ergibt sich - anders als möglicherweise bei Aggressions- und Gewaltdelikten - auch nicht ohne Weiteres aus dem Tatbild des festgestellten Betäubungsmittel- bzw. Straßenverkehrsdelikts.

cc) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer - zumindest auch - insoweit auf das Vorleben des Angeklagten (§ 46 Abs. 2 StGB) in rechtsfehlerfreier Weise abgestellt hat.

(1) Zwar ist es zulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte weitere nicht abgeurteilte Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 1981 - 3 StR 83/81, BGHSt 30, 165). Voraussetzung dafür ist aber, dass diese prozessordnungsgemäß festgestellt (vgl. Bruns/Güntge, Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl., Teil 4 Kapitel 14 Rn. 19; Schäfer/Sander/von Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 653, 666) und dadurch in ihrem wesentlichen Unwertgehalt abzuschätzen sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, Rn. 22; Beschluss vom 7. Januar 2015 - 2 StR 259/14, NStZ 2015, 450).

(2) Ob und mit welchem Ergebnis das Landgericht die sichergestellten Gegenstände strafrechtlich bewertet hat, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Auch in ihrer Gesamtschau belegen diese nicht, dass der Angeklagte damit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zum Zwecke des Verbreitens (§ 86 StGB) vorrätig hielt (vgl. im Einzelnen MüKo-StGB/Anstötz, 4. Aufl., § 86 Rn. 32 mwN).

(3) Vielmehr steht die Wertung, der Angeklagte weise eine „komplexe Disposition“ zum Normbruch auf, in einem durch das Landgericht nicht aufgelösten Widerspruch zu seinem bisher straffreien Vorleben (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1979 - 4 StR 517/79, JR 1980, 335).

c) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne die beanstandete Erwägung auf niedrigere Strafen erkannt hätte (§ 337 Satz 1 StPO).

2. Auch die Einziehungsentscheidung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Soweit die Strafkammer neben dem beim Angeklagten sichergestellten Marihuana (§ 33 BtMG) auch 110,265 g Koffein eingezogen hat, tragen die Urteilsfeststellungen die Voraussetzungen des § 74 Satz 1 StGB nicht. Die Strafkammer hat konkrete Feststellungen zum Einsatz des Koffeins nicht getroffen, sondern lediglich mitgeteilt, dass dieses „mutmaßlich zur Streckung anderer Betäubungsmittel bestimmt war“. Den Urteilsgründen kann auch unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs kein zuverlässiger Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass dieser Einziehungsgegenstand zur Tatausführung bestimmt war.

3. Bei den hier vorliegenden Wertungsfehlern bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen. Das neue Tatgericht wird über die Strafe und den Umfang der Einziehung nach § 74 StGB auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zu entscheiden haben, die freilich um solche ergänzt werden dürfen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 408

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede