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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 161

Bearbeiter: Fabian Afshar

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 230/22, Beschluss v. 30.11.2022, HRRS 2023 Nr. 161


BGH 3 StR 230/22 - Beschluss vom 30. November 2022 (OLG Frankfurt am Main)

BGHSt; Beteiligung am Völkermord (Völkermordabsicht; schwere körperliche oder seelische Schäden; Eignung der Handlung zur Erfolgsherbeiführung; Konkurrenzen); Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Konkurrenzen); Kriegsverbrechen gegen Personen (Anforderungen an sukzessive Beihilfe; Konkurrenzen).

§ 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB; § 7 Abs. 1 VStGB; § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB; § 27 StGB; 52 StGB; § 220a StGB aF; § 226 Abs. 1 StGB

Leitsätze

1. Schwere körperliche oder seelische Schäden im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB und des § 7 Abs. 1 Nr. 8 VStGB sind solche, die eine gravierende und langanhaltende Beeinträchtigung der Fähigkeit des Mitglieds der geschützten Gruppe zur Folge haben, ein normales und konstruktives Leben zu führen. (BGHSt)

2. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann einen Individualgüter schützenden Tatbestand des allgemeinen Strafrechts konkurrenzrechtlich verdrängen. (BGHSt)

3. Die im Katalog des § 7 Abs. 1 VStGB angeführten Begehungsweisen sind rechtlich nicht lediglich als unselbständige Tatmodalitäten eines Tatbestandes, sondern als eigene Tatbestände zu werten. Werden sie durch eine Handlung verwirklicht, stehen sie grundsätzlich im Verhältnis ungleichartiger Tateinheit zueinander. (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. November 2021 dahin geändert, dass er schuldig ist des Völkermordes in Tateinheit mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, Folter, Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden und Freiheitsentziehung jeweils mit Todesfolge sowie mit dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter mit Todesfolge.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die der Neben- und Adhäsionsklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten schuldig gesprochen „des Völkermordes in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge, einem Kriegsverbrechen gegen Personen mit Todesfolge, Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen in zwei tateinheitlichen Fällen sowie Körperverletzung mit Todesfolge“. Es hat ihn deswegen mit lebenslanger Freiheitsstrafe belegt. Ferner hat es den Maßstab für die Anrechnung ausländischer Auslieferungshaft bestimmt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten, die er auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt, führt mit der Sachbeschwerde zu der aus Ziffer 1 der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

A.

I. Das Oberlandesgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die in den syrischen und irakischen Bürgerkriegsgebieten militärisch aktive terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) verfolgte in ihrem Streben, ein weltumspannendes islamisches Kalifat zu errichten, die überwiegend in dem Gebiet um das Sindschar-Gebirge im Norden des Iraks lebende Minderheit der Jesiden. Um die vollständige Vernichtung der jesidischen Religion, des Jesidentums als solches und seiner Angehörigen zu erreichen, führten IS-Kämpfer in der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 gegen die in der Sindschar-Region ansässigen Mitglieder der Gruppe einen zentral geplanten, organisierten und koordinierten militärischen Angriff durch. In der Folgezeit zwang der IS männliche Jesiden, zum Islam zu konvertieren, nötigte sie zur Zwangsarbeit, versklavte jesidische Frauen und Mädchen und richtete Mitglieder der Religionsgemeinschaft massenhaft hin.

Der Angeklagte, der das Vorgehen des IS gegen die religiöse Gruppe der Jesiden guthieß, hielt sich mindestens seit März 2015 im syrischen R. auf und betätigte sich dort als Leiter des IS-Büros für „Ru. “, einer religiösen Praxis der Geisteraustreibung zur Heilung von Leiden. Im Juni 2015 kaufte er zwei Jesidinnen als Sklavinnen, die Nebenklägerin und deren am 5. Juni 2010 geborene Tochter Re. Sie waren im Rahmen des militärischen Angriffs auf die Sindschar-Region im Sommer 2014 von Mitgliedern des IS gefangengenommen worden. Etwa zwei Wochen nach dem Kauf verbrachte der Angeklagte sie aus Syrien in den Irak nach F. Dort zwang er sie über mehrere Wochen zum Aufenthalt, die Nebenklägerin darüber hinaus zur Tätigkeit in seinem Haushalt, den er mit der ihm nach islamischem Ritus angetrauten Frau unterhielt. Die zwei Jesidinnen unterstanden den Anweisungen des Angeklagten. Er bestimmte vollständig über ihr Leben, untersagte ihnen, das Anwesen zu verlassen, teilte ihnen zu wenig Nahrung zu, zwang sie zu regelmäßigen islamischen Gebetsriten und misshandelte sie täglich, um sie zu disziplinieren und gefügig zu halten. Infolgedessen lebten sie in ständiger Angst vor ihm.

Unter den vom Angeklagten diktierten Lebensbedingungen und seiner Behandlung litten die Nebenklägerin und Re. sowohl physisch als auch psychisch in großem Ausmaß. Durch die bei ihnen verursachten gravierenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen wollte er im Sinne der IS-Ideologie zielgerichtet einen Beitrag dazu leisten, zur Errichtung eines islamischen Kalifats die jesidische Religion, das Jesidentum als solches und dessen - aus seiner Sicht wertlose - Angehörige zu vernichten.

An einem Tag im August oder September 2015 forderte der Angeklagte die Nebenklägerin zur Mittagszeit auf, sich barfuß auf den Steinboden des hausumgebenden Hofs in die Sonne zu stellen. In F. herrschten zu dieser Zeit Tageshöchsttemperaturen von bis zu 51 Grad Celsius im Schatten. Auf Geheiß des Angeklagten begab sich die Nebenklägerin nach einer Weile zurück ins Haus und wandte sich anweisungsgemäß wieder Putzarbeiten zu. Der Angeklagte war indes wütend, weil Re. krankheitsbedingt auf eine Matratze uriniert hatte. Um nun auch die Fünfjährige zu bestrafen und zu disziplinieren, fesselte er sie mit ihren Händen in Kopfhöhe an das im Hof befindliche Außengitter des Wohnzimmerfensters. Das somit bewegungsunfähige Mädchen war direkter Sonneneinstrahlung ausgesetzt. Nach dessen Fixierung kehrte der Angeklagte ins Haus zurück. Als er sich nach einiger Zeit wieder in den Hof begab, band er Re. los, die zwischenzeitlich einen Hitzschlag erlitten hatte. Wie er hätte vorhersehen können, war sie daran entweder bereits verstorben oder verstarb in der unmittelbaren Folgezeit.

II. Das Oberlandesgericht hat diese Feststellungen unter Absehen von der Verfolgung anderer Straftaten als derjenigen nach dem Völkerstrafgesetzbuch und als Körperverletzung mit Todesfolge (§ 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO) rechtlich wie folgt gewürdigt:

Der Angeklagte habe sich wegen Völkermordes gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB strafbar gemacht, indem er in der Absicht, die religiöse Gruppe der Jesiden als solche zu zerstören, wissentlich und willentlich der Tochter der Nebenklägerin - ungeachtet des nur fahrlässig herbeigeführten Todes - schwere körperliche Schäden und dieser selbst schwere seelische Schäden zugefügt habe. Zudem habe er rechtswidrig und schuldhaft den Tatbestand eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge nach § 7 Abs. 1 und 3 VStGB verwirklicht; sein Verhalten, das sich in den ausgedehnten und systematischen Angriff des IS auf die jesidische Zivilbevölkerung eingefügt habe, erfülle im Hinblick auf beide Opfer die folgenden Merkmale aus dem Katalog des Absatzes 1: „Versklavung und Menschenhandel“ (Nr. 3), Folter (Nr. 5), „Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden“ (Nr. 8) und „schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit“ (Nr. 9). Hinzu komme die Strafbarkeit wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen mit Todesfolge gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 (Folter), Abs. 4 Satz 1 VStGB und Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen in zwei tateinheitlichen Fällen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 6 („Vertreibung oder zwangsweise Überführung“), § 2 VStGB, § 27 Abs. 1, § 52 StGB. Denn der Angeklagte habe im Zusammenhang mit dem damals in Syrien und dem Irak stattfindenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikt zwei nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen (§ 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB) nicht nur grausam und unmenschlich behandelt, sondern durch deren zwangsweises Verbringen nach F. auch die vom IS geübte Praxis der Vertreibung und Überführung jesidischer Frauen und Mädchen gefördert, indem er sie in Bezug auf die Nebenklägerin und ihre Tochter vertieft habe. Schließlich sei er der Körperverletzung mit Todesfolge nach § 223 Abs. 1, § 227 Abs. 1 StGB zum Nachteil von Re. schuldig. Der Völkermord, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die zwei Kriegsverbrechen gegen Personen und die Straftat nach dem allgemeinen Strafrecht stünden zueinander ebenfalls im Verhältnis der Tateinheit.

B.

I. Die Verfahrensrügen versagen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen.

II. Die auf die Sachbeschwerde veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils führt lediglich zur Änderung des Schuldspruchs. Auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte schuldig des Völkermordes in Tateinheit mit den Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung, Folter, Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden und Freiheitsentziehung jeweils mit Todesfolge sowie mit dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Folter mit Todesfolge, nicht dagegen der Beihilfe zu dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung in zwei tateinheitlichen Fällen sowie der Körperverletzung mit Todesfolge. Im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler auf. Der Strafausspruch bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Völkermordes nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB, Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge nach § 7 Abs. 1 Nr. 3, 5, 8 und 9 jeweils i.V.m. Abs. 3 VStGB und eines Kriegsverbrechens gegen Personen mit Todesfolge nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 VStGB hält - mit Ausnahme der konkurrenzrechtlichen Beurteilung (dazu unten 3.) - der Nachprüfung stand. Der näheren Erörterung bedürfen insoweit nur die mit der Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden begründete Strafbarkeit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB und § 7 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 VStGB.

a) Der Angeklagte ist des Völkermordes schuldig. Zwar verwirklichte er nicht die Tatbestandsvariante des § 6 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, da nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen Re. s Tötung nicht gemäß § 2 VStGB, § 15 StGB vom Vorsatz des Angeklagten umfasst war (vgl. MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 70; MüKoStGB/Weigend/Kuhli, 4. Aufl., § 2 VStGB Rn. 8), jedoch diejenige des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB. Diese Tatmodalität liegt vor, wenn der Täter einem Mitglied der nationalen, rassischen, religiösen oder ethnischen Gruppe, die er als solche ganz oder teilweise zu zerstören beabsichtigt, schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 StGB bezeichneten Art, zufügt. Nach den Urteilsfeststellungen sind diese Voraussetzungen erfüllt.

aa) Der Angeklagte handelte mit der notwendigen eigenen Völkermordabsicht.

Die unter § 6 Abs. 1 VStGB fallenden einzelnen objektiven Tatmodalitäten erhalten ihren besonderen Unrechtsgehalt als Völkermord erst durch die von dieser Vorschrift vorausgesetzte Absicht, eine der geschützten Gruppen als solche ganz oder teilweise zu zerstören (zu § 220a StGB aF s. BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 86). Der erstrebte Erfolg muss durch die entsprechende Täterabsicht im Subjektiven gleichsam als überschießende Innentendenz vorweg erfasst werden (zu § 220a StGB aF s. BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00, BGHSt 46, 292, 295). Dieses subjektive Unrechtsmerkmal setzt voraus, dass es dem Täter selbst im Sinne eines zielgerichteten Wollens auf die vollständige oder teilweise Zerstörung der Gruppe zumindest in ihrer sozialen Existenz ankommt (s. BGH, Urteil vom 21. Mai 2015 - 3 StR 575/14, BGHR VStGB § 6 Absicht 1 Rn. 13; zu § 220a StGB aF BGH, Beschluss vom 21. Februar 2001 - 3 StR 244/00, BGHR StGB § 220a Absicht 1; ferner BGH, Beschluss vom 29. August 1996 - AK 30/96, BGHR StGB § 220a Tatverdacht 2). Ausreichend ist, wenn der von ihm erstrebte Erfolg sein Zwischenziel bildet; die Zerstörung muss für ihn weder Endziel noch Triebfeder, Beweggrund oder Motiv sein (s. BGH, Urteil vom 21. Mai 2015 - 3 StR 575/14, BGHR VStGB § 6 Absicht 1 Rn. 16).

Das Oberlandesgericht hat seiner Entscheidung diese rechtlichen Maßstäbe zugrunde gelegt. Es hat im Einzelnen festgestellt und belegt, dass der Angeklagte bei den vom ihm gegen die Nebenklägerin und deren Tochter vorgenommenen Handlungen seinerseits im Sinne der IS-Ideologie zielgerichtet die abgrenzbare religiöse Gruppe der Jesiden als solche - die jesidische Religion, das Jesidentum sowie seine Angehörigen - vernichten wollte und sich dieser Wille „motivational als prägend“ darstellte. Wie ausgeführt, ist unschädlich, dass es sich dabei nach den Urteilsfeststellungen nur um ein Zwischenziel des Angeklagten handelte und er im Sinne der IS-Ideologie das Endziel verfolgte, ein islamisches Kalifat zu errichten, in dem „Abtrünnigen“ - wie Jesiden - anders als „Schriftbesitzern“ - wie Juden und Christen - prinzipiell kein Existenzrecht zustehen sollte.

bb) Der Angeklagte fügte jeweils wissentlich und willentlich der Fünfjährigen zumindest schwere körperliche und der Nebenklägerin jedenfalls schwere seelische Schäden zu.

(1) Unter bei dem Mitglied der geschützten Gruppe eingetretenen schweren Schäden im Sinne der Tatmodalität des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB sind solche zu verstehen, die eine gravierende und langanhaltende Beeinträchtigung der Fähigkeit dieses Menschen zur Folge haben, ein normales und konstruktives Leben zu führen („that results in a grave and longterm disadvantage to a person's ability to lead a normal and constructive life“ [JStGH, Urteile vom 2. August 2001 - IT-98-33-T - Krstic, Rn. 513; vom 8. April 2015 - IT-05-88/2-A - Tolimir, Rn. 201 f., 215; vom 24. März 2016 - IT-95-5/18-T - Karadzic, Rn. 543]). Physische oder psychische Verletzungsfolgen der in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten Art sind nicht erforderlich; allerdings gibt die Bezugnahme auf den Tatbestand der schweren Körperverletzung einen Hinweis auf das notwendige Gewicht der durch die Verletzungshandlung verursachten körperlichen oder gesundheitlichen Nachteile. Diesem Verständnis liegen folgende Erwägungen zugrunde:

(a) Die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB entspricht weitgehend der bis zum 29. Juni 2022 gültigen Vorgängerregelung des § 220a Abs. 1 Nr. 2 StGB. Der Gesetzeswortlaut wurde lediglich - klarstellend (vgl. zu § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 70; ferner Gropengießer/Kreicker in Eser/Kreicker [Hrsg.], Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, 2003, S. 99, 101; MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 49, 52) - insoweit geändert, als der Plural „Mitgliedern“ durch den Singular „einem Mitglied“ ersetzt wurde.

§ 220a StGB war durch das Gesetz vom 9. August 1954 (BGBl. II S. 729) über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (BGBl. 1954 II S. 730 ff.) in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Dabei hatte sich der Gesetzgeber bewusst für eine grundsätzlich enge Anlehnung des Wortlauts der neu geschaffenen Regelung an Art. II der Völkermordkonvention entschieden, in dem die objektiven und subjektiven Merkmale des völkerstrafrechtlichen Verbrechens des Genozids tatbestandlich umschrieben sind (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 79 mwN; MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 26, 28). Diese völkerrechtliche Vertragsnorm benennt als eine der erfassten Handlungen, „die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“, - unter (b) - die „Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe“.

Allerdings hatte der Regierungsentwurf vom 23. Dezember 1953 zum Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Völkermordkonvention für die zweite Tatmodalität in Absatz 1 des geplanten § 220a StGB noch den Wortlaut vorgesehen: „Mitgliedern der Gruppe Körperschäden der in § 224 (StGB aF) bezeichneten Art zufügt“. Die Angleichung an die damalige Strafvorschrift über die schwere Körperverletzung hatte das Ziel verfolgt, den Tatbestand des Völkermordes möglichst präzise zu fassen und eine einheitliche Auslegung schwerer Verletzungsfolgen im Strafgesetzbuch zu gewährleisten (BT-Drucks. II/162 S. 2, 4). Erst aufgrund der Beratung des Bundestagsausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht am 3. Mai 1954 hatte die zweite Tatmodalität des § 220a Abs. 1 StGB die Fassung erhalten, die der aktuell gültigen Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB entspricht. Der Grund hierfür war, dass nach Ansicht der Sitzungsteilnehmer der Tatbestand der schweren Körperverletzung (allein) die schweren seelischen Schäden nicht vollständig abdeckte. Deshalb bezogen die Ausschussmitglieder - entgegen dem Wortlaut des einstimmig gebilligten Gesetzesvorschlags - den Zusatz „insbesondere“ ausschließlich auf die psychischen Beeinträchtigungen (vgl. Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 16. Ausschuß, Protokoll Nr. 13 [13. Sitzung am 3. Mai 1954], S. 12 f.; MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 50 f.).

Ob sich aus dieser Gesetzgebungsgeschichte Folgen für die Auslegung der schweren körperlichen und seelischen Schäden im Sinne des § 220a Abs. 1 Nr. 2 StGB aF ergeben, kann indes dahingestellt bleiben. Ebenso wenig von Bedeutung ist, ob dem zu Straftaten des Völkermordes im ehemaligen Jugoslawien ergangenen Urteil des Senats vom 20. April 1999 (3 StR 215/98, BGHSt 45, 64) ein einheitliches Verständnis der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift und des § 224 Abs. 1 StGB aF entnommen werden könnte (vgl. aaO, S. 84).

(b) Denn jedenfalls seitdem § 220a StGB aF durch § 6 VStGB ersetzt wurde, ist eine den Gesetzeswortlaut einschränkende Interpretation nicht mehr zu rechtfertigen. Eine Auslegung, nach der schwere (körperliche) Schäden im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 nur vorliegen, wenn es sich um Verletzungsfolgen der in § 226 Abs. 1 StGB bezeichneten Art handelt, liefe dem Willen des Gesetzgebers bei Einführung des Völkerstrafgesetzbuches zuwider.

Mit diesem weitgehend eigenständigen Regelungswerk sollten die Strafvorschriften des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut) umgesetzt werden. Hierdurch sollte sichergestellt werden, dass die Bundesrepublik Deutschland stets in der Lage ist, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) fallenden Verbrechen selbst zu verfolgen. In der Orientierung an den Strafvorschriften des IStGH-Statuts einschließlich der dazu formulierten sog. Verbrechenselemente („elements of crimes“) sah der Gesetzgeber einen wesentlichen Schritt zur Umsetzung gesicherten Völkergewohnheitsrechts in nationales Recht; denn er betrachtete den gewohnheitsrechtlich verfestigten Bestand des Völkerstrafrechts im Wesentlichen als im IStGH-Statut festgeschrieben. Deshalb wollte er einen Gleichlauf der deutschen Rechtslage mit dem IStGH-Statut, seinen Verbrechenselementen und seiner Auslegung durch den IStGH unter Berücksichtigung der Rechtsprechung anderer internationaler Strafgerichte herbeiführen (vgl. BT-Drucks. 14/8524 S. 12 f.; BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 19; Werle/Epik, JZ 2018, 261, 262; aA Berster, ZIS 2017, 264, 265).

Für die mit Art. 6 Buchst. b IStGH-Statut inhaltsgleiche Regelung des Art. 4 Nr. 2 Buchst. b des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (JStGH-Statut) ist anerkannt, dass körperliche und seelische Schäden als schwer einzustufen sind, wenn sie eine gravierende und langanhaltende Beeinträchtigung der Fähigkeit der geschädigten Person zur Folge haben, ein normales und konstruktives Leben zu führen („that results in a grave and longterm disadvantage to a person's ability to lead a normal and constructive life“ [JStGH, Urteile vom 2. August 2001 - IT-98-33-T - Krstic, Rn. 513; vom 8. April 2015 - IT-05-88/2-A - Tolimir, Rn. 201 f., 215; vom 24. März 2016 - IT-95-5/18-T - Karadzic, Rn. 543]). Ähnlich ist dies für den ebenfalls gleichlautenden Art. 2 Nr. 2 Buchst. b des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (RStGH-Statut) entschieden (vgl. RStGH, Urteil vom 12. September 2006 - ICTR-00-55AT - Muvunyi, Rn. 487). Ein bloß vorübergehender gesundheitlicher Nachteil genügt danach nicht, wenngleich er nicht dauerhaft oder irreversibel sein muss (so RStGH, Urteile vom 2. September 1998 - ICTR-96-4-T - Akayesu, Rn. 502; vom 21. Mai 1999 - ICTR-95-1-T - Kayishema et al., Rn. 110; vom 12. März 2008 - ICTR-01-66-A - Seromba, Rn. 46; zum Ganzen Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 897 mwN).

Die Übernahme dieser Definition aus dem internationalen Völkerstrafrecht für die Tatbestandsvariante des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB erweist sich nach der mit der Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs verbundenen gesetzgeberischen Intention als sachgerecht (ebenso MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB, Rn. 50). Für ein solches gegenüber § 226 Abs. 1 StGB weiteres Verständnis dieser Tatmodalität spricht zudem, dass die Tatbestandsvariante des Art. 6 Buchst. b IStGH-Statut in einer Fußnote der Verbrechenselemente dahin erläutert wird, dass das Zufügen schwerer körperlicher und seelischer Schäden eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung („inhuman or degrading treatment“) einschließen kann. Die Verbrechenselemente sind zwar nicht rechtsverbindlich, dienen aber nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 IStGH-Statut zur Auslegung der in Art. 6, 7, 8 und 8bis IStGH-Statut normierten Straftaten (vgl. dazu Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 235 ff.). Sie können auch im deutschen Recht als Anwendungshilfen herangezogen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2016 - StB 27/16, BGHR VStGB § 8 Abs. 1 Nr. 9 Zu schützende Person 1 Rn. 22; Werle/Epik, JZ 2018, 261, 262; kritisch Ambos, NJW 2017, 3672).

(2) Das Oberlandesgericht hat seiner rechtlichen Würdigung das dargelegte Verständnis der Merkmale des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB zugrunde gelegt und zutreffend angenommen, dass der Angeklagte vorsätzlich handelnd schwere körperliche Schäden bei Re. und schwere seelische Schäden bei der Nebenklägerin verursachte.

Die physischen Beeinträchtigungen der fünfjährigen Tochter der Nebenklägerin waren Folge fortgesetzter Züchtigungen über mehrere Wochen hinweg, indem der Angeklagte ihr unter anderem täglich Schläge versetzte. Die Tätlichkeiten waren mitunter derart massiv, dass das Mädchen einige Tage das Bett hüten musste. Zuletzt setzte der Angeklagte die Fünfjährige in der Mittagshitze gefesselt mit den Armen rechts und links in Kopfhöhe direkter Sonneneinstrahlung aus, was - ungeachtet des nicht vorsätzlich verursachten Todes - sehr ernste Folgen für ihre Gesundheit hatte. Hinzu kam, dass er dem in der körperlichen Entwicklung begriffenen Kind zu wenig Nahrung zuteilte und es somit fortwährend hungern ließ. Die Beeinträchtigungen waren nicht bloß vorübergehender Natur, vielmehr auf unbestimmte Dauer angelegt und hielten bereits eine ganz erhebliche Zeitspanne an.

Die psychischen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin selbst wurden nicht nur durch ihre eigenen vom Angeklagten über mehrere Wochen hinweg diktierten - von Gewalt, Freiheitsentzug, Arbeits-, Gebetszwang, Mangel und Angst gekennzeichneten - Lebensbedingungen verursacht, sondern insbesondere dadurch, dass sie das Leiden ihrer Tochter ertragen musste, ohne dem Einhalt gebieten zu können. So nässte die Nebenklägerin bei einer Gelegenheit nach gegen das Mädchen und sie gerichteten Schlägen ein. Bei einer anderen Gelegenheit drohte der Angeklagte mit dem Tod des Kindes. Nachdem es den Hitzschlag erlitten hatte, versagte er der Mutter, es in das Krankenhaus zu begleiten. Über den Verbleib des Leichnams ließ er sie im Ungewissen. Die Nebenklägerin bedarf noch heute psychologischer Betreuung.

Nach alledem sind die vom Vorsatz des Angeklagten umfassten bei Re. hervorgerufenen körperlichen und bei der Nebenklägerin entstandenen seelischen Schäden als schwer einzustufen, weil sie, wie er wusste, bei der Fähigkeit, ein normales und konstruktives Leben zu führen, gravierend und langanhaltend beeinträchtigten. In Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht ist der Schweregrad zudem als mit den Auswirkungen von Verletzungsfolgen im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB vergleichbar zu werten.

cc) Es spricht vieles dafür, dass die Tatbestandsvariante des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB neben der Völkermordabsicht ein Element der objektiven Eignung zur Herbeiführung des beabsichtigten Erfolgs enthält. Ein derartiges ungeschriebenes Merkmal wäre dahin zu definieren, dass das schadensverursachende Handeln des Täters entweder geeignet ist, die vollständige oder teilweise Zerstörung der Gruppe als solche zu bewirken, oder im Zusammenhang mit einem deutlich erkennbaren Muster ähnlicher gegen die Gruppe gerichteter Handlungen anderer steht und sich das Gesamtvorgehen zu dieser Zerstörung eignet. Ob es dieser einschränkenden Interpretation des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB bedarf, kann hier letztlich dahinstehen. Denn zum einen werden diese Voraussetzungen in der zweiten Alternative durch die Urteilsfeststellungen belegt; zum anderen sind an ein solches objektives Element jedenfalls keine weitergehenden Anforderungen zu stellen. Im Einzelnen:

(1) Das Erfordernis der tatsächlichen Eignung zur Erfolgsherbeiführung kann den Verbrechenselementen zu Art. 6 IStGH-Statut entnommen werden, zumal die Begründung des von der Bundesregierung vorgelegten Entwurfs des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches hinsichtlich des Tatbestands des § 6 VStGB ausdrücklich auf diese Regelungen Bezug nimmt (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 19).

Nach Ziffer 4 der Verbrechenselemente zu Art. 6 Buchst. b IStGH-Statut ist Bestandteil des Völkermordes durch Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden, dass das zu beurteilende Verhalten im Zusammenhang mit einem deutlich erkennbaren Muster ähnlicher gegen die Gruppe gerichteter Verhaltensweisen stand oder seinerseits ihre - an anderer Stelle näher bestimmte - Zerstörung bewirken konnte („took place in the context of a manifest pattern of similar conduct directed against that group or ... could itself effect such destruction“). Dies legt es nahe, dass die internationale Strafvorschrift nicht zur Anwendung kommen soll, wenn das Handeln des Täters sowohl für sich gesehen als auch in Verbindung mit gleichgelagerten Handlungen anderer von vorneherein ungeeignet ist, den beabsichtigten Erfolg herbeizuführen.

(2) Dass das Verbrechen des Genozids ein ungeschriebenes Merkmal betreffend das objektive Verhältnis der Zufügung schwerer Schäden zur beabsichtigten (Teil-)Zerstörung der Gruppe umfasst, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (JStGH), des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (RStGH) und des Internationalen Gerichtshofs (IGH).

Der JStGH und der RStGH haben ein derartiges Erfordernis grundsätzlich anerkannt. In den einzelnen Judikaten ist es allerdings nicht einheitlich definiert. So wird einerseits die notwendige Qualität der verursachten Schäden - ähnlich einem Urteil des IGH vom 3. Februar 2015 (Kroatien v. Serbien, I.C.J. Reports 2015, 3 Rn. 157) - dahin beschrieben, dass sie zur Zerstörung der Gruppe oder eines Teils von ihr beitragen oder beizutragen vermögen („to contribute or tend to contribute to the destruction of the group or part thereof“ [JStGH, Urteile vom 27. September 2006 - IT-00-39-T - Krajsnik, Rn. 862; vom 12. Dezember 2012 - IT-05-88/2-T - Tolimir, Rn. 738; vgl. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 897]). Andererseits findet sich die - auf Arbeiten der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zurückgehende (Yearbook of the International Law Commission 1996, Volume II, Part 2 [YILC 1996 II-2], S. 46 Nr. 14) - Formulierung, die den Mitgliedern zugefügten Schäden müssten so schwerwiegend sein, dass die Zerstörung der Gruppe als ganze oder in einem Teil droht („of such a serious nature as to threaten its destruction in whole or in part“ [RStGH, Urteile vom 12. März 2008 - ICTR-01-66-A - Seromba, Rn. 46; vom 20. Dezember 2012 - ICTR-99-54-T - Ngirabatware, Rn. 1326; nahezu identisch JStGH, Urteil vom 8. April 2015 - IT-05-88/2-A - Tolimir, Rn. 212; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 132 mwN; ablehnend Ambos, Treatise on International Criminal Law, Volume II, 2014, S. 12]).

Die Definition in den erstgenannten Entscheidungen kommt dem hier zugrunde gelegten Element der objektiven Eignung zur Erfolgsherbeiführung jedenfalls nahe. Dabei weist der Wortlaut („to contribute or tend to contribute“) darauf hin, dass das Täterverhalten nicht allein maßgebend, vielmehr nach den Umständen des Falls im Kontext mit gleichgerichteten Handlungen anderer zu bewerten ist.

Die letztgenannten Entscheidungen können zwar dahin verstanden werden, dass sie auf die Gefahr des Erfolgseintritts („to threaten“) abstellen (so Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 132). Ein solches Kriterium stimmte indes im Wesentlichen mit dem Element der Eignung überein. Denn ist ein Geschehen zur Erfolgsherbeiführung geeignet, wird, wenn es tatsächlich stattgefunden hat, regelmäßig auch ein entsprechendes Risiko bestehen. Dahinstehen kann, ob der betreffenden von den internationalen Strafgerichten gewählten Formulierung ein Verständnis zugrunde liegt, wonach es im Rahmen der Beurteilung einer solchen Zerstörungsgefahr lediglich auf das isoliert zu betrachtende Verhalten des Täters ankommen soll. Aus ihnen ergibt sich eine derartige Auslegung des JStGH- und des RStGH-Statuts nicht ohne Weiteres. Jedenfalls wäre sie für die Tatbestandsvariante des § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB nicht maßgebend (ebenso MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 VStGB Rn. 50).

(3) Das der Nebenklägerin und Re. schwere Schäden zufügende Handeln des Angeklagten war in Verbindung mit gleichgelagerten Handlungen anderer IS-Mitglieder geeignet, die religiöse Gruppe der Kurden jesidischen Glaubens zu vernichten.

Nach den Urteilsfeststellungen fügte sich die Tat des Angeklagten in das zentral geplante Vorgehen gegen die in der Sindschar-Region lebenden Jesiden ein. Denn auch die Nebenklägerin und deren Tochter waren bei dem militärischen Angriff gefangengenommen und in der Folgezeit als Sklavinnen verkauft worden. Ihre Versklavung durch den Angeklagten war Grundlage der von ihm vorgenommenen physischen wie psychischen Misshandlungen und Teil des Gesamtgeschehens, das durch die Masse der von einem unbedingten Vernichtungswillen getragenen ähnlichen Verhaltensweisen geprägt war. Gerade die organisierte, zumal mit religiöser Umerziehung verbundene, Versklavung von Frauen und Mädchen diente der Vernichtung der religiösen Minderheit der Jesiden zur Errichtung eines islamischen Kalifats. Insgesamt war das Vorgehen zur Herbeiführung des Erfolgs - der (Teil-)Zerstörung dieser Gruppe als solcher - geeignet.

b) Der Angeklagte ist eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden mit Todesfolge (§ 7 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 VStGB) schuldig.

Da der Angeklagte auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen vorsätzlich der Tochter der Nebenklägerin zumindest schwere körperliche und dieser selbst jedenfalls schwere seelische Schäden zufügte, verwirklichte er aus dem Katalog der Einzeltaten in § 7 Abs. 1 VStGB den Tatbestand der Nummer 8. Der Gesetzgeber griff insoweit bewusst die Fassung der Tatmodalität des Völkermordes nach § 220a Abs. 1 Nr. 2 StGB aF bzw. § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB auf (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 22; Gropengießer/Kreicker in Eser/Kreicker [Hrsg.], Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, 2003, S. 137 f.). Somit ist für dieses Menschlichkeitsverbrechen ebenfalls ausreichend, aber auch erforderlich, dass die beim Verletzten verursachten Schäden eine gravierende und langanhaltende Beeinträchtigung seiner Fähigkeit zur Folge haben, ein normales und konstruktives Leben zu führen (vgl. MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 99 [Verweis auf § 226 StGB nur beispielhaft], 102).

Keiner näheren Darlegung bedarf, dass der IS gegen die in der Sindschar-Region lebende jesidische Zivilbevölkerung einen ausgedehnten und systematischen Angriff führte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157 Rn. 24 ff.; vom 9. Februar 2021 - AK 5/21, juris Rn. 32 f. mwN), das Handeln des Angeklagten funktional in diese Gesamttat eingebunden war (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - AK 43/21, juris Rn. 24 mwN) und für ihn vorhersehbar Re. s Tod zur Folge hatte.

2. Die Verurteilung wegen Beihilfe zu dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung in zwei tateinheitlichen Fällen (§ 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, § 27 Abs. 1, § 52 StGB) und wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 223 Abs. 1, § 227 Abs. 1 StGB) hat hingegen zu entfallen.

a) Der Angeklagte leistete keine - sukzessive - Beihilfe zu dem Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, das IS-Mitglieder zum Nachteil der Nebenklägerin und deren Tochter oder zum Nachteil der Jesiden im Allgemeinen begingen.

aa) Zwar verwirklichten Angehörige der terroristischen Vereinigung rechtswidrig den Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB. Hiernach macht sich strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person (§ 8 Abs. 6 VStGB), die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt.

(1) Die Strafvorschrift beruht auf den Regelungen des Art. 8 Abs. 2 Buchst. a (vii) IStGH-Statut für den internationalen Konflikt und des Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (viii) IStGH-Statut für den nichtinternationalen Konflikt, die der Gesetzgeber unter Beibehaltung ihres sachlichen Gehalts zusammenfasste (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 27). Letztgenannte Rechtsnorm ist aus Art. 17 Abs. 1 Satz 1 des II. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nichtinternationaler bewaffneter Konflikte vom 8. Juni 1977 (BGBl. 1990 II S. 1637; nachfolgend: ZP II) abgeleitet. Hiernach darf die Verlegung der Zivilbevölkerung nicht aus Gründen im Zusammenhang mit einem solchen Konflikt angeordnet werden, sofern dies nicht im Hinblick auf die Sicherheit der betreffenden Bevölkerung oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten ist. Die Regelung ist an den Rechtsgedanken des - für den internationalen bewaffneten Konflikt geltenden - Art. 49 Abs. 1 und 2 des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (BGBl. 1954 II S. 917; fortan: GK IV) angelehnt (s. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1343). § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB stellt allerdings nicht die Anordnung der Verlegung, sondern diese selbst unter Strafe; dabei genügt es, wenn sie auch nur eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person betrifft (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 27; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 4. Aufl., § 8 VStGB Rn. 170, 172; zur Beschränkung des Tatbestands auf Zivilisten in Übereinstimmung mit Art. 147 GK IV vgl. Gropengießer/Kreicker in Eser/Kreicker [Hrsg.], Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, 2003, S. 172).

Als Tathandlung erfasst § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB mit dem Vertreiben und dem zwangsweisen Überführen jede Form des gegen den freien Willen erzwungenen tatsächlichen Verbringens von dem rechtmäßigen Aufenthaltsort an einen anderen (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 20, 27; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 4. Aufl., § 8 VStGB Rn. 173 f.), im Fall des Vertreibens außerhalb des Staatsgebiets, im Fall des Überführens innerhalb desselben (zum internationalen Recht s. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1343). Beide Alternativen erfordern ein Handeln unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG (vgl. MüKoStGB/Geiß/Zimmermann aaO, Rn. 26, 177).

(2) Das Verhalten der IS-Mitglieder bei dem Angriff gegen die in der Sindschar-Region ansässigen Jesiden erfüllt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB.

Nach den Urteilsfeststellungen verschleppte der IS planmäßig jesidische Frauen und Kinder. Unter Androhung von Waffengewalt verbrachte er sie zunächst über Sammelstellen in nicht weit entfernte Gruppenunterkünfte. Sodann verteilte er sie unter Anwendung von Zwang in die von ihm besetzten Gebiete, vorzugsweise nach M. und R. Dabei wurden Frauen und ältere Mädchen bereits direkt von diesen Unterkünften aus als Haushaltsund Sexsklavinnen „vermarktet“; daneben wurden sie über zentrale Sklavenmärkte und Online-Auktionen vermittelt, später überdies privat „gehandelt“. Auch die Nebenklägerin und ihre Tochter Re. waren am 3. August 2014 von IS-Kämpfern in der Sindschar-Region nahe ihrer Heimatstadt gefangengenommen worden. Sie waren von Vereinigungsmitgliedern über verschiedene Aufenthaltsstationen im Irak zwangsweise nach R. verbracht worden. Dort wurden sie mehrfach als Sklavinnen ver- und gekauft, bevor sie schließlich zum Angeklagten kamen.

Bei den jesidischen Zivilisten handelte es sich um nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB (zu den Voraussetzungen s. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 78 ff., 84 ff.; Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, NStZ-RR 2019, 229, 231). Das zwangsweise Verbringen dieser Menschen in andere Gebiete stand im notwendigen funktionalen Zusammenhang mit dem damals im Irak herrschenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272 Rn. 55 mwN; Beschluss vom 17. Oktober 2019 - AK 56/19, juris Rn. 38). Dabei verstieß das Handeln der tatausführenden IS-Mitglieder, für das kein legitimer sachlicher Grund bestand, gegen eine in den Vorschriften des GK IV und des ZP II zum Ausdruck kommende allgemeine Regel des Völkerrechts (vgl. BT-Drucks. 14/8524 S. 21, 27; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 4. Aufl., § 8 VStGB Rn. 179 mwN).

bb) Das Oberlandesgericht hat jedoch keine Feststellungen getroffen, welche seine Wertung tragen, dass der Angeklagte zu diesem Haupttatgeschehen im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB Hilfe leistete.

(1) Indem der Angeklagte die Nebenklägerin und Re. aus Syrien in den Irak nach F. verbrachte, nahm er keinen tauglichen Gehilfenbeitrag durch ein Vertiefen deren Vertreibung vor.

Eine sukzessive Beihilfe durch Förderung der Haupttat nach deren Vollendung, aber vor ihrer materiellen Beendigung (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1952 - 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40, 43 f.; Beschluss vom 5. Mai 2021 - 3 StR 465/20, NStZ-RR 2021, 374 mwN) liegt hier nicht vor. Die Vertreibung der Nebenklägerin und deren Tochter war abgeschlossen, nachdem die IS-Mitglieder sie aus der Sindschar-Region im Irak über die Staatsgrenze hinweg nach Syrien verschleppt hatten. Dass der Angeklagte sie von dort auf irakisches Staatsgebiet zurückführte, vermag die Tathandlung oder den Taterfolg nicht zu vertiefen. Das gilt umso mehr, als F. vom Ort der Gefangennahme nicht erheblich weiter als R. entfernt liegt und nicht dargetan oder sonst ersichtlich ist, dass sich die zwei Jesidinnen rechtmäßig auf syrischem Staatsgebiet aufhielten.

(2) Weder mit diesen oder weiteren gegen die Nebenklägerin und Re. gerichteten Handlungen noch darüber hinaus erbrachte der Angeklagte einen Förderungsbeitrag zu der vom IS im Allgemeinen geübten Vertreibungs- und Überführungspraxis, insbesondere nicht im Wege psychischer Beihilfe (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 - 3 StR 452/20, juris Rn. 33 mwN).

Zwar ist in den Blick zu nehmen, dass bei organisierten Massenverbrechen Adressaten psychisch vermittelter Einwirkung Führungskräfte sein können, welche die Deliktsbegehung anweisen oder dirigieren (s. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, BGHSt 64, 10 Rn. 107). Dies kommt namentlich in Betracht, wenn die Führungspersonen in der Lage sind, für ein von ihnen erwogenes verbrecherisches Unternehmen auf eine feste Struktur aus willigen, gehorsamen und zuverlässigen Befehlsempfängern zurückzugreifen. Deren erkennbare Bereitschaft zu einem bestimmten deliktischen Handeln kann die Entscheidungsträger im Willen zur Anordnung der entsprechenden Straftaten bestärken (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252 Rn. 23 ff.; vom 6. Juni 2019 - StB 14/19, BGHSt 64, 89 Rn. 78). Dass der Angeklagte auf eine solche Art und Weise in die Vertreibungs- und Überführungspraxis, mithin ein System zur praktischen Umsetzung der zentral angeordneten zwangsweisen Verbringung jesidischer Zivilisten, eingebunden gewesen wäre, ist jedoch nicht festgestellt.

b) Die Körperverletzung mit Todesfolge tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter die Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 und 8, Abs. 3 VStGB sowie das Kriegsverbrechen gegen Personen mit Todesfolge nach § 8 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 VStGB zurück (zur Anwendung der §§ 7 und 8 VStGB neben § 6 VStGB s. MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 Rn. 110; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 142 f.; MüKoStGB/Ambos, 4. Aufl., Vor § 8 VStGB Rn. 47). Ob dies auch für den Völkermord gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 VStGB gilt, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. zu § 220a StGB aF BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 85, 91; ferner MüKoStGB/Kreß aaO, Rn. 107).

Nicht nur ein Kriegsverbrechen gegen Personen (s. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 82), sondern auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann einen Individualgüter schützenden Tatbestand des allgemeinen Strafrechts konkurrenzrechtlich verdrängen. Denn unabhängig von der Schutzrichtung des § 6 VStGB (vgl. einerseits BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 81 f. [zu § 220a StGB aF]; Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 48; Gropengießer/Kreicker in Eser/Kreicker [Hrsg.], Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Bd. 1, 2003, S. 96 ff.; andererseits Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 125; MüKoStGB/Kreß, 4. Aufl., § 6 Rn. 1 f.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 870, jeweils mwN) bezweckt § 7 VStGB zumindest auch den Schutz der höchstpersönlichen Rechtsgüter der von den objektiven Tathandlungen betroffenen einzelnen Personen (s. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, aaO, Rn. 45).

Gesetzeseinheit ist gegeben, wenn ein Verhalten zwar mehrere Strafvorschriften erfüllt, zur Erfassung des Unrechtsgehalts der Tat aber die Anwendung bereits einer von ihnen ausreicht, hinter der die übrigen in der Folge zurücktreten (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 29. April 2020 - 3 StR 532/19, NStZ-RR 2020, 243 mwN; ferner BGH, Beschluss vom 11. Juni 2020 - 5 StR 157/20, BGHSt 65, 36 Rn. 19 ff.; Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 82 [zu § 8 VStGB]). So liegt es bei § 223 Abs. 1, § 227 Abs. 1 StGB im Verhältnis zu § 7 Abs. 1 Nr. 5 und 8, Abs. 3 sowie § 8 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 VStGB. Die todesverursachende Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden sowie erheblicher körperlicher oder seelischer Schäden oder Leiden (Folter) im Rahmen des Angriffs auf die Zivilbevölkerung bzw. im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt stellt sich zumindest regelmäßig und typischerweise auch als Körperverletzung mit Todesfolge dar. Ein Ausnahmefall, in dem allein seelische Schäden oder Leiden, die den Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB nicht erfüllen, den Tod des Verletzten zurechenbar zur Folge haben, scheint kaum denkbar und ist für die konkurrenzrechtliche Bewertung zu vernachlässigen.

Für das Recht der Nebenklage ist das Zurücktreten eines Nebenklagedelikts im Sinne des § 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO nicht von Belang, weil der Wirksamkeit der Anschlusserklärung nicht entgegensteht, wenn zwischen dem Offizialdelikt und ihm Gesetzeskonkurrenz besteht (vgl. KK-StPO/Allgayer, 9. Aufl., § 395 Rn. 19 mwN).

3. Im Übrigen sind die Konkurrenzen als Grundlage für die Neufassung des Schuldspruchs wie folgt zu bewerten:

a) Im Hinblick auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge nach § 7 Abs. 1 Nr. 3, 5, 8 und 9, Abs. 3 VStGB stehen die vier vom Angeklagten aus dem Katalog verwirklichten Tatbestände untereinander in ungleichartiger Idealkonkurrenz. Diese Einzeltaten sind daher in die Urteilsformel aufzunehmen; dabei empfiehlt es sich (vgl. § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO), die in der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches angeführten Kurzbezeichnungen zu verwenden: Versklavung, Folter, Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden sowie Freiheitsentziehung (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 20 ff.).

aa) Dass die Katalogtaten des § 7 Abs. 1 VStGB grundsätzlich miteinander idealkonkurrieren, ergibt sich insbesondere aus seiner Schutzrichtung und Deliktsstruktur. Insoweit unterscheidet sich das Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom Völkermord, bei dem die umschriebenen Begehungsweisen keine selbständigen Tatbestände, sondern Tatmodalitäten desselben von der Völkermordabsicht des Täters geprägten Delikts darstellen (s. BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 81 f. [zu § 220a StGB aF]; Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 48).

Von den Einzeltaten, die in Absatz 1 des, wie dargelegt, zumindest auch dem Schutz höchstpersönlicher Rechtsgüter dienenden § 7 VStGB geregelt sind, werden ganz unterschiedliche Individualinteressen erfasst, namentlich Leben, Gesundheit, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung (vgl. MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 1). Danach liegt es, wenngleich beim Menschlichkeitsverbrechen - anders als beim Kriegsverbrechen gegen Personen (s. BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 80) - die allgemeinen Regeln für Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter nicht uneingeschränkt Anwendung finden (s. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 - AK 50/20, StV 2021, 596 Rn. 49), nahe, die Katalogtaten des § 7 Abs. 1 VStGB - wie bei § 8 Abs. 1 VStGB (s. etwa BGH, Beschluss vom 21. September 2020 - StB 28/20, juris Rn. 24) - rechtlich nicht als Tatmodalitäten, sondern als eigene Tatbestände zu werten (vgl. aus jüngerer Zeit BGH, Beschlüsse vom 4. Mai 2022 - AK 17/22, NStZ-RR 2022, 227, 228; vom 12. Oktober 2022 - AK 32/22, juris Rn. 8; ferner MüKoStGB/Werle/Jeßberger aaO, Rn. 144). Hierfür spricht außerdem der nach der gesetzlichen Wertung abgestufte Unrechtsgehalt, der dadurch zum Ausdruck kommt, dass für die Einzeltaten drei verschiedene Strafrahmen vorgesehen sind.

Hinzu kommt, dass die Annahme von Tateinheit der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichte entspricht, wonach die einzelnen Tatvarianten des Menschlichkeitsverbrechens prinzipiell nebeneinander verwirklicht werden können (etwa JStGH, Urteil vom 12. Juni 2002 - IT-96-23 u. IT-96-23/1-A - Kunarac et al., Rn. 179, 186; s. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1121 mwN).

bb) Von diesem Grundsatz ist für die hier erfüllten Tatbestände des § 7 Abs. 1 Nr. 3, 5, 8 und 9 VStGB keine Ausnahme zu machen, weil keiner von ihnen durch einen der anderen verdrängt wird. Das gilt auch für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden: Soweit Art. 7 Abs. 1 Buchst. k IStGH-Statut („andere unmenschliche Handlungen ähnlicher Art“), auf den § 7 Abs. 1 Nr. 8 VStGB zurückgeht (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 22; MüKoStGB/Werle/Jeßberger, 4. Aufl., § 7 VStGB Rn. 98), als subsidiäre Auffangnorm konzipiert wurde (s. Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 219; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl., Rn. 1115, 1122), lässt sich dies nicht auf jene nationale Strafvorschrift übertragen. Denn deren Tatbestand wurde wegen des Bestimmtheitsgebots gemäß Art. 103 Abs. 2 GG bewusst enger als sein internationales Vorbild gefasst (s. BT-Drucks. 14/8524 S. 22); auch er verkörpert infolgedessen einen spezifischen Unwert.

b) Soweit die allgemeinen Regeln für Delikte gegen höchstpersönliche Rechtsgüter anwendbar sind (s. soeben a] aa]), kommt zwar entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts im Fall einer (Teil-)Identität der Ausführungshandlungen zum Nachteil verschiedener Opfer gleichartige Tateinheit auf der Grundlage nur einer materiellrechtlichen Tat in Betracht (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 4. April 2019 - AK 12/19, juris Rn. 60; ferner BGH, Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, BGHSt 65, 286 Rn. 80). Mit Blick auf die Klarheit und Verständlichkeit des Schuldspruchs sieht der Senat aber davon ab, dieses Konkurrenzverhältnis in die Entscheidungsformel aufzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16, NStZ-RR 2016, 274, 275; Urteil vom 28. Januar 2021 - 3 StR 564/19, aaO, Rn. 84).

c) Der Schuldspruch ist entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu ändern. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Das Verschlechterungsverbot nach § 358 StPO hindert die teilweise Verschärfung des Schuldspruchs nicht (s. BGH, Beschluss vom 7. September 2022 - 3 StR 165/22, juris Rn. 30).

4. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Es ist auszuschließen, dass das Oberlandesgericht von der nach § 6 Abs. 1 VStGB als Regelstrafe vorgesehenen lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen und einen minder schweren Fall nach § 6 Abs. 2 VStGB angenommen hätte, wenn es eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen tateinheitlicher Beihilfe zum Kriegsverbrechen gegen Personen durch Vertreibung verneint und die Konkurrenzen zutreffend beurteilt hätte. Die Beihilfetat ist für die Strafrahmenwahl gemessen an der Vielzahl weiterer täterschaftlich verwirklichter schwererer Delikte ersichtlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung gewesen. Das Konkurrenzverhältnis berührt den Unrechts- und Schuldgehalt regelmäßig - wie auch hier - nicht (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juni 2019 - 3 StR 130/19, juris Rn. 9 mwN; vom 3. November 2021 - 3 StR 231/21, juris Rn. 18).

III. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 161

Bearbeiter: Fabian Afshar