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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 789

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 9/22, Urteil v. 22.06.2022, HRRS 2022 Nr. 789


BGH 5 StR 9/22 - Urteil vom 22. Juni 2022 (LG Berlin)

Strafzumessung bei Verurteilung wegen Betäubungsmitteldelikten (Weitertransport ins Ausland kein Strafmilderungsgrund; Beobachtung und Überwachung der Tat).

§ 29 BtMG; § 46 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die Bekämpfung von Rauschgiftdelikten ist - im Interesse des über die deutschen Staatsgrenzen hinausreichenden Schutzes vor Gesundheitsbeeinträchtigungen - ein weltweites Anliegen (vgl. § 6 Nr. 5 StGB). Deshalb stellt der Umstand, dass eingeführtes Rauschgift nicht für den deutschen Markt bestimmt ist, sondern zur Veräußerung im Ausland weitertransportiert wird, keinen Strafmilderungsgrund dar. Dem steht nicht entgegen, dass das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) für die unerlaubte Durchfuhr von Betäubungsmitteln (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 BtMG) eine niedrigere Strafdrohung vorsieht als für die unerlaubte Einfuhr von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. April 2021, soweit es den Angeklagten M. betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in einem Fall in weiterer Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit deren Besitz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Zudem hat die Strafkammer seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist auf den Strafausspruch beschränkt. Zwar wird im Einleitungssatz der Revisionsbegründungsschrift von einer Beschränkung auf den „Rechtsfolgenausspruch (Strafmaß)“ gesprochen. Die Revisionsführerin hat dort im weiteren Verlauf jedoch ausdrücklich klargestellt, dass sich ihr Rechtsmittel nicht gegen die Anordnung der Unterbringung und nicht gegen die Einziehungsentscheidung richtet.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts übernahm der Angeklagte für unbekannt gebliebene Auftraggeber nach deren näherer Weisung in drei Fällen den Transport von Kokain innerhalb des Schengen-Raums, wofür er mit Geld und Kokain zum Eigenkonsum entlohnt wurde. Für die Transporte nutzte er jeweils Pkw, die ihm über ein durch ihn betriebenes Fahrzeugvermietungsunternehmen zur Verfügung standen und in die er spezielle Verstecke hatte einbauen lassen. Aufgrund eines zuvor erhaltenen Hinweises einer Vertrauensperson wurde durch die Ermittlungsbehörden in den Fällen 1 und 2 jeweils der Innenraum der genutzten Fahrzeuge überwacht, in allen Fällen zudem das Telefon des Angeklagten sowie die Standorte der Fahrzeuge mittels GPS-Tracker.

Im Fall 1 erhielt der Angeklagte den Auftrag, mehrere Kilogramm Kokain aus den Niederlanden abzuholen und in die Schweiz zu bringen. Er übernahm am 7. März 2020 in E. (Niederlande) von einer Kontaktperson etwa vier Kilogramm Kokain mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 2.758 g Kokainhydrochlorid. Er überquerte mit den Drogen im Fahrzeug die deutschniederländische Grenze bei K. und fuhr am Vormittag des 8. März 2020 über die Grenze in die Schweiz, wo er die Betäubungsmittel weisungsgemäß nacheinander an drei verschiedenen Orten an Abnehmer übergab.

Im Fall 2 erklärte sich der Angeklagte bereit, Kokain von Schweden nach Dänemark zu transportieren. Er übernahm am 3. Juni 2020 in G. zehn Kilogramm Kokain mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 7.770 g Kokainhydrochlorid und brachte das Rauschgift nach Ko., wo er am selben Abend weisungsgemäß drei Kilogramm an einen unbekannten Abnehmer übergab. Weitere sechs Kilogramm Kokain händigte er am 4. Juni 2020 einem anderen Kunden aus. Das restliche Kilogramm Kokain, für das sich kein Abnehmer gefunden hatte, übergab der Angeklagte schließlich auf Anweisung der schwedischen Hinterleute an einen Ko. er Kontaktmann. Für die Kurierfahrt erhielt er in B. zur Entlohnung 5.000 Euro sowie 200 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 80 Prozent. Letzteres lagerte er für seinen späteren Verbrauch in den Geschäftsräumen seines Unternehmens.

Im Fall 3 übernahm der Angeklagte erneut den Auftrag, Kokain in die Schweiz zu transportieren. Am 9. Juni 2020 erhielt er hierzu in S. (Belgien) fünf Päckchen mit insgesamt 4.992,5 g Kokaingemisch (Wirkstoffmenge: 3.958,6 g Kokainhydrochlorid), die er am selben Abend bei T. über die Grenze nach Deutschland brachte. Dort wurde sein Fahrzeug unter dem Vorwand einer allgemeinen Zollkontrolle durchsucht und das darin versteckte Kokain sichergestellt. Für die Fahrt hatte der Angeklagte vorab als Entlohnung 250 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 80 Prozent erhalten, das er für seinen Eigenkonsum verwenden wollte. Dieses wurde in den Räumen seiner Autovermietung sichergestellt.

2. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten in den Fällen 1 und 3 als Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet, im Fall 3 in weiterer Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Im Fall 2 hat sie eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit deren Besitz angenommen.

3. Die Strafen hat das Landgericht in den Fällen 1 und 3 jeweils dem Regelstrafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG, im Fall 2 demjenigen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen; minder schwere Fälle gemäß § 30 Abs. 2 BtMG und § 29a Abs. 2 BtMG hat es verneint. In der hierzu vorgenommenen Gesamtbewertung hat es strafmildernd berücksichtigt, dass „alle Fahrten jeweils von den Ermittlungsbehörden umfassend überwacht und begleitet“ worden seien und „deren Aufdeckung dadurch von vornherein zu erwarten“ gewesen sei. Im Fall 1 sei es auf diese Weise gelungen, einen Teil der Betäubungsmittel, im Fall 3 sogar die gesamte Lieferung sicherzustellen. Zugunsten des Angeklagten gewertet hat die Strafkammer bei den Fällen 1 und 3 zudem, dass die Einfuhr jeweils nur als zeitlich begrenzte „Durchfuhr“ geplant gewesen sei. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat sie sämtliche schon für die Ablehnung eines minder schweren Falls in Betracht genommenen Umstände erneut in die Bewertung einbezogen und im Fall 1 auf eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten und in den Fällen 2 und 3 jeweils auf eine solche von drei Jahren und drei Monaten erkannt. Diese Einzelstrafen wurden auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren zurückgeführt.

II.

Die Verfahrensrüge erweist sich aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen als unzulässig. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat aber mit der Sachrüge Erfolg. Die Aussprüche zu den Einzelstrafen halten - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteile vom 14. April 2022 - 5 StR 313/21; vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21 mwN) - der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. In den Fällen 1 und 3 hat das Landgericht bei der Strafzumessung zu Unrecht zugunsten des Angeklagten gewertet, dass die Einfuhr der Betäubungsmittel jeweils nur als zeitlich begrenzte „Durchfuhr“ geplant gewesen sei: Die Bekämpfung von Rauschgiftdelikten ist - im Interesse des über die deutschen Staatsgrenzen hinausreichenden Schutzes vor Gesundheitsbeeinträchtigungen - ein weltweites Anliegen (vgl. § 6 Nr. 5 StGB). Der Umstand, dass das eingeführte Rauschgift nicht für den deutschen Markt bestimmt war, sondern in die Schweiz zur dortigen Veräußerung weitertransportiert wurde, stellt deshalb keinen Strafmilderungsgrund dar (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2015 - 5 StR 181/15, NStZ-RR 2016, 16; Beschluss vom 7. Dezember 2016 - 5 StR 476/16; Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., Vor § 29 ff. Rn. 130). Dem steht nicht entgegen, dass das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) für die unerlaubte Durchfuhr von Betäubungsmitteln (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 BtMG) eine niedrigere Strafdrohung vorsieht als für die unerlaubte Einfuhr von und Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 5 und § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG). Damit ist keine Entscheidung dahingehend getroffen, dass Betäubungsmittelstraftaten, die ihre Wirkung im Ausland zeigen, von geringerer Bedeutung und damit auch von geringerer Strafwürdigkeit sind. Dies ergibt sich unter anderem auch daraus, dass Taten mit Auslandsbezug wie die bandenmäßige Ausfuhr von Betäubungsmitteln (§ 30a BtMG) sogar mit einer erheblich erhöhten Mindeststrafe bedroht sind (BGH, Urteil vom 6. September 1995 - 2 StR 378/95).

Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen 1 und 3.

2. Aber auch die Strafzumessung im Fall 2 erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Denn die Strafkammer hat strafmildernd berücksichtigt, dass „alle Fahrten jeweils von den Ermittlungsbehörden umfassend überwacht und begleitet“ worden seien und „deren Aufdeckung dadurch von vornherein zu erwarten“ gewesen sei.

Zwar kann eine engmaschige und lückenlose polizeiliche Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts ein bestimmender Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten sein, dem neben einer Sicherstellung der Drogen eigenes Gewicht zukommt, wenn durch die Überwachungsmaßnahmen eine tatsächliche Gefährdung durch das Rauschgift ausgeschlossen war (BGH, Urteil vom 6. Januar 2022 - 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140; BGH, Beschluss vom 19. August 2020 - 2 StR 257/20, NStZ 2021, 54 mwN). Dieses Gewicht resultiert aus dem Gewinn an Sicherheit, den eine derartige Überwachung schon während der Tatbegehung bewirkt, indem sie bereits von Beginn an die Möglichkeit für eine spätere Sicherstellung schafft und so eine tatsächliche Gefahr für das Rechtsgut der Volksgesundheit ausschließt. Denn insoweit reduziert sie das Handlungsunrecht zusätzlich gegenüber Fällen, in denen eine Sicherstellung trotz fehlender Überwachung letztlich gelingt.

Im Fall 2 ist die Gefahr für das durch die Straftatbestände des BtMG geschützte Rechtsgut dagegen eingetreten, denn eine Sicherstellung der Betäubungsmittel ist nicht erfolgt. Auch sonstige Umstände, die geeignet wären, das Handlungsunrecht herabzusetzen, hat das Landgericht nicht festgestellt.

3. Danach kommt es nicht mehr darauf an, dass die Erwägung, der Wert des Geständnisses des Angeklagten sei auch deswegen als besonders hoch einzuschätzen, da ohne seine Mithilfe bei der Übersetzung eines aufgezeichneten Gesprächs die Übergabe von zwei Kilogramm Kokain „kaum nachweisbar“ gewesen sei, angesichts der Möglichkeit, Sprachsachverständige hinzuzuziehen, verfehlt ist.

4. Da lediglich Wertungsfehler inmitten stehen, können die der Strafzumessung zugrunde liegenden Feststellungen aufrechterhalten werden. Das neu entscheidende Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 789

Bearbeiter: Christian Becker