hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 754

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 195/21, Beschluss v. 24.05.2022, HRRS 2022 Nr. 754


BGH 4 StR 195/21 - Beschluss vom 24. Mai 2022 (LG Paderborn)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (zwei Verteidiger: einheitliches Rechtsmittel, einheitliche Begründungsfrist, Wahrung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten); Handeltreiben mit Betäubungsmittel (Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme: Beschränkung der Beteiligung auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts, Grad des eigenen Interesses am Erfolg, Umfang der Tatbeteiligung, Tatherrschaft, Willen zur Tatherrschaft, Kuriertätigkeit, Mittäterschaft, bloßer Transport von Betäubungsmitteln, faktische Handlungsspielräume).

§ 44 StPO; § 29a BtMG; § 25 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, so kommt es nach der neueren Rechtsprechung darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Maßgeblich sind insoweit insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Haupttat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen. Dabei kann eine Kuriertätigkeit als mittäterschaftliches Handeltreiben einzuordnen sein, wenn der Beteiligte über den reinen Transport hinaus erhebliche Tätigkeiten entfaltet. Beschränkt sich der Tatbeitrag eines Drogenkuriers auf den bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn ihm faktische Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben.

Entscheidungstenor

1. Der Antrag des Angeklagten B. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung von Verfahrensrügen für die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 9. Februar 2020 wird zurückgewiesen.

2. Auf die Revisionen der Angeklagten P., M., R. und B. wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 9. Februar 2020

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten P., M., R. und B. der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig sind;

b) in den Strafaussprüchen zu den Angeklagten P., M., R. und B. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten P., M., R. und B. werden verworfen.

3. Die Revision des Angeklagten Z. gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte Z. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten P., M., R. und B. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und gegen die Angeklagten M. und B. jeweils eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten, gegen den Angeklagten P. eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten und gegen den Angeklagten R. eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Den Angeklagten Z. hat das Landgericht wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge und im Fall der Angeklagten R. und B. zudem auf Verfahrensbeanstandungen gestützten Revisionen. Nach Zustellung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hat der Angeklagte B. gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung von Verfahrensrügen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten B. ist unzulässig. Die Revisionen der Angeklagten P., M., R. und B. haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie ebenso wie die Revision des Angeklagten Z. unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen verpackten die Angeklagten P., M., R. und B. gemeinsam in einer durch den Angeklagten M. sieben Wochen zuvor angemieteten Lagerhalle in W. (Kreis K.) 7.758,8 g Haschisch mit einem Wirkstoffanteil von 1.226,3 g THC, 26.268,9 g Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von 721,6 g THC und 3.982,6 g MDMA mit einem Wirkstoffanteil von 2.996,9 g MDMA-Base in Müllbeutel und verluden sie in einen Pkw Audi A8. Anschließend steuerte der Angeklagte P. mit dem Angeklagten B. als Beifahrer diesen Pkw in Richtung Po. oder L., wo die Drogen entweder an einen nicht feststellbaren Abnehmer übergeben oder von den Angeklagten selbst gewinnbringend weiterverkauft werden sollten. Der Angeklagte R. steuerte einen vom Angeklagten Z. zur Verfügung gestellten Pkw VW T5, in dem sich auch die Angeklagten M. und Z. befanden und der als Begleitfahrzeug die Fahrt absicherte. Nachdem der Audi auf der Flucht vor einer Zollkontrolle einen Reifenschaden erlitten hatte, wurden die Angeklagten P. und B. von dem über Mobiltelefone herbeigerufenen Begleitfahrzeug aufgenommen.

Die Strafkammer konnte keine weiteren Feststellungen zu den näheren Umständen der Lieferung der Betäubungsmittel an den Einladeort, zur geplanten Weitergabe der Betäubungsmittel oder zur Beteiligung der Angeklagten am Gewinn des Geschäfts treffen.

II.

Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten B. ist unzulässig.

1. Die gegen das Urteil des Landgerichts gerichtete Revision des Angeklagten B. hat Rechtsanwalt Kl. mit der ausgeführten Sachrüge und einer Verfahrensbeanstandung zum Beweisantragsrecht rechtzeitig begründet. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat Rechtsanwalt Ra. eine auf die Verletzung von § 137 StPO gestützte Verfahrensrüge erhoben und Ausführungen zur Sachrüge gemacht. Nachdem der Generalbundesanwalt auf die Unzulässigkeit der von Rechtsanwalt Ra. nicht fristgerecht ausgeführten Verfahrensrüge hingewiesen hatte, hat dieser Wiedereinsetzung in den vorigen Stand „wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist“ beantragt.

2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist dahin auszulegen, dass der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein begehrt, um trotz Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist eine Verfahrensrüge anzubringen. Da der Senat bereits aufgrund der rechtzeitigen Sachbeschwerde des weiteren Verteidigers eine umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils vorzunehmen hat, ist die Fristversäumung insoweit ohne Belang (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019 - 3 StR 525/18).

3. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig, weil die Revision des Angeklagten infolge der durch Rechtsanwalt Kl. rechtzeitig erhobenen Verfahrens- und Sachrüge form- und fristgerecht begründet worden ist. Dass der Angeklagte durch zwei Rechtsanwälte verteidigt wird, von denen einer die Sach- und Verfahrensrüge fristgerecht erhoben hat, der andere aber die Frist zur Geltendmachung von Verfahrensbeschwerden versäumt hat, ändert hieran nichts; denn es handelt sich bei der Revision des Angeklagten unabhängig von der Zahl seiner Verteidiger um ein einheitliches Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juli 2019 - 3 StR 498/18). Eine von der Rechtsprechung anerkannte besondere Verfahrenslage, in der die Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensbeanstandungen ausnahmsweise gewährt werden kann, liegt nicht vor. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn dies - anders als hier - zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 ? 3 StR 239/08).

III.

1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht; die Angeklagten P., M., R. und B. haben sich lediglich der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht.

a) Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts. Beschränkt sich die Beteiligung am Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf einen Teilakt des Umsatzgeschäfts, so kommt es nach der neueren Rechtsprechung darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (vgl. BGH, Urteile vom 5. Mai 2011 ? 3 StR 445/10, StV 2012, 287, 288; vom 28. Februar 2007 ? 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219, 221; Beschlüsse vom 22. August 2012 ? 4 StR 272/12, NStZ-RR 2012, 375; vom 7. August 2008 ? 3 StR 326/07, NStZ 2008, 40). Maßgeblich sind insoweit insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Haupttat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2006 ? 4 StR 421/06, NStZ 2007, 288; Beschluss vom 25. April 2007 ? 1 StR 156/07, NStZ 2007, 531; Beschluss vom 28. Oktober 2010 ? 3 StR 324/10). Dabei kann eine Kuriertätigkeit als mittäterschaftliches Handeltreiben einzuordnen sein, wenn der Beteiligte über den reinen Transport hinaus erhebliche Tätigkeiten entfaltet (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 ? 2 StR 516/06). Beschränkt sich der Tatbeitrag eines Drogenkuriers auf den bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn ihm faktische Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 ? 4 StR 174/14; Beschluss vom 3. Juli 2014 ? 4 StR 240/14).

b) Hieran gemessen tragen die Feststellungen eine täterschaftliche Begehung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch die Angeklagten P., M., R. und B. nicht.

Nach den Feststellungen beschränkte sich die Tätigkeit der Angeklagten P., M., R. und B. auf das Verpacken der Betäubungsmittel in Müllsäcke, das Einladen in das Transportfahrzeug und die Überführungsfahrt und damit auf Tätigkeiten, die allein dem Transport der Betäubungsmittel dienen. Handlungen, die mit Blick auf das Gesamtgeschäft darüber hinausgehen, konnte das Landgericht nicht feststellen. Das gilt insbesondere für eine Einbindung in den An- oder Verkauf oder weitere Tätigkeiten am Zielort. Angesichts dieser Umstände vermögen auch die vom Landgericht angestellten Erwägungen zum konspirativen Verhalten der Angeklagten und dem hohen Entdeckungsrisiko die Annahme täterschaftlichen Handelns nicht zu tragen. Das gilt auch für den Angeklagten M., da er zwar die Lagerhalle angemietet hatte, aber über das Einladen hinaus keine weiteren auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichteten Handlungen in der Halle festgestellt werden konnten.

c) Der Senat ändert in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch auf die nach den Feststellungen vorliegende Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, da im Fall der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache ergänzende Feststellungen, die die Annahme eines täterschaftlichen Handeltreibens der Angeklagten belegen würden, nicht zu erwarten sind. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil auszuschließen ist, dass sich die Angeklagten insoweit wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.

2. Die Änderung der Schuldsprüche entzieht den Strafaussprüchen gegen die Angeklagten P., M., R. und B. die Grundlage.

IV.

Die Prüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten Z. ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 754

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß