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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 746

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 490/21, Beschluss v. 29.03.2022, HRRS 2022 Nr. 746


BGH 2 StR 490/21 - Beschluss vom 29. März 2022 (LG Kassel)

Sexueller Missbrauch von Kindern (Voraussetzungen; eigenhändiges Delikt; Bestimmen: Mitverursachen durch unmittelbares Einwirken auf das Kind); schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (Qualifikation; gemeinschaftliche Tatbegehung: Vorliegen).

§ 176a Abs. 2 StGB aF; § 176 StGB aF

Leitsätze des Bearbeiters

1. § 176a Abs. 2 StGB aF ist eine Qualifikation des § 176 Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Eine Verurteilung nach dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 StGB aF setzt voraus, dass der Täter das Kind körperlich berührt; es handelt sich um ein eigenhändiges Delikt.

2. Nach dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 2 StGB aF wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. Zwar genügt für ein Bestimmen nach § 176 Abs. 2 StGB aF, dass der Täter durch sein unmittelbares, nicht notwendigerweise eigenhändiges Einwirken auf das Kind die Vornahme der sexuellen Handlung mitverursacht hat. Dies kommt zum Beispiel schon bei einer am Beginn des Geschehens erfolgenden Mitteilung an den Geschädigten in Betracht, von ihm Bilder machen zu wollen, oder bei geäußerten Vorgaben für die sexuellen Handlungen, die zumindest konkludent auch eine an den Geschädigten gerichtete Aufforderung enthalten.

3. Gemäß § 176 Abs. 2 Nr. 2 StGB aF wird eine Tat im Sinne des § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aF zum schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes qualifiziert, wenn sie von mehreren gemeinschaftlich begangen ist. Eine gemeinschaftliche Tatbegehung liegt vor, wenn bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aF mindestens zwei Personen vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der konkreten Tatsituation zusammen auf das Opfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. Hierbei ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sich von den Tätern zumindest der eine nach § 176 Abs. 1 und der andere nach § 176 Abs. 2 StGB aF strafbar gemacht hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 16. Juli 2021 - unter Aufrechterhaltung der getroffenen Feststellungen - aufgehoben

a) bezüglich des Angeklagten J. R.

aa) soweit dieser in den Fällen II. 9., 11. und 13. der Urteilsgründe verurteilt ist,

bb) im Ausspruch über die Einzelstrafen für die Taten II. 2., 4., 6., 8. und 10. der Urteilsgründe und

cc) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe;

b) bezüglich des Angeklagten R. R.

aa) soweit dieser in den Fällen II. 2., 4., 6., 7., 8., 10. und 14. der Urteilsgründe verurteilt ist,

bb) im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 11. der Urteilsgründe und

cc) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitssstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, sowie zur Festsetzung der Tagessatzhöhe in den Fällen der Verurteilung wegen Herstellung jugendpornographischer Schriften (Fälle II. 15. bis 17. der Urteilsgründe) verhängten Einzelgeldstrafen an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften in acht Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften in fünf Fällen, wegen Herstellens jugendpornographischer Schriften und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften, den Angeklagten R. R. außerdem wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in einem weiteren Fall und, insoweit unter Freisprechung des Angeklagten J. R., wegen Herstellens jugendpornographischer Schriften in zwei weiteren Fällen schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten R. R. eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten, gegen den Angeklagten J. R. eine solche von vier Jahren und sechs Monaten verhängt. Die gegen die Verurteilungen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Das Landgericht hat, soweit hier von Bedeutung, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Spätestens gegen Ende 2014 entwickelte der damals 13-jährige Geschädigte L. P., der in der Nachbarschaft der miteinander verheirateten Angeklagten wohnte und oft bei diesen zu Gast war, Interesse an sexuellen Themen. Er trug an den Angeklagten R. R. den Wunsch heran, auch mit diesem sexuelle Erfahrungen zu machen. Bei einer Gelegenheit fasste der Geschädigte dem Angeklagten R. R. in die Hose, woraufhin sich ein erster sexueller Kontakt zwischen beiden mit nicht näher feststellbarem Ablauf entwickelte. In der Folge kam es bis Mai 2017 zu weiteren sexuellen Handlungen zwischen dem Geschädigten und R. R., alsbald zusätzlich mit dem Angeklagten J. R. Die sexuellen Handlungen wurden mit Ausnahme derjenigen im Fall II. 1. der Urteilsgründe mit Wissen des Geschädigten von den Angeklagten mit einem Handy gefilmt oder fotografiert und später auf von beiden verwendeten elektronischen Geräten gespeichert. Alle sexuellen Handlungen geschahen einvernehmlich und spontan.

Die Initiative zu den Handlungen war „nicht eindeutig zuzuordnen, sondern ergab sich eher aus einem Wechselspiel von Interessen“, wobei sich L. P. mit seinem pubertären Interesse an sexuellen Handlungen bei den Angeklagten gut aufgehoben sah, während die Angeklagten dessen Interesse entgegenkamen und es anfachten. Es war zwischen den Angeklagten abgesprochen, dass die sexuellen Handlungen überwiegend von J. R. durchgeführt werden sollten, während R. R. sich mehr dem Filmen und Fotografieren widmete.

Im Einzelnen kam es ab Anfang 2015 bis zum 14. Geburtstag von L. P. im September 2015 mehrfach zu Oralverkehr, zunächst von dem Angeklagten R. R. allein an dem Geschädigten (Fall II. 1. der Urteilsgründe) und danach in sechs Fällen durch den Angeklagten J. R. (Fälle II. 2. bis 6., 8. und 10. der Urteilsgründe), was der Angeklagte R. R. filmte oder fotografierte. In einem Fall rieb R. R. auch seinen Penis an dem Geschädigten, während J. R. den Oralverkehr ausübte und die Szene automatisch gefilmt wurde (Fall II. 3. der Urteilsgründe), in einem anderen Fall drang R. R. mit dem Penis in den Mund des gefesselten Kindes ein (Fall II. 5. der Urteilsgründe). Bei einer weiteren Gelegenheit ließ der Angeklagte R. R. den Geschädigten an sich den Analverkehr ausführen (Fall II. 11. der Urteilsgründe) und nahm weitere sexuelle Handlungen an oder vor dem Geschädigten vor (Fälle II. 9. und 13. der Urteilsgründe), was J. R. filmte oder fotografierte. Auch der Angeklagte J. R. nahm sexuelle Handlungen an dem Geschädigten vor (Fälle II. 7. und 14. der Urteilsgründe), während R. R. dies fotografierte oder filmte. Zudem führte sich der Geschädigte auf Geheiß beider Angeklagter Gegenstände in den Anus ein, was diese in Nahaufnahmen festhielten (Fall II. 12. der Urteilsgründe). Nachdem der Geschädigte 14 Jahre alt geworden war, erstellte der Angeklagte R. R. bei zwei Gelegenheiten Bilder von sexuellen Handlungen des Geschädigten oder an diesem (Fälle II. 15. und 17. der Urteilsgründe) und führte an ihm den Oralverkehr aus, was J. R. filmte (Fall II. 16. der Urteilsgründe).

Im Dezember 2020 wurden bei einer Durchsuchung in der Wohnung der Angeklagten 378 kinderpornographische und 135 jugendpornographische Dateien sichergestellt (Fall II. 18. der Urteilsgründe).

2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten in den Fällen II. 2. bis 6., 8., 10. und 11. der Urteilsgründe jeweils als gemeinschaftlich begangenen schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften in acht Fällen, in den Fällen II. 7., 9. und 12. bis 14., jeweils als gemeinschaftlich begangenen sexuellen Missbrauch eines Kindes in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften in fünf Fällen, im Fall II. 16. der Urteilsgründe als gemeinschaftliches Herstellen jugendpornographischer Schriften und im Fall II. 18. der Urteilsgründe als Besitz kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften „gemäß den §§ 176 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 1 u. 2, § 176a Abs. 2 Nr. 1 u. 2, 184b Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3, 184c Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 3 StGB jeweils a.F., 25 Abs. 2, 52, 53 StGB“ gewürdigt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten R. R. im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und in den Fällen II. 15. und 17. der Urteilsgründe jeweils wegen Herstellung jugendpornographischer Schriften verurteilt.

II.

Die Verurteilung der Angeklagten ist teilweise rechtsfehlerhaft.

1. Bezüglich des Angeklagten J. R. tragen die getroffenen Feststellungen nicht die Annahme, dass dieser im Fall II. 11. der Urteilsgründe des schweren sexuellen Missbrauchs und in den Fällen II. 9. und 13. der Urteilsgründe des sexuellen Missbrauchs schuldig ist.

a) Entgegen der Wertung des Landgerichts kann die Verurteilung des Angeklagten J. R. im Fall II. 11. der Urteilsgründe nach den bisherigen Feststellungen weder auf § 176a Abs. 2 Nr. 1 noch auf § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB, jeweils in der maßgeblichen Fassung des 49. Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21. Januar 2015 (BGBl. 2015 I, S. 10), gestützt werden.

aa) § 176a Abs. 2 StGB aF ist eine Qualifikation des § 176 Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Eine Verurteilung nach dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 StGB aF setzt voraus, dass der Täter das Kind körperlich berührt; es handelt sich um ein eigenhändiges Delikt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. September 2018 - 2 StR 275/18, juris Rn. 25 ff.; vom 4. März 2020 - 2 StR 501/19, BGHR § 176a Abs. 2 Nr. 2 Tatbegehung, gemeinschaftliche 2; BGH, Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 243; Beschluss vom 1. August 2019 - 4 StR 237/19; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 176 Rn. 25; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 176 Rn. 14). Sexuelle Handlungen zwischen dem Angeklagten J. R. und dem Geschädigten sind im Fall II. 11. der Urteilsgründe aber nicht festgestellt.

bb) Die bisherigen Feststellungen ergeben auch keine Strafbarkeit des Angeklagten J. R. gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 176 Abs. 2 StGB aF.

Nach dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 2 StGB aF wird bestraft, wer ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einem Dritten vornimmt oder von einem Dritten an sich vornehmen lässt. Zwar genügt für ein Bestimmen nach § 176 Abs. 2 StGB aF, dass der Täter durch sein unmittelbares, nicht notwendigerweise eigenhändiges Einwirken auf das Kind die Vornahme der sexuellen Handlung mitverursacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 28. September 2021 - 2 StR 264/21, juris Rn. 11; BGH, Urteil vom 7. September 1995 - 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 246; Beschluss vom 22. November 2017 - 4 StR 401/17, NStZ 2018, 460; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 176 Rn. 33; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 176 Rn. 10). Dies kommt zum Beispiel schon bei einer am Beginn des Geschehens erfolgenden Mitteilung an den Geschädigten in Betracht, von ihm Bilder machen zu wollen, oder bei geäußerten Vorgaben für die sexuellen Handlungen, die zumindest konkludent auch eine an den Geschädigten gerichtete Aufforderung enthalten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2017 - 4 StR 401/17, NStZ 2018, 460; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 4 StR 258/13, BGHSt 59, 28, 32).

Ein solches Einwirken des Angeklagten auf den Willen auf den Geschädigten ist den Urteilsgründen im Fall II. 11. nicht zu entnehmen. Die Feststellungen dazu besagen nur, dass R. R. in der Wohnung der Angeklagten von dem Geschädigten den Analverkehr an sich durchführen ließ, wobei er rittlings auf dem Jungen saß, während J. R. das Geschehen filmte.

Auch die für alle Fälle der Vornahme sexueller Handlungen in Anwesenheit beider Angeklagten allgemein festgestellten Umstände, wonach alle sexuellen Handlungen einvernehmlich vorgenommen wurden und in diese beide Angeklagten „eingebunden waren“, reichen zur Darstellung eines Bestimmens des Geschädigten zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlungen nicht aus. Das gilt auch deshalb, weil L. P. nach anderweitig gewonnenen Erfahrungen sein Interesse an sexuellen Handlungen an die Angeklagten herangetragen hatte.

cc) Die Verurteilung des Angeklagten J. R. kann ferner nicht auf § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB aF gestützt werden.

Danach wird eine Tat im Sinne des § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aF zum schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes qualifiziert, wenn sie von mehreren gemeinschaftlich begangen ist. Eine gemeinschaftliche Tatbegehung liegt vor, wenn bei der Verwirklichung der Grundtatbestände des § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aF mindestens zwei Personen vor Ort mit gleicher Zielrichtung derart bewusst zusammenwirken, dass sie in der konkreten Tatsituation zusammen auf das Opfer einwirken oder sich auf andere Weise psychisch oder physisch aktiv unterstützen. Hierbei ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sich von den Tätern zumindest der eine nach § 176 Abs. 1 und der andere nach § 176 Abs. 2 StGB aF strafbar gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2020 - 2 StR 501/19, BGHR § 176a Abs. 2 Nr. 2 Tatbegehung, gemeinschaftliche 2; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 4 StR 258/13, BGHSt 59, 28, 31 f.; Beschluss vom 22. November 2017 - 4 StR 401/17, NStZ 2018, 460; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 176a Rn. 9; enger SSW-StGB/Wolters, 5. Aufl., § 176a Rn. 15).

Die zu Fall II. 11. der Urteilsgründe bisher getroffenen Feststellungen belegen weder einen dabei erfolgten körperlichen Kontakt des Angeklagten J. R. mit dem Geschädigten im Sinne des § 176 Abs. 1 StGB aF noch dessen unmittelbares Einwirken nach § 176 Abs. 2 StGB.aF.

b) Der Schuldspruch gegen den Angeklagten J. R. wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II. 9. und 13. der Urteilsgründe wird durch die Feststellungen nicht getragen.

aa) Entgegen der Wertung des Landgerichts ist der Angeklagte J. R. im Fall II. 9. der Urteilsgründe nicht einer Tat nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF schuldig. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt. Dabei handelt es sich um ein eigenhändiges Delikt. Täter kann nur sein, wer selbst die sexuelle Handlung vor dem Kind vornimmt (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 30. Aufl., § 176 Rn. 25; Matt/Renzikowski/ Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 176 Rn. 35). Die Tatsache, dass der Angeklagte J. R. fotografierte, wie der Angeklagte R. R. vor dem Geschädigten onanierte, genügt nicht.

bb) Auch die vom Landgericht angenommene Strafbarkeit des Angeklagten J. R. nach § 176 Abs. 1 StGB aF im Fall II. 13. der Urteilsgründe ergibt sich nicht aus den Feststellungen. Danach manipulierte der Angeklagte R. R. am Penis des Geschädigten, „was von J. R. fotografiert wurde“. Insoweit bestand kein eigenhändiger sexueller Kontakt zwischen J. R. und dem Geschädigten, den § 176 Abs. 1 StGB aF für eine Verurteilung als Täter voraussetzt.

cc) Aus den Feststellungen zu den Fällen II. 9. und 13. der Urteilsgründe ergibt sich schließlich auch keine Strafbarkeit des Angeklagten J. R. gemäß § 176 Abs. 2 StGB aF. Vielmehr ist, auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht auszuschließen, dass sich dessen Rolle jeweils auf das Fotografieren beschränkte.

c) Eine Änderung des Schuldspruches für den Angeklagten J. R. durch den Senat in Beihilfe zu den Taten des Angeklagten R. R. kommt nicht in Betracht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landgericht noch Feststellungen treffen kann, die seine Täterschaft belegen.

d) Mit Aufhebung des Schuldspruches wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Fall II. 11. der Urteilsgründe und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II. 9. und 13. der Urteilsgründe entfällt jeweils auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Herstellung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung.

e) Die Aufhebung im Schuldspruch zieht die Aufhebung der gegen J. R. in den Fällen II. 9., 11. und 13. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen nach sich.

2. Bezüglich des Angeklagten R. R. ist das Urteil rechtsfehlerhaft, soweit dieser in den Fällen II. 2., 4., 6., 8. und 10. der Urteilsgründe wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes und in den Fällen II. 7. und 14. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt wurde.

a) Die Verurteilung des Angeklagten R. R. kann in den Fällen II. 2., 4., 6., 8. und 10. der Urteilsgründe nicht, wie vom Landgericht angenommen, auf § 176a Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB aF gestützt werden.

aa) Eine Strafbarkeit nach § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB aF ist nicht belegt, da sexuelle Handlungen zwischen dem Angeklagten R. R. und dem Geschädigten nicht festgestellt sind. Weil es sich, wie oben unter II. 1.a) aa) ausgeführt, um ein eigenhändiges Delikt handelt, genügt es nicht, dass der Angeklagte R. R. den bei diesen Taten jeweils von J. R. an dem Geschädigten durchgeführten Oralverkehr „im Rahmen der schon beschriebenen Arbeitsteilung dokumentierte“ und in die von allen gewollten sexuellen Handlungen „beide jeweils anwesenden Angeklagten eingebunden waren, auch wenn auf den von R. R. hergestellten Video- und Fotodateien nicht immer von ihm durchgeführte unmittelbare sexuelle Handlungen zu sehen sind“.

Auch eine Strafbarkeit nach § 176a Abs. 2 Nr. 1, § 176 Abs. 2 StGB aF ergibt sich aus den bislang getroffenen Feststellungen nicht. Diesen ist nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte den Geschädigten jeweils dazu bestimmt hat, den Oralverkehr von J. R. an sich vornehmen zu lassen. Aus der Art des festgestellten Geschehens und der allgemein festgestellten „Einbindung“ des Angeklagten R. R. folgt noch nicht, dass dieser durch unmittelbares Einwirken auf den Geschädigten eine Duldung der sexuellen Handlungen durch diesen verursachte oder mitverursachte.

bb) Die Verurteilung des Angeklagten R. R. kann auch nicht auf § 176a Abs. 2 Nr. 2 StGB aF gestützt werden, da sich nach dieser Qualifikationsnorm von den zusammenwirkenden Tätern zumindest der eine nach dem Grundtatbestand des § 176 Abs. 1 und der andere nach § 176 Abs. 2 StGB aF strafbar gemacht haben muss (vgl. oben II.1.a) cc)). Während der Angeklagte J. R. in den Fällen II. 2., 4., 6., 8. und 10. der Urteilsgründe mit Durchführung des Oralverkehrs an dem Geschädigten den Tatbestand des § 176 Abs. 1 und auch denjenigen der Qualifikation gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF verwirklichte, ist eine Strafbarkeit des Angeklagten R. R. nach § 176 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aF entsprechend den vorstehenden Ausführungen nicht durch die bisherigen Feststellungen belegt.

b) Auch hat die Verurteilung des Angeklagten R. R. in den Fällen II. 7. und 14. der Urteilsgründe wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes keinen Bestand. Den Feststellungen ist nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte den Geschädigten im Rahmen der dabei von J. R. ausgeführten sexuellen Handlungen gemäß § 176 Abs. 1 StGB aF selbst berührt hat. Auch eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 2 StGB aF scheidet aus, weil sich aus den Urteilsgründen ein Bestimmen des Geschädigten durch den Angeklagten nicht eindeutig ergibt.

c) Da ergänzende Feststellungen nicht ausgeschlossen sind, die eine Täterschaft des Angeklagten belegen könnten, scheidet eine Änderung des Schuldspruches in Beihilfe zu den Taten des Angeklagten J. R. durch den Senat insoweit aus.

d) Mit Aufhebung des Schuldspruches wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II. 2., 4., 6., 8. und 10. der Urteilsgründe und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen II. 7. und 14. der Urteilsgründe entfällt jeweils die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung des Angeklagten R. R. wegen tateinheitlich begangener Herstellung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF.

e) Die Aufhebung des Schuldspruches in den Fällen II. 2., 4., 6., 7., 8., 10. und 14. der Urteilsgründe zieht auch die Aufhebung der insoweit gegen R. R. verhängten Einzelstrafen nach sich.

3. Das Urteil ist überdies in den Einzelstrafaussprüchen für den Angeklagten J. R. in den Fällen II. 2., 4., 6., 8. und 10. der Urteilsgründe und für den Angeklagten R. R. im Fall II. 11. der Urteilsgründe aufzuheben. Die Strafkammer hat dort jeweils zu Lasten der Angeklagten gewertet, dass diese mit § 176a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 StGB aF jeweils zwei Qualifikationstatbestände verwirklicht hätten. Dies wird nach den vorstehenden Ausführungen durch die bisherigen Feststellungen nicht belegt.

4. Nach allem ist den Aussprüchen über die Gesamtstrafen die Grundlage entzogen; diese unterliegen der Aufhebung.

5. Der neue Tatrichter wird für die in den Fällen II. 15. bis 17. der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafen die Tagessatzhöhe zu bestimmen haben, was im angefochtenen Urteil versäumt wurde. Die Festsetzung der Tagessatzhöhe ist auch bei Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe erforderlich (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2021 - 2 StR 414/20, Rn. 2; vom 4. März 2021 - 2 StR 431/20, Rn. 33; BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2020 - 3 StR 393/19, Rn. 3; vom 13. Januar 2021 - 4 StR 504/20; vom 26. August 2021 - 6 StR 299/21).

6. Die getroffenen Feststellungen sind von den Rechtsfehlern unberührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch treten.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 746

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß