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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 302

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 158/21, Urteil v. 24.11.2021, HRRS 2022 Nr. 302


BGH 2 StR 158/21 - Urteil vom 24. November 2021 (LG Köln)

Strafzumessung (eingeschränkte Revisibilität; Strafmilderungsgrund: Verzicht auf ansonsten einziehbare Gegenstände, Verzicht auf andere werthaltige Gegenstände zu Gunsten des Staates, Berücksichtigung einer Einziehung; Enthemmung: Konsum von Rauschmitteln in Kenntnis der bevorstehenden Tat); Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern (Charakter einer Nebenstrafe).

§ 46 StGB; § 74 Abs. 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Verzicht auf Gegenstände, die ansonsten nach § 74 Abs. 1 StGB eingezogen werden könnten, kann einen Strafmilderungsgrund darstellen. Eine Anordnung nach § 74 Abs. 1 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe; wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert eingezogen, so ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafen und insoweit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen. Dies gilt ebenso für einen Verzicht auf andere werthaltige Gegenstände zu Gunsten des Staates.

Entscheidungstenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 25. November 2020 wird verworfen.

2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf den Strafausspruch beschränkte und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts suchten der bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte H. zusammen mit dem Mitangeklagten L. und dem Zeugen S. am 15. April 2020 gegen 23.00 Uhr den Zeugen Sk. an dessen Wohnanschrift auf. Spätestens in diesem Moment entschlossen sich die beiden Angeklagten, den Zeugen Sk. körperlich anzugreifen, wobei sie auch eine vom Angeklagten L. mitgeführte ungeladene PTB-Waffe sowie ein ca. 30 cm langes Brecheisen als Schlagwerkzeug erforderlichenfalls zum Einsatz bringen wollten. Aus welcher Motivation heraus dies geschah, konnte das Landgericht nicht feststellen.

Auf ihr Klingeln öffnete der Zeuge Sk. die Wohnungstür, die beiden Angeklagten verschafften sich Zutritt. Sk. flüchtete ins Schlafzimmer, während die in der Wohnung anwesende Zeugin P. die Wohnung verließ. Die Angeklagten folgten ihm und begannen sogleich, mit Fäusten auf ihn einzuschlagen. Sk. ging zu Boden und wurde in der Folge weiter geschlagen und getreten. Mindestens einmal schlug der Mitangeklagte L. mit der Waffe auf den Rücken des Zeugen ein.

Draußen auf der Straße versuchte der Zeuge S., die laut schreiende Zeugin P. davon abzuhalten, in die Wohnung zurückzukehren. Aufgrund des Geschreis der Zeugin wurden Nachbarn auf das Geschehen aufmerksam, unter anderem auch die Zeugen Sc. und M. Die Polizei wurde verständigt. Der Zeuge Sc. ergriff einen Baseballschläger aus seiner Wohnung und begab sich nach draußen zur Zeugin P., die ihm aber bedeutete, nicht sie, sondern der Zeuge Sk. befinde sich in Gefahr. Daraufhin lief Sc. in die Wohnung des Zeugen Sk., kurz nach ihm betrat auch der Zeuge M. die Wohnung. Als die beiden Angeklagten die Ankunft des Zeugen Sc. bemerkten, ließen sie von dem sich wehrenden Zeugen Sk. ab, dem es gelang, aufzustehen und den noch im Zimmer befindlichen Mitangeklagten L. zur Seite zu stoßen. Der Angeklagte H. verließ das Schlafzimmer und traf auf den Zeugen Sc., der den Baseballschläger zu seinem eigenen Schutz vor seinen Körper hielt. Er stieß ihn zur Seite und lief weiter ins Wohnzimmer, wo er auf den Zeugen M. traf. Dieser hielt den Angeklagten H. fest, um dem Zeugen Sk. zu helfen und den Angeklagten an der Flucht zu hindern. Beide rangen miteinander. Der Angeklagte H. ergriff nunmehr ein auf der Fensterbank des Wohnzimmerfensters abgelegtes Küchenmesser und stach damit einmal in den Oberkörper des Zeugen M., um so seine Flucht zu ermöglichen. Eine erhebliche Verletzung des Zeugen nahm er dabei in Kauf. Der Messerstich verletzte den Zeugen im Bauchbereich, er ließ von dem Angeklagten ab und ging zu Boden. Die beiden Angeklagten ergriffen die Flucht, verfolgt von den Zeugen Sk. und Sc. .

Als der Angeklagte H. die Wohnung verließ, stieß er unmittelbar vor der Wohnungstür mit dem dort gerade eintreffenden Zeugen K. zusammen. K. hielt sich an dem Angeklagten fest, um von ihm nicht umgestoßen zu werden. Der Angeklagte stieß mit dem Messer, das er noch in der Hand hielt, einmal nach dem Halsbereich des Zeugen, um weiter fliehen zu können. Eine erhebliche Verletzung des Zeugen K. nahm er dabei in Kauf. Dieser erlitt einen Schnitt im Bereich des Schlüsselbeins sowie eine ca. 3 cm lange Stichverletzung im Nacken, ließ von dem Angeklagten ab und lief dann zurück zu seiner Wohnung. Die beiden Angeklagten setzten ihre Flucht fort.

Der Zeuge Sk. erlitt durch den Angriff der beiden Angeklagten Hämatome im Gesichts- und Schläfenbereich sowie Schmerzen im Bereich von Kopf, Nacken und Rücken. Beim Zeugen M. führte der Messerstich zu einer 15 cm tiefen Schnittwunde im Bauchbereich; verletzt wurden der linksseitige Dickdarm und eine Nierenvene. Der Zeuge wurde noch in der Nacht notoperiert, ohne die Notoperation wäre er durch Verbluten verstorben. Ein Teil des Dickdarms und eine Niere mussten entfernt werden. Im Verlauf der nächsten Tage kam es zu einer Entzündung im Bauchraum, schließlich musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden, der heute noch besteht. Der Zeuge, der in der Folge 25 kg an Gewicht verlor, ist dadurch noch heute massiv in seiner Lebensführung beeinträchtigt. Der Zeuge K. erlitt durch den Messerangriff des Angeklagten eine oberflächliche Schnittverletzung im Bereich des Schlüsselbeins sowie eine 3 cm lange Stichverletzung im Nacken. Die Verletzungen sind folgenlos verheilt.

b) Das Landgericht hat drei tatmehrheitlich begangene gefährliche Körperverletzungen angenommen, dafür Einzelstrafen von einem Jahr, drei Jahren sowie einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe verhängt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten gebildet.

2. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. Weder die verhängten Einzelstrafen noch die daraus gebildete Gesamtfreiheitsstrafe weisen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.

a) Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, namentlich das Tatgericht von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist, seine Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind oder rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen hat oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder unten löst, dass ein grobes Missverhältnis von Schuld und Strafe offenkundig ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 ? 3 StR 441/10, NStZ 2011, 270). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 ? GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349; Senat, Urteil vom 17. September 1980 ? 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; BGH, Urteil vom 22. März 1995 ? 3 StR 625/94, BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 1; Urteil vom 25. Oktober 2000 ? 3 StR 351/00, juris Rn. 2). In Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Wertung des Tatgerichts hinzunehmen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2018 - 2 StR 416/16, NStZ 2019, 138).

b) Daran gemessen begegnen die Strafzumessungserwägungen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten den „weitgehenden Verzicht auf die sichergestellten Gegenstände (mit Ausnahme der beiden Mobiltelefone, die der Einziehung nicht unterliegen)“ berücksichtigt. Welche Gegenstände sichergestellt worden sind, teilen die Urteilsgründe nicht ausdrücklich mit, ebenso wenig, auf welche Gegenstände der Angeklagte konkret verzichtet hat. Die Strafkammer teilt nur mit, dass eine Einziehungsentscheidung nicht veranlasst war, weil der Angeklagte H. wie auch der Mitangeklagte L. wirksam auf die Rückgabe sichergestellter Gegenstände verzichtet haben.

Der Verzicht auf Gegenstände, die ansonsten nach § 74 Abs. 1 StGB eingezogen werden könnten, kann einen Strafmilderungsgrund darstellen. Eine Anordnung nach § 74 Abs. 1 StGB hat den Charakter einer Nebenstrafe; wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert eingezogen, so ist dies deshalb ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafen und insoweit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der den Täter treffenden Rechtsfolgen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 - 4 StR 318/18, wistra 2019, 102). Dies gilt ebenso für einen Verzicht auf andere werthaltige Gegenstände zu Gunsten des Staates. Ob die Voraussetzungen für eine Einziehung von dem Angeklagten gehörenden Gegenständen nach § 74 StGB vorliegen oder ein sonstiger Verzicht auf werthaltige Gegenstände des Angeklagten gegeben ist und deshalb ein bestimmender Strafzumessungsgrund gegeben ist, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Es ist schon nicht ersichtlich, um welche Gegenstände es sich handelt, wem sie gehören und welchen Wert sie haben. Die von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmende Anklageschrift enthält zwar den Hinweis, dass im Einzelnen genannte Gegenstände der Einziehung unterliegen (insbesondere ein Küchenmesser, die PTB-Waffe incl. leerem Magazin und Aufbewahrungsbox sowie ein Nageleisen), und darüber hinaus welche Gegenstände bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten H. (Pistolenkoffer für die PTB-Waffe sowie zwei Lederhandschuhe) sichergestellt worden sind. Auch unter Einbeziehung dieser sich aus der Anklageschrift ergebenden Informationen ergibt sich aber das Vorliegen eines bestimmenden Strafmilderungsgrunds nicht, weil ihr zum einen Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen an den Gegenständen nicht zu entnehmen sind und zum anderen keiner der genannten Gegenstände den hierfür erforderlichen Wert aufweist.

Der aufgezeigte Rechtsfehler führt hier aber nicht zur Aufhebung des Strafausspruchs. Mit Blick auf den ersichtlich geringen Wert der der Sicherstellung unterliegenden Gegenstände kann der Senat ausschließen, dass sich das Landgericht bei der Festsetzung der Einzelstrafen maßgeblich von dem Verzicht auf diese Gegenstände hat leiten lassen und ohne Berücksichtigung dieses Umstands zu einer höheren Strafe gelangt wäre.

bb) Die Strafkammer hat zu Gunsten des Landgerichts eine infolge des Konsums von Alkohol und „Speed“ im Vorfeld der Tat aufgetretene Enthemmung in Rechnung gestellt. Dies erweist sich ebenfalls nicht als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht hat genaue Feststellungen zur Alkohol- und Betäubungsmittelmenge, die der Angeklagte im Vorfeld der Tat zu sich genommen hat, sowie zu dem zeitlichen Abstand zwischen Konsum und Tat nicht treffen können. Es hat aus diesem Grund - sachverständig beraten - auch unter dem Gesichtspunkt einer Mischintoxikation (von Alkohol und „Speed“) eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit wie auch eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ohne Rechtsfehler ausgeschlossen. Dass es nunmehr mit Blick darauf, dass der Angeklagte sowohl Alkohol als auch Speed zu sich genommen hat, (unter Anwendung des in-dubio-Grundsatzes) davon ausgeht, er sei aufgrund dessen enthemmt gewesen, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Dem steht im Übrigen nicht der von der Revision angeführte Umstand entgegen, eine Enthemmung habe zu Gunsten des Angeklagten nicht berücksichtigt werden dürfen, weil dieser in Kenntnis der bevorstehenden Tat selbstverantwortlich Rauschmittel mit bekanntlich enthemmender Wirkung konsumiert habe. Es kann dahinstehen, ob die vom Großen Senat für Strafsachen entwickelten Grundsätze zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB bei selbstverschuldeter Trunkenheit (entsprechende) Anwendung finden können (vgl. BGHSt 62, 247), wenn der Angeklagte Rauschmittel in Kenntnis einer bevorstehenden Tat zu sich nimmt und dadurch enthemmt ist, ohne dass eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit festgestellt werden kann. Denn eine solche Fallkonstellation liegt hier nicht vor. Der Angeklagte trank Alkohol und nahm Speed zu sich, zusammen mit dem Mitangeklagten L. sowie dem Zeugen Sc., der dabei erfuhr, dass beide Angeklagten den Zeugen Sk. aufsuchen wollten, um mit diesem „etwas zu klären“, wobei er die Erkenntnis gewann, dass die Angeklagten vorhatten, diesem „so richtig aufs Maul zu hauen“. Feststellungen dazu, dass die Angeklagten schon zu diesem Zeitpunkt entschlossen waren, ihn körperlich anzugehen, hat die Strafkammer nicht getroffen. Sie ist vielmehr ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Angeklagten gegen 23.00 Uhr an der Wohnanschrift des Zeugen Sk. eingetroffen sind und sich „spätestens jetzt dazu entschlossen, den Zeugen in seiner Wohnung gemeinsam körperlich anzugreifen“. Der Entschluss zur Tat liegt damit nach diesen Feststellungen erst nach dem Konsum von Rauschmitteln, die der Angeklagte also zu sich nahm, als er noch nicht zur Tat entschlossen war.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 302

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 105; StV 2022, 387

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß