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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 833

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 364/20, Urteil v. 26.05.2021, HRRS 2021 Nr. 833


BGH 5 StR 364/20 - Urteil vom 26. Mai 2021 (LG Hamburg)

Sicherungsverwahrung (Hang; zeitnah aufeinanderfolgende Taten; Sachverständigengutachten; Gefährlichkeitsprognose; Gesamtwürdigung); Berücksichtigung errechneter Blutalkoholkonzentration im Rahmen der Beweiswürdigung (Indizienbeweis; Beweiswert; Zweifelssatz; Gesamtwürdigung aller Beweistatsachen).

§ 66 StGB; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ob ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB im Zeitpunkt des Urteils vorliegt, hat das Tatgericht aufgrund einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung zu bewerten. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den Taten des Angeklagten, dem Gutachteninhalt und den wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise. Zeitnah aufeinanderfolgende Taten können in ihrer Häufung insoweit Ausdruck eines eingeschliffenen inneren Zustands des Täters sein, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt.

2. Für die Beurteilung, ob von einem Angeklagten künftig infolge eines Hanges erhebliche Straftaten zu erwarten sind, namentlich solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, bedarf es einer Prognose auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Verurteilten und aller individuellen protektiven und der für die bisherige Delinquenz bedeutsamen Faktoren. Dem Hang kommt dabei eine wesentliche, auf eine Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB hinweisende Bedeutung als prognostisch ungünstiger Gesichtspunkt zu.

3. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Indizienbeweises darf der errechnete Höchstwert der Blutalkoholkonzentration nicht isoliert nach dem Zweifelssatz bewertet werden, wenn andere Beweisanzeichen, die Aufschluss über die Schuldfähigkeit des Angeklagten geben können, vorliegen. Er muss vielmehr in eine Gesamtwürdigung aller Beweistatsachen eingebracht werden, die darüber entscheidet, welche Bedeutung ihm neben den sonstigen Beweisanzeichen im Einzelfall zukommt.

4. Den errechneten Blutalkoholwerten kann eine geringere Beweisbedeutung beizumessen sein, wenn diese über einen sehr langen Rückrechnungszeitraum - hier: etwa zehn Stunden - ermittelt worden sind. Eine solche Rückrechnung stellt eine mit zahlreichen Fehlerquellen behaftete Schätzung dar, die vom Tatgericht zwar dann nach dem Zweifelssatz zugrunde zu legen ist, wenn es über andere zuverlässige Beweisanzeichen nicht verfügt, deren geringerer Beweiswert aber bei der Abwägung mit sonstigen Beweisanzeichen zu würdigen ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23. März 2020 im Straf- und Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, sexuellen Übergriffs mit Gewalt in Tateinheit mit Raub und wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die zuungunsten des Angeklagten erhobene, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie sich nach Teilrücknahme nur noch gegen die Nichtanordnung von Maßregeln sowie den Strafausspruch wendet, hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der bislang unbestrafte, 29-jährige Angeklagte reiste im Frühjahr 2018 nach Deutschland, um hier durch „Schwarz“-Arbeit im Straßenbau ein Einkommen zu erzielen, mit dem er unter anderem seine in Albanien lebenden Eltern zu unterstützen gedachte. Die Einkünfte deckten jedoch nicht einmal Unterkunfts- und Fahrtkosten. Nach Verbrauch aller Ersparnisse begann er aus Frustration, regelmäßig Alkohol im Übermaß zu konsumieren. Er ging nicht mehr wie bisher seiner Erwerbstätigkeit nach und wurde obdachlos. In dieser Phase beging er innerhalb eines Zeitraums von knapp vier Monaten die abgeurteilten Taten.

Im Fall II.1 fasste er der 78-jährigen Geschädigten mit sexueller Motivation an die Brust, packte sie und riss sie zu Boden. Sein Versuch, ihr in den Vaginalbereich unterhalb der Kleidung zu greifen, misslang aufgrund mehrlagiger Kleidung des Opfers. Schließlich entblößte er seinen Penis und äußerte, dass er „einen Fick“ wolle. Beim Abtasten des Körpers der Geschädigten bemerkte er einen an der Gürtelschlaufe befestigten Geldbeutel, den er aufgrund des nunmehr gefassten Tatentschlusses unter weiterer Gewaltanwendung abriss, um darin vermutete Wertgegenstände für sich zu behalten. Anschließend floh er. Im Geldbeutel befand sich Bargeld in Höhe von 240 Euro, von dem ein Teil an die Geschädigte zurückgelangte. Folge der Tat waren neben leichteren äußerlichen Verletzungen erhebliche und andauernde psychische Beeinträchtigungen der Geschädigten.

Im Fall II.2 riss der Angeklagte eine 24-jährige Joggerin zu Boden und berührte sie sexuell motiviert am Oberkörper und zwischen den Beinen. Anschließend fasste er unter ihre Kleidung und berührte oberhalb des eng anliegenden Sport-BH die Brüste. Hilfeschreie der Geschädigten unterdrückte er, indem er seine Hand auf ihren Mund drückte und sie in den „Schwitzkasten“ nahm. Sodann zog er sie zu einem weiter abgelegenen Ort. Dort gelang es ihm, ihre Leggings etwas herunterzuziehen. Er führte mindestens einen Finger in ihre Vagina ein. Die Geschädigte litt unter Todesangst und war auch noch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nachhaltig emotional betroffen.

Im Fall II.3 überwältigte der Angeklagte eine 42-jährige Frau, um ihr Wertgegenstände wegzunehmen, weil er dringend Geld benötigte. Während er die von ihm zu Boden gebrachte Geschädigte dort fixierte, suchte er ihren Körper ab; eine sexuelle Motivation hat die Strafkammer insoweit nicht feststellen können. Um Schreie der Geschädigten und ihren Widerstand zu unterbinden, drückte er ihr eine Hand auf den Mund und würgte sie. Der Geschädigten gelang es, die Geldbörse aus ihrer Tasche herauszuholen und sie in Richtung des Angeklagten zu werfen, der sie an sich nahm und floh. Noch in Tatortnähe nahm ihn die Polizei fest. In der Geldbörse befanden sich mindestens 20 Euro.

2. Das Landgericht ist aufgrund der Trinkmengenangaben des Angeklagten und des sich hieraus errechneten BAK-Wertes zu seinen Gunsten davon ausgegangen, dass seine Schuldfähigkeit infolge Alkoholgenusses in den Fällen II.1 und II.2 erheblich vermindert gewesen sei; im Fall II.3 sei sie jedoch vollständig erhalten geblieben.

3. Die Strafkammer hat ausweislich der Urteilsgründe über die Maßregelanordnung auf der Grundlage eines im Zwischenverfahren schriftlich erstatteten und in der Hauptverhandlung verlesenen Sachverständigengutachtens entschieden. Sie hat von der Anordnung der Sicherungsverwahrung ebenso abgesehen wie von seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Auch die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat sie verneint.

II.

Die wirksam auf die Ablehnung der Anordnung von Maßregeln und den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB.

a) Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB bejaht. Der Angeklagte hat drei vorsätzliche Straftaten der in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a und b StGB genannten Art begangen, durch die er Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten bis vier Jahren und neun Monaten verwirkt hat und wegen derer er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt worden ist.

b) Das Landgericht hat einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB verneint. Es ist insoweit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen, der in der Hauptverhandlung nicht vernommen worden ist, gefolgt, wonach sich keinerlei psychische Auffälligkeiten, insbesondere bezogen auf die Sexualanamnese des Angeklagten ergeben hätten. Auch der bisherige Werdegang des Angeklagten - Abitur, erfolgreiches Studium, Bindung an die Eltern, keine strafrechtlichen Vorerkenntnisse - spreche gegen die Annahme, dass die Taten auf eine fest eingewurzelte Neigung, immer wieder straffällig zu werden, zurückzuführen seien. Tatauslösend sei die aktuell schwierige Lebenssituation des Angeklagten gewesen. Diese Begründung erweist sich als nicht tragfähig.

Ob ein Hang im Zeitpunkt des Urteils vorliegt, hat das Tatgericht aufgrund einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung zu bewerten (BGH, Urteile vom 31. Juli 2019 - 2 StR 132/19; vom 22. Oktober 2014 - 5 StR 380/14, BGHSt 60, 52, 57; Beschlüsse vom 24. Mai 2017 - 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203).

Dem Urteil des Landgerichts ermangelt es an einer solchen umfassenden Würdigung; insbesondere lässt es die gebotene Auseinandersetzung mit den Taten des Angeklagten, dem Gutachteninhalt und den wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise vermissen (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2019 - 2 StR 132/19; Beschlüsse vom 23. Mai 2017 - 1 StR 164/17; vom 2. April 2015 - 3 StR 103/15). Die sehr knappen Ausführungen, mit denen das Vorliegen eines Hangs hinsichtlich einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung als auch in einem psychiatrischen Krankenhaus gemeinsam und undifferenziert abgehandelt werden, stellen schon keine hinreichende Grundlage für eine revisionsgerichtliche Überprüfung dar. Sie lassen jegliche Auseinandersetzung mit den näheren Gegebenheiten der durch den Angeklagten in rascher Folge begangenen schweren Straftaten vermissen, die augenfällige Übereinstimmungen aufweisen, auch wenn im Fall II.3 ein sexuelles Motiv nicht festgestellt worden ist. Erst die Festnahme des Angeklagten beendete die Tatserie. Zeitnah aufeinanderfolgende Taten können in ihrer Häufung Ausdruck eines eingeschliffenen inneren Zustands des Täters sein, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2019 - 2 StR 132/19).

In diesem Kontext lässt das Urteil zudem nicht erkennen, wie und auf Grundlage welcher Anknüpfungstatsachen sich der Sachverständige zu den festgestellten Taten verhalten hat. Der Angeklagte hatte sich ihm gegenüber zu den Vorwürfen nicht geäußert. Das Landgericht hat sich auf der Grundlage der Hauptverhandlung insbesondere von einer beim Angeklagten bestehenden sexuellen Motivation im Fall II.1 überzeugt. Der pauschale Verweis in den Urteilsgründen auf die dem Sachverständigen zur Verfügung stehenden Akten der Staatsanwaltschaft genügt vor diesem Hintergrund nicht, um deutlich zu machen, ob der Sachverständige von diesem letztlich festgestellten Sachverhalt ausgegangen ist. Dessen ungeachtet steht die vom Landgericht aufgegriffene, sich aus dem Sachverständigengutachten ergebende These, wonach es im Rahmen der Sexualität des Angeklagten „nie zu Aggressivität oder Gewalttätigkeiten“ gekommen sei, in einem nicht aufzulösenden Widerspruch zu den vom Landgericht festgestellten konkreten, von sexualisierter Gewalt gekennzeichneten Tatumständen in den ersten beiden Fällen.

c) Dies entzieht auch der Prognose des Landgerichts die Grundlage, wonach künftig mit der Begehung von Straftaten durch den Angeklagten nicht mehr zu rechnen sei, weil es sich aufdränge, dass die Taten auf eine „Mischung aus Geldmangel, Stress, Frust und Wut“ und „missbräuchlichen Alkoholkonsum“ zurückgingen. Für die Beurteilung, ob von einem Angeklagten künftig infolge eines Hanges erhebliche Straftaten zu erwarten sind, namentlich solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, bedarf es einer Prognose auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Verurteilten und aller individuellen protektiven und der für die bisherige Delinquenz bedeutsamen Faktoren (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 341/07; vom 21. April 2005 - 4 StR 89/05, NStZ-RR 2005, 232, 233). Dem Hang kommt dabei eine wesentliche, auf eine Gefährlichkeit im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB hinweisende Bedeutung als prognostisch ungünstiger Gesichtspunkt zu (vgl. BGH, Urteile vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; vom 9. Mai 2019 - 4 StR 511/18, NStZ-RR 2020, 10, 12).

2. Aufgrund der unter II.1. b) und c) festgestellten Darlegungsmängel kann das Urteil auch keinen Bestand haben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB unterblieben ist, denn sie entziehen letztlich auch der nur pauschal dargestellten Einschätzung des Sachverständigen, ein Eingangsmerkmal im Sinne der §§ 20, 21 StGB liege nicht vor, die Grundlage.

3. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Obwohl das Landgericht einen erheblichen missbräuchlichen Alkoholkonsum des Angeklagten im Tatzeitraum festgestellt hat, der schon vor der ersten Tat zu einem gravierenden sozialen Abstieg führte, hat es einen Hang verneint, weil der Angeklagte nach seinen glaubhaften Angaben früher sehr wenig und sehr selten Alkohol getrunken habe und ihm der Verzicht auf den Konsum von Alkohol auch in der Haft keinerlei Probleme bereite. Diese Argumentation lässt besorgen, dass es von einem zu engen Begriff des Hangs und damit einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist, weil es allein auf eine fehlende Abhängigkeit des Angeklagten abgestellt hat.

b) Für die Annahme eines Hangs genügt nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2021 - 6 StR 18/21). Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 - 3 StR 166/18 mwN).

aa) Nach den Urteilsfeststellungen trank der Angeklagte regelmäßig und zuletzt vermehrt auch in der Nacht durchgehend Alkohol und war deshalb am nächsten Tag außerstande, seiner Arbeit nachzugehen. Eine erhebliche Einschränkung der Arbeitsfähigkeit kann - zusammen mit weiteren Faktoren - Indiz für das Vorliegen eines Hangs sein (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 - 1 StR 482/15 mwN). Dies hat das Landgericht nicht berücksichtigt. Dagegen kommt dem von ihm betonten Umstand, dass dem Angeklagten der Verzicht auf Alkohol in der Untersuchungshaft keine Probleme bereitet hat, nur eingeschränkte Aussagekraft zu. Denn eine Abstinenz nach Inhaftierung steht der Annahme eines Hangs für sich genommen nicht entgegen; das gilt insbesondere dann, wenn nicht ersichtlich ist, dass diese als vom Angeklagten ausgehend zu werten ist (BGH, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 3 StR 645/17, NStZ-RR 2018, 140).

Angesichts dessen, dass das Landgericht der Alkoholisierung des Angeklagten eine Mitursächlichkeit bei der Tatbegehung zugeschrieben hat, ist auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Hang und Taten belegt.

bb) Zu einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel verhält sich das Urteil nicht. Die Sprachunkundigkeit des Angeklagten, der in Deutschland über keinen sozialen Empfangsraum verfügt, spricht indiziell dagegen und wird vom neuen Tatgericht berücksichtigt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 25. April 2018 - 2 StR 14/18 mwN).

4. Schließlich hat der Strafausspruch keinen Bestand.

a) Um dem Tatgericht eine insgesamt ausgewogene Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen, hat der Senat auch den Strafausspruch aufgehoben (§ 301 StPO).

b) Darüber hinaus weist der Strafausspruch einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf, soweit das Landgericht in den Fällen II.1 und 2 die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht hat.

Es hat auf der Grundlage der Trinkmengenangaben des Angeklagten im Fall II.1 eine maximale Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von über 3 Promille und im Fall II.2 eine solche von ca. 2,1 Promille errechnet. Unter Berücksichtigung der Angaben der Geschädigten zum Leistungsverhalten des Angeklagten, insbesondere des sich hieraus ergebenden Fehlens von Ausfallerscheinungen hat es im ersten Fall einen derart hohen Blutalkoholwert zwar für „faktisch ausgeschlossen“ gehalten. In beiden Fällen ist es zugunsten des Angeklagten jedoch davon ausgegangen, dass seine Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt erheblich vermindert war. Dies erweist sich als rechtsfehlerhaft.

Nach den allgemeinen Grundsätzen des Indizienbeweises darf der errechnete Höchstwert der Blutalkoholkonzentration nicht isoliert nach dem Zweifelssatz bewertet werden, wenn andere Beweisanzeichen, die Aufschluss über die Schuldfähigkeit des Angeklagten geben können, vorliegen (BGH, Urteil vom 9. August 1988 - 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308, 316). Er muss vielmehr in eine Gesamtwürdigung aller Beweistatsachen eingebracht werden, die darüber entscheidet, welche Bedeutung ihm neben den sonstigen Beweisanzeichen im Einzelfall zukommt (BGH, Urteile vom 31. Oktober 1989 - 1 StR 419/89, BGHSt 36, 286; vom 22. April 1998 - 3 StR 15/98; Beschlüsse vom 4. Oktober 1988 - 1 StR 455/88; vom 15. Dezember 1988 - 1 StR 684/88). Daran fehlt es.

Zudem hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass den errechneten Blutalkoholwerten hier schon deswegen eine geringere Beweisbedeutung beizumessen sein könnte, weil diese über einen sehr langen Rückrechnungszeitraum - etwa zehn Stunden im ersten und mehr als zehn Stunden im zweiten Fall - ermittelt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1988 - 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308; Beschluss vom 24. Januar 2019 - 5 StR 480/18 Rn. 10). Eine solche Rückrechnung stellt eine mit zahlreichen Fehlerquellen behaftete Schätzung dar, die vom Tatgericht zwar dann nach dem Zweifelssatz zugrunde zu legen ist, wenn es über andere zuverlässige Beweisanzeichen nicht verfügt, deren geringerer Beweiswert aber bei der Abwägung mit sonstigen Beweisanzeichen zu würdigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1998 - 3 StR 15/98, NJW 1998, 3427, 3428).

5. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache deshalb umfassend neuer Verhandlung und Entscheidung. Über die Anordnung von Maßregeln der Sicherung und Besserung ist unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) - und soweit mehrere Maßregeln gleichzeitig in Betracht kommen sollten, unter Berücksichtigung von § 72 StGB - erneut zu entscheiden.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 833

Bearbeiter: Christian Becker