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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 44

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 225/20, Beschluss v. 04.11.2020, HRRS 2021 Nr. 44


BGH 2 StR 225/20 - Beschluss vom 4. November 2020 (LG Mühlhausen)

Recht auf ein faires Verfahren („offenkundiger Mangel“ der Verteidigung; keine gerichtliche Überprüfung der Führung der Verteidigung).

Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK

Leitsatz des Bearbeiters

Die Führung der Verteidigung ist allein Sache des Angeklagten und seines Verteidigers und unterliegt nicht der gerichtlichen Überprüfung.

Entscheidungstenor

1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 30. Januar 2020 wird als unzulässig verworfen.

2. Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts gegen den Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 8. Mai 2020 wird als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweifachen Mordes unter Freispruch im Übrigen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verwerfung seiner Revision wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nach § 346 Abs. 1 StPO durch das Landgericht. Dies bleibt ohne Erfolg.

I.

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil vom 30. Januar 2020 hat der Angeklagte fristgerecht Revision eingelegt. Seinem Verteidiger ist das Urteil am 1. April 2020 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 8. Mai 2020 hat das Landgericht die Revision nach § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden war. Dieser Beschluss ist dem Angeklagten am 18. Mai, seinem Verteidiger am 20. Mai 2020 zugestellt worden. Mit am 25. Mai 2020 eingegangenem Schriftsatz legt der Beschwerdeführer „Einspruch“ ein und bittet darum, ihm eine angemessene Zeit einzuräumen, um sich „einen anderen Anwalt für Strafrecht als Pflichtverteidiger zu suchen um einen richtigen Revisionsantrag stellen zu können“. Er könne nichts dafür, dass sein bisheriger Verteidiger die Fristen nicht eingehalten und keine Revisionsbegründung abgegeben habe.

II.

1. Der gemäß § 300 StPO als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision auszulegende „Einspruch“ ist unzulässig.

a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Innerhalb der Antragsfrist von einer Woche ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Der Angeklagte hat weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, inwieweit ihn kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Insbesondere wäre mitzuteilen und glaubhaft zu machen gewesen, was er im Einzelnen mit seinem Verteidiger besprochen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2020 - 5 StR 174/20 und vom 4. Juni 2019 - 3 StR 183/19). Sein Verteidiger hat angegeben, nach der Verurteilung mit dem Angeklagten Gespräche geführt und die fehlende Erfolgsaussicht der Revision erörtert zu haben. Man sei übereingekommen, dass „eher eine Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommt“. Es gebe aktuell eine Absprache mit dem Mandanten, „dass die Voraussetzung für die Wiederaufnahme des Verfahrens geprüft werde und eventuell sofern sich dies darstellen lässt, ein entsprechender Antrag gestellt wird.“ Diesem Vortrag seines Verteidigers ist der Angeklagte nicht entgegengetreten und bittet um Prüfung, „ob eine Wiederaufnahme möglich ist“. Nach alledem ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Revisionsbegründung gegen den Willen des Angeklagten unterblieben ist; dies ist hier vielmehr fernliegend.

b) An der Verwerfung des Wiedereinsetzungsgesuchs ist der Senat auch nicht ausnahmsweise aus dem in Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) EMRK gewährleisteten Recht eines Angeklagten auf tatsächliche und wirksame Verteidigung als besonderer Aspekt des nach Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren (EGMR, Slg. 1999 - I Nr. 27 - Van Geyseghem/Belgien, NJW 1999, 2353) gehindert. Ein zur Wiedereinsetzung von Amts wegen oder zur Bestellung eines anderen Pflichtverteidigers nötigender „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung liegt nicht vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. August 2019 - 3 StR 165/19, NStZ-RR 2019, 349, vom 5. Juni 2018 - 4 StR 138/18, BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. c) Beschränkung 3; vom 18. Januar 2018 - 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84; vom 28. Juni 2016 - 2 StR 265/15, StV 2016, 770). Der inhaftierte Angeklagte stand auch nach Revisionseinlegung durchgehend in Kontakt mit seinem Verteidiger und hat mit diesem das weitere Vorgehen beraten. Die Führung der Verteidigung ist allein Sache des Angeklagten und seines Verteidigers und unterliegt nicht der gerichtlichen Überprüfung (BGH, Beschluss vom 11. März 2020 - 4 StR 68/20).

2. Der fristgerechte Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Da Revisionsanträge nicht gestellt worden sind und die Revision entgegen § 344 Abs. 1 StPO nicht begründet worden ist, hat sie das Landgericht zu Recht gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 44

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner