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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 269

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 610/17, Beschluss v. 18.01.2018, HRRS 2018 Nr. 269


BGH 4 StR 610/17 - Beschluss vom 18. Januar 2018 (LG Dortmund)

Recht auf ein faires Verfahren („offenkundiger Mangel der Verteidigung“ bei unterlassener Revisionsbegründung durch einen Pflichtverteidiger).

Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK

Leitsatz des Bearbeiters

Begründet ein bestellter Pflichtverteidiger die Revision nicht, liegt darin ein „offenkundiger Mangel“ im Sinne des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK. In dieser Situation verlangt Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK „positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden“ in Gestalt der Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers, um diesem Zustand abzuhelfen.

Entscheidungstenor

Die Sache wird zur weiteren Veranlassung, insbesondere zur Bestellung eines anderen Verteidigers, an das Landgericht Dortmund zurückgegeben.

Gründe

Der Senat stellt die Entscheidung über das fristgerecht eingegangene, gemäß § 300 StPO analog als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 17. März 2017 auszulegende Gesuch des Angeklagten vom 21. September 2017 sowie gegebenenfalls über den form- und fristgerecht angebrachten Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO zurück.

Die Sache ist zur Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers an das Landgericht zurückzugeben. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 10. Oktober 2002 - Az.: 38830/97 - liegt hier ein „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung vor. Der am 8. Juni 2017 in laufender Revisionsbegründungsfrist neu beigeordnete Verteidiger hat nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre (vgl. BVerfG, NJW 1983, 2762, 2765), die Revision des Angeklagten form- und fristgerecht begründet und auch auf spätere Anschreiben des Vorsitzenden der Jugendkammer sowie des Generalbundesanwalts nicht reagiert. In dieser Situation verlangt Art. 6 Abs. 3c MRK nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (aaO) „positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden“, um diesem Zustand abzuhelfen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 28. Juni 2016 - 2 StR 265/15, StraFo 2016, 382). Dies wird das Landgericht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 141 Rn. 6, 6a mwN) mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung durch Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers zu veranlassen haben.

Der Senat weist darauf hin, dass der neu beizuordnende Pflichtverteidiger ab seiner Bestellung form- und fristgerecht die Revision zu begründen haben wird. Das wird den Senat in die Lage versetzen, über das anhängige Wiedereinsetzungsgesuch und gegebenenfalls auch über den Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO zu befinden.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 269

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 84

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner