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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 351

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 403/20, Urteil v. 04.02.2021, HRRS 2021 Nr. 351


BGH 4 StR 403/20 - Urteil vom 4. Februar 2021 (LG Verden)

Vorsatz (Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit; Berücksichtigung riskanter Verhaltensweisen im Straßenverkehr: suizidaler Täter, dem es gerade darauf ankommt, einen Unfall herbeizuführen, bei dem er selbst umkommen will und weitere Beteiligte geschädigt werden können); gefährliche Körperverletzung (Einsatz eines Kraftfahrzeuges als Werkzeug); Mord (Heimtücke: Ausnutzungsbewusstsein).

§ 211 Abs. 2 Var. 5 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB; § 15 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, zwar zu beachten, dass eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen kann, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Beruhte die riskante und letztlich unfallursächliche Fahrweise des Angeklagten aber gerade darauf, dass er einen Unfall herbeiführen wollte, bei dem er selbst zu Tode kommen wollte und weitere Beteiligte geschädigt werden konnten, muss die durch einen Unfall drohende Gefahr für die eigene körperliche Integrität des Angeklagten nicht als wesentlicher vorsatzkritischer Umstand erwogen werden.

2. Eine Verurteilung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss die körperliche Misshandlung also bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst sein. Verletzungen, die erst durch ein anschließendes Sturzgeschehen oder eine Ausweichbewegung des Tatopfers verursacht worden sind, genügen insoweit nicht.

3. Eine Verurteilung wegen eines Heimtückemordes setzt neben dem objektiven Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers ein subjektives Element in Gestalt eines Ausnutzungsbewusstseins voraus. Hierfür genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. An diesem Bewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen allerdings fehlen. Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat.

4. Bei dem Vorliegen eines Ausnutzungsbewusstseins handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage, die vom Revisionsgericht nur eingeschränkt beurteilt werden kann.

5. Nach ständiger Rechtsprechung ist bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten.

6. Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob ein bedingter Vorsatz vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, bei der das Tatgericht die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 9. März 2020 im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis schuldig ist.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten und die Revision der Staatsanwaltschaft werden verworfen.

2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Gefährdung des Straßenverkehrs und Fahrens ohne Fahrerlaubnis“ zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis verhängt.

Der Angeklagte beanstandet mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision seine Verurteilung wegen versuchten Totschlags sowie den Strafausspruch.

Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, vom Generalbundesanwalt nur teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Die Beschwerdeführerin erstrebt die Verurteilung wegen versuchten Mordes.

Die Revision des Angeklagten führt lediglich zu einer Schuldspruchänderung. Im Übrigen ist sie ebenso wie die Revision der Staatsanwaltschaft unbegründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte im Jahr 2019 in familiären und wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in deren Folge er sich vermehrt und wiederkehrend mit Suizidgedanken trug. In der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 2019 verursachte er - nach längerem ziellosen Umherfahren - in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall, in dessen Folge sein Führerschein durch Polizeibeamte sichergestellt wurde. In den darauffolgenden Tagen verschlechterte sich die Stimmung des Angeklagten zunehmend. Er befürchtete, dass der drohende Verlust der Fahrerlaubnis seine Arbeitssuche erheblich erschweren werde, was seine Selbsttötungsgedanken verstärkte. Einem Zeugen teilte er mit, dass er bereits bei der Fahrt vom 16. Juli 2019 das Ziel verfolgt habe, sich das Leben zu nehmen.

Am 2. August 2019 fuhr der stark angetrunkene Angeklagte, dessen Führerschein sich weiterhin in amtlicher Verwahrung zur Vorbereitung einer Entziehung der Fahrerlaubnis befand, mit seinem Pkw zu einem Supermarkt in einem Nachbarort, wo er sich weiteren Alkohol beschaffte. Ihm war bekannt, dass ihm aufgrund der Sicherstellung des Führerscheins nicht erlaubt war, „ein Fahrzeug im Straßenverkehr zu führen“. Nach dem Verlassen des Supermarktparkplatzes fuhr der ortskundige Angeklagte im erkannt fahruntüchtigen Zustand in eine Straße ein, bei der es sich um die schnellste Verbindung zu seinem Wohnort handelte. Hier durchfuhr der Angeklagte außerorts eine Linkskurve, wobei er aufgrund seiner hohen Geschwindigkeit beinahe aus der Kurve getragen worden wäre. Nach dem Passieren der Kurve beschleunigte der nicht angeschnallte Angeklagte, der nunmehr spontan den Entschluss gefasst hatte, sich umzubringen, sein Fahrzeug weiter auf eine Geschwindigkeit von mindestens 120 km/h bei erlaubten 100 km/h und fuhr auf die spätere Unfallkreuzung mit einer - wie ihm bekannt war - vorfahrtsberechtigten Straße zu. Wegen dichten Bewuchses am Straßenrand war es ihm nicht möglich, von rechts in den Kreuzungsbereich einfahrende vorfahrtsberechtigte Fahrzeuge rechtzeitig wahrzunehmen und sein Fahrzeug gegebenenfalls abzubremsen, was er aufgrund seines Suizidentschlusses ohnehin nicht vorhatte. Der Angeklagte hielt zumindest für möglich, dass es im Kreuzungsbereich zu einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug kommen und Insassen desselben hierdurch zu Tode kommen könnten, was ihm gleichgültig war. Tatsächlich prallte das Fahrzeug des Angeklagten ungebremst mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h im rechten Winkel auf ein aus einem Kleintransporter und Anhänger bestehendes vorfahrtsberechtigtes Fahrzeuggespann. In der Folge wurde der Kleintransporter gegen eine Holzhütte geschleudert. Seine Fahrerin erlitt Prellungen und Schnittwunden. Der Angeklagte wies zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,8 ‰ und höchstens 2,65 ‰ auf und war in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich vermindert.

Das Landgericht hat den Sachverhalt u.a. als versuchten Totschlag bewertet und die Mordmerkmale der Heimtücke und der niedrigen Beweggründe nicht verwirklicht gesehen.

II.

Die Revision des Angeklagten führt zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Schuldspruchänderung bzw. -ergänzung und ist im Übrigen unbegründet.

1. a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Urteilsfeststellungen nicht belegen, dass die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Angeklagten für die Gefährdung des Tatopfers ursächlich war. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte ausschließlich aufgrund des von ihm gefassten Entschlusses, sich selbst zu töten, in die ihm bekannte Kreuzung mit einer vorfahrtsberechtigten Straße ein, ohne seine zuletzt erreichte Geschwindigkeit von 120 km/h zu verringern. Die durch den Zusammenstoß verwirklichte konkrete Gefährdung der Geschädigten beruhte somit nicht auf der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit des Angeklagten, sondern auf dem Einsatz seines Fahrzeugs als Mittel zur Selbsttötung. Eine Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB kommt daher nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Januar 2007 - 4 StR 598/06, NStZ 2007, 330 mwN).

Soweit sich der Angeklagte mit Blick auf das zu schnelle Einfahren in die Kreuzung mit der vorfahrtsberechtigten Straße gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2a und d StGB schuldig gemacht haben könnte, werden diese Tatbestände - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - im Wege der Gesetzeskonkurrenz durch § 315b Abs. 1 StGB verdrängt (BGH, Beschluss vom 14. November 2006 - 4 StR 446/06, NStZ-RR 2007, 59).

Der Angeklagte hat sich danach neben § 315b StGB in straßenverkehrsrechtlicher Hinsicht nur der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Er war im Tatzeitpunkt absolut fahruntüchtig. Der hierauf bezogene, vom Landgericht nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe angenommene Vorsatz des Angeklagten ist im Hinblick auf das den Grenzwert zur absoluten Fahruntüchtigkeit deutlich überschreitende Maß der Alkoholisierung des Angeklagten, der seine Fahrt zur Beschaffung weiteren Alkohols antrat, sowie den kurze Zeit vor der Tat im ebenfalls alkoholisierten Zustand verursachten Verkehrsunfall hinreichend belegt. Der Senat berichtigt den Schuldspruch daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

b) Ebenfalls entsprechend § 354 Abs. 1 StPO zu berichtigen war der Urteilstenor dahin, dass der Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis um die vom Landgericht festgestellte Schuldform des Vorsatzes zu ergänzen war.

2. Im Ãœbrigen bleibt die Revision des Angeklagten ohne Erfolg.

a) Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) In rechtlicher Hinsicht ist nach ständiger Rechtsprechung bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement) (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 93; vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37, 38; vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 351/16, NStZ 2017, 277, 279; vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3383; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 93; vom 14. Januar 2016 - 4 StR 72/15, NStZ 2016, 211, 215; vom 30. April 2014 - 2 StR 383/13, StV 2015, 300, 301; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186; vom 16. Oktober 2008 - 4 StR 369/08, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 63).

Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, aaO; vom 19. April 2016 - 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204 f. mwN; vom 16. September 2015 - 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26). Die Prüfung, ob ein bedingter Vorsatz vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 25. April 2019 - 4 StR 442/18, NStZ 2019, 608, 609; vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 93; vom 19. April 2016 - 5 StR 498/15, aaO), bei der das Tatgericht die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. Juni 2020 - 4 StR 482/19, NStZ 2020, 602, 604; vom 25. April 2019 - 4 StR 442/18, NStZ 2019, 608, 609; vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 94; vom 26. November 2014 - 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516 f.; Beschlüsse vom 27. August 2013 - 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35; vom 10. Juli 2007 - 3 StR 233/07, NStZ-RR 2007, 307).

bb) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts - unter Berücksichtigung des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Revisionsgerichts - rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat die die Tat kennzeichnenden besonderen Umstände, namentlich die Alkoholisierung des Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. August 2018 - 4 StR 251/18, NStZ-RR 2018, 332 mwN) sowie die spontane und in affektiver Erregung erfolgte Tatbegehung (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 - 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 10. Oktober 2018 - 4 StR 397/18, StV 2020, 80, 81 f.), in Betracht gezogen und sich mit ihnen vorsatzkritisch auseinandergesetzt.

Dass das Landgericht eine alkoholbedingte Beeinträchtigung des Wissens- oder des Willenselements des bedingten Vorsatzes im Hinblick auf die Alkoholgewöhnung des Angeklagten und seine unbeeinträchtigte Fähigkeit, sein Fahrzeug auch bei schneller Kurvenfahrt zu beherrschen, verneint hat, liegt im Rahmen der revisionsrechtlich hinzunehmenden tatrichterlichen Würdigung. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte die als möglich erkannte Tötung eines Unfallgegners durch den Zusammenstoß auch billigte, hat das Landgericht maßgeblich mit darauf gestützt, dass der Angeklagte sich selbst töten wollte und es ihm dabei gleichgültig war, dass ein etwaiger Unfallgegner ebenfalls zu Tode kommen könnte. Dies hat die Strafkammer in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als durch Äußerungen des Angeklagten vor und nach der Tat belegt angesehen. Insbesondere räumte der Angeklagte unmittelbar nach dem Unfall während seiner medizinischen Erstversorgung Zeugen gegenüber ein, dass er sich habe umbringen wollen und es ihm „egal“ sei, dass ein Unfallbeteiligter getroffen worden sei.

cc) Vor diesem Hintergrund ist die Beweiswürdigung auch nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht die durch einen Unfall drohende Gefahr für die eigene körperliche Integrität des Angeklagten nicht als wesentlichen vorsatzkritischen Umstand erwogen hat. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, zwar zu beachten, dass eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen kann, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat (BGH, Urteile vom 18. Juni 2020 - 4 StR 482/19, NStZ 2020, 602, 605; vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 95; Beschluss vom 6. August 2019 - 4 StR 255/19, NStZ-RR 2019, 343, 344). Die riskante und letztlich unfallursächliche Fahrweise des Angeklagten beruhte nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hier aber gerade darauf, dass er einen Unfall herbeiführen wollte, bei dem er selbst zu Tode kommen wollte und weitere Beteiligte geschädigt werden konnten.

dd) Auch der Gesichtspunkt eines verspätet gefassten Vorsatzes (dolus subsequens) steht der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags nicht entgegen. Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat ist nach § 16 Abs. 1 StGB, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt. Dementsprechend muss der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 91 mwN). Dies war hier indes der Fall. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass der Selbsttötungsentschluss und der nach den Feststellungen gleichzeitig gefasste Tötungsentschluss des Angeklagten bereits zu einem Zeitpunkt gegeben waren, als er sein Fahrzeug noch hätte anhalten und so den Zusammenstoß mit dem Gespann der Geschädigten vermeiden können. Denn der Angeklagte hatte nach den Feststellungen den Selbsttötungsentschluss bereits gefasst, als er sein Fahrzeug nach dem Passieren der Linkskurve auf 120 km/h beschleunigte. Dafür, dass zu diesem Zeitpunkt ein Anhalten vor der Kreuzung nicht mehr möglich war, bieten die Urteilsgründe keinen Anhalt.

b) Auch im Übrigen deckt die auf die Sachrüge des Angeklagten gebotene Überprüfung des Urteils keine Rechtsfehler auf.

Die rechtliche Würdigung des Landgerichts hält der revisionsrechtlichen Ãœberprüfung auch insoweit stand, als es die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung außer auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB auch auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gestützt hat. Zwar erfordert eine Verurteilung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss die körperliche Misshandlung also bereits durch den Anstoß selbst ausgelöst sein. Verletzungen, die erst durch ein anschließendes Sturzgeschehen oder eine Ausweichbewegung des Tatopfers verursacht worden sind, genügen insoweit nicht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020 - 4 StR 194/20, juris mwN). Die Feststellungen zum Unfallgeschehen, namentlich zu der Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Angeklagten im Moment des Aufpralls und zum Schadensbild an dem Transporter der Geschädigten, belegen aber noch hinreichend, dass deren Verletzungen wenigstens zu einem Teil bereits unmittelbar durch das Auftreffen des Fahrzeugs des Angeklagten auf das Gespann der Geschädigten und nicht erst durch den anschließenden Anstoß des Kleintransporters der Geschädigten an die Holzhütte bewirkt wurden.

3. Der rechtsfehlerfreie Strafausspruch und die Anordnung der Maßregel nach § 69, § 69a StGB werden durch die Schuldspruchänderung nicht berührt.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Verwirklichung von Mordmerkmalen mit rechtsfehlerfreier Begründung verneint.

1. Dies gilt insbesondere für das Mordmerkmal der Heimtücke, hinsichtlich dessen der Generalbundesanwalt die Revision der Staatsanwaltschaft vertritt.

a) Eine Verurteilung wegen eines Heimtückemordes setzt neben dem - vom Landgericht bejahten - objektiven Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers ein subjektives Element in Gestalt eines Ausnutzungsbewusstseins voraus. Hierfür genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 - 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 12. Februar 2009 ? 4 StR 529/08, NStZ 2009, 264; vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 273/11, juris Rn. 24; vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). An diesem Bewusstsein kann es bei affektiven Durchbrüchen oder sonstigen heftigen Gemütsbewegungen allerdings fehlen (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 - 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 17. September 2008 - 5 StR 189/08, NStZ 2009, 30, 31). Wenn auch nicht jeder dieser Zustände einen Täter daran hindert, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tatbegehung zu erkennen, so kann doch insbesondere die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass er ohne das erforderliche Ausnutzungsbewusstsein gehandelt hat (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 - 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; vom 27. Februar 2008 - 2 StR 603/07, NStZ 2008, 510, 511; Beschlüsse vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, NStZ 2012, 270, 271; vom 24. April 2012 - 5 StR 95/12, NStZ 2012, 693, 694; vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634 jeweils mwN).

Hierbei handelt es sich um eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage, die vom Revisionsgericht nur eingeschränkt beurteilt werden kann (BGH, Urteile vom 31. Juli 2014 - 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31; vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233; Beschluss vom 4. Mai 2011 - 5 StR 65/11, NStZ 2011, 634, 635 jeweils mwN).

b) Nach diesen Grundsätzen ist die Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke durch das Landgericht aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

aa) Das Landgericht hat den rechtlichen Maßstab nicht verkannt; es hat ausdrücklich zugrunde gelegt, dass aus einer festgestellten starken affektiven Erregung nicht ohne weiteres auf ein fehlendes Ausnutzungsbewusstsein geschlossen werden darf. Dass es sich angesichts der Umstände des Falles nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass der mit spontan gefasstem Selbsttötungsentschluss und in starker affektiver Erregung handelnde, zudem erheblich alkoholisierte Angeklagte sich der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des (potentiellen) Tatopfers nicht bewusst wurde, hält sich im Rahmen der dem Tatrichter vorbehaltenen Würdigung und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.

bb) Die dieser Bewertung zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Sie weist keine durchgreifenden Lücken, Widersprüche oder sonstigen Rechtsfehler auf. Insbesondere ist sie nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht unberücksichtigt gelassen hat, dass die Umsetzung des Suizidentschlusses des Angeklagten zwingend voraussetzte, einen etwaigen Unfallgegner so zu überraschen, dass dieser eine Kollision nicht mehr vermeiden kann. Denn das Landgericht hat gerade nicht festgestellt, dass der Angeklagte allein darauf zielte, seinen Selbsttötungsentschluss durch einen Zusammenstoß mit einem kreuzenden Fahrzeug umzusetzen.

Auch der Umstand, dass der Angeklagte sich schon vor dem Tattag mit Selbsttötungsgedanken getragen hatte, bedurfte keiner näheren Erörterung. Das Landgericht hat bei seiner Bewertung der subjektiven Seite eines Heimtückemordes zu Recht erst auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem sich diese Gedanken spontan zu einem Tatentschluss verdichtet hatten.

Es ist schließlich auch nicht widersprüchlich, sondern eine zulässige tatrichterliche Schlussfolgerung, dass das Landgericht den Angeklagten aufgrund der festgestellten psychischen Ausnahmesituation zwar noch in der Lage gesehen hat, den Erfolg des § 212 StGB als mögliche Folge seiner Handlung zu erkennen und das Unrecht der Tat einzusehen, nicht aber auch eine darüber hinausgehende „Bedeutungskenntnis“ zu erlangen und sich der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zu werden (vgl. BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 - 4 StR 147/14, NStZ 2015, 30, 31 mwN).

2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe abgelehnt. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem Terminsantrag des Generalbundesanwalts verwiesen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 351

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner