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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 305

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 ZB 8/19, Beschluss v. 17.12.2020, HRRS 2021 Nr. 305


BGH 3 ZB 8/19 - Beschluss vom 17. Dezember 2020 (LG Mönchengladbach)

Maximal zulässiger Zeitraum einer landesgesetzlich angeordneten Freiheitsentziehung zum Zweck der Identitätsfeststellung (Verhältnismäßigkeit; Ingewahrsamnahme; Besetzung einer Betriebsstätte; vorsätzliche Verhinderung der Identitätsfeststellung; Abgrenzung von präventiven und repressiven Maßnahmen; Zulässigkeit der Beschwerde; Recht auf Hinzuziehung eines Verteidigers).

§ 38 PolG NRW; § 36 Abs. 2 PolG NRW; § 163c StPO; Art. 104 GG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein maximal zulässiger Zeitraum der landesgesgesetzlich (hier § 38 Abs. 2 Nr. 5 S. 2 und 3 i.V.m. § 38 Abs. 2 Nr. 2 PolG NRW) vorgesehenen Freiheitsentziehung bei einer Ingewahrsamnahme zwecks Identitätsfeststellung von bis zu sieben Tagen verletzt das verfassungsrechtliche Übermaßverbot nicht. Der Landesgesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vorneherein darauf beschränkt, Ingewahrsamnahmen zur Identitätsfeststellung auf einen Zeitraum von einigen Stunden zu begrenzen. Das gilt zumindest in Konstellationen, in denen an ein vorheriges vorsätzliches Verhalten des von der Maßnahme Betroffenen angeknüpft wird.

2. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann gegebenenfalls durch eine - bereits im Gesetz selbst angelegte - zeitliche Begrenzung der Freiheitsentziehung im Einzelfall ausreichend Rechnung getragen werden. Soweit Zweifel an der Verhältnismäßigkeit daran festgemacht werden, dass für bis zu siebentägige Freiheitsentziehungen auch an Maßnahmen zur Identitätsfeststellung ohne hinreichend gewichtigen Anlass angeknüpft wird oder solche Ingewahrsamnahmen ebenfalls zu Lasten von Nichtverantwortlichen vorgenommen werden können, kommt gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht, welcher die Regelungen nach ihrem Wortlaut und dem zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Willen auch zugänglich sind.

3. Eine Freiheitsentziehung für maximal knapp 113 Stunden zum Zweck der Identitätsfeststellung kann auch bei Heranziehung eines besonders strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstabs als noch verhältnismäßig zu beurteilen sein, selbst wenn sich die erwartete Straftat für sich genommen als nicht besonders gravierend darstellt (hier: Hausfriedensbruch durch Besetzung einer Betriebsstätte). Das gilt jedenfalls dann, wenn wichtige Arbeitsmittel besetzt werden und dadurch erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Arbeitsabläufe und daraus folgend gravierende wirtschaftliche Nachteile drohen und der Betroffene selbst die Ursache für die Notwendigkeit der Freiheitsentziehung setzt, indem er die Identitätsfeststellung vorsätzlich erschwert.

Entscheidungstenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. August 2019 wird zurückgewiesen.

Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1. Am 9. Februar 2019 gegen 7:26 Uhr versuchte der Betroffene, gemeinsam mit weiteren sechs Personen auf dem Gelände des Tagebaus G. einen Braunkohlebagger zu besetzen. Gegen 9:07 Uhr wurde die Gruppe zur Identitätsfeststellung nach § 163c StPO in Gewahrsam genommen. Eine Identifizierung des Betroffenen war (zunächst) nicht möglich, da er sich weigerte, Angaben zu seiner Person zu machen, er keine Ausweispapiere bei sich führte und seine Fingerkuppen verklebt waren. Er lehnte es ab, die Fingerkuppen zur Abnahme von Fingerabdrücken mit dem Lösungsmittel Aceton reinigen zu lassen.

Gegen 18:45 Uhr erfolgte die Vorführung vor das Amtsgericht Erkelenz, wo der Betroffene richterlich angehört wurde.

2. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht Erkelenz am 9. Februar 2019 die Freiheitsentziehung des damals noch nicht namentlich bekannten und in der Verfahrensakte als „BES 07, Fotos in der Ermittlungsakte“ bezeichneten Betroffenen auf Grund des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) zum Zweck der Feststellung seiner Identität für zulässig erklärt und die Fortdauer des Gewahrsams bis längstens 14. Februar 2019 um 12:00 Uhr angeordnet. Nach Vorlage des Führerscheins durch dritte Personen konnte die Identität des Betroffenen ermittelt werden und er wurde am 11. Februar 2019 um 12:45 Uhr aus dem polizeilichen Gewahrsam entlassen.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hat der vom Betroffenen beauftragte Rechtsanwalt M. für diesen am 11. Februar 2019 Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam hat der Rechtsanwalt am 22. Februar 2019 darauf angetragen festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme rechtswidrig war.

Mit Beschluss vom 8. August 2019 hat das Landgericht Mönchengladbach den Antrag des Betroffenen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung vorgelegen hätten und die angeordnete Dauer von fünf Tagen verhältnismäßig gewesen sei. Die Kammer teile die Bedenken des Betroffenen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der landesgesetzlichen Grundlage nicht.

3. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen den Beschluss des Landgerichts. Er beantragt, den Beschluss aufzuheben und festzustellen, dass er durch den Beschluss des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt (§ 10 Abs. 4 Satz 1 FamFG) eingelegt.

a) § 36 Abs. 2 Satz 2 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW) verweist für die gerichtliche Entscheidung gegen die Freiheitsentziehung ohne Einschränkungen auf eine entsprechende Anwendung des 7. Buches des FamFG (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. August 2011 - I-3 Wx 188/11, juris Rn. 13). In diesem Buch, welches das Verfahren für bundesrechtlich angeordnete Freiheitsentziehungen zum Gegenstand hat, sind zwar die Rechtsmittel - mit Ausnahme der ergänzenden Vorschrift des § 429 FamFG - nicht gesondert geregelt. Indes finden die §§ 70 ff. FamFG als - im 1. Buch enthaltene - allgemeine Vorschriften Anwendung auf die in den weiteren Büchern normierten Verfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - StB 36/18, NStZ-RR 2020, 230, 231; ferner Prütting/Helms/Drews, FamFG, 5. Aufl., § 429 Rn. 1; BeckOK PolG NRW/Basteck, 16. Edition, § 36 Rn. 47).

b) Nach § 70 FamFG ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie aus einem der in § 70 Abs. 2 FamFG genannten Gründe zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG), sowie darüber hinaus unter anderem in Freiheitsentziehungssachen ohne Zulassung, wenn sie sich gegen den die Freiheitsentziehung anordnenden Beschluss richtet (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG), mithin, wenn die angefochtene Entscheidung unmittelbar freiheitsentziehende Wirkung für den Betroffenen hat (vgl. BT-Drucks. 16/12717, S. 60; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 70 Rn. 46). Hiervon umfasst sind auch die Fälle, in denen sich die Freiheitsentziehung durch Zeitablauf erledigt hat und der Betroffene nach § 62 FamFG das Ziel verfolgt, die bewirkte Verletzung des Freiheitsgrundrechts festzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2010 - V ZB 172/09, juris Rn. 9; vom 6. Oktober 2011 - V ZB 314/10, juris Rn. 5; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Aufl., § 70 Rn. 46).

Nach diesen Maßgaben ist die Rechtsbeschwerde statthaft, da sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts richtet, soweit mit diesem die Beschwerde gegen die unmittelbar freiheitsentziehende Entscheidung des Amtsgerichts verworfen worden ist.

2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet (zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab s. § 72 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 2, 3 Satz 3 FamFG). Die Gewahrsamsanordnung des Amtsgerichts verletzt den Rechtsbeschwerdeführer nicht in seinen Rechten. Die angegriffene Beschwerdeentscheidung des Landgerichts enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler.

a) Der vom Rechtsbeschwerdeführer gerügte Umstand, dass das Amtsgericht seine Anhörung ohne Beisein des Verfahrensbevollmächtigten durchgeführt hat, führt nicht zur formellen Rechtswidrigkeit der Entscheidung.

aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens gewährleistet einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 mwN; vgl. zur Freiheitsentziehung nach § 163c StPO LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 163c Rn. 15). Dabei legt die Rechtsprechung für den Bereich der Abschiebehaft strenge Maßstäbe an die diesbezügliche Verfahrensgestaltung an, etwa indem sie dem Gericht bei Kenntnisnahme von der Vertretung durch einen Rechtsanwalt erst im Termin auferlegt, diesen über den Verfahrenstand zu informieren und die Teilnahme an der Anhörung zu ermöglichen (BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, juris Rn. 6 f.; vom 4. Juli 2019 - V ZB 19/19, juris Rn. 4). Gegebenenfalls muss das Gericht unter Anordnung einer kurzen Haft im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes einen neuen Anhörungstermin anberaumen (BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7 f.). Vereitelt es durch seine Verfahrensgestaltung die Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, soll dies ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft führen und es dabei nicht darauf ankommen, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (BGH, Beschlüsse vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7; vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9).

bb) Es kann offenbleiben, ob die vorgenannten Grundsätze, die für die - in der Regel durch längere Zeiträume gekennzeichneten - Freiheitsentziehungen im Aufenthaltsrecht entwickelt worden sind und sich an deren verfahrensrechtlichen Spezifika orientieren, in vollem Umfang auf unter besonderem Zeitdruck zu treffende Entscheidungen im Sicherheits- und Ordnungsrecht übertragen werden können (vgl. in diesem Zusammenhang auch die besondere Regelung des § 38 Abs. 3 PolG NRW). Die vorliegende Gestaltung der Anhörung durch das Amtsgericht verletzte die Verfahrensrechte des Rechtsbeschwerdeführers jedenfalls auch unter Zugrundelegung der vorstehenden Anforderungen nicht. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten zur amtsgerichtlichen Anhörung war nicht verlangt worden. Der Rechtsmittelführer äußerte während des Anhörungstermins lediglich, seinen Rechtsanwalt anrufen zu wollen, was ihm das Amtsgericht auch umgehend ermöglichte. Dass der Verfahrensbevollmächtigte oder der Rechtsbeschwerdeführer daraufhin oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt die persönliche Teilnahme des Anwalts an der Anhörung begehrt hätten oder das Amtsgericht dessen Teilnahme auf sonstige Weise vereitelt hätte, wird weder mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht, noch ist dies sonst ersichtlich. Entgegen der in der Begründung der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung ist dem Erfordernis einer fairen Verfahrensgestaltung keine Pflicht des anhörenden Gerichts zu entnehmen, den Betroffenen oder gar den Rechtsanwalt auf die Möglichkeit einer Teilnahme des Verfahrensbevollmächtigten hinzuweisen und insoweit nachzufragen.

b) In der Sache hält der angefochtene Beschluss der rechtlichen Nachprüfung stand.

aa) Prüfungsgegenstand ist allein der Beschluss des Landgerichts vom 8. August 2019.

Hat - wie hier - bereits das Beschwerdegericht nach Hauptsacheerledigung über den Fortsetzungsfeststellungsantrag befunden, geht es im Rechtsbeschwerdeverfahren nur um die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung. Ob die gerichtliche Anordnung des Gewahrsams zu Recht ergangen ist, ist dabei lediglich inzident zu prüfen. Einzig für den Fall der Hauptsacheerledigung nach Erlass der Beschwerdeentscheidung gilt, dass neben diesem Erkenntnis die Rechtmäßigkeit der Gewahrsamsanordnung selbst Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens sein kann (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - StB 36/18, NStZ-RR 2020, 230, 231; vgl. auch Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, juris Rn. 4 mwN).

bb) Zutreffend hat das Landgericht die vom Amtsgericht angeordnete Freiheitsentziehung am Maßstab des § 12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 36 Abs. 1, 2, § 38 Abs. 2 Nr. 5 Satz 2 PolG NRW gemessen. Ohne Rechtsfehler hat es angenommen, dass die Freiheitsentziehung sowohl dem Grunde als auch der Dauer nach der Sach- und Rechtslage entsprach. Auch sonst begegnet die Beschwerdeentscheidung keinen rechtlichen Bedenken, die dem Rechtsmittel zum Erfolg verhelfen könnten.

(1) Die genannten Vorschriften des PolG NRW finden ungeachtet des Umstands Anwendung, dass der Rechtsbeschwerdeführer zunächst nach § 163c StPO in Gewahrsam genommen worden ist.

Zwar regeln die §§ 163b und 163c StPO die Befugnis zur Identitätsfeststellung zum Zwecke der Strafverfolgung einschließlich damit verbundener Freiheitsentziehung abschließend, sodass insofern ein Rückgriff auf weiterreichende polizeiliche Ermächtigungen nicht möglich ist (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, StPO, 63. Aufl., § 163b Rn. 1; LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 163b Rn. 2). Dagegen bleiben die polizeirechtlichen Ermächtigungsgrundlagen anwendbar, soweit präventive Zwecke außerhalb des Strafverfahrens verfolgt werden (KKStPO/Griesbaum, 8. Aufl., StPO, § 163b Rn. 8; LR/Erb, StPO, 27. Aufl., § 163b Rn. 15). Die Abgrenzung zwischen beiden Zielrichtungen erfolgt nach dem Schwerpunkt der Maßnahme, wobei der behördlich mit der Maßnahme verbundene Zweck Berücksichtigung findet (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27. September 2004 - 1 S 2206/03, NVwZ-RR 2005, 540, 541; MüKoStPO/Kölbel, § 163b Rn. 3).

Nach diesen Maßstäben handelt es sich bei der vorliegenden Anordnung der Freiheitsentziehung im Ergebnis um eine präventive Maßnahme. Das Beschwerdegericht hat - in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Antrag der beteiligten Behörde - die Ingewahrsamnahme damit begründet, dass es der Polizei ohne Feststellung der Identität des Rechtsbeschwerdeführers nicht möglich wäre, ein Aufenthaltsverbot nach § 34 Abs. 2 PolG NRW auszusprechen. Bei unterlassener Identifizierung sei ein erneutes Eindringen in das Tagebaugebiet zu erwarten, was durch die Erteilung eines polizeilichen Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Gefahrenabwehr verhindert werden solle. Gegen diese nachvollziehbar dargelegte Zielrichtung der angeordneten Maßnahme ist rechtlich nichts zu erinnern. Angesichts ihres präventiven Charakters ist ein Rückgriff auf polizeirechtliche Eingriffsermächtigungen trotz der anfänglichen Ingewahrsamnahme zum Zweck der Strafverfolgung nicht ausgeschlossen.

(2) Der Rechtsbeschwerdeführer dringt nicht mit seiner Auffassung durch, die Regelungen des PolG NRW zur Länge der Ingewahrsamnahme zwecks Identitätsfeststellung seien als solche unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig.

(a) Der Senat ist nicht von der Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 38 Abs. 2 Nr. 5 Satz 2 und 3 i.V.m. § 38 Abs. 2 Nr. 2 PolG NRW überzeugt. Eine Aussetzung des Rechtsbeschwerdeverfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht allein zur Klärung offener verfassungsrechtlicher Fragegestellungen nach Art. 100 GG kommt damit nicht in Betracht. Ein konkretes Normenkontrollverfahren ist nur zulässig, wenn das vorlegende Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - 3 StR 326/16, BGHSt 62, 102 Rn. 28; vom 5. September 2019 - StB 22/19, juris Rn. 6). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

(b) Der maximal zulässige Zeitraum der gesetzlich vorgesehenen Freiheitsentziehung von bis zu sieben Tagen verletzt das verfassungsrechtliche Übermaßverbot nicht. Der Landesgesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vorneherein darauf beschränkt, Ingewahrsamnahmen zur Identitätsfeststellung auf einen Zeitraum von einigen Stunden zu begrenzen. Bei den im Strafprozessrecht (§ 163c Abs. 2 StPO) und teilweise im Polizei- und Ordnungsrecht (vgl. etwa § 42 Abs. 2 Bundespolizeigesetz, § 35 Abs. 2 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung) in diesem Zusammenhang vorgenommenen Beschränkungen der Freiheitsentziehung auf zwölf Stunden handelt es sich lediglich um einfachgesetzliche Ausgestaltungen, aus denen sich keine verfassungsrechtliche Höchstgrenze ableiten lässt, zumal in anderen Vorschriften längere Zeiträume vorgesehen sind (vgl. etwa § 33 Abs. 3 Satz 5 Polizeigesetz Baden-Württemberg: zwei Wochen). Auch das PolG NRW sieht im Grundsatz eine Höchstfrist von zwölf Stunden vor und lässt eine längere Freiheitsentziehung nur in der Ausnahmesituation zu, in der die Annahme gerechtfertigt ist, die Identitätsfeststellung sei vorsätzlich verhindert worden. Dass in solchen Fallkonstellationen die Identifizierung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist und gegebenenfalls eine längere Zeitspanne erfordern kann, ist nachvollziehbar. Nach den - auch von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogenen - Erwägungen des Landesgesetzgebers ist etwa beim Verkleben von Fingerkuppen mit Sekundenkleber die Durchführung der Identifizierung innerhalb der Zwölfstundenfrist ohne Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit nahezu unmöglich (LT-Drucks. NRW 17/2351, S. 47). Vor diesem Hintergrund begegnet der verlängerte Zeitraum der Freiheitsentziehung zumindest in Konstellationen, in denen an ein vorheriges vorsätzliches Verhalten des von der Maßnahme Betroffenen angeknüpft wird, keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. auch BeckOK PolG NRW/Basteck, 16. Edition, § 38 Rn. 22; Ennuschat, Stellungnahme zur Gesetzesänderung, LT-Drucks. NRW 17/940, S. 10; Thiel, Stellungnahme zur Gesetzesänderung, LT-Drucks. NRW 17/651, S. 13). Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann gegebenenfalls durch eine - bereits im Gesetz selbst angelegte - zeitliche Begrenzung der Freiheitsentziehung im Einzelfall ausreichend Rechnung getragen werden. Soweit in der Literatur Zweifel an der Verhältnismäßigkeit daran festgemacht werden, dass für bis zu siebentägige Freiheitsentziehungen auch an Maßnahmen zur Identitätsfeststellung ohne hinreichend gewichtigen Anlass angeknüpft wird (Pieroth, GSZ 2018, 133, 137; Gusy, Stellungnahme zur Gesetzesänderung, LT-Drucks. NRW 17/630, S. 13) oder solche Ingewahrsamnahmen ebenfalls zu Lasten von Nichtverantwortlichen vorgenommen werden können (Möhle, GSZ 2019, 263, 264), kommt gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung in Betracht, welcher die Regelungen nach ihrem Wortlaut und dem zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Willen auch zugänglich sind (aA Möhle, aaO). So ist den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zu entnehmen, dass die im Jahr 2018 in Kraft getretene Erweiterung der Höchstfrist vorrangig auf polizeiliche Maßnahmen gegen organisierte und vernetzte Gruppierungen abzielt, bei denen sich die handelnden Personen durch grundsätzlichen Widerstand gegen die Rechtsordnung und die Anordnungen von Polizei und Justiz auszeichnen (vgl. LT-Drucks. NRW 17/3865, S. 21 f.).

(3) Das Landgericht hat die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme zur Identitätsfeststellung als gegeben erachtet. Dies ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

(a) Nach § 12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 3 PolG NRW kann eine Person zum Zweck der Feststellung ihrer Identität zur Abwehr einer Gefahr festgehalten werden, wenn die Identität auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Das Landgericht hat angenommen, eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne des § 8 Abs. 1 PolG NRW ergebe sich daraus, dass das bisherige Verhalten des Betroffenen ein erneutes Eindringen in das Tagebaugebiet erwarten lasse. Er sei am 9. Februar 2019 in das befriedete Besitztum der R. eingedrungen und habe damit einen Hausfriedensbruch im Sinne von § 123 StGB begangen. Dabei ist das Beschwerdegericht entgegen der im Beschwerdeverfahren vom Betroffenen vertretenen Auffassung aufgrund eines Schreibens des Unternehmens davon ausgegangen, dass der Tagebau vollständig durch zusammenhängende Schutzwehren gegen das beliebige Betreten gesichert sei und diese Einfriedung fortlaufend durch Mitarbeiter kontrolliert werde. Dies erscheine im Hinblick auf die gerichtsbekannt mehrfach im Jahr stattfindenden Proteste und Aktionen gegen den Braunkohleabbau ohne weitere Nachweise glaubhaft. Angesichts der Verklebung der Fingerkuppen und der Äußerungen des Betroffenen in der Anhörung, dass „das Polizeigesetz NRW kritisch zu sehen“ und „alles unverhältnismäßig“ sei, lägen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betroffene und die weiteren Ingewahrsamgenommenen ihr Verhalten darauf gerichtet hätten, eine gerichtliche Klärung der Wirksamkeit des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Polizeigesetzes NRW herbeizuführen. Dies lasse ein erneutes Eindringen erwarten. Um dies zu verhindern, sei die Erteilung eines polizeilichen Aufenthaltsverbotes erforderlich, was ohne vorherige Identitätsfeststellung nicht möglich sei.

Die Einschätzung des Landgerichts, dass sich aus dem Aufsuchen des Tagebaus und der Verklebung der Fingerkuppen die hinreichende Erwartung der Begehung zukünftiger Straftaten des Hausfriedensbruchs ergab, ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht ist zunächst rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gekommen, dass es sich bei dem Betriebsgelände des betroffenen Unternehmens um ein befriedetes Besitztum im Sinne von § 123 StGB handelte. Auch die Gefahrprognose weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Soweit das Beschwerdegericht - durch die Rechtsbeschwerde angezweifelt - die Erwartung des erneuten Eindringens in das Tagebaugelände mit der Erwägung begründet hat, dass auch in Zukunft aus der Sicht des Beschwerdeführers die Notwendigkeit einer gerichtlichen Klärung der Frage bestehe, ob das PolG NRW nach seiner Änderung noch verhältnismäßig sei, kann dahinstehen, ob sich dieses Argument als tragfähig erweist. Bereits die Verklebung der Fingerkuppen bei Aufsuchen des Tagebaus, an die das Landgericht ebenfalls angeknüpft hat, stellte für sich genommen eine hinreichende Grundlage für die prognostische Einschätzung dar, in Zukunft werde es durch den Rechtsbeschwerdeführer zu weiteren Straftaten des Hausfriedensbruchs kommen. Wäre seine Identität nicht festgestellt worden, hätte er davon ausgehen können, er sei auch in Zukunft in der Lage, das Tagebaugelände unter erneuter Verklebung der Fingerkuppen anonym zu betreten. Da mit diesem Vorhaben ersichtlich fortbestehende politische Ziele im Zusammenhang mit Protesten gegen den Braunkohletagebau verbunden waren, bestand eine durch Tatsachen belegte Gefahr weiterer vergleichbarer strafbarer Handlungen.

(b) Ebenfalls ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Ingewahrsamnahme zur Identitätsfeststellung erforderlich war. Gegen seine nachvollziehbar begründete Beurteilung, die Identitätsfeststellung sei nicht anders als durch die Anordnung der Freiheitsentziehung zu erreichen gewesen, ist rechtlich nichts zu erinnern. Das Verkleben der Fingerkuppen und die ansonsten fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung auf Seiten des Rechtsbeschwerdeführers ließen eine Identitätsfeststellung nur dadurch realistisch erscheinen, dass dieser bis zur Ablösung der Verklebungen in Gewahrsam blieb. Weniger eingriffsintensive Maßnahmen, welche das Ziel der Identitätsfeststellung und die damit mittelbar verbundene Erwartung der Verhütung zukünftiger Straftaten mit sich bringen konnten, waren für das Landgericht unter den gegebenen Umständen nicht ersichtlich. Insbesondere handelte es sich bei dem - im Beschwerdeverfahren vorgeschlagenen - „Abrubbeln“ des Klebers oder dem vom Rechtsmittelführer ausdrücklich abgelehnten Einsatz von Lösungsmitteln um kein gegenüber der angeordneten Freiheitsentziehung milderes Mittel. Im ersten Fall waren - wie das Landgericht dargelegt hat - Verletzungen der Haut zu erwarten. Die zweite Möglichkeit wäre nur gegen den Willen des Rechtsbeschwerdeführers durchzusetzen gewesen, was naheliegend die Anwendung unmittelbaren Zwangs erforderlich gemacht hätte (vgl. dazu auch die diesbezüglichen Überlegungen während des Gesetzgebungsverfahrens, LT-Drucks. NRW 17/3835, S. 22).

(c) Der für notwendig gehaltene Zeitraum der Freiheitsentziehung begegnet ebenso wenig rechtlichen Bedenken. Nachvollziehbar und von der Rechtsbeschwerde nicht beanstandet hat das Beschwerdegericht in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht einen Zeitraum von fünf Tagen bis zur Ablösung des Klebers ohne den Einsatz von Lösungsmitteln prognostiziert. Ohne Rechtsfehler hat sich das Landgericht im Hinblick auf das Verkleben der Fingerkuppen davon überzeugt, dass der Betroffene gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 5 Satz 2 PolG NRW die Identitätsfeststellung innerhalb von zwölf Stunden vorsätzlich verhindert hatte. Nach § 38 Abs. 2 Nr. 5 Satz 3 i.V.m. Nr. 2 PolG NRW durfte daher die Dauer der Freiheitsentziehung auf bis zu sieben Tage bemessen werden.

(d) Die angeordnete Freiheitsentziehung ist überdies verhältnismäßig. Dies gilt auch bei Heranziehung eines besonders strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstabs, was bei präventiven Freiheitsbeschränkungen, die nicht dem Schuldausgleich dienen, regelmäßig veranlasst ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326, 372 f.; BVerfG, Beschluss vom 18. April 2016 - 2 BvR 1833/12 u.a., NVwZ 2016, 1079 Rn. 25). Zwar ist bei der insoweit vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen, dass die angeordnete Maßnahme anders als etwa beim Unterbringungsgewahrsam die Gefahr zukünftiger Rechtsverstöße nicht unmittelbar beseitigt, sondern lediglich - und auch nur für den Fall einer erfolgreichen Identifizierung - reduziert, indem der Rechtsbeschwerdeführer zukünftig mit der Verhängung eines Aufenthaltsverbots und mit Strafverfolgung rechnen muss. Außerdem stellt sich die erwartete Straftat für sich genommen als nicht besonders gravierend dar. Allerdings sind insbesondere wiederholte Hausrechtsverletzungen durch mehrere Personen unter Berücksichtigung des Umstands, dass dabei auch wichtige Arbeitsmittel besetzt werden, durchaus geeignet, erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Arbeitsabläufe und daraus folgend gravierende wirtschaftliche Nachteile hervorzurufen. Zudem hat der Rechtsbeschwerdeführer selbst die Ursache für die Notwendigkeit der Freiheitsentziehung gesetzt, indem er die Identitätsfeststellung vorsätzlich erschwerte. Schließlich war es ihm jederzeit möglich, durch die eigene Offenbarung seiner Identität, zu der er ohnehin gesetzlich verpflichtet war (§ 9 Abs. 3 Satz 1 PolG NRW, vgl. auch § 163b Abs. 1 StPO, § 111 Abs. 1 OWiG), die Freiheitsentziehung selbst zu beenden. Vor diesem Hintergrund erweist es sich ungeachtet des erheblichen Eingriffs in die Freiheitsrechte des Rechtsmittelführers in Abwägung mit dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit als rechtsfehlerfrei, dass das Landgericht die vom Amtsgericht angeordnete Fortdauer der Freiheitsentziehung (für maximal knapp 113 Stunden) bis längstens zum 14. Februar 2019 um 12:00 Uhr für rechtmäßig erklärt hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts des Rechtsbeschwerdeverfahrens auf § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 305

Bearbeiter: Christian Becker