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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 995

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 91/20, Urteil v. 16.07.2020, HRRS 2020 Nr. 995


BGH 4 StR 91/20 - Urteil vom 16. Juli 2020 (LG Essen)

Erweiterte Einziehung von Taterträgen (Voraussetzungen).

§ 73a StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Die erweiterte Einziehung von Taterträgen im Sinne des § 73a StGB setzt voraus, dass das Tatgericht aufgrund erschöpfender Beweiserhebung und -würdigung die uneingeschränkte Überzeugung gewonnen hat, dass die von der Anordnung erfassten und im Eigentum des Angeklagten stehenden Gegenstände aus rechtswidrigen Taten erlangt sind, ohne dass diese selbst im Einzelnen festgestellt werden müssten. Begründen bestimmte Tatsachen die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass Vermögensgegenstände des Täters aus anderen - legalen ? Quellen und nicht aus rechtswidrigen Taten stammen, steht dies der Anordnung der erweiterten Einziehung von Taterträgen jedoch entgegen.

Entscheidungstenor

1.Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 10. Oktober 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der erweiterten Einziehung von Taterträgen abgesehen worden ist.

2.Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es ein Elektroimpulsgerät, ein näher bezeichnetes Messer sowie 49,656 Gramm Kokaingemisch eingezogen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die unterbliebene erweiterte Einziehung von Taterträgen (§ 73a StGB). Zwar ist der Revisionsantrag ? weitergehend ? auf die Aufhebung „der Einziehungsentscheidung“ gerichtet. Eine Auslegung der Revisionsbegründungsschrift unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV ergibt jedoch zweifelsfrei, dass die Staatsanwaltschaft die auf § 73 Abs. 1 StGB gestützte Ablehnung der Einziehung von ihrem Revisionsangriff ausgenommen hat. Das wirksam auf die unterbliebene Anordnung der erweiterten Einziehung von Taterträgen (vgl. BGH, Urteile vom 29. März 2018 - 4 StR 568/17, BGHSt 63, 114, 115; vom 28. August 2018 - 1 StR 103/18, NStZ-RR 2018, 335; vom 10. Januar 2018 - 5 StR 465/17 und Beschluss vom 7. Juli 2011 - 3 StR 144/11) beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

1. Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte im Jahr 2019 einen schwunghaften Handel mit Kokain. Bei der am 4. Juli 2019 durchgeführten Wohnungsdurchsuchung wurden 49,656 Gramm Kokain gefunden, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren; zudem fanden sich auf einer Fensterbank im Wohnzimmer zugriffsbereit ein Messer mit spitz zulaufender, einseitig geschärfter und 15 Zentimeter langer Klinge sowie ein als Taschenlampe getarntes Elektroimpulsgerät. Schließlich wurde im Wohn- und im Schafzimmer des Angeklagten Bargeld in Höhe von insgesamt 18.929,12 Euro, welches er nicht durch die verfahrensgegenständliche Tat erlangte, aufgefunden und sichergestellt.

2. Das Landgericht hat von der erweiterten Einziehung von Taterträgen abgesehen, weil die „Voraussetzungen des § 73d StGB“ nicht vorlägen. Es sei zwar davon auszugehen, dass „zumindest ein nicht unerheblicher Teil des in der Wohnung aufgefundenen Bargelds aus Betäubungsmittelgeschäften des Angeklagten“ stamme; die Anordnung des „erweiterten Verfalls“ scheide jedoch aus, weil die Möglichkeit verbleibe, dass nicht alle sichergestellten Geldbeträge aus früheren Betäubungsmittelgeschäften erlangt seien.

3. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Dabei ist letztlich unschädlich, dass das Landgericht seiner Entscheidung § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB aF zugrunde gelegt und nicht bedacht hat, dass diese Vorschrift durch das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) aufgehoben und durch die Vorschrift des § 73a StGB ersetzt worden ist. Da § 73a StGB gegenüber § 73d Abs. 1 StGB aF in sachlicher Hinsicht im Wesentlichen keine Änderung erfahren hat (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2018 - 3 StR 63/18; BTDrucks. 18/9525, S. 66), liegt hierin kein den Bestand des Urteils gefährdender Rechtsfehler.

b) Die Begründung, mit der das Landgericht die erweiterte Einziehung von Taterträgen abgelehnt hat, ist nicht tragfähig.

aa) Die erweiterte Einziehung von Taterträgen im Sinne des § 73a StGB setzt voraus, dass das Tatgericht aufgrund erschöpfender Beweiserhebung und -würdigung die uneingeschränkte Überzeugung gewonnen hat, dass die von der Anordnung erfassten und im Eigentum des Angeklagten stehenden Gegenstände aus rechtswidrigen Taten erlangt sind, ohne dass diese selbst im Einzelnen festgestellt werden müssten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2018 - 5 StR 465/17; Beschluss vom 22. November 1994 - 4 StR 516/94, BGHSt 40, 371, 373). Begründen bestimmte Tatsachen die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass Vermögensgegenstände des Täters aus anderen - legalen ? Quellen und nicht aus rechtswidrigen Taten stammen, steht dies der Anordnung der erweiterten Einziehung von Taterträgen jedoch entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 1994 - 4 StR 516/94, BGHSt 40, 371, 373).

bb) Gemessen hieran ist die tatgerichtliche Annahme, dass der in der Wohnung aufgefundene und im Eigentum des Angeklagten (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - 1 StR 503/18, NStZ 2019, 141) stehende erhebliche Bargeldbetrag zumindest teilweise aus legalen Quellen stammt, beweiswürdigend nicht tragfähig belegt.

Konkrete Tatsachen, die darauf hindeuten könnten, dass „nicht alle sichergestellten Beträge aus Betäubungsmittelgeschäften erlangt“ sind, lassen sich den Urteilsgründen auch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen. Sie liegen angesichts der Feststellungen zur Auffindesituation des Bargelds in überwiegend „dealertypischer Stückelung“ in einer dem Betäubungsmittelhandel dienenden Wohnung sowie den Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (vgl. § 437 StPO) des Angeklagten, der im Inland keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, eher fern. Das Landgericht hätte sich daher zu einer Auseinandersetzung mit diesen Umständen gedrängt sehen müssen, an der es hier fehlt.

c) Der Senat vermag ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen (§ 337 StPO).

4. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

Der Senat weist auf Folgendes hin:

Wegen des beschränkten Anfechtungsumfangs des Rechtsmittels ist die auf § 73 Abs. 1 StGB gestützte Ablehnung der Einziehung einschließlich der sie tragenden Feststellung, dass der sichergestellte Bargeldbetrag in Höhe von 18.929,12 Euro nicht aus der verfahrensgegenständlichen Tat erlangt ist, bindend geworden.

Sollte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht tatsachenfundiert zu der Überzeugung gelangen, dass ein Teil des Bargelds möglicherweise aus einer legalen Quelle stammt, wird es den der erweiterten Einziehung unterliegenden Bargeldbetrag erforderlichenfalls durch Schätzung zu ermitteln (§ 73d StGB) und die Schätzgrundlagen in den Urteilsgründen nachvollziehbar darzulegen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 995

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner