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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 516/94, Beschluss v. 22.11.1994, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 516/94 - Beschluss vom 22. November 1994 (LG Bochum)

BGHSt 40, 371; Anforderungen an die Anordnung des erweiterten Verfalls (verfassungskonforme Auslegung: uneingeschränkte Überzeugung von der deliktischen Herkunft der Gegenstände).

§ 73d Abs. 1 Satz 1 StGB; Art. 14 GG; Art. 2 Abs. 1 GG

Leitsatz des BGH

StGB § 73d Absatz 1 Satz 1 ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß die Anordnung des erweiterten Verfalls die uneingeschränkte tatrichterliche Überzeugung von der deliktischen Herkunft der Gegenstände voraussetzt. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil der großen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 11. Mai 1994 werden verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen Betäubungsmittelstraftaten je zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es ferner Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Darüber hinaus hat es bestimmt, daß das auf dem Konto der Volksbank O. mit der Sparkonto-Nr. 11168340 vorhandene Guthaben in Höhe von 42.520,18 DM des Angeklagten M. dem erweiterten Verfall unterliegt und eingezogen wird. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts rügen; der Angeklagte M. beanstandet ferner das Verfahren. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

Nach den Feststellungen des Landgerichts verhandelten die Angeklagten am 15. Oktober 1992 telefonisch mit einem "Resit" in den Niederlanden verschlüsselt über den Ankauf von drei Kilogramm Heroin. Die Angeklagten waren bereit zu zahlen "egal, was es kosten werde". Die Durchführung des Geschäfts scheiterte schließlich daran, daß die Angeklagten nicht über genügend Bargeld verfügten, um das Heroin - wie von dem Verkäufer gefordert - gleich bei der Lieferung zu bezahlen. In einem weiteren Fall fuhren beide Angeklagten am 1. August 1993 im Pkw des Angeklagten M. nach Bonn, wo sie ein Kilogramm Heroin übernahmen. Nach O. zurückgekehrt, wurden sie aufgrund einer Observation durch die Polizei festgenommen.

I. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften vom 20. September 1994.

II. Näherer Erörterung bedarf nur die den Angeklagten M. betreffende Anordnung des erweiterten Verfalls hinsichtlich seines Sparguthabens in Höhe von 42.520,18 DM.

1. Die Maßnahme beruht auf einer wirksamen Rechtsgrundlage.

a) Zwar wird im Schrifttum die Verfassungsmäßigkeit der durch Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 (BGBl I 1302) eingefügten Vorschrift des § 73 d StGB unter den Gesichtspunkten der Unschuldsvermutung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip) und der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG) in Zweifel gezogen (vgl. u.a. Dreher/Tröndle StGB 46. Aufl. § 73 d Rdn. 4; Eser in Festschrift für Stree und Wessels zum 70. Geburtstag, 1993, 833; Albrecht in Gewinnabschöpfung bei Betäubungsmitteldelikten, herausgegeben von J. Meyer u.a., BKA-Schriftenreihe, 1989, S. 59 f; Weßlau StV 1991, 226). Die Vorschrift kann nach Auffassung des Senats aber in bezug auf die Anforderungen, die an den Nachweis der Herkunft der von der Anordnung des erweiterten Verfalls erfaßten Gegenstände zu stellen sind, verfassungskonform so ausgelegt werden (vgl. BVerfGE 48, 40, 45), daß ein Verstoß gegen die genannten Grundrechtsnormen nicht gegeben ist.

b) Nach der gesetzlichen Regelung des erweiterten Verfalls hat das Gericht, wenn eine rechtswidrige Tat der durch die Rückverweisungsnorm bestimmten Art (hier § 33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Verbindung mit § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in der Tatbestandsalternative: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) begangen ist, "zwingend" (so die Einzelbegründung des Regierungsentwurfs BT- Drucks. 11/6623 S. 8) den Verfall von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers auch dann anzuordnen, "wenn die Umstände die Annahme rechtfertigen, daß diese Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen erlangt worden sind" (§ 73 d Abs. 1 Satz 1 StGB). Diese Annahme soll nach den Überlegungen des Gesetzgebers dann gerechtfertigt sein, "wenn sich rechtmäßige Quellen nicht feststellen lassen (und) sich die Herkunft aus rechtswidrigen Taten im Hinblick auf die Situation des Täters und sein Vorleben einem objektiven Betrachter geradezu aufdrängt" (BT-Drucks. aaO S. 7). Die danach vom Gesetzgeber einerseits vorausgesetzte, andererseits aber auch für genügend erachtete "ganz hohe Wahrscheinlichkeit" (BT-Drucks. aaO S. 5) der deliktischen Herkunft reicht aber nicht aus, die verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Diese leiten sich - zusammengefaßt - daraus her, daß das Institut des erweiterten Verfalls auf einer Unterstellung von Straftaten beruht, weil die Regelung in § 73 d Abs. 1 Satz 1 StGB jedenfalls nach den gesetzgeberischen Intentionen für den Zugriff auf Tätervermögen eine - allenfalls gesteigerte - Wahrscheinlichkeit in zweierlei Hinsicht genügen läßt: nämlich daß der Angeklagte weitere Straftaten begangen und daß er Vermögen aus solchen wahrscheinlich begangenen Straftaten erlangt hat. Die Grundrechte des Angeklagten wären aber nach Auffassung des Senats verletzt, wenn aufgrund einer Verdachtslage, und sei der Verdacht noch so dringend, sachlich endgültige (§ 73 e StGB) strafrechtliche Maßnahmen getroffen würden.

c) Im Lichte der hier berührten Grundrechte sind deshalb erhöhte Anforderungen an den Nachweis der Herkunft von deliktsverdächtigen Vermögensgegenständen zu stellen. Für die den Schuldspruch tragenden Feststellungen ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß selbst ein sehr hohes Maß an Wahrscheinlichkeit die notwendige tatrichterliche Überzeugung nicht ersetzen kann (vgl. BGHSt 10, 208, 210; BGH, Urteil vom 30. Juli 1981 - 4 StR 348/81). Nichts anderes kann für die Feststellungen gelten, die die Anordnung des erweiterten Verfalls tragen. Das normativ wertende Element "wenn die Umstände die Annahme rechtfertigen" in § 73 d Abs. 1 Satz 1 StGB - dem nach dem Willen des Gesetzgebers die Aufgabe zukommt, bei der Gesamtbewertung des Sachverhalts auch die Grundrechtsverbürgungen zu berücksichtigen (vgl. BT-Drucks. 11/6623 S. 5 und 7) - ist deshalb verfassungskonform einengend auszulegen: Die Anordnung des erweiterten Verfalls kommt nur in Betracht, wenn der Tatrichter aufgrund erschöpfender Beweiserhebung und -würdigung (vgl. Lackner StGB 20. Aufl. § 73 d Rdn. 8) die uneingeschränkte Überzeugung gewonnen hat, daß der Angeklagte die von der Anordnung erfaßten Gegenstände aus rechtswidrigen Taten erlangt hat, ohne daß diese selbst im einzelnen festgestellt werden müßten (vgl. auch BGH, Beschluß vom 6. Juli 1994 - 3 StR 668/93). Insoweit kann an die Rechtsprechung zur rechtsfehlerfreien richterlichen Überzeugungsbildung angeknüpft werden (vgl. Hürxthal in KK StPO 3. Aufl. zu § 261 Rdn. 2 bis 4 mit Nachw.).

Gründe, die zu vernünftigen Zweifeln an einer deliktischen Herkunft von Tätervermögen Anlaß geben, stehen der Anordnung des erweiterten Verfalls dieser Gegenstände entgegen. Begründen mithin bestimmte Tatsachen die nicht nur theoretische Möglichkeit, daß Vermögensgegenstände des Täters aus anderen Quellen als aus rechtswidrigen Taten stammen, so scheidet die Anordnung des erweiterten Verfalls aus. Allerdings dürfen an die Überzeugungsbildung keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist das Gericht nicht gehindert, sondern gehalten, auch - wie es das Landgericht getan hat - die festgestellten Anlaßtaten selbst dann in seine Überzeugungsbildung einzubeziehen, wenn aus ihnen kein Gewinn erlangt worden ist.

2. Den Anforderungen, die bei der Anordnung des erweiterten Verfalls hiernach an die Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zu stellen sind, wird das angefochtene Urteil noch gerecht:

Das Landgericht, das unter anderem festgestellt hat, daß der Angeklagte 1979 politisches Asyl erhalten und 1987 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, hat zur Herkunft des für verfallen erklärten Sparguthabens von 42.520,18 DM ausgeführt:

"Während seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland hatte er seit dem 12.10.1983, also schon vor Kontoeröffnung, ein durchschnittliches Einkommen von 850 DM monatlich. Die Kaltmiete betrug zuletzt 600 DM. Darüber hinaus besaß der Angeklagte einen Pkw, den er unterhielt. Auch mußte er seinen allgemeinen Lebensunterhalt bestreiten. Somit verbleibt nur die Möglichkeit, daß das Geld durch Straftaten erworben wurde. Der Angeklagte hat am 15.10.1992 sowie am 1.8.1993 jeweils gewerbsmäßig mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ohne die erforderliche Erlaubnis Handel getrieben. Aus diesen konkret abgeurteilten Geschäften ist allerdings kein Gewinn erzielt worden, da das Geschäft in Holland nicht zustande kam und das in Bonn erworbene Rauschgift sichergestellt worden ist. Diese Taten zeigen jedoch, daß der Angeklagte mit Rauschgift handelte. Anhaltspunkte für irgendwelche anderen strafbaren Verhaltensweisen des Angeklagten liegen nicht vor, so daß zur Überzeugung der Kammer das Geld aus anderen, ihr nicht bekannten Rauschgiftgeschäften stammt" (UA 20).

Dies läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

Externe Fundstellen: BGHSt 40, 371; NJW 1995, 470; NStZ 1995, 125; StV 1995, 76

Bearbeiter: Karsten Gaede