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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 952

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 44/20, Beschluss v. 26.05.2020, HRRS 2020 Nr. 952


BGH 2 StR 44/20 - Beschluss vom 26. Mai 2020 (LG Kassel)

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung der Wirkstoffmenge bei Betäubungsmitteldelikten); Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern (Subsidiarität der erweiterten Einziehung); Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten bei Tätern und Teilnehmern (einziehungsfähige Gegenstände).

§ 73 Abs. 1 StGB; § 74 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar kommt auch der Rauschgiftmenge als solcher, ebenso wie der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit im Rahmen der Strafzumessung eine eigenständige Bedeutung zu. Dies ändert aber nichts daran, dass im Hinblick auf die durch das Betäubungsmittelgesetz geschützte Volksgesundheit die Wirkstoffmenge ein wesentlicher Umstand zur Beurteilung der Schwere der Tat und zur Bestimmung des Schuldumfangs ist.

2. Die erweiterte Einziehung von Taterträgen gegenüber der Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB subsidiär ist und nur angeordnet werden kann, wenn sich das Tatgericht außer Stande sieht, die deliktisch erlangten Gegenstände eindeutig den abgeurteilten oder anderen konkreten rechtswidrigen Taten zuzuordnen

3. Zwar können gemäß § 74 Abs. 1 StGB als Tatwerkzeuge nicht nur solche Gegenstände eingezogen werden, die zur eigentlichen Begehung der Tat Verwendung finden bzw. nach der Planung des Täters hierzu bestimmt sind, sondern alles, was die Tat überhaupt ermöglicht und zu ihrer Durchführung dient oder hierfür erforderlich ist. Gegenstände, die sowohl zur Tatbegehung als auch zu weiteren Zwecken dienen, unterliegen der Einziehung. Jedoch reicht die nur gelegentliche Benutzung eines Gegenstandes im Zusammenhang mit der Tat nicht aus. Erforderlich ist, dass sein Gebrauch gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert, bzw. nach der Planung des Täters fördern soll.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 13. September 2019

a) betreffend den Angeklagten H.

aa) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben im Ausspruch über (1) die Einzelstrafen in den Fällen II.38 und II.39 der Urteilsgründe, die Gesamtstrafe sowie (2) die Einziehung (a) von Taterträgen in Höhe von 5.700 € und (b) des Fahrzeugs BMW Touring 530d (FIN: ).

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten H., an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

bb) im Ausspruch über „die Einziehung eines Betrages von 16.690 €“ dahingehend abgeändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 16.650 € angeordnet wird, wobei der Angeklagte in Höhe von 1.650 € als Gesamtschuldner neben dem Angeklagten R. haftet;

b) betreffend den Angeklagten R. im Ausspruch über „die Einziehung eines Betrages […] in Höhe von 6.690 €“ dahingehend abgeändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 6.650 € angeordnet wird, wobei der Angeklagte in Höhe von 1.650 € als Gesamtschuldner neben dem Angeklagten H. haftet.

2. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

3. Der Angeklagte R. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 35 Fällen, davon in drei Fällen in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten R. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 34 Fällen, davon in zwei Fällen in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Es hat - gestützt auf § 73 Abs. 1, § 73c StGB - gegen den Angeklagten H. die „Einziehung eines Betrages in Höhe von 16.690 € angeordnet, betreffend den Angeklagten R. in Höhe von 6.690 €“, wobei die Angeklagten in Höhe von 1.690 € als Gesamtschuldner haften. Ferner hat es bei dem Angeklagten H. - gestützt auf § 73a Abs. 1 StGB - die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 5.700 € angeordnet. Es hat zudem näher bezeichnete Betäubungsmittel und Mobiltelefone sowie - betreffend den Angeklagten H. - einen näher bezeichneten BMW 530d Touring eingezogen.

Die auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Rügen der Verletzung formellen Rechts bleiben aus den in den Zuschriften des Generalbundesanwalts dargestellten Gründen ohne Erfolg. Insbesondere ist es verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die wörtlichen Übersetzungen von Gesprächsprotokollen nach § 249 Abs. 1 StPO im Wege des Urkundenbeweises in die Hauptverhandlung eingeführt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2019 - 2 StR 485/18, juris Rn. 10).

2. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch sowie den Aussprüchen zu den Einzelstrafen in den Fällen II.1 (betreffend H.), II.2 bis II.35 (betreffend beide Angeklagte), II.36 und II.37 der Urteilsgründe sowie der Gesamtstrafe, jeweils betreffend den Angeklagten R., keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Hingegen halten die Aussprüche zu den Einzelstrafen in den Fällen II.38 und II.39 der Urteilsgründe sowie die Gesamtstrafe, jeweils den Angeklagten H. betreffend, rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Einziehungsentscheidungen erweisen sich hinsichtlich beider Angeklagten als teilweise fehlerhaft.

a) Die Einzelstrafen in den Fällen II.38 und II.39 der Urteilsgründe sowie die Gesamtstrafe unterfallen der Aufhebung.

aa) Das Landgericht hat in den Fällen II.38 und II.39 der Urteilsgründe bei der Zumessung der beiden Einzelstrafen unter anderem straferschwerend gewertet, dass der Angeklagte H. Kokain von einem bzw. zwei Kilogramm gehandelt und die nicht geringe Menge zum Handel mit Rauschgift erheblich überschritten habe. Diese Strafaussprüche haben keinen Bestand, weil die Strafkammer keine Feststellungen zur Wirkstoffmenge des gehandelten Kokains getroffen hat und damit einen für die Bestimmung des Schuldumfangs wesentlichen Umstand außer Betracht gelassen hat. Zwar kommt auch der Rauschgiftmenge als solcher, ebenso wie der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit im Rahmen der Strafzumessung eine eigenständige Bedeutung zu. Dies ändert aber nichts daran, dass im Hinblick auf die durch das Betäubungsmittelgesetz geschützte Volksgesundheit die Wirkstoffmenge ein wesentlicher Umstand zur Beurteilung der Schwere der Tat und zur Bestimmung des Schuldumfangs ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 23. Oktober 2019 - 2 StR 294/19, juris Rn. 18, BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2019 - 4 StR 1/19, juris Rn. 3; vom 20. Juni 2017 - 1 StR 213/17, NStZ-RR 2017, 377, 378; vom 12. Mai 2016 - 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247, 248; vom 7. Dezember 2011 - 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339). Angesichts der gehandelten Menge von einem bzw. zwei Kilogramm Kokain und der Kaufpreise von 32.000 € bzw. 50.000 € sowie der Feststellung, dass es sich im Fall II.38 der Urteilsgründe um „sehr gute Qualität“ handelte, kann der Senat ausschließen, dass sich der Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf den Schuldspruch ausgewirkt hat.

bb) Der Wegfall der beiden Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe betreffend den Angeklagten H. die Grundlage.

b) Die Einziehungsentscheidungen haben nur teilweise Bestand.

aa) Das Landgericht hat bei der im Übrigen rechtsfehlerfrei ermittelten Höhe des Wertes der erlangten Taterträge bei beiden Angeklagten im Fall II.5 der Urteilsgründe einen Betrag von 60 € für drei am 6. Januar 2018 gehandelte Plomben Kokain in Ansatz gebracht, ohne diese Anzahl zu belegen. Denn nach den Urteilsgründen konnte eine „Anzahl nicht […] festgestellt werden“. Dass indes ein Handel mit Kokain an diesem Tag stattfand, ist durch die Beweiswürdigung belegt. Der Senat ist daher zugunsten der beiden Angeklagten von mindestens einer gehandelten Kokainplombe im Wert von 20 € ausgegangen und hat den Betrag zur Einziehung des Wertes von Taterträgen um 40 € reduziert.

bb) Die auf § 73a Abs. 1 StGB gestützte (erweiterte) Einziehung von Taterträgen in Höhe von 5.700 € hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Strafkammer hat nicht bedacht, dass die erweiterte Einziehung von Taterträgen gegenüber der Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB subsidiär ist und nur angeordnet werden kann, wenn sich das Tatgericht außer Stande sieht, die deliktisch erlangten Gegenstände eindeutig den abgeurteilten oder anderen konkreten rechtswidrigen Taten zuzuordnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. November 2019 - 3 StR 249/19, juris Rn. 3; vom 25. Oktober 2018 - 1 StR 275/18, juris Rn. 24; Senat, Beschluss vom 21. August 2018 - 2 StR 231/18, NStZ-RR 2018, 380, 381 f., jeweils mwN). Die Strafkammer hätte sich daher vor der Anordnung der erweiterten Einziehung von Taterträgen mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die bei dem Angeklagten H. am 12. September 2018 sichergestellten 5.700 € Taterträge aus der Tat II.39 der Urteilsgründe umfassten, bei der der Angeklagte am 11. September 2018 einen Betrag von 15.000 € erlangt hatte. In diesem Fall wären die sichergestellten 5.700 € in dem anlässlich der Tat II.39 der Urteilsgründe eingezogenen Wertersatz von Taterträgen ganz oder teilweise enthalten (vgl. zur Einziehung von Bargeld als Wertersatzeinziehung BGH, Beschluss vom 20. April 2010 - 4 StR 119/10, juris Rn. 9).

cc) Auch die Einziehung des BMW 530d Touring, zu dem die Strafkammer an anderer Stelle festgestellt hat, dass der Angeklagte H. ihn im Juli 2018 für 5.900 € erworben hatte, unterfällt der Aufhebung. Die insoweit knappen Urteilsausführungen lassen nicht erkennen, dass sich die Strafkammer bewusst gewesen ist, bei der Anordnung der Einziehung eine Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2019 - 4 StR 482/18, juris Rn. 5 mwN). Diese versteht sich, im Gegensatz zur Einziehung der bei den Taten genutzten Mobiltelefone, auch keineswegs von selbst.

Die Aufhebung der Einziehungsentscheidung bleibt ohne Einfluss auf die verbleibenden Strafaussprüche. Der Senat schließt aus, dass diese bei erneuter Anordnung der Einziehungsentscheidung für den Angeklagten H. günstiger ausfallen könnten, da die Strafkammer bei allen Einzelstrafen zugunsten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass bei diesen „neben die Kriminalstrafe auch die Einziehung erheblicher Vermögensgüter als empfindliches Übel“ tritt. Sollte die Strafkammer von der Einziehung des Pkw absehen, wäre lediglich ein bereits mildernd berücksichtigter Umstand tatsächlich nicht gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 4 StR 375/11, juris Rn. 4).

dd) Im Übrigen hat die Überprüfung der weiteren Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

3. Die Einzelstrafen in den Fällen II.38 und II.39 der Urteilsgründe, die Gesamtstrafe, die (erweiterte) Einziehung von Taterträgen in Höhe von 5.700 € sowie die Einziehung des Pkw BMW Touring 530d bedürfen daher neuer tatrichterlicher Prüfung. Dabei wird Folgendes zu beachten sein: Zwar können gemäß § 74 Abs. 1 StGB als Tatwerkzeuge nicht nur solche Gegenstände eingezogen werden, die zur eigentlichen Begehung der Tat Verwendung finden bzw. nach der Planung des Täters hierzu bestimmt sind, sondern alles, was die Tat überhaupt ermöglicht und zu ihrer Durchführung dient oder hierfür erforderlich ist. Gegenstände, die sowohl zur Tatbegehung als auch zu weiteren Zwecken dienen, unterliegen der Einziehung. Jedoch reicht die nur gelegentliche Benutzung eines Gegenstandes im Zusammenhang mit der Tat nicht aus. Erforderlich ist, dass sein Gebrauch gezielt die Verwirklichung des deliktischen Vorhabens fördert, bzw. nach der Planung des Täters fördern soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2019 - 3 StR 345/19, juris Rn. 2; vom 3. Juli 2018 - 1 StR 264/18, juris Rn. 4; Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2004 - 2 StR 362/04, juris Rn. 3, jeweils mwN; vgl. auch SSW-StGB/Heine, 4. Aufl., § 74 Rn. 7; BeckOK-StGB/Heuchemer, 46. Ed., § 74 Rn. 15; Matt/Renzikowski/Altenhain/Fleckenstein, StGB, 2. Aufl., § 74 Rn. 4; MüKo-StGB/Joecks, 3. Aufl., § 74 Rn. 14). Hierzu wird es genauer und belegter Feststellungen bedürfen, in welcher Form der Angeklagte das vorgenannte Fahrzeug anlässlich der letzten Tat einsetzte (vgl. zur Nutzung eines Pkw bei einer Schmuggelfahrt BGH, Beschluss vom 11. Mai 2016 - 1 StR 118/16, NStZ 2016, 731, 732).

4. Die Kostenentscheidung betreffend den Angeklagten R. beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Im Hinblick auf den nur geringfügigen Teilerfolg seiner Revision ist es nicht unbillig, ihn mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels zu belasten.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 952

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner