hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 153

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 58/19, Beschluss v. 13.11.2019, HRRS 2020 Nr. 153


BGH 1 StR 58/19 - Beschluss vom 13. November 2019 (LG Kiel)

Anfrage- und Vorlageverfahren; Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Verjährungsbeginn).

§ 132 Abs. 2, Abs. 3 GVG; § 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB; § 78a Satz 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an - gegebenenfalls - entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Entscheidungstenor

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:

Bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen.

2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an - gegebenenfalls - entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Gründe

Das Landgericht Kiel hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 67 Fällen und wegen Steuerhinterziehung in 36 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und von der Strafe zwei Monate für vollstreckt erklärt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

I.

Das Landgericht hat - soweit für das Anfrageverfahren von Bedeutung - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte setzte als Geschäftsführer der H. GmbH in den Jahren 2007 bis 2012 zur Erbringung von Bauleistungen illegal beschäftigte Mitarbeiter ein und verschleierte dies durch Abdeckrechnungen. Die „schwarz“ beschäftigten Arbeitnehmer meldete er nicht bei der jeweils zuständigen Einzugsstelle zur Sozialversicherung, obwohl er seine entsprechende Verpflichtung kannte. Er enthielt dadurch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung vor (Fälle 1. bis 62. der Urteilsgründe). Ebenso ließ der Angeklagte in Kenntnis seiner entsprechenden Verpflichtung die durch die Scheinrechnungen verdeckten Schwarzlöhne nicht an die BG Bau melden und führte infolgedessen auch die Beiträge zur berufsgenossenschaftlichen Unfallversicherung nicht vollständig ab (Fälle 63. bis 67. der Urteilsgründe). Schließlich machte er in Bezug auf die Abdeckrechnungen gegenüber dem zuständigen Finanzamt unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen und verkürzte dadurch Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag (Fälle 68. bis 103. der Urteilsgründe).

In den Fällen 1. bis 17. der Urteilsgründe lag der Fälligkeitszeitpunkt für die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge zwischen dem 29. Januar 2007 und dem 29. Mai 2008. Im Fall 63. der Urteilsgründe erfolgte die - unvollständige - Meldung an die Berufsgenossenschaft am 6. Februar 2008. Die unrichtigen Steuererklärungen in den Fällen 68. bis 72. der Urteilsgründe gab der Angeklagte zwischen dem 5. April 2007 und dem 9. April 2008 ab.

2. Die Strafverfolgungsverjährung wurde durch einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts K. vom 25. Januar 2012 im Hinblick auf sämtliche Taten unterbrochen. Die Anklage ging am 28. Oktober 2016 beim Landgericht ein und das Hauptverfahren wurde mit Beschluss vom 30. Mai 2018 eröffnet.

3. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Verfahren in den Fällen 68. bis 72. der Urteilsgründe (Steuerhinterziehungstaten) wegen Verjährung einzustellen und die Revision im Übrigen als unbegründet zu verwerfen. Lediglich die Schadensberechnung sei jeweils fehlerhaft, was sich aber nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt habe.

4. Der Senat beabsichtigt - im Übrigen dem Beschlussantrag des Generalbundesanwalts folgend - das Verfahren auch im Hinblick auf die Fälle 1. bis 17. sowie 63. der Urteilsgründe wegen Verjährung dieser Taten (vgl. § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB) einzustellen und infolgedessen den Gesamtstrafenausspruch aufzuheben, kann dies aber nicht ohne Anfrage gemäß § 132 Abs. 2 und 3 GVG entscheiden. Denn nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beginnt die Verjährungsfrist bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB wie in den Fällen 1. bis 17. der Urteilsgründe erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht, so dass Verjährung vorliegend nicht eingetreten wäre.

II.

Der Senat ist - unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung - der Auffassung, dass die Verjährungsfrist bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 sowie Abs. 2 Nr. 2 StGB bereits mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes zu laufen beginnt.

1. Gemäß § 78a Satz 1 StGB beginnt die Verjährung, sobald die Tat beendet ist. Die Tatbeendigung ist dabei von der ihr normalerweise vorgelagerten Vollendung der Tat abzugrenzen (NK/Saliger, StGB, 5. Aufl., § 78a Rn. 5). Die Tat ist vollendet, sobald sämtliche Merkmale des Tatbestandes vollständig verwirklicht wurden (Fischer, StGB, 66. Aufl., § 22 Rn. 4). Die Tatbeendigung tritt dagegen erst ein, wenn der Täter sein „rechtsverneinendes Tun“ insgesamt abschließt und das Tatunrecht mithin tatsächlich in vollem Umfang verwirklicht wurde (BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 - 3 StR 90/08, BGHSt 52, 300 Rn. 6).

2. a) Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tritt bei Taten nach § 266a Abs. 1 StGB Beendigung erst ein, wenn die Beitragspflicht erloschen ist (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2018 - 1 StR 444/18 Rn. 11; Beschlüsse vom 17. Dezember 2013 - 4 StR 374/13 Rn. 17; vom 7. März 2012 - 1 StR 662/11 Rn. 4; vom 18. Mai 2010 - 1 StR 111/10 Rn. 19; vom 28. Oktober 2008 - 5 StR 166/08 Rn. 41 und vom 27. September 1991 - 2 StR 315/91 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 1. September 2016 - 4 StR 341/16 Rn. 5). Gleiches soll für das Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen gemäß § 266a Abs. 2 Nr. 2 StGB gelten (BGH, Beschluss vom 7. März 2012 - 1 StR 662/11 Rn. 4). Der Auffassung des Bundesgerichtshofs folgt die obergerichtliche Rechtsprechung (KG, Beschluss vom 8. Januar 2013 - (4) 121 Ss 210/12 (333/12) Rn. 14; OLG Dresden, NStZ 2011, 163; OLG Jena, NStZ-RR 2006, 170) und die wohl überwiegende Meinung in der Literatur, die vielfach die Tatbeendigung und damit den Verjährungsbeginn in sämtlichen Tatbestandsvarianten der § 266a Abs. 1, § 266a Abs. 2 StGB an das Erlöschen der Beitragspflicht koppelt (für § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB etwa Schönke/Schröder/Perron, StGB, 30. Aufl., § 266a Rn. 31; MK/Radtke, StGB, 3. Aufl., § 266a Rn. 116; BeckOK/Wittig, StGB, 44. Ed., § 266a Rn. 34; Graf/Jäger/Wittig/Wiedner, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 266a Rn. 84; Bittmann/ Weiß, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl., § 21 Rn. 138; Metz, NStZ-RR 2013, 297, 298; Müller-Gugenberger/Thul, Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., § 38 Rn. 277 ff.; LK/Schmid, StGB, 12. Aufl., § 78a Rn. 12; allgemein im Hinblick auf § 266a StGB etwa Schönke/Schröder/Bosch aaO § 78a Rn. 6; Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 78a Rn. 8; nur bzgl. § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB NK/Tag aaO § 266a Rn. 142).

Zur Begründung der Anknüpfung an das Erlöschen der Beitragspflicht verweist der Bundesgerichthof auf den Charakter von § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB als echte Unterlassungsdelikte (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2018 - 1 StR 444/18 Rn. 11; Beschlüsse vom 7. März 2012 - 1 StR 662/11 Rn. 4; vom 28. Oktober 2008 - 5 StR 166/08 Rn. 41 und vom 27. September 1991 - 2 StR 315/91 Rn. 6), was bedeutet, dass sich das tatbestandsmäßige Verhalten in der bloßen Nichterfüllung eines Handlungsgebots erschöpft, ohne dass ein darüberhinausgehender Erfolg eintreten muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2011 - 1 StR 233/11, BGHSt 57, 28 Rn. 13 mwN). Bei den echten Unterlassungsdelikten wird Tatvollendung regelmäßig bejaht, wenn die strafbewehrte Handlungspflicht erstmals hätte erfüllt werden müssen, aber nicht erfüllt worden ist (BGH, Urteil vom 4. April 1979 - 3 StR 488/78, BGHSt 28, 371, 379 f.). Die Tatbeendigung sieht die herrschende Meinung in dem Zeitpunkt, in dem die Pflicht zum Handeln entfällt, also die Strafbarkeit des Täterverhaltens endet (etwa Schönke/Schröder/Bosch aaO § 78a Rn. 6; LK/Schmid aaO § 78a Rn. 12). Wann dies der Fall ist, richtet sich nach der Auslegung des einzelnen Tatbestandes. Bei § 266a StGB besteht der tatbestandsmäßige Unrechtskern im Vorenthalten der Beiträge zur Sozialversicherung (vgl. Krug/Skoupil, wistra 2016, 137, 138). Tatvollendung soll daher eintreten, sobald die versäumte Zahlungsfrist abläuft, d.h. mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts (§ 23 SGB IV), ohne dass die entsprechenden Beiträge abgeführt worden sind (MK/Radtke aaO § 266a Rn. 115). Die für die Tatbeendigung maßgebliche Handlungspflicht entfällt nach dem derzeitigen Verständnis der Rechtsprechung dagegen erst mit dem Erlöschen der Beitragspflicht.

b) Im Hinblick auf § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB beginnt die Verjährungsfrist dagegen bereits nach der bisherigen Rechtsprechung mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts zu laufen. Der Bundesgerichtshof hat dessen Einordnung als echtes Unterlassungsdelikt stets ausdrücklich abgelehnt (BGH, Beschlüsse vom 15. März 2012 - 5 StR 288/11, BGHSt 57, 175 Rn. 22 und vom 11. August 2011 - 1 StR 295/11, BGHR StGB § 266a Abs. 2 Leistungsfähigkeit 1) und den Charakter als Erfolgsdelikt betont (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. August 2011 - 1 StR 295/11 aaO und vom 18. Mai 2010 - 1 StR 111/10 Rn. 19). Das tatbestandliche Verhalten dieses Delikts erschöpft sich nicht im schlichten Nichtzahlen der fälligen Sozialversicherungsbeiträge; das Vorenthalten ist vielmehr Folge der vorausgegangenen tatbestandsmäßigen Handlungen (so zuletzt insbesondere BGH, Beschluss vom 11. August 2011 - 1 StR 295/11, BGHR StGB § 266a Abs. 2 Leistungsfähigkeit 1). Es handelt sich mithin um ein an aktives Tun anknüpfendes Erfolgsdelikt (BGH aaO; ebenso etwa Loose, Das Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 266a Abs. 2 StGB, 2017, 86; Graf/Jäger/Wittig/Wiedner aaO Rn. 2, 56 und 64). An dieser Einordnung hält der Senat fest; eine diesbezügliche Änderung sollte mit dem Beschluss vom 26. Juli 2017 (1 StR 180/17 Rn. 6; vgl. dazu Loose, wistra 2018, 207) nicht verbunden sein. Demgemäß tritt in Bezug auf § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB Beendigung mit vollständigem Eintritt des angestrebten Erfolges, d.h. im Fälligkeitszeitpunkt der Beiträge ein, so dass die Verjährungsfrist in diesem Zeitpunkt zu laufen beginnt. Auch wenn vor Fälligkeit unrichtige oder unvollständige Angaben gegenüber dem Sozialversicherungsträger gemacht werden, ist nicht von einer Vorverlegung des Verjährungsbeginns auszugehen, da die Fälligkeit nicht von einer Beitragsfestsetzung abhängig ist und für den Bereich der Sozialabgaben eine § 168 Satz 1 AO entsprechende Regelung nicht besteht (vgl. LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 114).

3. An seiner bisherigen Auffassung, den Verjährungsbeginn bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB an das Erlöschen der Beitragspflicht anzuknüpfen, hält der Senat nicht länger fest; nach seiner Ansicht ist es vielmehr richtig, die Verjährung auch bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunkts der Sozialversicherungsbeiträge beginnen zu lassen (ebenso eine im Vordringen befindliche Auffassung in der Literatur: BeckOK/Dallmeyer aaO § 78a Rn. 7; Loose aaO 165 ff.; ders. aaO 207 f.; Krug/Skoupil aaO 137 ff.; Gercke in Achenbach/Ransiek/ Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 12. Teil 2. Kap. Rn. 92; Reichling/Winsel, JR 2014, 331 ff.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 113 f.; Hüls, ZHW 2012, 233 f.; Hüls/Reichling, StraFo 2011, 305 ff.; Bachmann, FS-Samson 2010, 233, 237 ff.; LK/Gribbohm, StGB, 11. Aufl., § 266a Rn. 67; ferner LG Baden-Baden, Urteil vom 12. November 2018 - 6 Ns 305 Js 5919/16).

a) Dogmatisch ergibt sich ein entsprechender Beginn der Verjährungsfrist aus folgenden Erwägungen:

Die Rechtsgutsverletzung ist mit Nichtzahlung im Zeitpunkt der Fälligkeit irreversibel eingetreten und wird durch weiteres Untätigbleiben nicht mehr vertieft (Gercke aaO Rn. 92). Die Strafbewehrung eines weiteren Unterlassens nach Vollendung des Tatbestandes ist daher nicht gerechtfertigt (Bachmann aaO 237 f.; so auch LG Baden-Baden aaO Rn. 84 ff.). Sie würde voraussetzen, dass für das jeweils geschützte Rechtsgut eine spezifische Gefahrenlage aufgrund der Unterlassung über den Zeitpunkt der Vollendung der Tat hinaus fortbesteht, was bei § 266a StGB aber nicht der Fall ist (LG Baden-Baden aaO Rn. 98 ff.). Allein eine Erhöhung des Verspätungsschadens (vgl. Schmitz, Unrecht und Zeit, 2001, Fn. 186; Krack, wistra 2015, 121, 122) ist insofern unbeachtlich und wird auch bei anderen Vermögensdelikten in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt. Dementsprechend entfällt mit der Vollendung des Straftatbestandes die strafbewehrte Pflicht zum Entrichten der Beiträge, so dass die Tat gleichzeitig beendet ist (so auch Gercke aaO Rn. 92; Bachmann aaO 237 ff. zu § 266a Abs. 1).

Dass die sozialversicherungsrechtliche Verpflichtung zur Abführung der Beiträge und damit die Rechtsgutsbeeinträchtigung grundsätzlich bis zum Erlöschen der Beitragspflicht fortbesteht, steht der Annahme einer früheren Tatbeendigung nicht zwingend entgegen (kritisch insofern aber MK/Radtke aaO § 266a Rn. 117). Dies zeigt die Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn bei Taten nach § 370 AO; auch der staatliche Steueranspruch besteht nach den insofern angenommenen Beendigungszeitpunkten fort.

b) Die folgenden ergänzenden Gesichtspunkte bestätigen diese Sicht:

Erstens gewährleistet die vorgesehene Lösung einen weitgehenden Gleichlauf zwischen § 266a Abs. 2 StGB und § 370 Abs. 1 AO; dies erscheint angesichts des Umstands, dass § 266a Abs. 2 StGB bewusst an § 370 Abs. 1 AO angelehnt wurde - beide Delikte stimmen in der tatbestandlichen Struktur überein und treffen häufig zusammen (vgl. näher unten II.3.c)aa)(2)) - angemessen (LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 114; Krug/Skoupil aaO 140 ff.). Zweitens hat die Lösung den Vorteil einer einheitlichen Verjährung von Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB (vgl. Loose aaO 188 f.; Krug/Skoupil aaO 141). Dies erscheint im Hinblick auf die beiden Tatbestandsvarianten von § 266a Abs. 2 StGB auch deswegen sachgerecht, da es in Bezug auf den Unrechtsgehalt keinen wesentlichen Unterschied macht, ob die zum Vorenthalten der Beiträge führende Verletzung der sozialrechtlichen Meldepflicht im Wege unrichtiger oder unvollständiger Angaben oder durch ein pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen erfolgt (Loose aaO 182). Drittens fügt sie sich friktionslos in die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Deliktsnatur des § 266a StGB ein und ist nicht mit Rechtsanwendungsproblemen - etwa im Hinblick auf die Rechtsfigur der omissio libera in causa - verbunden (vgl. etwa Loose aaO 154 f.). Schließlich sprechen für sie kriminalpolitische Gründe, insbesondere die „ultima-ratio“-Funktion des Strafrechts (vgl. Reichling/Winsel aaO 341; Hüls aaO 233 f.; Hüls/Reichling aaO 308).

c) Gegen die bisherige Rechtsprechung zum Verjährungsbeginn bei Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB sprechen zudem vornehmlich folgende von der Literatur angeführte Gründe, die der Senat für durchgreifend erachtet (vgl. zu weiteren Einwänden Loose aaO 182; Krug/Skoupil aaO 142; Bachmann aaO 238):

aa) Die bisherige Rechtsprechung führt zu Verwerfungen im Bereich des Verjährungssystems. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge verjähren erst 30 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Da dies auf gemäß § 266a StGB vorenthaltene Sozialbeiträge stets zutrifft, wären die entsprechenden Taten - sofern kein anderer Erlöschensgrund eingreift - nach der bisherigen Ansicht der Rechtsprechung erst nach Ablauf dieser Zeit gemäß § 78a Satz 1 StGB beendet. Die fünfjährige strafrechtliche Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) würde erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen. In der Summe wären dies mithin 35 bis 36 Jahre. Diese Dauer könnte sich im Falle der Hemmung oder des Neubeginns der sozialversicherungsrechtlichen Verjährung sowie des Ruhens oder der Unterbrechung der strafrechtlichen Verjährung weiter verlängern (vgl. Loose aaO 170; LG Baden-Baden aaO Rn. 59).

Eine derart lange „Gesamtverjährungszeit“ (Hüls/Reichling aaO 307) ist unangemessen (Loose aaO 171; Krug/Skoupil aaO 139 f.; LK/Möhrenschlager aaO Rn. 114; Gercke aaO Rn. 92; Reichling/Winsel aaO 341; Hüls aaO 233; Hüls/Reichling aaO 307 f.; Bachmann aaO 239). Sie steht in keinem Verhältnis zur Schwere der Taten gemäß § 266a StGB (Loose aaO 171; Reichling/Winsel aaO 341). Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass bei diesen Taten die gleiche Verjährungsfrist wie bei Taten gemäß § 242 Abs. 1, § 263 Abs. 1 oder § 223 Abs. 1 StGB greift, läuft durch die Anknüpfung der Tatbeendigung an das Erlöschen der Beitragspflicht ins Leere (Loose aaO 171; vgl. auch Krug/Skoupil aaO 139). Die tatsächliche Verjährungsfrist bewegt sich stattdessen im Bereich der „Schwerstkriminalität“ (Krug/Skoupil aaO 139; vgl. auch Hüls/Reichling aaO 308).

(1) Dies läuft dem Sinn und Zweck der Verfolgungsverjährung zuwider (Loose aaO 174 f.; Krug/Skoupil aaO 140; Gercke aaO Rn. 92; Reichling/Winsel aaO 341; Hüls aaO 233; Hüls/Reichling aaO 307 f.):

Die Verjährung soll nach allgemeiner Meinung einerseits dem Rechtsfrieden und andererseits verfahrenspraktischen Erwägungen dienen (vgl. Schönke/ Schröder/Bosch aaO Vor §§ 78 ff. Rn. 3; MK/Mitsch aaO § 78 Rn. 3 f.). Zu letzteren zählen eine Disziplinierungsfunktion gegenüber den Organen der Strafrechtspflege, die vor dem Hintergrund der drohenden Verjährung von Anfang an zu einer ökomischen und effizienten Verfahrensgestaltung angehalten werden sollen, eine Entlastung der Justiz durch die Nichtverfolgbarkeit verjährter Taten sowie der mit der Zeit voranschreitende Beweismittelschwund (Schönke/ Schröder/Bosch aaO Vor §§ 78 Rn. 3; MK/Mitsch aaO § 78 Rn. 4). Mit Verstreichen der Verjährungsfrist wird das Spannungsverhältnis zwischen Zeit und Recht dahingehend aufgelöst, dass dem eingetretenen Rechtsfrieden der Vorrang vor der Verfolgung der Straftat gewährt wird (Krug/Skoupil aaO 140); hierfür sieht das Gesetz in § 78a Abs. 3 StGB ein je nach Strafandrohung bzw. Rechtsgutsverletzung abgestuftes System vor (vgl. Krug/Skoupil aaO 137; Hüls/Reichling aaO 305).

Für die Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen, deren Vollendung schon mehrere Jahrzehnte zurückliegt, ist angesichts des mit fortschreitender Zeit abnehmenden Strafbedürfnisses in der Regel auch ohne die Durchführung eines Strafverfahrens bereits Rechtsfrieden eingekehrt (Hüls/Reichling aaO 307). Denn bei § 266a StGB geht mit der fortschreitenden Untätigkeit nicht wie bei anderen Dauerdelikten eine Intensivierung der Rechtsgutsverletzung einher. Der bereits eingetretene Rechtsfrieden kann durch die Durchführung eines Strafverfahrens wieder gestört werden (Loose aaO 174 f.; Gercke aaO Rn. 92; Hüls/Reichling aaO 307). Zudem gefährdet eine übermäßig lange Verjährungsdauer die genannten, hinter der Verjährung stehenden verfahrenspraktischen Erwägungen (vgl. Loose aaO 175; Schmitz aaO 224, 229).

(2) Diese Unwucht im Verjährungssystem wird auch bei einem Vergleich mit der Verjährung der Lohnsteuerhinterziehung deutlich (Loose aaO 171 ff.; Krug/Skoupil aaO 140 f.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 113 f.; vgl. auch Reichling/Winsel aaO 341). Der Vergleich bietet sich an, da § 370 Abs. 1 AO und § 266a Abs. 2 StGB sich nicht nur - wie vom Gesetzgeber beabsichtigt (BT-Drucks. 15/2573, 28 und BR-Drucks. 155/04, 75) - in der Tatbestandsstruktur ähneln (vgl. Loose aaO 171; Krug/Skoupil aaO 140 f.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 114), sondern auch den gleichen Strafrahmen aufweisen (Loose aaO 171). Zudem fallen das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen und die Lohnsteuerhinterziehung in der Praxis häufig zusammen (Loose aaO 171). Schließlich ist die Lohnsteuer als Anmeldungs- bzw. Fälligkeitssteuer ausgestaltet, so dass zwischen Lohnsteuer- und Beitragserhebungsverfahren deutliche Parallelen bestehen (Loose aaO 172).

Wird die Lohnsteuerhinterziehung durch unrichtige oder unvollständige Angaben gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO verwirklicht, ist diese nach allgemeiner Meinung, wenn die Steueranmeldung ein Soll aufweist, bereits mit dem Eingang der Lohnsteueranmeldung beim Finanzamt vollendet und gleichzeitig beendet; andernfalls - bei einem Guthaben des Steuerpflichtigen - ist dies erst mit Zustimmung der Finanzbehörde der Fall (§ 168 AO; vgl. etwa MK/Wulf aaO § 376 AO Rn. 29; Klein/Jäger, AO, 14. Aufl., § 376 AO Rn. 35; vgl. zur Umsatzsteuer BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2017 - 1 StR 279/17 Rn. 9). Die Lohnsteuerhinterziehung durch ein pflichtwidriges In-Unkenntnis-Lassen der Finanzbehörde gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist nach herrschender Meinung mit Ablauf der gesetzlichen Anmeldungsfrist vollendet und beendet (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 1982 - 3 StR 421/82 Rn. 4; Klein/Jäger aaO § 370 AO Rn. 202, 204; zur Umsatzsteuer vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2011 - 1 StR 640/10 Rn. 6 f.); dann steht die „Nicht-Festsetzung“ im Sinne von § 370 Abs. 4 AO als Verkürzungserfolg fest, da bei ordnungsgemäßem Verhalten spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Steuerfestsetzung entstanden wäre (Krug/Skoupil aaO 141). Tatvollendung und -beendigung fallen somit jeweils zusammen, so dass entsprechende Taten bereits fünf Jahre nach der Tatvollendung verjähren.

Die erhebliche Diskrepanz im Hinblick auf die Verjährungszeit ist insbesondere dann befremdlich, wenn ein Täter beide Delikte zugleich verwirklicht (Loose aaO 173). Ein Grund für die unterschiedliche Behandlung ist nicht ersichtlich (Krug/Skoupil aaO 141; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 113 f.); vielmehr ist es aufgrund der genannten Parallelen zwischen den Tatbeständen geboten, dass die Taten zu annähernd gleichen Zeitpunkten verjähren (Loose aaO 174; Krug/Skoupil aaO 140 f.; LK/Möhrenschlager aaO § 266a Rn. 113 f.; LK/Gribbohm aaO § 266a Rn. 66).

bb) Des Weiteren spricht gegen die Anknüpfung der Tatbeendigung und des Verjährungsbeginns an das Erlöschen der Beitragspflicht, dass dies zu einer Benachteiligung einerseits von Einzelunternehmern gegenüber Vertretungsorganen und anderseits von Teilnehmern gegenüber Tätern führt (Loose aaO 175 ff.; ders. aaO 208; Hüls/Reichling aaO 306 f.; Bachmann aaO 239).

(1) Bei § 266a StGB handelt es sich um ein Sonderdelikt, das nur von einem Arbeitgeber verwirklicht werden kann. Arbeitgeber können neben Einzelunternehmern auch juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften sein. Bei diesen wird die Arbeitgebereigenschaft gemäß § 14 Abs. 1 StGB auf die vertretungsberechtigten Organe bzw. deren Mitglieder (Nr. 1) oder auf deren vertretungsberechtigte Gesellschafter (Nr. 2) übertragen. Für diese Vertreter bestehen aber mit dem Erlöschen der Gesellschaft und dem Ausscheiden aus der Vertreterfunktion im Vergleich zu Einzelunternehmern weiterreichende Möglichkeiten, die Beitragsabführungspflicht entfallen zu lassen, so dass die Verjährung zu laufen beginnt (vgl. Loose aaO 176 f.; ders. aaO 208; Bachmann aaO 239; LG Baden-Baden aaO Rn. 68). Die damit einhergehende Benachteiligung von Einzelunternehmern ist sachlich nicht gerechtfertigt (Loose aaO 177; ders. aaO 208; Bachmann aaO 239) und wird auch nicht dadurch kompensiert, dass ihnen die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) zur Verfügung steht, da diese strengen Voraussetzungen unterliegt (Loose aaO 177).

(2) Die Verjährung von Teilnahmehandlungen beginnt grundsätzlich erst mit der Beendigung der Haupttat (vgl. Fischer aaO § 78a Rn. 4). Während aber derjenige Täter, der Vertretungsorgan einer juristischen Person, Mitglied eines solchen Organs oder vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft ist, es selbst in der Hand hat, durch sein Ausscheiden aus dieser Position seine Vertreterstellung zu beseitigen und damit seine Beitragspflicht zum Erlöschen zu bringen, ist einem Teilnehmer diese Möglichkeit verwehrt (Loose aaO 178). Dies hat die paradoxe Konsequenz, dass es in Grenzfällen von Täterschaft und Teilnahme für den Beteiligten günstiger sein kann, als Täter statt als Teilnehmer eingestuft zu werden (Loose aaO 179 f.; Hüls/Reichling aaO 306 f. mit Beispielsfall).

cc) Wegen der erst spät eintretenden Tatbeendigung besteht schließlich die Gefahr, dass § 55 Abs. 1 StGB bei später abzuurteilenden Taten gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB in großen Teilen leerläuft (Loose, wistra 2018, 207, 208). Da dies insbesondere Taten von Einzelunternehmern betrifft, werden diese auch bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gegenüber den in § 14 Abs. 1 StGB genannten Vertretungsorganen von juristischen Personen und vertretungsberechtigten Gesellschaftern von rechtsfähigen Personengesellschaften benachteiligt (Loose aaO 208).

III.

Der beabsichtigten Änderung vornehmlich der eigenen Rechtsprechung stehen aber auch jedenfalls folgende Entscheidungen der anderen Strafsenate - jeweils zu § 266a Abs. 1 StGB - entgegen:

- 2. Strafsenat: Beschluss vom 27. September 1991 - 2 StR 315/91 Rn. 6 (tragend); - 4. Strafsenat: Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 4 StR 374/13 Rn. 17 (tragend); vgl. zudem Beschluss vom 1. September 2016 - 4 StR 341/16 Rn. 5 (nicht tragend); - 5. Strafsenat: Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 5 StR 166/08 Rn. 41 (nicht tragend).

Der Senat sieht sich durch diese Beschlüsse an der beabsichtigten Entscheidung gehindert. Es ist zudem davon auszugehen, dass weitere Beschlüsse gemäß § 349 Abs. 2 StPO auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung von den anderen Strafsenaten getroffen wurden. Der Senat fragt daher im Hinblick auf die obigen Ausführungen bei den anderen Senaten an, ob an gegebenenfalls entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 153

Externe Fundstellen: NStZ 2020, 159; StV 2020, 245

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede