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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 174

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 538/17, Beschluss v. 11.10.2018, HRRS 2019 Nr. 174


BGH 1 StR 538/17 - Beschluss vom 11. Oktober 2018 (LG Chemnitz)

Steuerhinterziehung (erforderliche Feststellungen im Urteil: Besteuerungsgrundlagen; Berechnungsdarstellung).

§ 370 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) wird materiellrechtlich ausgefüllt durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat (vgl. BGH NStZ 2018, 341 mwN). Hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen deshalb die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angeben (vgl. BGH wistra 2001, 308 mwN).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 11. Mai 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere - als Wirtschaftsstrafkammer zuständige - Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten V. wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt. Gegen den Angeklagten W. wurde wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt.

Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Ihre Rechtsmittel haben entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts vom 4. April 2018 in vollem Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte V. war Geschäftsführer der im Handelsregister des Amtsgerichts Chemnitz eingetragenen Autohaus H. GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Verkauf und die Reparatur von Kraftfahrzeugen war. Da sich die Firma in finanziellen Schwierigkeiten befand, bot der Angeklagte W. seinem Schwager, dem Angeklagten V., an, sich an einem Umsatzsteuerkarussell zu beteiligen. Dabei sollten Rechnungen mit dem Briefkopf der Autohaus H. GmbH ausgestellt werden, denen keine tatsächlichen Leistungen zu Grunde lagen. Der Angeklagte V. erklärte sich dazu bereit, seine Firma in das Umsatzsteuerkarussell einbinden zu lassen.

Ab Frühjahr 2009 wurden für die Beteiligung am Umsatzsteuerkarussell Rechnungen mit dem Briefkopf der Autohaus H. GmbH zunächst durch den Angeklagten W. in dessen Büro in B. erstellt. In der Folge erfolgte die Fertigung entsprechender Ausgangsrechnungen auf Anweisung der Zeugen D. und M. durch Mitarbeiter der Firmen E. GmbH und der A. GmbH, die angebliche Kunden des Autohauses H. GmbH waren, wobei die entsprechenden Daten des Autohauses durch den Angeklagten W. zur Verfügung gestellt wurden. Teilweise wurde auch das Layout der Rechnungen frei erfunden. Bei der Erstellung der Rechnungen für das Autohaus H. GmbH wurden diese teilweise rückdatiert und nachträglich erstellt sowie zusätzlich mit den Rechnungen der Adressaten abgeglichen, um Doppelausstellungen zu vermeiden. Das auf den Rechnungen ausgewiesene Datum entsprach deshalb nicht zwingend dem tatsächlichen Erstellungsdatum der Rechnungen.

Beiden Angeklagten war bekannt, dass die Autohaus H. GmbH nur auf dem Papier in die Rechnungskette einbezogen werden und selbst zu keinem Zeitpunkt die in den Rechnungen ausgewiesenen Lieferungen erbringen sollte. Der Angeklagte V. wusste von dem Angeklagten W. und dem Zeugen D., dass unter dem Namen des Autohauses H. GmbH Ausgangsrechnungen mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer erstellt wurden, ohne dass entsprechende Angaben gegenüber dem zuständigen Finanzamt gemacht werden sollten. Teilweise sah der Angeklagte V. auch entsprechende Rechnungen, eine Unterzeichnung durch ihn erfolgte aber nicht. Vom Zeugen D. erhielt der Angeklagte W. regelmäßig Barbeträge in einer Größenordnung von maximal 20.000 Euro monatlich über einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten als Entlohnung für die anfängliche Erstellung von Ausgangsrechnungen für die Autohaus H. GmbH und die Vermittlung dieser Gesellschaft. Der Angeklagte V. erhielt vom Zeugen D. in unregelmäßigen Abständen Geldbeträge von 2.000 bis 3.000 Euro sowie in zwei oder drei Fällen die Gelegenheit, ein Fahrzeug von R. zur Autohaus H. GmbH zu überführen und dieses dort zu verkaufen.

Mit dem Briefkopf der Autohaus H. GmbH wurden auf diese Weise 282 Rechnungen an die Automobile Ma. GmbH und 295 Rechnungen an die A. GmbH erstellt, in denen jeweils die Umsatzsteuer offen ausgewiesen war und die ein Rechnungsdatum im Zeitraum vom 1. April 2009 bis 29. März 2010 trugen. Diese Rechnungen wurden in den vom Angeklagten V. jeweils eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen der Autohaus H. GmbH im zweiten, dritten und vierten Quartal 2009 nicht gegenüber dem zuständigen Finanzamt angegeben. Für das erste Quartal 2010 wurde vom Angeklagten V. keine Umsatzsteuervoranmeldung mehr abgegeben. Dadurch kam es zur Verkürzung von Umsatzsteuer im gesamten Tatzeitraum in Höhe von 3.555.095,33 Euro. Die Erstellung von Scheinrechnungen endete, nachdem sich der Angeklagte V. am 30. März 2010 zur Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes C. begeben und diverse Informationen über geschäftliche Kontakte zu den Zeugen D. und M. weitergegeben sowie den Verdacht über ihm nicht bekannte Autokäufe unter dem Namen seiner Gesellschaft geäußert hatte. Eine eigene Beteiligung ebenso wie eine Beteiligung des Mitangeklagten W. wurde aber durch den Angeklagten V. nicht offenbart.

2. Das Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte V. als formeller Geschäftsführer der Autohaus H. GmbH zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen in allen vier vorgenannten Tatzeiträumen verpflichtet war. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass die in den Rechnungen an die Automobile Ma. GmbH und A. GmbH offen aus gewiesene Umsatzsteuer in die Umsatzsteuervoranmeldungen der jeweiligen Voranmeldungszeiträume aufzunehmen gewesen wäre, wobei die Autohaus H. GmbH lediglich als Rechnungsaussteller in der Rechnungskette des Umsatzsteuerkarussells des Zeugen D. auftauchte, ohne selbst Leistungen zu erbringen.

In Bezug auf den Angeklagten W. geht das Landgericht für die Voranmeldungszeiträume zweites bis viertes Quartal 2009 von Mittäterschaft aus, da dieser nach wertender Gesamtbetrachtung durch die Vermittlung der Autohaus H. GmbH zur nahtlosen Fortsetzung des Umsatzsteuerkarussells und die zunächst von ihm erstellten Rechnungen entscheidende eigene Tatbeiträge zu gemeinsamen Taten mit dem Angeklagten V. leistete, wobei das finanzielle Interesse am Taterfolg ein entscheidendes Motiv war.

II.

Die Verurteilung der beiden Angeklagten hat keinen Bestand, da das Urteil nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO genügt; es fehlt zu allen abgeurteilten Taten an tragfähigen Feststellungen des Landgerichts als Grundlage für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch.

1. Nach § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 176/17, NStZ 2018, 341; Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546; Beschlüsse vom 13. Juli 2011 - 1 StR 154/11, BFH/NV 2011, 1823 und vom 1. September 2015 - 1 StR 12/15, wistra 2015, 477 mwN). Nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 337 StPO).

Die Strafvorschrift der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) wird materiellrechtlich ausgefüllt durch die im Einzelfall anzuwendenden steuerrechtlichen Vorschriften, aus denen sich ergibt, welches steuerlich erhebliche Verhalten im Rahmen der jeweiligen Abgabenart zu einer Steuerverkürzung geführt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 176/17, NStZ 2018, 341 mwN). Auch hierzu bedarf es ausreichender tatsächlicher Feststellungen, die eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht ermöglichen. Dazu gehören insbesondere diejenigen Parameter, die maßgebliche Grundlage für die Steuerberechnung sind (Besteuerungsgrundlagen). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen deshalb die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung regelmäßig nicht nur die Summe der jeweils verkürzten Steuern, sondern für jede Steuerart und jeden Steuerabschnitt gesondert die Berechnung der verkürzten Steuern im Einzelnen angeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2001 - 5 StR 448/00, wistra 2001, 308 mwN).

2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.

a) Das Landgericht stützt den Tatvorwurf der Steuerhinterziehung in Bezug auf den Angeklagten V. allein darauf, dass dieser als verantwortlicher Geschäftsführer der Autohaus H. GmbH in deren Umsatzsteuervoranmeldungen für das zweite, dritte und vierte Quartal 2009 und das erste Quartal 2010 unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht hat, indem er für insgesamt 282 Rechnungen an die Automobile Ma. GmbH und 295 Rechnungen an die A. GmbH, denen jeweils keine Leistung zu Grunde lag, die offen ausgewiesene Umsatzsteuer nicht in die Umsatzsteuervoranmeldungen aufgenommen hat. Dabei knüpft das Landgericht hinsichtlich dieser vorgenannten Einzelrechnungen hinsichtlich der Entstehung des Steueranspruchs jeweils nur an ein Rechnungsdatum an, das sich aus den dem Urteil beigefügten Tabellen mit den Auflistungen der Rechnungen entnehmen lässt (UA S. 18 - 29 und S. 31 - 34).

Gleichzeitig wird aber vom Landgericht auch festgestellt, dass diese Rechnungen teilweise rückdatiert und nachträglich erstellt und zusätzlich mit den bei der E. GmbH erstellten Rechnungen abgeglichen wurden, so dass das ausgewiesene Datum der Rechnung nicht zwingend dem tatsächlichen Erstellungsdatum der Rechnung entsprach (UA S. 14). Ergänzend dazu weist das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung darauf hin, dass nicht aufklärbar war, wann und wo die aufgefundenen Rechnungen geschrieben wurden und zahlreiche Rechnungen nicht sicher an diesem Tag erstellt wurden, der sich als Erstellungstag aus den jeweiligen Rechnungen ergibt (UA S. 66).

b) Damit werden vom Landgericht aber keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und zu welchem Zeitpunkt die Steuer tatsächlich entstanden ist. Nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG (§ 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG aF) entsteht bei unberechtigtem Steuerausweis nach § 14c Abs. 2 UStG - wie hier - die Steuer in Ermangelung eines steuerbaren Umsatzes nicht bereits mit der Erstellung einer Rechnung, sondern erst im Zeitpunkt der Ausgabe der Rechnung. Dabei ist unter „Ausgabe“ letztlich die Aushändigung oder Absendung an den Rechnungsempfänger oder einer von ihm bevollmächtigten dritten Person zu verstehen (Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG, Stand: Juli 2018, § 13 Rn. 691; Reiß in Reiß/Kraeusel/Langer/Wäger, UStG, Stand: Januar 2016, § 13 Rn. 54). Das Landgericht hat aber außer der dargestellten Anknüpfung an das Rechnungsdatum keine weitergehenden Feststellungen dazu getroffen, wann konkret eine Steuerpflicht des Angeklagten V. entstanden ist. Dies umso mehr als die einzelnen dargestellten Rechnungen rückdatiert und nachträglich erstellt wurden, so dass offen bleibt, wann und in welchem Abrechnungszeitraum die jeweilige Steuerpflicht des Angeklagten V. begründet wurde.

3. Diese lückenhaften Feststellungen betreffen in gleicher Weise auch den Angeklagten W., so dass auch dessen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung keinen Bestand haben kann.

4. Die bisherigen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Sollten sich keine weiteren Feststellungen zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht und zur Zuordnung der Rechnungen zu den einzelnen verfahrensgegenständlichen Zeiträumen der Umsatzsteuervoranmeldung treffen lassen, hat hier gegebenenfalls eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu erfolgen.

2. Anstelle einer täterschaftlich begangenen Steuerhinterziehung in Bezug auf die Autohaus H. GmbH, die fern liegt, wenn die Angeklagten nicht einmal genaue Kenntnis über die Ausstellung und Übergabe der Rechnungen hatten, kommt für beide Angeklagten auch eine Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung in Betracht, die durch die Zeugen D. und M. durch die Verwendung der mit dem Briefkopf der Autohaus H. GmbH erstellten Rechnungen als Eingangsrechnungen der A. GmbH und der Automobile Ma. GmbH im Rahmen der Einbindung in das Umsatzsteuerkarussell begangen wurde.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 174

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 79

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede