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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 556

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 11/18, Beschluss v. 11.04.2018, HRRS 2018 Nr. 556


BGH 2 StR 11/18 - Beschluss vom 11. April 2018 (LG Meiningen)

Verbot der Doppelbestrafung (Beachtung von Amts wegen); Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe.

Art. 103 Abs. 3 GG; § 55 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine unzulässige Doppelbestrafung ist in der Revision von Amts wegen zu beachten.

2. Die Rechtskraft eines Urteils, das unter Missachtung der Zäsurwirkung eines Strafbefehls fehlerhaft eine Gesamtgeldstrafe gebildet hat, steht deren Auflösung und der Bildung einer neuen Gesamtstrafe nicht entgegen. Denn für die vorzunehmende Gesamtstrafenbildung ist nicht die prozessuale Sachlage, sondern die materielle Rechtslage maßgeblich. Dies gilt auch dann, wenn die falsche Gesamtstrafenbildung des früheren Urteils auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 17. Oktober 2017 im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Meiningen zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht Meiningen hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Tatzeit beider Taten war der 20. August 2016, zu Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr bzw. zwei Monaten und unter Auflösung einer Gesamtgeldstrafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 25. August 2016 sowie unter Einbeziehung der dort verhängten fünf Geldstrafen - der Angeklagte hatte in der Zeit vom 12. Juni 2015 bis 31. Mai 2016 fünf Beförderungserschleichungen begangen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Sowohl der Schuldspruch als auch der Strafausspruch zu den beiden Einzelfreiheitsstrafen halten aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen revisionsrechtlicher Prüfung stand. Hingegen ist der Gesamtstrafenausspruch aufzuheben. Dem liegt Folgendes zugrunde:

1. Am 13. Februar 2018 hat der Generalbundesanwalt dem Senat mitgeteilt, dass der Angeklagte durch Urteil des Landgerichts Dresden vom 20. Februar 2017, rechtskräftig seit 20. Juni 2017, wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - Tatzeit war der 7. September 2016 - zu einer Einzelgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 € und unter Auflösung der Gesamtgeldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 25. August 2016 und unter Einbeziehung der dortigen fünf Einzelgeldstrafen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt worden ist.

2. Vor diesem Hintergrund kann die hier verhängte Gesamtfreiheitsstrafe nicht bestehen bleiben, da andernfalls gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) verstoßen würde. Würde das hier angefochtene und grundsätzlich rechtsfehlerfreie Urteil des Landgerichts Meiningen rechtskräftig werden, bestünden zwei Urteile, in die jeweils die fünf Einzelgeldstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 25. August 2016 einbezogen wären. Eine solche - unzulässige - Doppelbestrafung ist vom Senat von Amts wegen zu beachten (BGH, Beschluss vom 23. Dezember 1997 - 3 StR 619/97, BGHSt 44, 1, 3; Kammergericht, Beschluss vom 16. Juni 2010 - (3) 1 Ss 203/10 (78/10), juris Rn. 5; Rissing-van Saan in: Laufhütte u.a., StGB LK, 12. Aufl., § 55 Rn. 19).

Das Landgericht Meiningen ist zu einer neuen Gesamtstrafenbildung berufen. Die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Dresden vom 20. Februar 2017, das unter Missachtung der Zäsurwirkung des Strafbefehls des Amtsgerichts Dresden vom 25. August 2016 fehlerhaft eine Gesamtgeldstrafe gebildet hat, steht deren Auflösung und der Bildung einer neuen Gesamtstrafe durch das Landgericht Meiningen nicht entgegen. Denn für die vorzunehmende Gesamtstrafenbildung ist nicht die prozessuale Sachlage, sondern die materielle Rechtslage maßgeblich (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 192 f.; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, S. 182). Dies gilt auch dann, wenn die falsche Gesamtstrafenbildung des früheren Urteils auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruht (BGH, Beschluss vom 24. März 1988 - 1 StR 83/88, BGHSt 35, 243, 244 f.; NK-StGB/Frister, 5. Aufl., § 55 Rn. 45; MK-StGB/von Heintschel-Heinegg, 3. Aufl., § 55 Rn. 36; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 28. Aufl., § 55 Rn. 6).

Der neue Tatrichter wird die Gesamtstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 20. Februar 2017 aufzulösen und aus den Einzelfreiheitsstrafen der Verurteilung des Landgerichts Meiningen sowie aus den fünf Einzelgeldstrafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 25. August 2016 erneut eine Gesamtstrafe zu bilden haben, für die sich wegen des Verbots der Verschlechterung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) ein Strafrahmen von bis zu einem Jahr und zwei Monaten eröffnet. Wegen der gleichzeitig zu beachtenden Zäsurwirkung des Strafbefehls des Amtsgerichts Dresden vom 25. August 2016 bleibt daneben die in dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 20. Februar 2017 ausgesprochene Einzelstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 € wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen bestehen.

3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen kann der neue Tatrichter treffen, soweit sie nicht in Widerspruch zu den bisherigen Feststellungen treten.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 556

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 334 ; StV 2019, 455

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner