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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 619/97, Beschluss v. 23.12.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 619/97 - Beschluss vom 23. Dezember 1997 (LG Wuppertal)

BGHSt 44, 1; nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe; Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem); Berücksichtigung einer fehlerhaften rechtskräftigen Gesamtstrafenbildung in einem späteren Verfahren, bei dem die Gesamtstrafenbildung an sich rechtsfehlerfrei ist; Berücksichtigung von Amts wegen.

Art. 103 Abs. 3 GG; § 55 Abs. 1 StGB

Leitsatz des BGH

Liegen einer Gesamtstrafe Einzelstrafen zugrunde, die bereits rechtskräftig - aber fehlerhaft - zur Bildung einer anderen Gesamtstrafe herangezogen worden sind, so hat dies das Revisionsgericht zur Vermeidung der Doppelbestrafung von Amts wegen zu berücksichtigen, auch wenn die Gesamtstrafenbildung im angefochtenen Urteil rechtsfehlerfrei war (Fortführung von BGHSt 20, 292). (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 22. Mai 1997 dahingehend abgeändert, daß der Angeklagte wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt ist. Das vorbezeichnete Urteil wird im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur Bildung einer Gesamtstrafe auch mit den Strafen des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 18. Juni 1997 und zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht Wuppertal (2. große Strafkammer) hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil vom 22. Mai 1997 wegen Betruges (Tatzeit: Juli 1994) zu einer (Einzel) Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und unter Einbeziehung von Strafen aus zwei anderen Urteilen eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten gebildet. Die Revision des Angeklagten ist, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Ausspruch über die Einzelstrafe wendet, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Entscheidung über die Gesamtstrafe hat hingegen keinen Bestand.

Das Landgericht hat in die Gesamtstrafe des angefochtenen Urteils die beiden Einzelstrafen (von zwei Monaten und sechs Monaten) aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 6. Juni 1995 (Tatzeit: März 1995) sowie Einzelstrafen (von zehnmal 90 Tagessätzen, zehnmal 140 Tagessätzen sowie dreiundzwanzigmal sechs Monaten) aus dem rechtskräftigen Berufungsurteil des Landgerichts Frankfurt/Main vom 4. März 1997 (Tatzeiten: sämtlich im März 1995) einbezogen.

Dem Senat ist von Amts wegen bekannt, daß diese Einzelstrafen durch das Landgericht Wuppertal (6. große Strafkammer) in einem anderen Urteil gegen den Angeklagten vom 18. Juni 1997 teilweise ebenfalls in eine Gesamtstrafe einbezogen worden sind. Das Landgericht hat in dem Urteil vom 18. Juni 1997 festgestellt, daß zehn Einzelgeldstrafen zu 90 Tagessätzen inzwischen vollstreckt waren, und aus den verbliebenen 35 Einzelstrafen sowie der von ihm verhängten Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Betrug (Tatzeit: April 1994) eine Gesamtstrafe von drei Jahren und sechs Monaten gebildet. Auf die hiergegen eingelegte, mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten gingen die Akten dieses Verfahrens am 5. November 1997 beim Senat ein. Da das Urteil keine Feststellungen zu dem vorliegenden Strafverfahren und dem früher ergangenen, jetzt verfahrensgegenständlichen Urteil vom 22. Mai 1997 enthielt, hat der Senat durch Beschluß vom 28. November 1997 (3 StR 589/97) die Revision als offensichtlich unbegründet verworfen. Die Akten des vorliegenden Verfahrens sind erst am 20. November 1997 beim Generalbundesanwalt eingegangen und am 2. Dezember 1997 dem Senat vorgelegt worden.

Die Gesamtstrafe kann nicht bestehen bleiben, obwohl ihre Bildung nicht rechtsfehlerhaft war. Das Landgericht konnte am 22. Mai 1997 die Einzelstrafen aus den anderen Urteilen in eine Gesamtstrafe einbeziehen, denn die Einzelstrafen hatten zu diesem Zeitpunkt noch nicht zur Bildung einer anderen Gesamtstrafe gedient (vgl. BGHSt 20, 292). Nach dieser erfolgten Einbeziehung durften die Einzelstrafen aber nicht mehr zu einer anderen Gesamtstrafenbildung herangezogen werden, und zwar auch dann nicht, wenn - wie hier - die erste Gesamtstrafe noch nicht rechtskräftig war. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 20, 292) ausgesprochen, um der Gefahr einer Doppelbestrafung entgegenzuwirken. Hiergegen hat das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 18. Juni 1997 verstoßen; indes ist dies mangels Feststellungen im Urteil sowie anderweitiger Kenntnis des Senats bei der revisionsgerichtlichen Prüfung unentdeckt geblieben. Das Urteil ist mit der Verwerfung der Revision durch den Senat rechtskräftig geworden. Ein nachträglicher Eingriff in diese Rechtskraft ist dem Senat versagt.

Würde der Senat die Revision gegen das nunmehr angefochtene Urteil des Landgerichts Wuppertal verwerfen, würden zwei Urteile gegen den Angeklagten rechtskräftig, in deren Gesamtstrafen u.a. jeweils dieselben anderweit rechtskräftig verhängten 35 Einzelstrafen enthalten sind. Dies würde gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) verstoßen. Dieses Verbot betrifft nicht nur das sachliche Recht, sondern vornehmlich die Zulässigkeit des Verfahrens und muß daher vom Revisionsgericht von Amts wegen berücksichtigt werden (BGHSt 20, 292, 293). Der Senat kann nicht durch Verwerfung der Revision die Doppelbestrafung bewirken und die Behebung dieses Verstoßes dem Verfahren über die Zulässigkeit der Strafvollstreckung nach § 458 StPO überlassen (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 359 Rdn. 39). Er hebt deshalb die Gesamtstrafe auf.

Da die abgeurteilten Taten sämtlich vor dem (frühesten) Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 6. Juni 1995 liegen, stehen alle Einzelstrafen, soweit sie noch nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen sind (§ 55 Abs. 1 Satz 1 StGB) - wozu der neue Tatrichter Feststellungen wird treffen müssen -, unter Beachtung des § 53 Abs. 2 StGB zur Bildung einer Gesamtstrafe zur Verfügung (vgl. BGH NStE Nr. 15 zu § 55 StGB). Das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) begrenzt die Gesamtstrafenbildung dabei nur insoweit, als es um eine Verschärfung einer Rechtsfolge ginge, die der frühere Richter selbst festgesetzt hat (vgl. BGH, Beschl. vom 28. März 1996 - 4 StR 120/96). Der frühere Richter hat in dem angefochtenen Urteil die Gesamtstrafe durch die Erhöhung der Einsatzstrafe von drei Jahren und drei Monaten (für die Tat vom Juli 1994) unter Einbeziehung von 45 anderen Einzelstrafen auf vier Jahre und drei Monate gebildet. Nachdem insoweit durch § 358 Abs. 2 StPO eine Erhöhung ausgeschlossen ist, ist der für die neue Gesamtstrafenbildung zur Verfügung stehende Rahmen wegen Hinzutretens einer weiteren Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten (für die Tat vom April 1994) auf höchstens fünf Jahre und neun Monate begrenzt.

Externe Fundstellen: BGHSt 44, 1; NJW 1998, 1874; NStZ 1998, 350

Bearbeiter: Rocco Beck