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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1195

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 389/18, Beschluss v. 10.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1195


BGH 5 StR 389/18 - Beschluss vom 10. Oktober 2018 (LG Berlin)

Rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen (Indiz- oder Hilfstatsache; kein Zusammenhang mit der Urteilsfindung; kein Einfluss auf die richterliche Überzeugung im Fall der Bestätigung; nur möglicher Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels; Einstellung in das bisherige Beweisergebnis; prognostische Prüfung).

§ 244 Abs. 3 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, weil sie nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre.

2. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei sie erwiesen, in ihrem vollen Umfang ohne Umdeutung, Einengung oder Verkürzung in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den Schuld oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde.

Entscheidungstenor

Der Angeklagte K. hat die Kosten seiner zurückgenommenen Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Januar 2018 zu tragen.

Auf die Revision der Nebenbetroffenen wird das vorbenannte Urteil mit den Feststellungen zur Zuordnung der entsprechenden Geldscheine aufgehoben, soweit die Einziehung der in der Wohnung der Nebenbetroffenen beschlagnahmten 9.980 Euro angeordnet worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung von bei diesem Angeklagten beschlagnahmten 580 Euro als Taterträge der beiden Mitangeklagten K. und Kh. sowie weiterer in der Wohnung der Nebenbetroffenen beschlagnahmter 9.980 Euro angeordnet. Die Revision der Nebenbetroffenen hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, während der Angeklagte K. seine Revision rechtswirksam mit entsprechender Kostenfolge (§ 473 Abs. 1 StPO) zurückgenommen hat.

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

Die drei Angeklagten betrieben seit Anfang 2017 einen „Kokainlieferservice“. In Umsetzung ihrer Bandenabrede wurden von Anfang März bis Anfang April 2017 bei 456 Übergaben 461 Konsumeinheiten zu mindestens 0,4 Gramm Kokaingemisch mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von ca. 80 Prozent Kokainhydrochlorid zum Preis von 40 bis 50 Euro pro Konsumeinheit verkauft. Das Kokain wurde von F. an die Abnehmer ausgeliefert, während K. und Kh. in „Schichtarbeit“ die Anrufe entgegennahmen, den Abverkauf organisierten und die von F. überbrachten Drogengelder vereinnahmten. Insgesamt wurden im genannten Zeitraum aus einem ursprünglich 282 Gramm umfassenden Vorrat 184,4 Gramm Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 147,5 Gramm Kokainhydrochlorid für 18.440 Euro verkauft. Als Auslieferfahrer erhielt F. für jeden der 28 Verkaufstage 100 Euro, insgesamt also 2.800 Euro.

Bei seiner Festnahme trug F. Handelserlöse in Höhe von 580 Euro und Münzgeld in Höhe von 6,22 Euro mit sich, mit deren außergerichtlichen Einziehung er sich einverstanden erklärt hat. In der Wohnung der Nebenbetroffenen, seiner Mutter, wurden im ehemaligen Zimmer des Angeklagten F. verteilt auf vier Verstecke folgende Bargeldbeträge gefunden: Hinter einem Blumentopf auf einem Wandregal ein Kuvert mit 5.000 Euro (Stückelung: 2 x 500 Euro, 12 x 100 Euro, 56 x 50 Euro), an der Rückseite eines Wandbildes ein mit Klebeband befestigtes Kuvert mit 3.000 Euro (6 x 100 Euro, 48 x 50 Euro), in einem Kissen auf dem Bett in einer Plastiktüte 1.790 Euro (1 x 500 Euro, 4 x 100 Euro, 11 x 50 Euro, 15 x 20 Euro, 4 x 10 Euro) und in einem kleinen Schrank neben dem Bett in einer Metallbox 190 Euro (4 x 20 Euro, 8 x 10 Euro, 6 x 5 Euro), insgesamt also 9.980 Euro. In dem Zimmer wurden neben Kleidung des Angeklagten F. auch ihm gehörende persönliche Gegenstände wie Fotoalben, Schulunterlagen und Post der Agentur für Arbeit festgestellt, im Wohnzimmer zudem seine gültige EC-Karte. An dem Klebestreifen, mit dem das Kuvert rückseitig an ein Bild angeklebt war, wurde eine DNA-Mischspur gefunden, bei der sich die dominanten Merkmale über 30 Milliarden mal besser dadurch erklären lassen, dass die Spur vom Angeklagten stammt als von einer nicht mit ihm verwandten Person. Der Angeklagte hatte sich bereits 2015 aus der Wohnung seiner Mutter abgemeldet und hielt sich teils bei Freunden, teils bei seiner Mutter auf. Auch wenn er dort nicht wohnte, besuchte er sie regelmäßig. Seinen Lebensunterhalt bestritt er durch Gelegenheitsjobs und erwirtschaftete dabei ein monatliches Einkommen von netto 600 bis 800 Euro.

2. Ihre Einziehungsentscheidung bezüglich der in der Wohnung der Nebenbetroffenen beschlagnahmten Geldscheine gegen F. hat die Strafkammer in Höhe von 2.800 Euro auf § 73 Abs. 1 StGB gestützt (Entgelt für Fahrertätigkeit). In Höhe weiterer 7.180 Euro hat sie die erweiterte Einziehung gemäß § 73a Abs. 1 StGB angeordnet. Hierzu hat sie ausgeführt, F. sei schon vor dem angeklagten Tatzeitraum im Kokainhandel zumindest als Ausfahrer tätig gewesen. Er besitze keine feste legale Einnahmequelle, eine legale Herkunft der Geldscheine sei ausgeschlossen. Dass es sich bei den Geldscheinen um seine handele, ergebe sich daraus, dass sämtliche Beträge in dem jedenfalls ehemals vom Angeklagten genutzten Zimmer gefunden worden seien, in dem sich weitere persönliche Gegenstände von ihm befunden hätten. Hinzu komme die an dem Klebestreifen gefundene DNA-Spur des Angeklagten F., wobei dahinstehen könne, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese Spur auch Übereinstimmungen mit dem DNA-Muster der Nebenbetroffenen aufweise. Die Einlassung der Nebenbetroffenen, es handele sich um ihr Geld, nämlich um zunächst auf ein Sparkonto transferierte Auszahlungen aus verschiedenen Versicherungsverträgen, die sie wegen der Finanzkrise in bar zuhause aufbewahrt habe, sei schon in sich unplausibel.

3. Vor diesem Hintergrund rügt die Nebenbetroffene mit einer zulässigen Verfahrensrüge zu Recht, dass die Strafkammer mehrere Beweisanträge rechtsfehlerhaft wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt hat.

a) Die Beteiligung der Nebenbetroffenen ist durch Beschluss des Landgerichts vom 25. Oktober 2017 zwar gemäß § 424 Abs. 1 StPO angeordnet worden; sie ist im Folgenden als „Einziehungsbeteiligte“ bezeichnet worden. Hierbei handelt es sich aber ersichtlich um eine versehentliche Falschbezeichnung, da sich die Einziehungsentscheidung von Anfang an nicht gegen sie, sondern den Angeklagten F. richten sollte und es lediglich darum ging, dass sie Einwendungen hiergegen aufgrund behaupteter Eigentümerstellung an den Geldscheinen geltend gemacht hat (vgl. Anklageschrift S. 112 f.). Damit ist sie aber Nebenbetroffene nach § 438 Abs. 1 Nr. 1 StPO und nicht Einziehungsbeteiligte im Sinne von § 424 Abs. 1 StPO (vgl. Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., § 438 Rn. 1).

Gemäß § 438 Abs. 3 i.V.m. §§ 426 ff. StPO ist die Nebenbetroffene auch berechtigt, mit ihrem Rechtsmittel eine Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 4 StPO geltend zu machen, da sich die in Rede stehenden Beweisanträge lediglich mit der Frage der rechtlichen Zuordnung der beschlagnahmten Geldscheine und nicht mit der Schuldfrage bezüglich des Angeklagten F. beschäftigen (§ 438 Abs. 3 i.V.m. §§ 427 Abs. 1 StPO, Umkehrschluss aus § 430 Abs. 2 StPO).

b) Die Nebenbetroffene hat in der Hauptverhandlung zunächst einen Beweisantrag auf Vernehmung ihres früheren Lebensgefährten, des Zeugen S., gestellt. Dieser sollte bekunden, dass die Nebenbetroffene ihm im April 2015 davon erzählt habe, dass sie durch die aufgelösten Versicherungsverträge über ca. 10.000 Euro verfüge; nach dem Einwand des Zeugen, wegen der Finanzkrise und der Vorgänge in Griechenland sei das Geld auf der Bank nicht sicher, habe sie ihm mitgeteilt, sie kümmere sich darum, die ausgezahlten Beträge zu sich nach Hause zu holen. Im Mai 2016 habe sie dem Zeugen dann bestätigt, dass sie jetzt die 10.000 Euro zu Hause habe.

Das Landgericht hat diesen Beweisantrag mit ausführlicher Begründung als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos abgelehnt. Im Rahmen der Ablehnungsbegründung führt die Kammer unter anderem aus, dass sie schon sicher davon überzeugt sei, dass es sich bei dem aufgefundenen Geld um von F. durch rechtswidrige Taten erlangtes handele, weil sich dieser jedenfalls teilweise im Tatzeitraum in der Wohnung der Nebenbetroffenen aufgehalten habe, es sich um sein früheres Zimmer handele, in dem persönliche Gegenstände von ihm gefunden worden seien, das Geld eine händlertypische Stückelung aufweise und auf dem Klebestreifen des hinter einem Bild versteckten Kuverts sein DNA-Muster im Rahmen einer Mischspur festgestellt worden sei.

Die Nebenbetroffene hat anschließend Gegenvorstellung erhoben und weitere Beweisanträge gestellt, nämlich auf Einholung von Sachverständigengutachten unter anderem zum Beweis dafür, dass es sich bei auf den Geldscheinen und Geldbehältnissen gesicherten Fingerabdrücken sowie DNA-Spuren und bei der auf dem Klebestreifen in einer Mischspur sichergestellten dominanten DNA um ihre handele; zum Zweck des Vergleichs werde sie nunmehr ihre Fingerabdrücke und ihre DNA zur Verfügung stellen.

Diese Beweisanträge hat die Strafkammer wiederum als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos abgelehnt, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zuließen und sie diese Schlüsse unter Bezugnahme auf die Gründe ihres oben genannten Beschlusses nicht ziehen wolle. Auch unter Berücksichtigung der nunmehr vorgetragenen Tatsachen, diese als zutreffend unterstellt, ändere dies in einer wertenden Gesamtschau unter Berücksichtigung der Erwägungen im ersten Ablehnungsbeschluss nichts an der dort dargelegten Auffassung der Kammer.

b) Jedenfalls der zweite Ablehnungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

aa) Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, weil sie nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei sie erwiesen, in ihrem vollen Umfang ohne Umdeutung, Einengung oder Verkürzung in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den Schuld oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 6. März 2018 - 3 StR 342/17 mwN).

bb) Diesen Anforderungen wird die Begründung nicht gerecht.

Hinsichtlich der unter Beweis gestellten Tatsache, dass die dominante DNA-Spur in der am Klebeband festgestellten Mischspur von der Nebenbetroffenen stamme, wird nicht diese Tatsache, sondern deren Gegenteil im Rahmen der Ablehnungsbegründung eingestellt. In der Begründung des ersten Ablehnungsbeschlusses, die vollinhaltlich in dem sehr kurzen zweiten Ablehnungsbeschluss in Bezug genommen worden ist, stützt sich die Strafkammer für die Zuordnung der Gelder an den Angeklagten darauf, dass es sich bei der an dem Klebeband gefundenen DNA-Spur um seine handele; gerade das Gegenteil war mit dem Antrag der Nebenbetroffenen unter Beweis gestellt worden.

Zudem legt die Strafkammer in ihrer Ablehnungsbegründung auch nicht näher dar, weshalb eine DNA-Spur der Nebenbetroffenen auf dem Klebeband sowie eine Vielzahl weiterer von ihr stammender DNA-Spuren und Fingerabdrücke auf den Geldscheinen und Behältnissen für die Entscheidungsfindung ohne tatsächliche Bedeutung sein sollen. Eine ausführlichere Begründung wäre aber zu erwarten gewesen, da das Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss selbst wesentlich auf eine am Klebeband gefundene und dem Angeklagten zugeordnete DNA-Spur abstellt.

Schließlich ist angesichts der festgestellten Umstände - der Angeklagte erhielt als Fahrer von Drogentransporten pro Tag 100 Euro Lohn, bei den Verkäufen wurden Kleinmengen von Kokain für überwiegend 40 bis 50 Euro verkauft - nicht ersichtlich, inwiefern die Stückelung des aufgefundenen Geldes (1.500 Euro in 500-EuroScheinen, 2.200 Euro in 100-EuroScheinen, 5.750 Euro in 50-EuroScheinen und der Rest von 530 Euro in kleineren Scheinen) mit den Einnahmen aus diesem Tatbild korrespondieren und sich als „händlertypisch“ erweisen soll.

4. Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil, soweit gegen den Angeklagten F. die Einziehung der bei der Nebenbetroffenen beschlagnahmten 9.980 Euro angeordnet worden ist. Die zugehörigen Feststellungen zur Zuordnung der Geldscheine zum Angeklagten F. sind aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).

5. Auf die Frage, ob auch das von der Revision gemäß § 338 Nr. 3 StPO gerügte Vorgehen der Strafkammer nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO bei einem am selben Verhandlungstag angebrachten Ablehnungsgesuch rechtlich vertretbar war (vgl. dagegen BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 - 5 StR 24/08, NStZ 2008, 578), kommt es nach alldem nicht mehr an.

6. Die zugleich eingelegte Kostenbeschwerde ist damit gegenstandslos.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1195

Externe Fundstellen: NStZ 2019, 232; NStZ-RR 2019, 29 ; StV 2019, 804

Bearbeiter: Christian Becker