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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 436

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 342/17, Beschluss v. 06.03.2018, HRRS 2018 Nr. 436


BGH 3 StR 342/17 - Beschluss vom 6. März 2018 (LG Bückeburg)

Rechtsfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit (Indiz- oder Hilfstatsache; kein Zusammenhang mit der Urteilsfindung; kein Einfluss auf richterliche Überzeugungsbildung; Beurteilung nach den Grundsätzen freier Beweiswürdigung; Einstellung der behaupteten Tatsache in das Beweisergebnis).

§ 244 Abs. 3 StPO; § 261 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, weil sie nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre.

2. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei sie erwiesen, in ihrem vollen Umfang ohne Umdeutung, Einengung oder Verkürzung in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 25. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Hildesheim zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Auf die weiteren Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge kommt es daher nicht mehr an.

Die Revision beanstandet zu Recht, die Strafkammer habe einen Beweisantrag mit fehlerhafter Begründung abgelehnt.

1. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seine Ehefrau mit einer Holzlatte mehrfach von hinten gegen Kopf und Oberkörper schlug. Als sie reglos, aber noch lebend am Boden lag, ging der Angeklagte vom unmittelbaren Tatort, der in dem Zwischentrakt zwischen Wohnhaus und einem gewerblich genutzten Ausstellungsgebäude lag, durch eine feuerhemmende Tür in den zum Wohnhaus führenden Flur, holte von dort zwei Mülltüten, stülpte diese seiner Frau über den Kopf und fixierte sie mit einer elastischen Schnur und einem Karabinerhaken an deren Hals. Seiner Absicht entsprechend erstickte das Tatopfer schließlich entweder infolge einer Drosselung ihres Halses oder aufgrund einer Rückatmung in die Mülltüten.

Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Seine Überzeugung zum konkret festgestellten Tatablauf hat das Landgericht auf die Angaben der Zeugin L. gestützt, die nach ihrer Schilderung bei der Tat anwesend war und sich vor der feuerhemmenden Tür aufhielt. Dabei hat es in dem Umstand, dass sich auf der Schwelle der Tür Blutspuren des Tatopfers befanden, die dort von einem Körperteil oder Gegenstand senkrecht auf den Boden getropft sein müssen, keinen die Glaubhaftigkeit in Frage stellenden Widerspruch zu den Schilderungen der Zeugin gesehen. Dies hat das Landgericht damit begründet, dass diese Spuren nicht zwingend auf einen Kampf zwischen Tatopfer und Täter unmittelbar vor der Tür oder auf einen dort vorgenommenen ersten Angriff mit einer Holzlatte zurückzuführen seien. Denn es sei ebenso gut möglich, dass die Blutabtropfspuren nicht unmittelbar aus einer Wunde der Verstorbenen, sondern von einem Gegenstand (dem Tatwerkzeug) oder den Händen oder Armen des Angeklagten auf den Boden tropften, als er die Schwelle der Tür überschritt, um die Mülltüten zu holen.

Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung beantragt, ein Blutspritzeranalysegutachten unter anderem zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass weitere Blutabtropfspuren auf dem Weg vom Auffindeort der Toten zu der feuerhemmenden Tür sowie vor deren Schwelle vorhanden gewesen wären, wenn das Blut auf der Schwelle von dem Täter oder einem Gegenstand in seiner Hand heruntergetropft wäre, und auch hinter der Schwelle, wenn der Täter durch die Tür gegangen wäre. Mit Einholung des beantragten Gutachtens sollte außerdem im Ergebnis bewiesen werden, dass das Tatopfer direkt an der Tür von dem Täter mit einem Schlag von vorn gegen den Kopf angegriffen wurde und die Blutstropfen unmittelbar von der Getöteten auf die Schwelle herabfielen, was mit den Angaben der Zeugin nicht zu vereinbaren war.

Das Landgericht hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Beweistatsache für die Entscheidung ohne Bedeutung sei, weil ebenso „denkbar wäre“, dass sich an dem Täter oder einem Gegenstand nur so geringe Mengen an Blut befanden, dass lediglich die Blutspuren auf der Schwelle der feuerhemmenden Tür und keine weiteren Blutabtropfspuren entstanden sind.

2. Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache ist aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung bedeutungslos, wenn sie in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung steht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihrer Bestätigung keinen Einfluss auf die richterliche Überzeugung vom entscheidungserheblichen Sachverhalt hätte, weil sie nur einen möglichen Schluss auf das Vorliegen oder Fehlen einer Haupttatsache oder den Beweiswert eines anderen Beweismittels ermöglicht und das Gericht der Überzeugung ist, dass dieser Schluss in Würdigung der gesamten Beweislage nicht gerechtfertigt wäre. Ob der Schluss gerechtfertigt wäre, hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung zu beurteilen. Hierzu hat es die unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache so, als sei sie erwiesen, in ihrem vollen Umfang ohne Umdeutung, Einengung oder Verkürzung in das bisherige Beweisergebnis einzustellen und prognostisch zu prüfen, ob hierdurch seine bisherige Überzeugung zu der potentiell berührten Haupttatsache bzw. zum Beweiswert des anderen Beweismittels in einer für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch bedeutsamen Weise erschüttert würde (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2015 - 3 StR 544/14, NStZ 2015, 296; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 220 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird die Begründung des Landgerichts nicht gerecht. Denn es stellt die unter Beweis gestellte Tatsache nicht so, als sei sie erwiesen, sondern gerade das Gegenteil der Beweisbehauptung in seine vorläufige Würdigung als denkbare Alternative ein. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut war Inhalt der Beweisbehauptung der Erfahrungssatz, das Fehlen weiterer Blutspuren schließe eine mittelbare Übertragung der festgestellten Blutspuren aus. Die Ablehnung des Begehrens wird hingegen damit begründet, dass das Spurenbild auch mit einer solchen Spurenübertragung in Einklang stehe. Damit hat das Landgericht gerade nicht dargelegt, dass seine bisherige Überzeugung im Fall des Erwiesenseins der Beweistatsache nicht erschüttert würde.

3. Auf dem aufgezeigten Fehler beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann - insbesondere im Hinblick auf die mit demselben Antrag weiter unter Beweis gestellten Tatsachen, die auf der betroffenen Beweisbehauptung aufbauen - nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die fehlerhafte Ablehnung der Beweiserhebung zu einer abweichenden Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin L. gelangt wäre. Denn Ziel des Beweisantrags war, ihre Schilderung des Tatgeschehens in Frage zu stellen und die Zeugin selbst als mögliche Täterin oder Tatbeteiligte darzustellen.

Der Verfahrensmangel ergreift sämtliche Feststellungen und entzieht damit dem Schuldspruch die Grundlage. Zwar hat das Landgericht dargelegt, dass es bereits ohne die Angaben der Zeugin aufgrund der weiteren objektiven Indizien von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt war, und deren Aussage als reine Bestätigung seiner bereits gewonnenen Überzeugung gewertet. Allerdings beruhen die zur Sache getroffenen Feststellungen in erheblichem Umfang allein auf den Angaben der Zeugin. Dies gilt insbesondere für die Feststellungen zum unmittelbaren Tatablauf und den Handlungen des Angeklagten, aber auch für sein Motiv und Nachtatverhalten. Es ist dem Senat daher weder möglich noch als Revisionsgericht gestattet, selbst festzulegen, welche Feststellungen das Tatgericht auch ohne die Angaben der Zeugin getroffen hätte. Das gilt umso mehr, als das Landgericht, wenn es - dem Beweisziel des Antrags entsprechend - die Angaben der Zeugin im Kerngeschehen für widerlegt erachtet hätte, gehalten gewesen wäre, sich hiermit im Rahmen der Beweiswürdigung im Hinblick auf die Täterschaft des Angeklagten auseinanderzusetzen.

4. Der Senat hat gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein zu demselben Land gehörendes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 436

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 188; StV 2018, 478

Bearbeiter: Christian Becker