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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 248

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 167/22, Beschluss v. 09.02.2022, HRRS 2022 Nr. 248


BVerfG 2 BvR 167/22 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 9. Februar 2022 (LG Regensburg)

Recht auf effektiven Rechtsschutz im strafvollzugsrechtlichen Eilverfahren (Notrufsystem in Hafträumen; verzögerte Entscheidung über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz).

Art. 19 Abs. 4 GG; § 32 Abs. 1 BVerfGG; § 109 Abs. 1 StVollzG; § 114 StVollzG

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Notrufsystem in Hafträumen stellt für Gefangene in Notfällen und Gefahrensituationen eine wichtige Möglichkeit der Kommunikation dar. Hat eine Strafvollstreckungskammer über einen entsprechenden Antrag eines Strafgefangenen auf einstweiligen Rechtsschutz nach über vier Monaten noch nicht entschieden, so liegt eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz nahe.

Entscheidungstenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

1. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung scheidet hier nicht bereits deshalb aus (vgl. BVerfGE 88, 185 <186>; 103, 41 <42>), weil die Verfassungsbeschwerde von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre. Da das Landgericht über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz des Beschwerdeführers seit September 2021 nicht entschieden hat, liegt eine Verletzung seines Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht fern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Notrufsystem auf den Hafträumen für Gefangene in Notfällen und Gefahrensituationen eine wichtige Möglichkeit der Kommunikation darstellt, so dass eine zügige Bearbeitung geboten erscheint.

2. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts kommt dennoch nicht in Betracht. Für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 93, 181 <186>). Dies gilt nicht nur im Hinblick darauf, dass einstweilige Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts weittragende Folgen haben können (vgl. BVerfGE 3, 41 <44>; stRspr), sondern auch im Hinblick auf die besondere Funktion und Organisation des Bundesverfassungsgerichts. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG ist - anders als der von Art. 19 Abs. 4 GG geprägte vorläufige Rechtsschutz im fachgerichtlichen Verfahren - nicht darauf angelegt, möglichst lückenlosen vorläufigen Rechtsschutz zu bieten (vgl. BVerfGE 94, 166 <216 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2013 - 2 BvR 2541/13 -, Rn. 5 m.w.N.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht kommt danach nur unter wesentlich engeren Voraussetzungen in Betracht als die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Fachgerichte. Insbesondere sind, wenn eine einstweilige Anordnung zur Abwendung eines geltend gemachten schweren Nachteils erstrebt wird, erheblich strengere Anforderungen an die Schwere des Nachteils zu stellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2013 - 2 BvR 2541/13 -, Rn. 5 m.w.N.). Nach diesen strengen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren des Eilrechtsschutzes hier nicht vor. Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich nicht, dass eine einstweilige Anordnung zur Abwehr schwerer Nachteile für ihn derzeit dringend geboten ist.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 248

Bearbeiter: Holger Mann