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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 912

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 27/21, Beschluss v. 18.08.2021, HRRS 2021 Nr. 912


BVerfG 2 BvR 27/21 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 18. August 2021 (KG / LG Berlin)

Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung im Strafvollzug (ärztliche Untersuchung und schmerzlindernde Behandlung eines Strafgefangenen; Zwangsgeldfestsetzung gegenüber einer Justizvollzugsanstalt; Recht auf effektiven Rechtsschutz; gerichtliche Aufklärungspflicht; Willkürverstoß in der Rechtsmittelinstanz bei Übersehen einer zwangsweise durchsetzbaren Entscheidung).

Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 19 Abs. 4 GG; § 120 Abs. 1 Satz 1 StVollzG; § 172 VwGO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Strafvollstreckungskammer wird ihrer aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes folgenden Amtsermittlungspflicht nicht gerecht, wenn sie bei der Beurteilung der Frage, ob eine Justizvollzugsanstalt bereit ist, einer einstweiligen Anordnung auf ärztliche Untersuchung und schmerzlindernde Behandlung eines Strafgefangenen nachzukommen oder ob insoweit ein Zwangsgeld festzusetzen ist, nicht aufklärt, ob und gegebenenfalls wann der Gefangene tatsächlich einem Arzt zugeführt worden ist (Folgeentscheidung zu BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2020 - 2 BvR 1879/20 - [= HRRS 2020 Nr. 1318]).

2. Eine Beschwerdeentscheidung gegen eine unterbliebene Zwangsgeldfestsetzung erweist sich als unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und daher objektiv willkürlich, wenn das Beschwerdegericht übersieht, dass bereits eine zwangsweise durchzusetzende einstweilige Anordnung der Strafvollstreckungskammer existiert und dass das Beschwerdegericht einem vorangegangenen Rechtsmittel gegen die Ablehnung eines Antrags auf Festsetzung eines Zwangsgelds bereits entsprochen hatte.

Entscheidungstenor

Der Beschluss des Kammergerichts vom 14. Dezember 2020 - 2 Ws 166/20 Vollz - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und zur erneuten Entscheidung über die Kosten an das Kammergericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

Der inhaftierte Beschwerdeführer wendet sich gegen die unterbliebene Vollstreckung einer einstweiligen Anordnung.

I.

1. Am 14. September 2020 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt, wegen starker Rücken- und Beinschmerzen einem Arzt vorgeführt zu werden.

2. Mit Schreiben vom 23. September 2020 beantragte er im Eilverfahren eine umgehende ärztliche Untersuchung und schmerzlindernde Behandlung sowie im Hauptsacheverfahren festzustellen, dass die Nichtbehandlung am 23. September 2020 rechtswidrig gewesen sei. Er sei trotz enormer Schmerzen bereits seit zwei Wochen nicht beim Arzt vorgestellt worden, auch entgegen einer Zusage, am 23. September 2020 einen Arzttermin zu erhalten. Er leide seit Monaten unter Bein- und Rückenschmerzen.

3. Mit Beschluss vom 29. September 2020 - 589 StVK 205/20 Vollz - gab das Landgericht Berlin dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statt. Der Beschwerdeführer sei umgehend ärztlich zu untersuchen und schmerzlindernd zu behandeln.

4. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2020 teilte der Beschwerdeführer dem Landgericht mit, dass der Beschluss vom 29. September 2020 am 30. September 2020 vor 9.00 Uhr gefaxt worden, er aber immer noch nicht ärztlich untersucht worden sei. Er beantragte deshalb beim Landgericht unter anderem, der Justizvollzugsanstalt ein Zwangsgeld aufzuerlegen. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 informierte er das Gericht darüber, dass eine ärztliche Untersuchung weiterhin nicht stattgefunden habe.

5. Die Justizvollzugsanstalt nahm mit Schreiben vom 8. Oktober 2020, das dem Beschwerdeführer zunächst nicht übersandt wurde, Stellung und teilte mit, der Beschwerdeführer habe das Angebot eines Arzttermins am 7. Oktober 2020 abgelehnt.

6. Mit angegriffenem Beschluss vom 14. Oktober 2020 - 589 StVK 205/20 Vollz -, dem Beschwerdeführer am 27. Oktober 2020 ausgehändigt, wies das Landgericht unter anderem den Antrag vom 23. September 2020 in der Hauptsache und den Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgelds zurück. Der Hauptsacheantrag sei unbegründet, da ein Anspruch auf Vorstellung beim Arzt gerade am 23. September 2020 nicht bestanden habe. Eine aktuelle Krisensituation an diesem Tag sei nicht ersichtlich, zumal der Beschwerdeführer zunächst noch zu seiner Arbeitsstelle gegangen sei. Er sei unstreitig sowohl dem Anstaltsarzt als auch einem Facharzt vorgeführt und es seien eine Schmerz- und eine Physiotherapie angeordnet worden. Der Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgelds sei unbegründet, weil der Beschwerdeführer mit Schmerzmitteln behandelt werde und sein Anspruch auf Schmerztherapie somit erfüllt sei. Ein Zwangsgeld wegen einer unterlassenen Vorstellung beim Arzt könne das Gericht nicht anordnen. Zunächst wäre dafür eine entsprechende Androhung erforderlich gewesen. Für die Androhung eines Zwangsgelds habe aber kein Anlass bestanden, weil die Justizvollzugsanstalt dem Beschwerdeführer schon früher Arzttermine gewährt, ihn auf die Warteliste gesetzt und ihm nach eigenem Vorbringen am 7. Oktober 2020 einen Arzttermin angeboten habe.

7. Am 30. Oktober 2020 legte der Beschwerdeführer Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss ein. Die vom Landgericht in Bezug genommene Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 8. Oktober 2020 sei ihm nicht bekannt, so dass gegen sein Recht auf rechtliches Gehör verstoßen worden sei. Ihm sei am 7. Oktober 2020 kein Arzttermin angeboten worden. Das Landgericht habe die Argumente der Justizvollzugsanstalt ungeprüft übernommen und somit seine Aufklärungspflicht verletzt. Der Beschwerdeführer nehme in Eigenmedikation, also nicht ärztlich verordnet oder überwacht, Schmerzmittel ein. Der Beschluss des Landgerichts widerspreche überdies demjenigen des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 2020 - 2 BvR 1879/20 -, mit dem das Landgericht im Wege der einstweiligen Anordnung angewiesen worden sei, über seinen Antrag vom 2. Oktober 2020 gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 StVollzG unverzüglich zu entscheiden. Er beantrage ausdrücklich, seine Anträge vom 2. und vom 9. Oktober 2020 an das Landgericht umgehend zu bescheiden, also der Justizvollzugsanstalt ein Zwangsgeld anzudrohen und festzusetzen, da er nach wie vor keine Arztvorstellung oder schmerzlindernde Behandlung erhalten habe. Das Landgericht verkenne zudem Art. 2 Abs. 2 GG, wenn es einen Anspruch auf Untersuchung durch den Arzt bei anhaltenden Schmerzen von einem Notfall abhängig mache. Durch das lange Abwarten des Landgerichts sei der Beschwerdeführer in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt worden.

8. Am 17. November 2020 erhielt der Beschwerdeführer die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 8. Oktober 2020.

9. Am 18. November 2020 wurde der Beschwerdeführer einem Arzt, am 26. November 2020 einem Chirurgen vorgestellt.

10. Mit Schreiben vom 27. November 2020 legte er Beschwerde ein, soweit sein Antrag auf Androhung beziehungsweise Festsetzung eines Zwangsgelds gegen die Justizvollzugsanstalt zurückgewiesen worden sei, und rügte unter anderem einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

11. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 - 2 Ws 152/20 Vollz - entschied das Kammergericht, der Beschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 14. Oktober 2020 werde - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - auf die Rechtsbeschwerde aufgehoben. Das Landgericht habe dem Beschwerdeführer die gegnerische Stellungnahme vom 8. Oktober 2020 nicht zugestellt; ein Beruhen der Entscheidung auf dem Gehörsverstoß könne das Kammergericht nicht ausschließen, da es im Beschluss des Landgerichts heiße, der Beschwerdeführer sei unstreitig einem Anstaltsarzt und einem Facharzt vorgeführt worden, wobei diesbezüglich ein Datum nicht genannt sei, und habe am 7. Oktober 2020 einen Arzttermin abgelehnt. In dem Beschluss des Kammergerichts wird der Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgelds, dessen Ablehnung und die hierauf gerichtete Beschwerde nicht erwähnt.

12. Mit angegriffenem Beschluss vom 4. Dezember 2020 - 589 StVK 205/20 Vollz - half das Landgericht der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Festsetzung eines Zwangsgelds nicht ab. Es sei auf den von der Justizvollzugsanstalt behaupteten Arzttermin vom 7. Oktober 2020 nicht angekommen, weil die tragenden Gründe in den unstreitigen bisherigen Vorführungen des Beschwerdeführers zu unterschiedlichen Ärzten und seiner erneuten Aufnahme in die Warteliste lägen. Diese Maßnahmen zeigten, dass die Justizvollzugsanstalt der Anordnung nachkomme, den Beschwerdeführer einem Arzt zuzuführen. Es bestehe zudem keine aktuelle Beschwer. Ein rechtliches Interesse an der Festsetzung eines Zwangsmittels wäre nur gegeben, wenn eine ärztliche Vorstellung inzwischen weiterhin nicht angeboten worden wäre, was aber nicht einmal vom Beschwerdeführer behauptet werde. Im Übrigen gehe das Gericht, nachdem sich der Beschwerdeführer dazu eingelassen habe, davon aus, dass ihm am 7. Oktober 2020 eine solche Vorführung angeboten worden sei. Es bestehe kein Anlass, der Aussage der Justizvollzugsanstalt nicht zu glauben, da sie den Beschwerdeführer immerhin unstreitig zwei Ärzten zugeführt habe.

13. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2020 an das Landgericht widersprach der Beschwerdeführer nochmals der Feststellung, er habe am 7. Oktober 2020 einen Arzttermin angeboten bekommen. Er habe nach wie vor starke Schmerzen, die mittlerweile jedoch medikamentös behandelt würden.

14. Mit angegriffenem Beschluss vom 14. Dezember 2020 - 2 Ws 166/20 Vollz - verwarf das Kammergericht die Beschwerde. Sie sei mangels Rechtsschutzinteresses im Sinne einer gegenwärtigen Beschwer unzulässig. Es fehle bereits an einer gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzenden einstweiligen Anordnung im Sinne des § 120 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, nachdem das Landgericht den Erlass einer solchen Anordnung mit Beschluss vom 14. Oktober 2020 abgelehnt habe. Das Kammergericht erwähnte die durch das Landgericht am 29. September 2020 erlassene einstweilige Anordnung nicht.

II.

1. Mit der am 8. Januar 2021 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2, Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 103 Abs. 1 GG.

Die Verfassungsbeschwerde richte sich nicht gegen die Hauptsacheentscheidung, da seine Rechtsbeschwerde insoweit Erfolg gehabt habe. Allerdings hätten die Gerichte das Vorbringen des Beschwerdeführers vom 27. November und vom 9. Dezember 2020 nicht ausreichend beachtet. Das Landgericht habe die unwahre Behauptung der Justizvollzugsanstalt, ihm sei am 7. Oktober 2020 ein Arzttermin angeboten worden, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und die Aufklärungspflicht ungeprüft übernommen. Landgericht und Kammergericht verletzten ihn in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 2, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG, indem sie die über Wochen anhaltenden Schmerzen nicht anerkannt hätten. Die Verzögerung sei allein durch das Landgericht zustande gekommen. Die Gerichte wichen willkürlich von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab und verstießen damit gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.

2. Mit Schreiben vom 18. Mai 2021 hat die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Stellung genommen. Die Verfassungsbeschwerde sei angesichts der mittlerweile erfolgten medikamentösen Behandlung zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers nicht mehr erforderlich. Selbst wenn das Kammergericht verkannt haben sollte, dass eine einstweilige Anordnung mit Beschluss des Landgerichts vom 29. September 2020 erlassen worden sei, sei die Entscheidung nicht willkürlich.

3. Mit Schreiben vom 19. Juni 2021 hat der Beschwerdeführer darauf erwidert, dass die Untätigkeit der Justizvollzugsanstalt und der Gerichte ihm über einen erheblichen Zeitraum ein Übel zugefügt und ihn damit in seinen Grundrechten verletzt hätten.

4. Die Akten des fachgerichtlichen Verfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

III.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 14. Oktober 2020 und vom 4. Dezember 2020 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen.

1. Von dem Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts vom 4. Dezember 2020 geht keine eigenständige Beschwer aus, so dass die Verfassungsbeschwerde insoweit bereits unzulässig ist.

2. Auch soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts vom 14. Oktober 2020 richtet, ist er durch diesen nicht beschwert. Denn mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 - 2 Ws 152/20 Vollz, 589 StVK 205/20 Vollz - hat das Kammergericht auf die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers den Beschluss des Landgerichts vom 14. Oktober 2020, mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung, aufgrund einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Landgericht zurückverwiesen.

Bei der erneuten Entscheidung wird das Landgericht zu berücksichtigen haben, dass Art. 19 Abs. 4 GG einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt gewährleistet (vgl. BVerfGE 67, 43 <58>; stRspr). Die fachgerichtliche Überprüfung kann die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht. Das Gericht hat im Rahmen der Amtsermittlungspflicht von sich aus die zur Aufklärung des Sachverhalts notwendigen Maßnahmen zu treffen (vgl. BVerfGE 101, 275 <294 f.>; BVerfGK 4, 119 <129>; 9, 390 <395>; 9, 460 <463>; 13, 472 <476>; 13, 487 <493>; 17, 429 <430 f.>; 19, 157 <164>; 20, 107 <112>). Um dem Gebot effektiven Rechtsschutzes zu genügen, darf ein Gericht auf die Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten daher nur verzichten, wenn Beweismittel unzulässig, schlechterdings untauglich, unerreichbar oder für die Entscheidung unerheblich sind. Dagegen darf es von einer Beweisaufnahme nicht schon dann absehen, wenn die Aufklärung besonders arbeits- oder zeitaufwendig erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Februar 2020 - 2 BvR 1719/19 -, Rn. 22).

Dieser gerichtlichen Aufklärungspflicht genügt es nicht, wenn die Bereitschaft der Justizvollzugsanstalt, der Verpflichtung aus der einstweiligen Anordnung vom 29. September 2020 nachzukommen, aus zeitlich nicht näher bestimmten zurückliegenden Arztterminen und deren Vorbringen, dem Beschwerdeführer sei ein Termin am 7. Oktober 2020 angeboten, von diesem aber abgelehnt worden, gefolgert wird. Vielmehr mussten sich dem Landgericht begründete Zweifel spätestens aufdrängen, nachdem der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2020 mitgeteilt hatte, dass eine ärztliche Untersuchung weiterhin nicht stattgefunden habe. Es kann deshalb nicht unaufgeklärt bleiben, ob und wann die Justizvollzugsanstalt den Beschwerdeführer nach Erlass der einstweiligen Anordnung vom 29. September 2020 einem Arzt zugeführt hat und ob er schmerzlindernd behandelt worden ist.

IV.

Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Kammergerichts vom 14. Dezember 2020 wendet, wird die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung im Sinne des § 93c Abs. 1 BVerfGG liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde im genannten Umfang zulässig und in einem die Zuständigkeit der Kammer begründenden Sinn offensichtlich begründet.

Der angegriffene Beschluss des Kammergerichts vom 14. Dezember 2020 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot.

1. Verfassungsbeschwerden gegen Urteile führen nicht zur Nachprüfung im vollen Umfange, sondern nur zur Nachprüfung auf verfassungsrechtliche Verstöße. Ein solcher Verstoß liegt bei gerichtlichen Urteilen unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots des Art. 3 Abs. 1 GG nicht schon dann vor, wenn die angegriffene Rechtsanwendung oder das dazu eingeschlagene Verfahren Fehler enthalten. Vielmehr ist ein Richterspruch nur willkürlich, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Maßgebend für eine dahingehende Feststellung sind objektive Kriterien. Schuldhaftes Handeln der Richter ist nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51>; 89, 1 <13>; stRspr).

2. Der angegriffene Beschluss des Kammergerichts vom 14. Dezember 2020 hält einer Prüfung am Willkürmaßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht stand, denn der Richterspruch ist unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar. So hat das Kammergericht bereits übersehen, dass sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Festsetzung eines Zwangsgelds auf die einstweilige Anordnung des Landgerichts vom 29. September 2020 bezog. Zudem hat das Gericht nicht berücksichtigt, dass es seiner Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrags auf Festsetzung eines Zwangsgelds im Beschluss des Landgerichts vom 14. Oktober 2020 bereits in der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde entsprochen hatte. Denn das Kammergericht hat mit Beschluss vom 4. Dezember 2020 den Beschluss des Landgerichts vom 14. Oktober 2020 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung - vollständig aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Entsprechend diesem umfassenden Aufhebungsbeschluss des Kammergerichts vom 4. Dezember 2020 hat das Landgericht auch über den Antrag des Beschwerdeführers auf Festsetzung eines Zwangsgelds neu zu entscheiden.

V.

Der Beschluss des Kammergerichts vom 14. Dezember 2020 ist daher aufzuheben und zur erneuten Entscheidung über die Kosten an das Kammergericht zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).

VI.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Angesichts des Teilerfolgs seiner Verfassungsbeschwerde ist es angemessen, die hälftige Erstattung der notwendigen Auslagen anzuordnen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 912

Bearbeiter: Holger Mann