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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 467

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 225/20, Beschluss v. 01.04.2020, HRRS 2020 Nr. 467


BVerfG 2 BvR 225/20 (1. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 1. April 2020 (OLG München)

Fortdauer der Untersuchungshaft über ein Jahr (Beschleunigungsgebot in Haftsachen und Aussetzung der Hauptverhandlung; Rechtfertigung einer Verzögerung durch das Verteidigungsverhalten; unzureichend begründete Erwartung eines umfassenden Geständnisses; keine Bindungswirkung einer im Zwischenverfahren vom Verteidiger ohne Beteiligung des Angeklagten unter Vorbehalt erklärten Verständigungsbereitschaft; Neuterminierung und Verhinderung des Verteidigers; Bestellung eines Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung; Freiheitsgrundrecht; Unschuldsvermutung; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung; Beschleunigungsgebot in Haftsachen; keine Rechtfertigung von Verfahrensverzögerungen allein durch die Schwere der Tat oder die nicht nur kurzfristige Überlastung des Gerichts; Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen).

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 104 GG; § 112 StPO; § 121 StPO; § 122 StPO; § 228 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Haftfortdauerentscheidung genügt den verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen nicht, wenn das Gericht eine durch eine Aussetzung der Hauptverhandlung und eine Neuterminierung erst auf einen etwa sieben Monate später liegenden Zeitpunkt bedingte Verzögerung unter Hinweis auf das Verteidigungsverhalten des Angeklagten als gerechtfertigt ansieht, obwohl weder erkennbar ist, weshalb die Strafkammer darauf hätte vertrauen können, der Angeklagte werde ein umfassendes Geständnis ablegen, noch, weshalb sie die Hauptverhandlung nach der nur teilgeständigen Einlassung des Angeklagten sogleich ausgesetzt hat, ohne die erschienenen Zeugen zu vernehmen und ohne sich um weitere Fortsetzungstermine zu bemühen.

2. Eine im Zwischenverfahren in Abwesenheit und ohne Zustimmung des Angeklagten zwischen den Berufsrichtern, dem Staatsanwalt und zwei von drei Verteidigern vereinbarte Verfahrensverständigung entfaltet für den Angeklagten keine Bindungswirkung dahingehend, dass er sich daran festhalten lassen muss, es sei ein umfassendes Geständnis in Aussicht gestellt worden. Dies gilt erst recht, wenn die Verteidiger einen Vorbehalt hinsichtlich des angesprochenen Strafrahmens angemeldet haben, der als Bestandteil einer Verständigung in einer synallagmatischen Verknüpfung mit dem Einlassungsverhalten des Angeklagten steht.

3. Hat der Angeklagte sich bei dem vorgesehenen (Neu-)Beginn der Hauptverhandlung bereits ein Jahr und fünf Monate in Untersuchungshaft befunden, ist dies verfassungsrechtlich nur ausnahmsweise hinnehmbar, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Die Terminslage eines Verteidigers - bei der es sich nicht um einen verfahrensimmanenten Umstand handelt - kann dabei allenfalls eine kurzfristige Verzögerung des Verfahrensfortgangs rechtfertigen. Die Strafkammer hat gegebenenfalls die Bestellung eines Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung in Betracht zu ziehen.

4. Die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist wegen der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Unschuldsvermutung nur ausnahmsweise zulässig, wenn die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung den Freiheitsanspruch des Beschuldigten überwiegen. Bei der Abwägung ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen.

5. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse. Damit steigen die Anforderungen sowohl an die Zügigkeit der Bearbeitung der Haftsache als auch an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund. Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein.

6. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um mit der gebotenen Schnelligkeit eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig.

7. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen.

8. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann die Haftfortdauer niemals rechtfertigen. Dies gilt selbst dann, wenn die Überlastung auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt.

9. Haftfortdauerentscheidungen unterliegen von Verfassungs wegen einer erhöhten Begründungstiefe und erfordern regelmäßig schlüssige und nachvollziehbare Ausführungen zum Fortbestehen der Voraussetzungen der Untersuchungshaft, zur Abwägung zwischen Freiheitsgrundrecht und Strafverfolgungsinteresse sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit.

Entscheidungstenor

Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 31. Januar 2020 - 2 Ws 49/20 - und vom 9. März 2020 - 2 Ws 250/20 H - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 des Grundgesetzes.

Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft.

I.

1. a) Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 4. Februar 2019 - zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts München vom selben Tag - in Untersuchungshaft. Am 22. Juli 2019 erhob die Staatsanwaltschaft München II Anklage unter anderem gegen den Beschwerdeführer zum Landgericht München II. Am 15. Oktober 2019 erließ die - wegen einer heranwachsenden Mitangeklagten zuständige - Jugendkammer auf Grundlage der Anklageschrift vom 22. Juli 2019 einen neuen Haftbefehl, der dem Beschwerdeführer am 23. Oktober 2019 eröffnet wurde. Hiernach wird dem Beschwerdeführer unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit mittäterschaftlich begangenem unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, räuberische Erpressung und gewerbsmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in drei Fällen zur Last gelegt. Der Beschwerdeführer soll insgesamt 1,3 Kilogramm Marihuana gewinnbringend verkauft und rund 2 Kilogramm Kokaingemisch überwiegend zur gewinnbringenden Weiterveräußerung aufbewahrt haben. Zudem soll der Beschwerdeführer einen anderweitig Verfolgten bedroht haben, um Schulden aus einem Betäubungsmittelgeschäft einzutreiben. Der Haftbefehl nimmt den Haftgrund der Fluchtgefahr an.

b) Im Anschluss an die Eröffnung des neuen Haftbefehls fand am 23. Oktober 2019 ein Erörterungsgespräch in Anwesenheit der Berufsrichter der Jugendkammer, des sachbearbeitenden Staatsanwalts sowie eines der beiden Verteidiger des Beschwerdeführers statt. Ausweislich des von der Kammer erstellten Vermerks teilte der Verteidiger des Beschwerdeführers mit, dass der Beschwerdeführer die angeklagten Taten mit Ausnahme der räuberischen Erpressung einräumen würde. Der Staatsanwalt wies darauf hin, dass selbst bei einer Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) eine Freiheitsstrafe ohne Vorwegvollzug aufgrund der vorliegenden Mengen an Betäubungsmitteln wohl nicht denkbar sei. Die Vorsitzende erläuterte, dass je nach Verhalten des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung eine Freiheitsstrafe von sechseinhalb bis siebeneinhalb Jahren vorstellbar wäre. Der Staatsanwalt und der Verteidiger erklärten, dass ein solcher Strafrahmen annehmbar wäre. Der Verteidiger wies darauf hin, dass dies nur vorbehaltlich einer Rücksprache mit dem Beschwerdeführer und dessen weiterem Verteidiger gelte. Als mögliche Hauptverhandlungstermine wurden in dem Erörterungsgespräch der 20. und 23. Dezember 2019, der 20. und 28. Januar 2020 und der 16. und 17. März 2020 angedacht. Andere Termine seien aufgrund der terminlichen Auslastung der Verteidigung und der Kammer nicht möglich.

c) Mit Beschluss vom 20. November 2019 ließ die Jugendkammer die Anklage zur Hauptverhandlung zu und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Sie bestimmte Termine zur Hauptverhandlung für den 20. und 23. Dezember 2019 und lud hierfür 14 Zeugen und Sachverständige.

d) Die Hauptverhandlung begann am 20. Dezember 2019. Der Beschwerdeführer äußerte sich zu seinen persönlichen Verhältnissen. Zum Tatvorwurf befragt, räumte er lediglich den Besitz der 2 Kilogramm Kokaingemisch, also lediglich eine der angeklagten Taten, ein; im Übrigen machte er keine Angaben. Daraufhin setzte die Jugendkammer das Verfahren aus und bestimmte fünf neue Termine zur Hauptverhandlung ab dem 16. Juli 2020.

2. Mit Verteidigerschriftsatz vom 23. Dezember 2019 legte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 15. Oktober 2019 ein, die er mit einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes begründete. Die Jugendkammer half der Beschwerde am 30. Dezember 2019 nicht ab.

In ihrem Vorlagebericht vom 7. Januar 2020 führte die Staatsanwaltschaft München II zu der Haftbeschwerde aus, dass das Verfahren gegen den Beschwerdeführer in den Hauptverhandlungsterminen vom 20. und 23. Dezember 2019 allein deshalb nicht mit Urteil habe abgeschlossen werden können, weil sich der Beschwerdeführer entgegen der Ankündigung im Verständigungsgespräch vom 23. Oktober 2019 nicht hinsichtlich zweier weiterer Taten geständig gezeigt habe. Hintergrund sei nach einer Stellungnahme der Verteidiger, dass dem Angeklagten bei dem in Aussicht gestellten Strafrahmen im Fall eines Geständnisses ein Vorwegvollzug vor einer etwaigen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt drohen würde, den der Beschwerdeführer auch als Untersuchungshaft „absitzen“ könne. Ein Geständnis würde ihm demgegenüber keinen Vorteil bringen.

Mit Verfügung vom 9. Januar 2020 legte die Generalstaatsanwaltschaft München die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung über die Haftbeschwerde vor. Sie führte aus, dass ein eigener Antrag derzeit bewusst nicht gestellt werde, nachdem sich der Akte aktuell nicht entnehmen lasse, warum die Jugendkammer Ende Dezember 2019 erst einen Termin im Juli 2020 habe in Aussicht stellen können.

In einem handschriftlichen Vermerk vom 17. Januar 2020 führte die Vorsitzende der Jugendkammer aus, dass mit den Verfahrensbeteiligten keine Termine zu finden gewesen seien, da das Gericht aufgrund der Auslastung mit anderen Haftsachen nur wenige Termine habe anbieten können. Zwar seien in anderer Sache Termine weggefallen, jedoch könne einer der beiden Verteidiger des Beschwerdeführers die Termine am 17. Februar und am 2., 9. und 13. März 2020 nicht wahrnehmen. Der psychiatrische Sachverständige habe bis Mai 2020 keine Termine.

3. Durch - vorliegend angegriffenen - Beschluss vom 31. Januar 2020 verwarf das Oberlandesgericht München die Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts stellt sich die Fortdauer der Untersuchungshaft - trotz der voraussichtlich erst für Juli 2020 terminierten Hauptverhandlung - weiterhin als verhältnismäßig dar. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen sei nicht verletzt, weil die zuletzt eingetretene Verzögerung auf der Verteidigungsstrategie des Beschwerdeführers beruhe.

a) Bis zur Hauptverhandlung am 20. Dezember 2019 sei das Verfahren sehr beschleunigt geführt worden. Die Staatsanwaltschaft habe noch vor dem vollständigen Abschluss der Ermittlungen Anklage erhoben. Es seien insoweit die Einholung einer Vielzahl von Gutachten - Blutalkohol-, Haar- und Wirkstoffgutachten sowie toxikologische, molekulargenetische und daktyloskopische Gutachten - und die Vernehmung zahlreicher Zeugen sowie Kontoauswertungen erforderlich gewesen. Aufgrund der Kontoauswertungen sei am 12. September 2019 ein erweiterter Arrestbeschluss erlassen worden.

Entgegen der Ansicht der Verteidigung sei eine frühere Verfahrenseröffnung nicht möglich gewesen, da zunächst die nach Anklageerhebung eingehenden Ermittlungsergebnisse zwingend hätten abgewartet werden müssen. Dies betreffe insbesondere die von der Verteidigung am 15. April 2019 beantragte psychiatrische Begutachtung auf die Voraussetzungen des § 64 StGB hin, die am 29. April 2019 in Auftrag gegeben worden sei. Der Sachverständige habe diese Begutachtung im Rahmen der auslastungsbedingt bei den erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen üblichen und unvermeidlichen Bearbeitungszeit am 25. September 2019 abgeschlossen.

In Anbetracht der überdurchschnittlichen Komplexität des Verfahrens, das durch Ermittlungen gegen zahlreiche weitere Personen aus einem Verfahrenskomplex gekennzeichnet gewesen sei, sodass immer wieder Nachfragen und Abgleiche von Aussagen notwendig gewesen seien, halte sich der fünfmonatige Zeitraum zwischen Anklageerhebung und Beginn der Hauptverhandlung im Rahmen dessen, was vom Bundesverfassungsgericht für den Regelfall als zulässig erachtet werde. Dass möglicherweise früher Eröffnungsreife bestanden hätte, habe sich daher im Ergebnis nicht ausgewirkt. Offensichtlich habe die Kammer das Erörterungsgespräch am 23. Oktober 2019 abgewartet, um die Hauptverhandlung besser planen zu können, und habe sodann - nach Absprache der Termine - zugleich mit dem Eröffnungsbeschluss die Termine bestimmt.

b) Die Aussetzung der Hauptverhandlung am 20. Dezember 2019 sei allein dem Verteidigungsverhalten des Beschwerdeführers geschuldet. Durch seinen Verteidiger habe der Beschwerdeführer im Erörterungstermin eine geständige Einlassung hinsichtlich dreier der vier Anklagepunkte angekündigt. Dem Vermerk über das Erörterungsgespräch sei nicht zu entnehmen, dass das angekündigte Geständnis unter dem Vorbehalt der Rücksprache mit dem Angeklagten und dem weiteren Verteidiger gestanden habe. Der Vorbehalt beziehe sich vielmehr ersichtlich auf die angesprochenen Strafrahmen. Der Vermerk sei im unmittelbaren Anschluss beiden Verteidigern zugegangen. In den folgenden zwei Monaten bis zur Hauptverhandlung hätten die Verteidiger weder dem im Vermerk niedergelegten Inhalt des Gesprächs widersprochen noch angekündigt, dass entgegen der Zusage eine geständige Einlassung nicht erfolgen werde.

Den Verteidigern sei dabei bekannt gewesen, dass nicht nur die Kammer terminlich ausgelastet sei, sondern auch die Verteidiger selbst zeitlich derart ausgelastet seien, dass die Vereinbarung allerseits passender Termine äußerst schwierig werden würde. Es sei davon auszugehen, dass es den Verteidigern bewusst gewesen und sogar darauf angekommen sei, dass durch ihr Verteidigungsverhalten eine zeitnahe neue Terminierung nicht möglich sein würde. Dies entspreche auch der im Vorlagebericht der Staatsanwaltschaft mitgeteilten Aussage der Verteidigung und dem Verteidigungsverhalten des Beschwerdeführers in einem Parallelverfahren vor dem Landgericht München I. Der Beschwerdeführer müsse sich das Verteidigerverhalten zurechnen lassen, da er es sich ersichtlich zu eigen gemacht habe. Wäre der Beschwerdeführer bei seinem angekündigten Verteidigungsverhalten geblieben, hätte die Hauptverhandlung am 20. und 23. Dezember 2019 voraussichtlich durchgeführt und zu einem Abschluss gebracht werden können. Das angekündigte Geständnis hätte durch die geladenen Zeugen und Sachverständigen validiert werden können. Die weitere Tat hätte durch die geladenen Zeugen aufgeklärt werden können.

c) Die nunmehr erst für Juli 2020 vorgesehene Terminierung beruhe daher nur zu einem geringen Teil auf der Belastungssituation der Jugendkammer, die in der Gesamtbetrachtung nicht ins Gewicht falle. Denn es sei von Seiten der Justizverwaltung nicht zu leisten, dass Richter und Kammern vorgehalten würden, um auf jedes denkbare Verteidigungsverhalten unmittelbar eingehen zu können. Dies würde zu Leerläufen führen und wäre dem Steuerzahler nicht vermittelbar. Es könne von der Kammer auch nicht verlangt werden, ihren Terminkalender für einen solchen Fall freizuhalten, da es anderenfalls in anderen Verfahren zu erheblichen Verzögerungen kommen würde.

Bei der weiteren Terminplanung habe die Kammer die Verhinderungen der Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen gehabt. Die angefragten Verteidiger seien an den freigewordenen Terminen der Kammer im Februar und März 2020 nicht verfügbar gewesen. Eine weitere Abfrage bei dem - ohnehin überwiegend verhinderten - weiteren Verteidiger des Beschwerdeführers sei entbehrlich gewesen, da auch der Sachverständige bis Mai 2020 keine Termine freigehabt habe.

Die eingetretene Verfahrensverzögerung beruhe somit nicht auf vermeidbaren, dem Staat zuzurechnenden Umständen.

d) Schließlich sei auch nicht zu beanstanden, dass die Kammer keine anderen Maßnahmen zur Verfahrensförderung ergriffen habe. Insbesondere sei die Bestellung eines Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung wegen der zeitlichen Beanspruchung der gewählten Verteidiger bislang nicht geboten gewesen, da dies aufgrund der fehlenden zeitlichen Verfügbarkeit des Sachverständigen keine Verfahrensförderung bedeutet hätte. Die jetzige Beauftragung eines anderen Sachverständigen würde ebenfalls keine relevante Beschleunigung zur Folge haben, weil eine erneute Begutachtung ebenfalls erhebliche zeitliche Verzögerungen mit sich brächte. Auch eine - mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter abzuwägende - Zuweisung der Sache gemäß § 21e Abs. 3 GVG an eine andere Kammer hätte angesichts der eingeschränkten zeitlichen Verfügbarkeit von Verteidigern und Sachverständigen sowie der notwendigen Einarbeitungszeit einer anderen Kammer voraussichtlich keine merkliche Beschleunigung bewirkt.

4. Im Rahmen der weiteren besonderen Haftprüfung (§§ 121, 122 StPO) ordnete das Oberlandesgericht sodann durch Beschluss vom 9. März 2020, den der Beschwerdeführer ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen hat, erneut die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Das Oberlandesgericht nahm hinsichtlich der Wahrung des Beschleunigungsgebots vollumfänglich Bezug auf seine Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung vom 31. Januar 2020.

II.

Der Beschwerdeführer sieht sich durch die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 31. Januar 2020 und vom 9. März 2020 in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG) und in seinem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.

Die angegriffenen Beschlüsse enthielten keine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft. Sie verstießen gegen den in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgrundsatz. Sie ließen nicht erkennen, dass bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsrecht des Beschwerdeführers und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates die Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts ausreichend berücksichtigt worden sei. Zudem wiesen sie nicht die für eine Haftfortdauerentscheidung erforderliche Begründungstiefe auf.

1. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts erweise sich das Verfahren schon nicht als überdurchschnittlich komplex. Die Akten umfassten etwas mehr als 800 Seiten, was sich im Rahmen der üblicherweise bei großen Strafkammern verhandelten Fälle halte. Zur Hauptverhandlung vom 20. und 23. Dezember 2019 seien 14 Zeugen und Sachverständige geladen gewesen. Gegebenenfalls wäre noch die Inaugenscheinnahme einiger abgehörter Telefongespräche erforderlich gewesen.

2. Bereits im Zwischenverfahren seien nicht hinnehmbare Verfahrensverzögerungen eingetreten, die dem Beschwerdeführer nicht zuzurechnen seien. Es sei schon nicht nachvollziehbar, dass nach Anklageerhebung im Juli 2019 ein Eröffnungsbeschluss erst am 20. November 2019 ergangen sei. Die dreiwöchige Stellungnahmefrist zur Anklageschrift sei bereits am 12. August 2019 abgelaufen gewesen. Das Zuwarten bis zum 20. November 2019 erweise sich damit als nicht notwendige Verfahrensverzögerung, zumal Eröffnungsreife weitaus früher, spätestens Anfang September 2019, eingetreten gewesen sei. Das Abwarten des Erörterungsgespräches am 23. Oktober 2019 sei nicht notwendig gewesen, zumal dieses Gespräch durch keinen Verfahrensbeteiligten im Vorfeld angeregt worden sei. Auch ein Abwarten des Eingangs des psychiatrischen Sachverständigengutachtens sei nicht notwendig gewesen, weil das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB keinesfalls zu erwarten gewesen sei. Im Übrigen sei auch ein Zeitraum von fünf Monaten zwischen Auftragserteilung und Vorlage des Gutachtens nicht sachgerecht und entspreche nicht dem Beschleunigungsgrundsatz. Die Justiz hätte auf eine zügige Gutachtenerstattung drängen oder einen anderen Sachverständigen beauftragen müssen. Schon die Bestimmung des Hauptverhandlungstermins vom 20. Dezember 2019 mit Fortsetzung am 23. Dezember 2019 führe damit zu einer zu beanstandenden Verfahrensverzögerung, die dem Beschwerdeführer nicht zugerechnet werden könne.

3. Die Aussetzung der Hauptverhandlung sei entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts weder erforderlich noch durch das Verteidigungsverhalten des Beschwerdeführers bedingt gewesen. Der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer im Hauptverhandlungstermin vom 20. Dezember 2019 hinsichtlich der weiteren Anklagepunkte nicht geständig gezeigt habe, habe die Aussetzung der Hauptverhandlung nicht rechtfertigen können. Die Hauptverhandlung hätte an den beiden angesetzten Hauptverhandlungstagen, zu denen sämtliche in der Anklageschrift benannten Zeugen und Sachverständigen geladen gewesen seien, durchgeführt werden können. Erforderlichenfalls hätte die Hauptverhandlung noch an den im Vermerk über das Verständigungsgespräch als möglich festgehaltenen Terminen am 20. und 28. Januar 2020 fortgesetzt werden können. Zur Wahrung der Unterbrechungsfrist hätte zwischen dem 23. Dezember 2019 und dem 20. Januar 2020 ein kurzer, das Verfahren fördernder Termin in Absprache mit den Verfahrensbeteiligten bestimmt werden können. Auf diese Weise hätte die Hauptverhandlung spätestens am 28. Januar 2020 zu einem Abschluss gebracht werden können.

4. Durch die Bestimmung der neuen Hauptverhandlungstermine ab dem 16. Juli 2020 habe das Landgericht erneut gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoßen. Das Landgericht wäre bei Aussetzung der Hauptverhandlung gehalten gewesen, innerhalb von höchstens drei Monaten neue Hauptverhandlungstermine zu bestimmen. Eine Terminierung in den Monaten Februar und März 2020 sei jedenfalls an der Verhinderung des Sachverständigen gescheitert. Die Auswahl des Sachverständigen und dessen Verfügbarkeit fielen jedoch in den Verantwortungsbereich der Justiz. Hinzu komme, dass die Vorsitzende in ihrem Vermerk vom 17. Januar 2020 selbst eine Auslastung der Jugendkammer anführe, aufgrund derer sie nur wenige Termine habe anbieten können. Dass es sich insoweit um eine nur kurzfristige und unvorhersehbare Überlastung des Spruchkörpers handeln würde, werde gerade nicht behauptet. Vielmehr sei von einer dauerhaften Überlastung der Jugendkammer auszugehen.

Die Justizverwaltung sei gehalten, gerichtsorganisatorische Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, die den Geschäftsanfall innerhalb angemessener Frist bewältigen ließen. Dabei sei die Justizverwaltung auch gehalten, zulässiges Verteidigungsverhalten eines Angeklagten im Auge zu behalten, um darauf angemessen reagieren zu können. Aufgrund ihrer Auslastung sei die Jugendkammer hierzu offenbar nicht in der Lage gewesen, obwohl im Dezember 2019 und Januar 2020 allen Beteiligten Verhandlungstermine zur Verfügung gestanden hätten.

III.

Zur Verfassungsbeschwerde haben der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof und das Bayerische Staatsministerium der Justiz Stellung genommen.

1. Der Generalbundesanwalt hat mit Schreiben vom 19. März 2020 mitgeteilt, dass der zulässigen - auch zulässig erweiterten - Verfassungsbeschwerde der Erfolg nicht zu versagen sein werde. Der Beschwerdeführer werde durch die beiden angegriffenen Beschlüsse in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.

a) Allerdings sei im Zeitraum zwischen der Anklageerhebung Ende Juli 2019 und dem Eröffnungsbeschluss vom 20. November 2019 keine Verletzung des Beschleunigungsgebots festzustellen. Vor diesem Hintergrund begegne das Abwägungsergebnis des Oberlandesgerichts München, soweit es den Zeitraum bis zum Beginn des ersten Verhandlungstermins am 20. Dezember 2019 betreffe, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dass das Landgericht bereits zu einem früheren Zeitpunkt über die Verfahrenseröffnung hätte entscheiden können und - zur Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes - müssen, ergebe sich weder aus dem insoweit nicht hinreichend substantiierten Vortrag des Beschwerdeführers noch seien dafür sonst Anhaltspunkte ersichtlich. Der Beschwerdeführer trage nicht vor, dass für die Kammer der Zeitpunkt des Eingangs des Gutachtens mit solcher Gewissheit vorauszusehen gewesen sei, dass bereits zuvor über die Eröffnung des Verfahrens hätte entschieden und Hauptverhandlungstermine hätten angesetzt werden können, ohne Gefahr zu laufen, im Falle einer etwaigen Verzögerung des Gutachteneingangs Ladungen wieder aufheben oder eine gegebenenfalls bereits begonnene Hauptverhandlung aussetzen zu müssen. Auch wenn das Verfahren als nicht überdurchschnittlich komplex einzustufen sein sollte, erscheine in Anbetracht der offensichtlich erst Ende September 2019 vollständig vorliegenden Ermittlungserkenntnisse - einschließlich des psychiatrischen Sachverständigengutachtens - der dann noch verstrichene knapp zweimonatige Zeitraum bis zum Eröffnungsbeschluss nicht unangemessen lang.

Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass das Landgericht noch vor der Verfahrenseröffnung durch die Erörterung des weiteren Verfahrensablaufs am 23. Oktober 2019 eine verfahrensfördernde Maßnahme durchgeführt habe. Solche in geeigneten Fällen durchzuführenden Gespräche seien ein gemäß § 202a StPO ausdrücklich auch für das Zwischenverfahren vorgesehenes Mittel, um die Verfahrensdurchführung zu erleichtern und damit auch dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung zu tragen. Die in diesem Termin besprochene Möglichkeit eines umfassenden Geständnisses des Beschwerdeführers als Teil einer beabsichtigten Verständigung gemäß § 257c StPO hätte auch zu einer erheblichen Verfahrensbeschleunigung geführt.

Schließlich habe zwischen der Eröffnung des Hauptverfahrens und dem Beginn der Hauptverhandlung lediglich ein Monat gelegen, weshalb die vom Bundesverfassungsgericht vorgesehene Regeldauer von drei Monaten deutlich unterschritten worden sei.

b) Das Oberlandesgericht werde den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ergebenden Anforderungen jedoch insoweit nicht gerecht, als es bei seiner Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft die Verantwortung für die Aussetzung des Strafverfahrens und den erst für Mitte Juli 2020 terminierten Neubeginn der Hauptverhandlung allein dem Beschwerdeführer zugesprochen und auf dieser Grundlage einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot verneint habe. Die Entscheidung weise insoweit zumindest nicht die gebotene Begründungstiefe auf.

Zwar habe das Oberlandesgericht zu Lasten des Beschwerdeführers berücksichtigen dürfen, dass die Verteidigung die Kammer vor dem ersten Verhandlungstermin nicht rechtzeitig davon in Kenntnis gesetzt habe, dass der Beschwerdeführer - entgegen der Ankündigung vom 23. Oktober 2019 - kein umfassendes Geständnis ablegen werde. Andererseits könne dem Vermerk vom 23. Oktober 2019 - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - nicht entnommen werden, dass sich die Kammer auf die Abgabe eines umfassenden Geständnisses hätte verlassen dürfen. Gegenstand der Erörterung zwischen den Verfahrensbeteiligten sei eine mögliche Verständigung im Sinne des § 257c StPO gewesen, deren wesentliches Merkmal die synallagmatische Verknüpfung der jeweiligen Handlungsbeiträge der Beteiligten sei. Da sich der Verteidiger mit dem von der Kammer in Aussicht gestellten Strafrahmen gerade nicht vorbehaltlos einverstanden erklärt, sondern auf eine erforderliche Rücksprache mit dem Beschwerdeführer und dem weiteren Verteidiger verwiesen habe, habe sich der Vorbehalt ersichtlich auch auf das im Synallagma dazu stehende Geständnis erstreckt. Weder aus dem Vermerk noch aus den Beschlussgründen ergäben sich Anhaltspunkte, dass der Verteidiger vorbehaltlos ein umfassendes Geständnis des Beschwerdeführers zugesagt habe, unabhängig davon, ob es letztlich zu einem Einverständnis des Beschwerdeführers und des weiteren Verteidigers mit dem in Aussicht gestellten Strafrahmen kommen würde.

Davon abgesehen hätte das Oberlandesgericht berücksichtigen müssen, dass selbst eine vorbehaltlos im Zwischenverfahren abgeschlossene Verständigung für den Beschwerdeführer keine Bindungswirkung entfaltet hätte. Das Landgericht habe daher die Verhandlungsplanung auch durch die Auswahl des Sachverständigen - auf dessen fehlende terminliche Verfügbarkeit bis Mai 2020 das Oberlandesgericht im Rahmen der weiteren Begründung vor allem verweise - nicht davon abhängig machen dürfen, dass es zu einem umfassenden Geständnis des Beschwerdeführers kommen und ein Abschluss des - ausweislich der Beschlussbegründung komplexen - Verfahrens innerhalb von nur zwei nicht mehr verlegbaren Hauptverhandlungstagen gelingen würde. In Anbetracht der vorgenannten Umstände wäre das Oberlandesgericht im Rahmen der Haftbeschwerde gehalten gewesen, eingehend zu prüfen, ob die Kammer nicht bereits bei der Auswahl eines terminlich derart ausgelasteten Sachverständigen in maßgeblicher und vermeidbarer Weise zu der erheblichen Verfahrensverzögerung beigetragen habe.

Aus dem Vermerk zu dem Erörterungsgespräch ergebe sich im Übrigen, dass die Kammer zunächst auch den 20. und 28. Januar oder den 16. und 17. März 2020 als Hauptverhandlungstermine in Betracht gezogen habe. Es sei daher davon auszugehen, dass der Sachverständige jedenfalls Ende Oktober 2019 noch an den vorgenannten Tagen verfügbar gewesen wäre, sodass gegebenenfalls eine Aussetzung der Hauptverhandlung hätte unterbleiben und die Hauptverhandlung unter Einschaltung eines kürzeren Termins zur Überbrückung am 20. und 28. Januar hätte fortgesetzt werden können. Aus welchen Gründen der Sachverständige Ende Dezember an den vorgenannten Terminen nun verhindert gewesen sei und ob die Kammer Anstrengungen unternommen habe, den Sachverständigen zu einer etwa möglichen Verlegung entgegenstehender Termine zu bewegen, ergebe sich aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses ebenfalls nicht.

Der Verweis auf die von der Kammervorsitzenden festgehaltene Verhinderung des Verteidigers an vier abgefragten Terminen sei nicht geeignet, eine von der Justiz nicht zu vermeidende Verzögerung des Verfahrensfortgangs nach erfolgter Aussetzung um knapp sieben Monate zu belegen; dies umso mehr, als eine Terminsanfrage bei dem zweiten Verteidiger des Beschwerdeführers nicht erfolgt sei. Notfalls hätte auch die Bestellung eines Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung in Betracht gezogen werden müssen.

Soweit im Übrigen die terminliche Auslastung der Jugendkammer einem kurzfristigen Neubeginn des Verfahrens entgegengestanden haben sollte - das Oberlandesgericht messe der Belastungssituation der Kammer allerdings nur ein geringes Gewicht zu -, so hätte es weiterer Darlegungen dazu bedurft, ob es sich dabei um eine kurzfristige, nicht vorhersehbare Überlastung gehandelt habe, der auch durch Maßnahmen der Justizverwaltung nicht in einer für das Strafverfahren des Beschwerdeführers wirkungsvollen Weise habe begegnet werden können. Eine etwaige strukturelle Überlastung der Kammer wäre demgegenüber nicht geeignet gewesen, eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu rechtfertigen.

Die Erwägung des Oberlandesgerichts, von der Justizverwaltung könne nicht gefordert werden, dass Richter und Kammern vorgehalten würden, um auf jedes denkbare Verteidigungsverhalten unmittelbar eingehen zu können, trage jedenfalls nicht. Wie bereits ausgeführt, könne sich das Gericht selbst im Falle einer wirksam vor Hauptverhandlungsbeginn abgeschlossenen Verständigung nicht darauf verlassen, dass der Angeklagte tatsächlich ein Geständnis abgeben und dieses derart gehaltvoll und glaubhaft sein werde, dass auf eine umfangreiche Beweisaufnahme verzichtet werden könne. Erst recht dürfe die Justizverwaltung bei ihren Planungen nicht davon ausgehen, dass jedes Verfahren, in dem eine Verständigung zustande komme, auch ohne umfangreiche Beweisaufnahme zum Abschluss gebracht werden könne. Im Übrigen habe es sich bei der Entscheidung der Verteidigung, den Beschwerdeführer letztlich doch kein umfassendes Geständnis ablegen zu lassen, nicht um eine außergewöhnliche Verteidigungsstrategie gehandelt.

c) Der nachträglich vom Beschwerdeführer angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 9. März 2020 enthalte keine eigenständigen Erwägungen zur Wahrung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen. Er verweise vielmehr insoweit vollumfänglich auf die Begründung des Beschlusses vom 31. Januar 2020. Die Haftprüfungsentscheidung vom 9. März 2020 werde daher aus den genannten Gründen ebenfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht vollumfänglich gerecht.

2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat sich mit Schreiben vom 18. und 20. März 2020 zur Verfassungsbeschwerde geäußert. Nach seiner Ansicht ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Das in Haftsachen zu beachtende Beschleunigungsgebot sei trotz der erst im Juli 2020 stattfindenden Hauptverhandlung nicht verletzt, da die Hauptverhandlung - wie das Oberlandesgericht München zutreffend ausführe - bis zum 20. Dezember 2019 beschleunigt geführt worden sei und die danach eingetretene Verzögerung in erster Linie dem Verteidigungsverhalten des Beschwerdeführers geschuldet sei.

Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat sich dabei den Ausführungen des Oberlandesgerichts München angeschlossen. Ergänzend hat es auf Folgendes hingewiesen:

a) Soweit der Beschwerdeführer vorbringe, die erst am 20. November 2019 erfolgte Eröffnung des Hauptverfahrens sei nicht nachvollziehbar, insbesondere weil sich das Verfahren mit Blick auf die Seitenzahl der Akten und die sichergestellte Kokainmenge als nicht überdurchschnittlich komplex erweise, sei dem bereits entgegenzuhalten, dass sich die Komplexität eines Verfahrens nicht allein anhand des Aktenumfangs und der sichergestellten Rauschgiftmenge beurteilen lasse. Vielmehr seien auch sonstige Erschwernisse in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht zu berücksichtigen. Dabei gewinne im vorliegenden Fall vor allem der Umstand Bedeutung, dass auch gegen eine Vielzahl weiterer Personen ermittelt worden sei, die mit dem Betäubungsmittelhandel des Beschwerdeführers in unmittelbarem Kontakt gestanden hätten. Denn dieser Umstand mache einen aufwendigen Abgleich der Aussagen und Ermittlungsergebnisse - auch für das Gericht - erforderlich.

Unabhängig davon habe sich eine möglicherweise früher bestehende Eröffnungsreife jedenfalls im Ergebnis nicht auf die Verfahrensdauer ausgewirkt. Denn zwischen Anklageerhebung im Juli 2019 und der Hauptverhandlung im Dezember 2019 hätten insgesamt gerade fünf Monate gelegen. Der für die Beurteilung maßgebliche Zeitraum sei dabei allerdings sogar noch kürzer. Denn Eröffnungsreife könne frühestens mit Ablauf der Einlassungsfrist im Sinne von § 201 Abs. 1 StPO eintreten und setze weiter voraus, dass das Gericht den Inhalt der Akten umfassend geprüft habe. Die Einlassungsfrist habe hier drei Wochen betragen, was dem Umfang der Sache angemessen sei. Diese Frist sei erst am 19. August 2019 abgelaufen. Unter Zubilligung einer Prüfungsfrist für das Gericht werde man sogar davon ausgehen müssen, dass die Eröffnungsreife frühestens Ende August oder Anfang September eingetreten sei. Von einem Eintreten der Eröffnungsreife Anfang September (allerdings als spätesten Zeitpunkt) gehe im Übrigen auch der Beschwerdeführer aus. Lege man daher diesen Zeitpunkt zugrunde, hätten zwischen der Eröffnungsreife und der Hauptverhandlung lediglich circa dreieinhalb Monate gelegen. Damit sei vorliegend die vom Bundesverfassungsgericht für den Regelfall - also vorbehaltlich besonderer Umstände - als zulässig erachtete Dauer von drei Monaten nur sehr geringfügig überschritten. Diese geringfügige Überschreitung sei hier zudem aufgrund besonderer Umstände, insbesondere der oben beschriebenen Komplexität des Falls und der zum Zeitpunkt der Anklage zum Teil noch ausstehenden Ermittlungsergebnisse, gerechtfertigt. Dabei habe jedenfalls für die Durchführung der Hauptverhandlung der Eingang des - von der Verteidigung selbst beantragten und vom Sachverständigen auch in üblicher Zeitspanne erstellten - psychiatrischen Gutachtens vom 25. September 2019 zwingend abgewartet werden müssen.

b) Soweit der Beschwerdeführer vorbringe, die Aussetzung der Hauptverhandlung am 20. Dezember 2019 sei nicht gerechtfertigt gewesen, könne dem ebenfalls nicht gefolgt werden.

Die Aussetzung sei allein dem Verteidigungsverhalten des Beschwerdeführers geschuldet gewesen, der sich - entgegen der Ankündigung in dem Erörterungsgespräch vom 23. Oktober 2019 - in der Hauptverhandlung vom 20. Dezember 2019 bezüglich zweier Anklagepunkte nicht geständig gezeigt und es - offenbar ganz bewusst - auch unterlassen habe, das Gericht in den zwei Monaten zwischen dem Erörterungsgespräch und der Hauptverhandlung über die Nichteinhaltung der Ankündigung in Kenntnis zu setzen. Dieses Verhalten, das im Übrigen auch seinem Verteidigungsverhalten im Parallelverfahren entspreche, ziele - ausweislich der im Vorlagebericht der Staatsanwaltschaft vom 7. Januar 2020 mitgeteilten Stellungnahme der Verteidiger - offensichtlich darauf ab, das Verfahren zu verzögern, um den aufgrund der Straferwartung der Kammer unvermeidlichen Vorwegvollzug im Falle der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB als Untersuchungshaft „absitzen“ zu können.

Die Aussetzung sei auch zwingend geboten gewesen. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde diesbezüglich einwende, dass die Hauptverhandlung gleichwohl hätte durchgeführt werden können, weil sämtliche in der Anklageschrift benannten Zeugen und Sachverständigen geladen gewesen seien, werde dabei nicht nur verkannt, dass einer der Hauptzeugen aufgrund einer Erkrankung entschuldigt nicht zum Termin erschienen sei, sondern auch, dass eben gerade nicht sämtliche Zeugen geladen gewesen seien.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers sei auch nicht ersichtlich, dass die Hauptverhandlung vom 20. Dezember 2019 anstelle der Aussetzung auch unterbrochen und nach einem kurzen das Verfahren fördernden Termin zur Wahrung der Unterbrechungsfrist (§ 229 StPO) an einem der ursprünglich im Erörterungsgespräch vom 23. Oktober 2019 angedachten Termine am 20. und 28. Januar 2020 hätte fortgesetzt werden können. Denn dies würde voraussetzen, dass diese Januar-Termine sowie ein kurzer, das Verfahren fördernder „Schiebetermin“ zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 20. Dezember 2019 noch verfügbar gewesen wären. Dagegen spreche aber bereits die praktische Erfahrung, nach der eine zwischenzeitlich anderweitige Vergabe der ursprünglich im Erörterungsgespräch angedachten Termine in höchstem Maße wahrscheinlich sei, wenn man bedenke, dass zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits fast zwei volle Monate seit dem Erörterungsgespräch vergangen gewesen seien. Unabhängig davon aber zeige die noch am 20. Dezember 2019 erfolgte Vereinbarung der neuen Termine für Juli 2020 zwischen der Vorsitzenden und sämtlichen Verteidigern und Sachverständigen, dass die ursprünglich angedachten Termine im Januar offensichtlich nicht mehr bei allen Beteiligten möglich gewesen seien, da es andernfalls eines Ausweichens auf die Juli-Termine eben gerade nicht bedurft hätte. Im Übrigen könne von einer Strafkammer auch nicht verlangt werden, dass sie ihren Terminkalender für einen solch unvorhersehbaren Fall freihalte, da dies zu erheblichen Verzögerungen in anderen Verfahren führen würde.

c) Schließlich falle der Umstand, dass die Hauptverhandlung nunmehr voraussichtlich erst im Juli 2020 stattfinden könne, nicht ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Justiz. Vielmehr sei auch dieser Umstand zumindest ganz wesentlich dem Verhalten der Verteidigung beziehungsweise des Beschwerdeführers geschuldet. Denn diese Neuterminierung sei - wie dargelegt - erst durch das der Ankündigung im Erörterungstermin vom 23. Oktober 2019 widersprechende Aussageverhalten des Beschwerdeführers im Hauptverhandlungstermin vom 20. Dezember 2019 notwendig geworden. Den Verteidigern sei dabei bereits vor diesem Hauptverhandlungstermin aufgrund des Erörterungsgesprächs bekannt gewesen, dass die Vereinbarung neuer Termine angesichts der terminlichen Auslastung der Verteidigung und des Gerichts äußerst schwierig werden würde. Gleichwohl habe die Verteidigung es unterlassen, das Gericht vor der Hauptverhandlung im Dezember 2019 auf das abweichende Einlassungsverhalten hinzuweisen.

Zudem sei dabei zu berücksichtigen, dass die Kammer auch Hauptverhandlungstermine vor dem Juli 2020, nämlich im Februar und März 2020, angeboten habe. Diese seien aber sowohl von einem Verteidiger des Beschwerdeführers als auch vom Verteidiger der Mitangeklagten und vom Sachverständigen aufgrund fehlender zeitlicher Kapazitäten abgelehnt worden. Eine Anfrage bei dem weiteren Verteidiger des Beschwerdeführers sei entbehrlich gewesen, nachdem der Sachverständige gemeldet habe, dass er bis Mai 2020 keinen Termin mehr frei habe. Damit sei für die Kammer allein die Möglichkeit geblieben, den Sachverständigen auszuwechseln, einen Pflichtverteidiger zu bestellen oder auf eine Zuweisung der Sache an eine andere Kammer hinzuwirken. All diese Möglichkeiten hätten aller Voraussicht nach aber zu keiner relevanten Beschleunigung des Verfahrens geführt, weil mit einer erneuten Begutachtung beziehungsweise der notwendigen Einarbeitung durch einen Pflichtverteidiger oder eine neue Kammer ebenfalls eine erhebliche zeitliche Verzögerung einhergehen würde.

Auch unter Berücksichtigung der erheblichen Straferwartung und der Unzuverlässigkeit des Beschwerdeführers, der bereits im Vorfeld massiv auf einen Zeugen eingewirkt habe und auch in der Untersuchungshaft durch den unerlaubten Besitz von Tabletten sowie eines Mobiltelefons aufgefallen sei, erscheine daher die Fortdauer der Untersuchungshaft insgesamt verhältnismäßig.

3. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Landgerichts München II 1 JKLs 41 Js 2279/19 jug (2) (Stand: 9. März 2020) in Abschrift vorgelegen.

B.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 31. Januar 2020 und vom 9. März 2020 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf die Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG.

1. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich“ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 52; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20 -, Rn. 60).

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>). Zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 53; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20 -, Rn. 61).

b) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist stets das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Grundsätzlich darf nur einem rechtskräftig Verurteilten die Freiheit entzogen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 74, 358 <371>), nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 54; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20 -, Rn. 62).

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (vgl. BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 15, 474 <480>; 17, 517 <522>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20 -, Rn. 47). Im Rahmen der von den Fachgerichten vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit ist die Angemessenheit der Haftfortdauer anhand objektiver Kriterien des jeweiligen Einzelfalles zu prüfen; insofern sind in erster Linie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. -, Rn. 37; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 56; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 47).

Der Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils wird dabei auch unter Berücksichtigung der genannten Aspekte nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. September 1999 - 2 BvR 1775/99 -, Rn. 16; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, Rn. 36; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, Rn. 24; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 55).

d) Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <273>). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. So ist nach Anklageerhebung bei Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen und im Regelfall innerhalb von weiteren drei Monaten mit der Hauptverhandlung zu beginnen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2781/10 -, Rn. 15; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. November 2012 - 2 BvR 1164/12 -, Rn. 43; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, Rn. 21; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, Rn. 28, 37; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 2018 - 2 BvR 1258/18 -, Rn. 25). Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umfassende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (vgl. BVerfGK 7, 21 <46 f.>; 7, 140 <157>; 12, 166 <167>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, Rn. 49 ff.; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 57; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 50).

e) Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, Rn. 29). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen indes regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (vgl. BVerfGK 15, 474 <480>; 17, 517 <523>). Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung vermögen bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (vgl. BVerfGK 7, 140 <155 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, Rn. 29; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 58; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 51).

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann insofern niemals Grund für die Anordnung der Haftfortdauer sein. Sie kann selbst dann die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht rechtfertigen, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (vgl. BVerfGE 36, 264 <273 ff.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, Rn. 23; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 59; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 52). Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene Aufrechterhaltung des Haftbefehls nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur rechtzeitigen verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte zu genügen (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juli 2014 - 2 BvR 1457/14 -, Rn. 23; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2552/17 -, Rn. 18; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 - 2 BvR 819/18 -, Rn. 3; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 59).

f) Im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Rechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG ist der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 60; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20 -, Rn. 65). Haftfortdauerentscheidungen unterliegen insofern einer erhöhten Begründungstiefe (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>; BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>). In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrer Gewichtigkeit verschieben können (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; 10, 294 <301>; 15, 474 <481>; 19, 428 <433>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 54). Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. BVerfGK 7, 421 <429 f.>; 15, 474 <481 f.>). Die fachgerichtlichen Ausführungen müssen hierzu die maßgeblichen Umstände des jeweiligen Einzelfalls umfassend berücksichtigen und regelmäßig auch den gegen das Vorliegen eines Haftgrundes sprechenden Tatsachen Rechnung tragen, um die (Prognose-)Entscheidung des Gerichts auch intersubjektiv nachvollziehbar zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2018 - 2 BvR 745/18 -, Rn. 31; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 54).

2. Diesen Vorgaben genügen die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München nicht. Sie zeigen keine besonderen Umstände auf, die die Fortdauer der Untersuchungshaft verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen.

a) Zwar lässt sich - insbesondere auf Grundlage des Vorbringens des Beschwerdeführers - ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot im Zwischenverfahren nicht erkennen. Vor allem begründet der Beschwerdeführer nicht, wie er zu der Auffassung gelangt, dass bereits spätestens Anfang September 2019 Eröffnungsreife eingetreten gewesen sei, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Ermittlungsergebnisse, insbesondere das psychiatrische Gutachten und die Kontoauswertungen, vorgelegen haben. Darüber hinaus legt der Beschwerdeführer nicht dar, inwieweit sich eine etwaige Verzögerung im Zwischenverfahren auf die Verfahrensdauer ausgewirkt hat, zumal die Hauptverhandlung bereits einen Monat nach dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses begonnen hat.

b) Die Ausführungen des Oberlandesgerichts genügen jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen insoweit nicht, als sie die Verzögerungen aufgrund der Aussetzung und Neuterminierung der Hauptverhandlung unter Hinweis auf die Verteidigungsstrategie des Beschwerdeführers als gerechtfertigt ansehen.

aa) Zunächst lassen sich keine Umstände feststellen, aufgrund derer das Landgericht darauf hätte vertrauen können und dürfen, dass der Beschwerdeführer ein umfangreiches Geständnis ablegen würde.

Das Oberlandesgericht begründet nicht, wie es zu der Annahme gelangt, dem Vermerk der Jugendkammer über das Erörterungsgespräch vom 23. Oktober 2019 sei nicht zu entnehmen, dass das angekündigte Geständnis unter dem Vorbehalt der Rücksprache des Verteidigers mit dem Angeklagten und dem weiteren Verteidiger gestanden habe; vielmehr beziehe sich der Vorbehalt „ersichtlich“ auf die angesprochenen Strafrahmen. Insbesondere legt das Oberlandesgericht nicht dar, welchen Sinn ein derart beschränkter Vorbehalt des Verteidigers haben sollte, der sich nicht auch auf die übrigen notwendigen Bestandteile einer Verständigung bezieht, die gerade durch eine synallagmatische Verknüpfung der jeweiligen Handlungsbeiträge gekennzeichnet ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 1422/15 -, Rn. 21 f. m.w.N.).

Unabhängig vom Erklärungsinhalt und Umfang eines geäußerten Vorbehalts der Rücksprache mit dem Angeklagten ist es ohnehin einfach- und verfassungsrechtlich von vornherein ausgeschlossen, dass sich die Berufsrichter, der Staatsanwalt und einer von zwei Verteidigern in Abwesenheit und ohne Zustimmung des Angeklagten im Zwischenverfahren verbindlich auf eine Verständigung einigen können (§ 257c Abs. 3 Satz 4 StPO; vgl. auch BVerfGE 133, 168 <231 Rn. 112, 237 Rn. 125>). Selbst eine vorbehaltlos im Zwischenverfahren abgeschlossene Verständigung hätte für den Beschwerdeführer keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 2016 - 2 BvR 1422/15 -, Rn. 25; Jahn/Kudlich, Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2016, § 257c, Rn. 56, 155).

Schließlich begründet das Oberlandesgericht nicht, auf welche Art und Weise der Beschwerdeführer sich das Verteidigerverhalten (das Verständigungsgespräch und die spätere „Abkehr“ hiervon) „ersichtlich zu eigen gemacht“ habe. Weder den angegriffenen Beschlüssen noch den beigezogenen Akten lässt sich entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer bis zum Beginn der Hauptverhandlung in irgendeiner Weise zur angedachten Verteidigungsstrategie geäußert und somit einen - wie auch immer gearteten - Vertrauenstatbestand gesetzt hätte. Auch ist nicht erkennbar, dass die Jugendkammer die Verteidiger nach dem Ergebnis der angekündigten Rücksprache gefragt oder eine bestimmte Erwartung zum Ausdruck gebracht hätte, sodass sich die Verteidigung zu einer - positiven oder negativen - Mitteilung hätte veranlasst sehen müssen.

bb) Darüber hinaus lässt sich nicht nachvollziehen, warum das Landgericht entschieden hat, die Hauptverhandlung sogleich auszusetzen, ohne die geladenen und erschienenen Zeugen und Sachverständigen zu vernehmen und - für den Fall, dass die Beweisaufnahme nicht am 23. und 30. Dezember 2019 hätte abgeschlossen werden können - sich um die Bestimmung weiterer Fortsetzungstermine zu bemühen. Es erschließt sich nicht, warum das - zweifellos zulässige - Verteidigungsverhalten des Beschwerdeführers, lediglich eine der angeklagten Taten zu gestehen und im Übrigen zu schweigen, die geplante Beweisaufnahme insgesamt obsolet gemacht haben könnte. Insbesondere hätte es einer eingehenderen Begründung bedurft, weshalb das Oberlandesgericht meint, ein mögliches Geständnis des Beschwerdeführers hätte durch die geladenen Zeugen und Sachverständigen validiert und die weitere Tat durch die geladenen Zeugen aufgeklärt werden können, demgegenüber aber offenbar annimmt, eine Vernehmung der geladenen und erschienenen Zeugen und Sachverständigen ohne Vorliegen eines umfassenderen Geständnisses wäre von vornherein aussichtslos gewesen. Da die Amtsaufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO von einer Verständigung ohnehin unberührt bleibt (§ 275c Abs. 1 Satz 2 StPO), hätte sich das Landgericht in jedem Fall darauf einstellen müssen, je nach „Qualität“ des Geständnisses eine mehr oder weniger umfangreiche Beweisaufnahme durchzuführen (vgl. BVerfGE 133, 168 <209 Rn. 70 f.>).

cc) Vor allem aber lassen sich den angefochtenen Beschlüssen keine Gründe entnehmen, die geeignet wären, die Fortdauer der Untersuchungshaft bis zum vorgesehenen Neubeginn der Hauptverhandlung am 16. Juli 2020 verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt wird sich der Beschwerdeführer ein Jahr und fünf Monate in Untersuchungshaft befunden haben. Seit Anklageerhebung wird rund ein Jahr, seit Zulassung der Anklage werden rund acht Monate vergangen sein. Das Oberlandesgericht legt nicht dar, dass ein besonderer Ausnahmefall vorliegt, der diese erhebliche Verfahrensverzögerung zu rechtfertigen vermag.

(1) Das Oberlandesgericht zeigt keine besonderen Umstände auf, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, dass sich das Landgericht im Dezember 2019 zu einer Neuterminierung der Hauptverhandlung erst im Juli 2020 in der Lage sah. Diese erst bevorstehende, aber schon jetzt deutlich absehbare Verfahrensverzögerung steht einer bereits eingetretenen Verfahrensverzögerung gleich (vgl. BVerfGK 6, 384 <392 f.>; 12, 166 <168>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18 -, Rn. 57; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 68).

Der Verweis auf die angespannte Terminslage eines der beiden Verteidiger des Beschwerdeführers kann allenfalls eine kurzfristige Verzögerung des Verfahrensfortgangs rechtfertigen. Verhinderungen des Verteidigers können angesichts der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) nur insoweit berücksichtigt werden, wie dies nicht zu einer erheblichen Verzögerung des Verfahrens führt. Das Hinausschieben der Hauptverhandlung wegen Terminsschwierigkeiten der Verteidiger ist infolgedessen kein verfahrensimmanenter Umstand, der eine erhebliche Verzögerung - von vorliegend knapp sieben Monaten - rechtfertigen könnte (vgl. BVerfGK 10, 294 <306>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 2090/19 -, Rn. 53). Die Jugendkammer hat auch nicht erwogen, vor diesem Hintergrund einen Pflichtverteidiger zur Verfahrenssicherung in Betracht zu ziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Februar 2007 - 2 BvR 2563/06 -, Rn. 37 ff.). Den Ausführungen des Oberlandesgerichts zu einzelnen Verhinderungen im Februar und März 2020 lassen sich zudem keine Schlussfolgerungen für die - ursprünglich angedachten - Termine am 20. und 28. Januar 2020 und für die weiteren Monate April bis Juni 2020 entnehmen.

Auch der pauschale Hinweis darauf, dass der bislang vorgesehene Sachverständige bis Mai 2020 keine freien Termine habe, ergibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Jugendkammer bei diesem Sachverständigen um eine Verschiebung früherer, weniger eilbedürftiger - und offenbar erst kurzfristig vereinbarter - Termine oder um einen anderen Sachverständigen bemüht hätte. Im Übrigen hätte sich das Oberlandesgericht im diesem Zusammenhang zu einer Auseinandersetzung mit der Frage veranlasst sehen müssen, ob sich die Jugendkammer bereits bei der ursprünglichen Verhandlungsplanung darauf beschränken durfte, einen terminlich besonders beanspruchten Sachverständigen von vornherein nur für zwei Hauptverhandlungstage zu laden.

Schließlich ist nicht erkennbar, dass die Kammer die Möglichkeit erwogen hätte, Hauptverhandlungstermine in anderen Sachen - insbesondere Nicht-Haftsachen - zu verlegen, um ihrerseits den Verfahrensbeteiligten mehr Terminvorschläge unterbreiten zu können.

(2) Vor diesem Hintergrund hätte sich das Oberlandesgericht zu einer näheren Begründung gedrängt sehen müssen, warum die Belastungssituation der Jugendkammer „in der Gesamtbetrachtung nicht ins Gewicht“ falle. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass die Jugendkammer selbst bereits im Verständigungsgespräch vom 23. Oktober 2019 und vor allem im Vermerk der Vorsitzenden vom 17. Januar 2020 auf ihre terminliche Auslastung deutlich hingewiesen hat. Insoweit hätte es weiterer Darlegungen bedurft, ob es sich dabei um eine kurzfristige, nicht vorhersehbare Belastungssituation handelt, der auch durch Maßnahmen der Justizverwaltung nicht begegnet werden kann, oder ob die Jugendkammer strukturell und dauerhaft überlastet ist.

Der Hinweis des Oberlandesgerichts, von der Justizverwaltung könne nicht gefordert werden, dass Richter und Kammern vorgehalten würden, um auf „jedes denkbare Verteidigungsverhalten unmittelbar eingehen zu können“, da dies zu „Leerläufen“ führen würde und „dem Steuerzahler nicht vermittelbar“ sei, ist nicht geeignet, eine verfassungsrechtlich erhebliche Verletzung des Beschleunigungsgebots im Einzelfall zu rechtfertigen. Die Justizverwaltung darf ihre Personalplanung jedenfalls nicht auf die Erwartung stützen, dass auf jede - wirksame - Verständigung tatsächlich ein Geständnis folgt und das Verfahren dann stets auch ohne eine umfangreiche Beweisaufnahme zum Abschluss gebracht werden kann. Wie der Generalbundesanwalt schließlich zutreffend anmerkt, handelt es sich bei der Entscheidung, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung letztlich doch kein umfassendes Geständnis ablegt, nicht um eine außergewöhnliche Verteidigungsstrategie.

II.

Es ist daher gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG festzustellen, dass die Beschlüsse des Oberlandesgerichts München vom 30. Januar 2020 und vom 9. März 2020 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG verletzen. Die Beschlüsse sind unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

Das Oberlandesgericht wird im besonderen Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut über die Haftfortdauer zu entscheiden haben.

Da dem besonderen Haftprüfungsverfahren Vorrang vor der zuvor eingelegten Haftbeschwerde zukommt und diese durch die dort gebotene erneute Entscheidung gegenstandslos wird (vgl. Schultheis, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 122 Rn. 11), hat das Oberlandesgericht im Beschwerdeverfahren nur über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers erneut zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2019 - 2 BvR 382/17 -, Rn. 39).

III.

Mit der Entscheidung in der Hauptsache erledigt sich der Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

C.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 Abs. 2 BVerfGG.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes für die anwaltliche Tätigkeit stützt sich auf § 37 Abs. 2 Satz 2, § 14 Abs. 1 RVG in Verbindung mit den Grundsätzen über die Festsetzung des Gegenstandswertes im verfassungsrechtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <368 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Januar 2011 - 1 BvR 1671/10 -, Rn. 8). Im Hinblick auf die objektive Bedeutung der Sache ist ein Gegenstandswert von 10.000 Euro angemessen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 467

Bearbeiter: Holger Mann