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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 339

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 122/20, Beschluss v. 12.02.2020, HRRS 2020 Nr. 339


BVerfG 2 BvR 122/20 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 12. Februar 2020 (BGH)

Unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung einer Revision (Vorlage der Antragsschrift des Generalbundesanwalts innerhalb der Monatsfrist zur Einlegung und Begründung der Verfassungsbeschwerde; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Zurechnung eines Organisationsverschuldens des Verfahrensbevollmächtigten).

§ 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG; § 92 BVerfGG; § 93 Abs. 1 BVerfGG; § 93 Abs. 2 BVerfGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verwerfung einer Revision durch den Bundesgerichtshof genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht, wenn die mit Gründen versehene Antragsschrift des Generalbundesanwalts innerhalb der Monatsfrist weder vorgelegt noch ihrem Inhalt nach so dargestellt wird, dass eine verantwortbare verfassungsrechtliche Beurteilung möglich ist.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht, wenn der Beschwerdeführer lediglich mitteilen lässt, die Vorlage der erforderlichen Unterlagen könne „allenfalls aufgrund eines Büroversehens“ unterblieben sein, ohne sich zu einem möglichen Organisationsverschulden seines Verfahrensbevollmächtigten zu äußern, das ihm zuzurechnen wäre.

Entscheidungstenor

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

A.

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen Mordes.

Das Landgericht Lüneburg verurteilte den Beschwerdeführer mit Urteil vom 12. Juni 2019 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die dagegen gerichtete Revision verwarf der Bundesgerichtshof auf Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 29. Oktober 2019, der am 21. November 2019 bekanntgegeben wurde. Der Beschwerdeführer hatte mit seiner Revision unter anderem eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren gerügt, weil die Strafkammer ihn nicht aufgrund verminderter Schuldfähigkeit wegen Totschlags in einem minder schweren Fall, sondern wegen Mordes verurteilt und zuvor einen Antrag auf Einholung eines zweiten psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit abgelehnt hatte.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde führt der Beschwerdeführer die Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren aus dem Revisionsverfahren fort.

Der am 19. Dezember 2019 per Fax und am 21. Dezember 2019 postalisch eingegangenen Verfassungsbeschwerde waren weder die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs noch die zugrundeliegende Antragsschrift des Generalbundesanwalts beigefügt. Beide hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers erst auf entsprechenden Hinweis unter dem 14. Januar 2020 vorgelegt und zugleich Wiedereinsetzung in die versäumte Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG beantragt. Er hat vorgetragen, die Vorlage der revisionsgerichtlichen Entscheidung und der Antragsschrift des Generalbundesanwalts könne „allenfalls aufgrund eines Büroversehens“ unterblieben sein.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, da sie unzulässig ist.

Der Beschwerdeführer hat die Verfassungsbeschwerde nicht ordnungsgemäß innerhalb der am 23. Dezember 2019 abgelaufenen Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG begründet (1.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist dem Beschwerdeführer nicht zu gewähren (2.).

1. Eine Verfassungsbeschwerde ist innerhalb der einmonatigen Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht nur einzulegen, sondern auch in einer den Anforderungen nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden Weise zu begründen.

a) Zu einer ordnungsgemäßen Begründung in diesem Sinne gehört, dass sich der Beschwerdeführer mit Grundlagen und Inhalt der angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen auseinandersetzt (vgl. BVerfGE 130, 1 <21> m.w.N.). Der angegriffene Hoheitsakt sowie die zu seinem Verständnis notwendigen Unterlagen müssen innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG in Ablichtung vorgelegt oder zumindest ihrem Inhalt nach so dargestellt werden, dass eine verantwortbare verfassungsrechtliche Beurteilung möglich ist (vgl. BVerfGE 78, 320 <327>; 88, 40 <45>; 93, 266 <288>).

b) Diesen Anforderungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht. Der Beschwerdeführer hat mit seiner fristgerecht eingegangenen Beschwerdeschrift insbesondere nicht die mit Gründen versehene Antragsschrift des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, die der Verwerfung der Revision durch den Bundesgerichtshof voranging, vorgelegt oder anderweitig mitgeteilt. Dies hat der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers erst auf Hinweis nach Ablauf der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nachgeholt, ohne sich argumentativ mit den in der Antragsschrift vorgebrachten Einwänden gegen die Zulässigkeit und die Begründetheit der bereits im Revisionsverfahren erhobenen Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren auseinanderzusetzen. Die innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG erfolgte Begründung der Verfassungsbeschwerde erlaubt aus diesem Grund keine umfassende verfassungsrechtliche Prüfung der letztinstanzlichen Entscheidung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Mai 1999 - 2 BvR 592/99 -, Rn. 12).

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG war abzulehnen.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.

Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn ein Beschwerdeführer ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Erhebung und Begründung seiner Verfassungsbeschwerde einzuhalten. Zur ordnungsgemäßen Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags müssen sowohl der Hinderungsgrund als auch die Umstände, die für die Beurteilung des Verschuldens maßgebend sind, dargelegt und glaubhaft gemacht werden. Erforderlich ist eine substantiierte und schlüssige Darstellung der für die unverschuldete Fristversäumnis wesentlichen Tatsachen (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. April 2008 - 2 BvR 454/08 -, Rn. 3, und vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 751/11 -, Rn. 4 f.). Dem wird das Vorbringen, die Vorlage der angegriffenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs und der zugrundeliegenden Antragsschrift des Generalbundesanwalts müsse aufgrund eines Büroversehens unterblieben sein, nicht gerecht. Insbesondere verhält es sich nicht in der erforderlichen Weise zu einem möglichen Organisationsverschulden des Verfahrensbevollmächtigten, das dem Beschwerdeführer gemäß § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG zuzurechnen wäre. Da die Frist zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags abgelaufen ist (§ 93 Abs. 2 BVerfGG), kann dieser Begründungsmangel seinerseits nicht mehr geheilt werden.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 339

Bearbeiter: Holger Mann