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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 4

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 323/16, Beschluss v. 16.11.2016, HRRS 2017 Nr. 4


BVerfG 2 BvR 323/16 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 16. November 2016 (LG Hamburg)

Kontakt zu Angehörigen im Strafvollzug (Resozialisierung; Entfremdung eines Gefangenen von seinen minderjährigen Töchtern; nur formelhaft begründete Eilentscheidung einer Strafvollstreckungskammer; Recht auf effektiven Rechtsschutz; Recht auf rechtliches Gehör); Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (fehlende Rechtswegerschöpfung mangels Erhebung einer Anhörungsrüge).

Art. 19 Abs. 4 GG; Art. 103 Abs. 1 GG; § 90 Abs. 2 BVerfGG; § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG; § 33a StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Im Strafvollzug droht aufgrund der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten stets die Gefahr einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen dem Gefangenen und seinen Angehörigen. Es ist Aufgabe des Staates, solche nachteiligen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sowie unter angemessener Beachtung der Belange der Allgemeinheit zu begrenzen.

2. Es begegnet vor dem Hintergrund des Rechts auf effektiven Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör Bedenken, wenn eine Strafvollstreckungskammer eine Entscheidung über einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz lediglich formelhaft und ohne Auseinandersetzung mit dem konkreten Vorbringen des Gefangenen begründet, der die Verlegung auf eine Entwicklungsstation begehrt, um häufiger Besuch von seinen minderjährigen Töchtern erhalten zu können.

3. Eine insoweit erhobene Verfassungsbeschwerde ist jedoch mangels Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig, wenn sie nicht erkennen lässt, ob der Beschwerdeführer zuvor den Rechtsbehelf der Anhörungsrüge eingelegt hat.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt.

1. Der Beschluss des Landgerichts begegnet zwar verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

a) Das Landgericht stellt in dem angegriffenen Beschluss fest, dass ein schwerer irreparabler Nachteil weder dargetan noch ersichtlich sei. Die Begründung erschöpft sich dabei jedoch in der bloßen Feststellung, dass es dem Beschwerdeführer nach seinem Vortrag hauptsächlich darum gehe, eine 14-tägige Besuchsregelung für seine Angehörigen zu erreichen, obgleich ihm eine solche schon bewilligt werde. Diese Erwägungen des Landgerichts sind bereits deshalb unzureichend, weil sie auf der unzutreffenden Annahme beruhen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz Besuche im Abstand von 14 Tagen begehrt hat, obwohl sich daraus ergibt, dass er durch eine anstaltsinterne Verlegung auf die Entwicklungsstation wöchentliche Besuche erhalten will. Zudem verkennt das Landgericht, dass der Beschwerdeführer sowohl in seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 20. November 2015 als auch in dessen Ergänzung mit Schriftsatz vom 28. November 2015 insbesondere auf die Gefahr einer Entfremdung in der Beziehung zu seinen beiden minderjährigen Töchtern ausdrücklich hingewiesen hat. Damit hätte sich das Landgericht näher auseinandersetzen müssen, zumal das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach betont hat, dass dem Strafvollzug aufgrund der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten stets die Gefahr einer tiefgreifenden Entfremdung zwischen dem Gefangenen und seinen Angehörigen innewohnt und es Aufgabe des Staates ist, solche nachteiligen Auswirkungen des Freiheitsentzuges im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sowie unter angemessener Beachtung der Belange der Allgemeinheit zu begrenzen (vgl. BVerfGE 42, 95 <101>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Februar 2006 - 2 BvR 173/06 -, juris, Rn. 4).

b) Im Übrigen erschöpft sich der angegriffene Beschluss in der bloßen Feststellung, dass dem Beschwerdeführer ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zumutbar sei, eine offensichtliche Rechtswidrigkeit nicht vorliege und die Entscheidung der Antragsgegnerin nach einer summarischen Prüfung nicht zu beanstanden, sondern vielmehr ermessensfehlerfrei sei. Hierbei handelt es sich um lediglich formelhafte Wendungen, die eine dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz genügende Prüfung des Antrags des Beschwerdeführers nicht erkennen lassen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit sich das Landgericht mit der vom Beschwerdeführer behaupteten Festschreibung seiner Unterbringung auf einer Entwicklungsstation im Vollzugsplan auseinandergesetzt hat (vgl. zur Bedeutung des Vollzugsplans etwa BVerfGK 8, 319 <323 f.>).

2. Die Verfassungsbeschwerde hat jedoch keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist. Der Beschwerdeführer hat wegen der behaupteten Gehörsverletzung keine Anhörungsrüge gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG in Verbindung mit § 33a StPO erhoben.

Eine Anhörungsrüge wäre statthaft und nicht offensichtlich aussichtslos gewesen (vgl. BVerfGE 33, 192 <194 f.>; 134, 106 <113 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2004 - 2 BvR 1834/04 -, juris, Rn. 4). Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht dargelegt, dass er einen solchen Rechtsbehelf eingelegt hat. Zwar trägt er in seiner Verfassungsbeschwerde vor, dass er sich nach Ergehen der angegriffenen Entscheidung mit einem Schreiben erneut an das Landgericht gewandt habe. Ob es sich bei diesem Schreiben jedoch um eine Anhörungsrüge handelte oder das Landgericht es als solche auslegen musste, kann nicht beurteilt werden, da er dieses Schreiben weder vorgelegt noch inhaltlich in hinreichender Weise mitgeteilt hat (vgl. BVerfGE 112, 304 <314 f.>; BVerfGK 16, 410 <415>).

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 4

Bearbeiter: Holger Mann