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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 836

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1496/15, Beschluss v. 16.08.2017, HRRS 2017 Nr. 836


BVerfG 2 BvR 1496/15 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 16. August 2017 (OLG Braunschweig / LG Göttingen)

Fortdauer der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (Freiheitsgrundrecht; Mindestanforderungen an die Wahrheitserforschung; verfassungsrechtliches Gebot bestmöglicher Sachaufklärung; sorgfältige Begründung einer Abweichung von den Feststellungen eines Sachverständigengutachtens; Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen; eigenständige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer bei Wertungsunterschieden zwischen mehreren Sachverständigengutachten).

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 104 Abs. 1 GG; § 63 StGB; § 67d Abs. 1 StGB; § 67d Abs. 6 StGB; § 67e Abs. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts - einschließlich der Unterbringung eines nicht oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters im psychiatrischen Krankenhaus.

2. Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. So müssen alle Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung beruhen. Das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt auch für den Straf- und Maßregelvollzug.

3. Bei der Prognose über die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten ist das Gericht in der Regel verpflichtet, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, dass das Gutachten hinreichend substantiiert ist und das Gericht in den Stand setzt, sich die tatsächlichen Voraussetzungen für eine eigene Prognoseentscheidung zu erarbeiten.

4. Die Gerichte haben die Ausführungen des beauftragten Sachverständigen zur Kenntnis zu nehmen und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Sie sind jedoch nicht an dessen Bewertungen gebunden. Vielmehr haben sie die Aussagen des Sachverständigen selbst zu beurteilen. Dabei bedarf die Abweichung von den Feststellungen eines Sachverständigengutachtens regelmäßig sorgfältiger Begründung.

5. Das Gericht hat einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen, wenn die Beweisfrage (möglicherweise) unzulänglich beantwortet ist und die Befragung eines anderen Sachverständigen insoweit Klärung erwarten lässt. Insbesondere ist ein weiterer Sachverständiger regelmäßig dann zu bestellen, wenn das erstattete Gutachten erkennbar Mängel aufweist und der bisherige Sachverständige nicht in der Lage oder willens ist, diese auf Nachfrage zu beheben.

6. Gelangen mehrere Sachverständigengutachten zu unterschiedlichen Wertungen hinsichtlich des (Fort-)Bestehens der Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, so ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Strafvollstreckungskammer nach ergänzender Befragung des bestellten Sachverständigen und unter ausführlicher Würdigung der voneinander abweichenden Darlegungen der Sachverständigen nachvollziehbar eine eigenständige Entscheidung über die Erledigung der Unterbringung trifft, ohne einen weiteren Gutachter einzuschalten.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

I.

1. Gegen den Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Hannover vom 24. September 2004 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verhängt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Unterbringung wird seit dem 22. November 2004 vollstreckt.

2. Nach Einholung einer Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung und eines Gutachtens sowie einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen Prof. K. ordnete das Landgericht Göttingen mit angegriffenem Beschluss vom 16. April 2015 die Fortdauer der Unterbringung an. Eine Erledigung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB komme nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 63 StGB weiterhin vorlägen. Die Kammer könne nicht mit Sicherheit feststellen, dass bei dem Beschwerdeführer von Anfang an kein Störungsbild vorgelegen habe oder jetzt nicht mehr vorliege, das eine Einordnung als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB rechtfertige.

Der Sachverständige Prof. K. habe zwar erklärt, bei dem Verurteilten liege lediglich eine Pädophilie und keine Persönlichkeitsstörung vor, wobei die Pädophilie die Einstufung als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB nicht rechtfertige. Seine Ausführungen seien aber nicht ausreichend, um die sichere Überzeugung eines Fehlens oder Wegfalls der Voraussetzungen des § 63 StGB zu gewinnen.

Einzuräumen sei, dass eine Pädophilie nicht ohne Weiteres, sondern nur dann als schwere seelische Abartigkeit einzustufen sei, wenn die sexuelle Präferenz den Täter in seiner Persönlichkeit so nachhaltig verändert habe, dass sein Hemmungsvermögen in Bezug auf strafrechtlich relevantes Sexualverhalten erheblich herabgesetzt sei. Hierfür spreche vorliegend aber, dass es sich bei der Pädophilie des Beschwerdeführers - wie bereits vom Sachverständigen Dr. J. in seinem Gutachten 2009 festgestellt - um eine Hauptströmung handele und dieser trotz einschlägiger Vorverurteilung und Vollverbüßung einer vierjährigen Jugendstrafe bis zum 1. Juli 2003 bereits am 25. Februar 2004 die Anlasstat begangen habe. Außerdem habe der Beschwerdeführer während der gesamten Zeit seiner Unterbringung Verhaltensauffälligkeiten gezeigt, die die Unterbringungseinrichtung nachvollziehbar als passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung eingestuft habe. Dies passe zum Gutachten des Sachverständigen Dr. J., der von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung ausgegangen sei, bei welcher der Beschwerdeführer in „passiv-aggressiver Weise“ Schuld nach außen trage. Die Kammer halte die Sichtweise des Sachverständigen Prof. K. nicht für überzeugender als die der behandelnden Therapeuten. Sie könne daher nicht ausschließen, dass bei dem Beschwerdeführer eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung und eine Pädophilie im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorliege. Auch eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung komme nicht in Betracht, da von dem Beschwerdeführer weiterhin Straftaten wie die Anlasstat, durch die das Rechtsgut der sexuellen Integrität von Kindern massiv beeinträchtigt werde, zu erwarten seien.

3. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Braunschweig mit angegriffenem Beschluss vom 29. Juni 2015 als unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Erledigung oder Aussetzung der Maßregel zur Bewährung seien nicht erfüllt. Der Senat habe sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon zu überzeugen vermocht, dass die vorliegende Pädophilie nicht als schwere andere seelische Abhängigkeit einzustufen sei. Darüber hinaus könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass beim Beschwerdeführer keine Persönlichkeitsstörung mehr bestehe. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. K. seien nicht geeignet, mit der für die Erledigung der Maßregel erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass die (entgegenstehenden) Diagnosen der Sachverständigen Dr. B. und Dr. J. sowie der Ärzte der Maßregelvollzugsanstalt unzutreffend seien. Von dem Beschwerdeführer drohten im Falle einer Entlassung wahrscheinlich erhebliche Straftaten in Form eines (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern (§§ 176, 176a StGB) beziehungsweise einer Vergewaltigung (§ 177 StGB). Die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr sei besonders hoch, so dass das Allgemeininteresse am Schutz von Kindern vor (schwerem) sexuellen Missbrauch trotz der Dauer der Unterbringung das Freiheitsinteresse des Beschwerdeführers überwiege.

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Der Sachverständige Prof. K. komme in seinem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme in sehr gut nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis, dass die Unterbringungsvoraussetzungen nicht (mehr) vorlägen. Die Unterbringungseinrichtung habe darauf gekränkt reagiert. Wenn sich die Gerichte anhand des Gutachtens von Prof. K. nicht davon hätten überzeugen können, dass die Unterbringungsvoraussetzungen nicht mehr vorlägen, wären sie verpflichtet gewesen, ein Obergutachten einzuholen, um die „Patt-Situation“ aufzulösen. Der stattdessen postulierte Grundsatz „Zweifel gehen zu Lasten des Untergebrachten“ überzeuge nicht.

5. Mit Beschluss vom 13. April 2016 hat das Landgericht Göttingen erneut die Fortdauer der Unterbringung angeordnet, das Oberlandesgericht Braunschweig hat mit Beschluss vom 7. Juni 2016 die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.

II.

1. Das Justizministerium des Landes Niedersachsen hat ausgeführt, die Gerichte hätten ihre Auffassung auf der Grundlage einer umfangreichen Sachverhaltsaufklärung und Auswertung aller vorliegenden Erkenntnismittel sorgfältig und einzelfallbezogen begründet. Dass die Tatgerichte dem Sachverständigen in seinen Einschätzungen nicht gefolgt seien, stelle keinen Verfassungsverstoß dar. Die Beurteilung, ob ein Störungsbild unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB falle, obliege dem Gericht. Es sei im Übrigen ein allgemeiner Grundsatz des Straf- und Maßregelvollstreckungsrechts, dass sich Zweifel, die nach bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung verblieben, im Anwendungsbereich des § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB zu Lasten eines Untergebrachten auswirkten.

2. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde nicht für aussichtsreich. Das Oberlandesgericht habe die Voraussetzungen einer weiteren Unterbringung bejahen und dabei insbesondere das fortdauernde Vorliegen einer schweren seelischen Abartigkeit des Beschwerdeführers im Sinne des § 20 StGB zugrunde legen dürfen.

Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Oberlandesgericht für erforderlich angesehen habe, dass der Wegfall des Defektzustandes mit Sicherheit feststehen müsse, um eine Erledigung der Maßregel nach § 67d Abs. 6 StGB zur Folge haben zu können. Auch wenn die Rechtfertigung der Freiheitsentziehung fortlaufender Kontrolle unterliegen müsse, könne die Rechtskraft des Ausgangsurteils nicht durch nachfolgende Entscheidungen unterlaufen werden. Dementsprechend sei bei unveränderter Sachlage von einem Fortbestehen des bei der Anlasstat zutage getretenen spezifischen Defektzustandes auszugehen. Unwägbarkeiten hinsichtlich des Ausmaßes des Defektzustandes und insbesondere eine daraus abgeleitete Herabsetzung der vom Untergebrachten ausgehenden Gefahr fänden im Rahmen der erforderlichen Prüfung der Aussetzungsreife nach § 67d Abs. 2 StGB Berücksichtigung.

Das Gericht habe nicht von der beim Beschwerdeführer diagnostizierten Pädophilie ohne Weiteres auf das Vorliegen einer schweren seelischen Abartigkeit geschlossen, sondern seine Einschätzung auf der Grundlage einer umfassenden Betrachtung getroffen. Dabei sei es an die rechtliche Beurteilung des Sachverständigen Prof. K. nicht gebunden gewesen und habe auch kein weiteres Sachverständigengutachten einholen müssen. Auch die Versagung der Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung begegne keinen Bedenken. Ausgehend von einer zutreffenden Gefahrenprognose habe das Oberlandesgericht die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung ordnungsgemäß festgestellt.

3. Dem Bundesverfassungsgericht hat das Vollstreckungsheft vorgelegen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die für ihre Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer langanhaltender Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus - bereits entschieden sind (vgl. BVerfGE 70, 297). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Dabei kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Anforderungen an eine Behauptung der Verletzung des Beschwerdeführers in dem von ihm aufgeführten Grundrecht genügt. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls unbegründet.

1. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als unverletzlich bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2015 - 2 BvR 2049/13, 2 BvR 2445/14 -, juris, Rn. 26).

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen wichtigen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); dabei haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände auch freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen. Das gilt auch für die Regelung der Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2015 - 2 BvR 2049/13, 2 BvR 2445/14 -, juris, Rn. 27).

b) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>; 70, 297 <308>; BVerfGK 15, 287 <294 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. März 2014 - 2 BvR 1020/13 -, juris, Rn. 28 m.w.N.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2015 - 2 BvR 2049/13, 2 BvR 2445/14 -, juris, Rn. 28).

Das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt auch für den Straf- und Maßregelvollzug (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>; BVerfGK 15, 287 <295>). Im Rahmen dieses Gebotes besteht bei Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den Richter oft schwer erkennbar und abzuwägen (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. März 2014 - 2 BvR 1020/13 -, juris, Rn. 29). Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67e Abs. 2 StGB vorzunehmenden Überprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen zwingend ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen wäre (vgl. BVerfGK 15, 287 <295>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Juni 2008 - 2 BvR 598/08 -, juris, Rn. 4). Nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein (vgl. BVerfGE 70, 297 <309>). Bestehen keine zwingenden gesetzlichen Vorgaben, hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des Richters ab, in welcher Weise er die Aussetzungsreife prüft. Immer ist allerdings eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit für die Entscheidungsfindung zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 70, 297 <309 f.>; BVerfGK 15, 287 <295>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. März 2014 - 2 BvR 1020/13 -, juris, Rn. 29; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2015 - 2 BvR 2049/13, 2 BvR 2445/14 -, juris, Rn. 29).

Dabei hat der Strafvollstreckungsrichter die Aussagen oder Gutachten des Sachverständigen selbstständig zu beurteilen. Er darf die Prognoseentscheidung nicht dem Sachverständigen überlassen, sondern hat diese selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 58, 208 <223>; 70, 297 <310>). Es ist darauf Bedacht zu nehmen, dass das ärztliche Gutachten hinreichend substantiiert ist und den Richter in den Stand setzt, sich die tatsächlichen Voraussetzungen für seine Entscheidung zu erarbeiten (vgl. BVerfGE 70, 297 <310>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2015 - 2 BvR 2049/13, 2 BvR 2445/14 -, juris, Rn. 31).

c) Das an den Tatrichter gerichtete Gebot bestmöglicher Sachaufklärung ist jedenfalls dann verletzt, wenn das Tatgericht unter Berücksichtigung der Beweislage zu einer bestimmten Überzeugung noch nicht hätte gelangen dürfen, weil es bei verständiger Würdigung aller Umstände des zu entscheidenden Falles damit rechnen musste, dass ihm bekannte oder erkennbare, nicht verwertete weitere Beweismittel einen Sachverhalt erbringen, der im Gegensatz zu seiner bisherigen Überzeugung eine Tatsache widerlegt, in Frage stellt oder bestätigt. Ergibt eine umfassende, verständige und allgemeiner Lebenserfahrung Rechnung tragende Würdigung der Sachlage, dass das Gebot umfassender Sachaufklärung danach drängt, ein bekanntes oder erkennbares weiteres Beweismittel zu nutzen oder ein bereits genutztes Beweismittel weiter auszuschöpfen, so ist entsprechend zu verfahren (vgl. Becker, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 244 Rn. 47 m.w.N.).

Dabei hängt es auch von den Umständen des jeweiligen Falles ab, ob sich das Gericht im Rahmen der Erhebung eines Sachverständigenbeweises mit dem oder den zugezogenen Sachverständigen begnügen darf (vgl. Becker, in: Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 244 Rn. 76 m.w.N.). Das Gericht hat von Amts wegen oder auf Antrag insbesondere einen weiteren Sachverständigen beizuziehen, wenn die Beweisfrage nach wie vor offen oder (möglicherweise) unzulänglich beantwortet ist und die Befragung eines anderen Sachverständigen Klärung erwarten lässt (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 2013, § 244 Rn. 57 m.w.N.). Insbesondere ist ein weiterer Sachverständiger regelmäßig dann zu bestellen, wenn das erstattete Gutachten erkennbar Mängel aufweist und der bisherige Sachverständige nicht in der Lage oder willens ist, diese auf Nachfrage des Gerichts zu beheben (vgl. Becker, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2009, § 244 Rn. 77 m.w.N.).

2. Nach diesen Maßstäben ist eine Verletzung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 104 Abs. 1 GG vorliegend nicht ersichtlich.

Der knappe Sachvortrag des Beschwerdeführers erschöpft sich in dem Verweis auf die Feststellungen des Sachverständigen Prof. K. und der Behauptung, angesichts der unterschiedlichen Auffassungen des Sachverständigen und der Maßregelvollzugseinrichtung habe die Verpflichtung zur Einholung eines weiteren (Ober-)Gutachtens bestanden. Damit rügt der Beschwerdeführer - ohne auf die diesbezüglichen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe Bezug zu nehmen - eine Verletzung des Verfassungsgebotes bestmöglicher Sachaufklärung. Entgegen seiner Auffassung war vorliegend aber die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht geboten. Vielmehr haben die Gerichte sowohl die Feststellung einer Erledigung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 StGB (a), als auch die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung gemäß § 67d Abs. 2 StGB (b) in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise abgelehnt.

a) Nach Auffassung der Gerichte in den angegriffenen Beschlüssen steht einer Erledigung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 Alternative 1 StGB entgegen, dass nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, dass bei dem Beschwerdeführer kein Defektzustand vorliegt, der als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB einzuordnen ist. Verfassungsrechtlich ist dagegen nichts zu erinnern.

aa) Eine Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB erfordert, dass „die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen“. Demgemäß kann dahinstehen, ob die Ausführungen des Sachverständigen Prof. K. das Vorliegen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB bereits im Tatzeitpunkt in Zweifel ziehen. Bei der rechtlichen Zuordnung der tatsächlichen Feststellungen zu den Merkmalen der §§ 20, 21 StGB handelt es sich um einen juristischen Subsumtionsvorgang, der der Rechtskraft fähig ist. Demgemäß ist in Fällen rechtlicher Fehleinweisung für eine Erledigterklärung der Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 StGB kein Raum (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 2774/12 -, juris, Rn. 41, 42.

bb) (1) Hinsichtlich des nachträglichen Wegfalls der Unterbringungsvoraussetzungen kommt der Sachverständige Prof. K. in seinem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme zwar zu dem Ergebnis, bei dem Beschwerdeführer habe im Explorationszeitpunkt weder eine klinisch relevante Persönlichkeitsstörung vorgelegen, noch sei die vorliegende Pädophilie als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zu qualifizieren. Diese Darlegungen stehen aber im Gegensatz zu den Ergebnissen der Gutachten der Sachverständigen Dr. B. vom 23. September 2004 und Dr. J. vom 9. September 2009 sowie der Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung vom 1. Dezember 2014, die hinsichtlich des Vorliegens der Unterbringungsvoraussetzungen neben einer Pädophilie auch auf den Bestand einer „Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und unreifen Elementen“ (B.) beziehungsweise einer „unreifen dissozialen Persönlichkeitsstörung“ (J.) sowie einer „passiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F 60.8)“ (Maßregelvollzugseinrichtung) abstellen.

(2) Vor diesem Hintergrund setzen sich die Gerichte in den angegriffenen Beschlüssen ausführlich und detailliert mit der Frage auseinander, ob bei dem Beschwerdeführer die Voraussetzungen der Unterbringung im Sinne von § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB weggefallen sind. Sie stellen dabei in Rechnung, dass eine Pädophilie den Grad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB nur erreicht, wenn aufgrund einer Gesamtschau von Täterpersönlichkeit und Tat festgestellt werden kann, dass die pädophile Neigung den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert hat, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt. Darüber hinaus stellen sie die Ausführungen der Sachverständigen und der behandelnden Ärzte der Unterbringungseinrichtung umfänglich dar und wägen sie gegeneinander ab.

Unter Berücksichtigung der Auffälligkeiten des Vollzugsverhaltens des Beschwerdeführers, des bisherigen Fehlens einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung und der kurzfristigen Rückfälligkeit des Beschwerdeführers nach Vollverbüßung einer einschlägigen Vorverurteilung kommen die Gerichte in den angegriffenen Beschlüssen zu dem Ergebnis, dass von einem Wegfall der Unterbringungsvoraussetzungen sowohl hinsichtlich der unstreitig vorliegenden Pädophilie als auch bezogen auf eine sonstige Persönlichkeitsstörung nicht ausgegangen werden kann.

(3) Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht.

(a) Zwar haben die Gerichte die Ausführungen des beauftragten Sachverständigen Prof. K. zur Kenntnis zu nehmen und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Sie sind jedoch nicht an dessen Bewertungen hinsichtlich des Wegfalls der Voraussetzungen der Unterbringung des Beschwerdeführers gebunden. Vielmehr haben sie die Aussagen des Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme sowie die Ausführung des Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Anhörung vom 8. April 2015 selbst zu beurteilen und die gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB erforderliche Entscheidung, ob die der Unterbringung des Beschwerdeführers zugrunde liegende „schwere andere seelische Abartigkeit“ entfallen ist, selbst zu treffen (vgl. BVerfGE 70, 297 <310>; 109, 133 <164>). Dabei bedarf die Abweichung von den Feststellungen eines Sachverständigengutachtens regelmäßig sorgfältiger Begründung (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 2957/12 -, juris, Rn. 35). Daran fehlt es vorliegend jedoch nicht, da die Gerichte sich in den angegriffenen Beschlüssen mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. K. intensiv befasst und ihre abweichende Bewertung nachvollziehbar dargelegt haben.

(b) Ein Verstoß gegen den Grundsatz bestmöglicher Sachaufklärung ist nicht gegeben. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers war die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens vorliegend nicht veranlasst, da hiervon ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war. Die Gerichte stützen ihre Entscheidung auf die vorliegenden Gutachten der Sachverständigen Dr. B., Dr. J. und Prof. K. sowie auf die Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung vom 1. Dezember 2014. Vor dem Hintergrund der dem Gutachten des Sachverständigen Prof. K. widersprechenden Feststellungen in dieser Stellungnahme hat das Landgericht eine ergänzende gutachterliche Äußerung dieses Sachverständigen eingeholt. Außerdem hat es den Sachverhalt in der mündlichen Anhörung vom 8. April 2015 mit dem Sachverständigen Prof. K. und behandelnden Ärzten der Maßregelvollzugseinrichtung erörtert. Dabei hat der Sachverständige Prof. K. erklärt, dass es vorliegend im Wesentlichen um Wertungsunterschiede gehe und er bei dem Beschwerdeführer keine verminderte Steuerungsfähigkeit sehe. Vorstellen könne er sich, dass man vor dem Einweisungsdelikt eine dissoziale Persönlichkeitsstörung habe diagnostizieren können. Ansonsten wurden die unterschiedlichen Bewertungen seitens des Sachverständigen Prof. K. und des ärztlichen Direktors der Maßregelvollzugseinrichtung aufrechterhalten.

Vor diesem Hintergrund erscheint es ausgeschlossen, im Wege der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens eine Beseitigung der bestehenden Wertungsunterschiede herbeizuführen. Vielmehr waren die Gerichte gehalten, auf der Basis der voneinander abweichenden Darlegungen der Sachverständigen und unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des vorliegenden Falls eine eigenständige Entscheidung über die Erledigung der Unterbringung des Beschwerdeführers gemäß § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB zu treffen.

b) Auch im Übrigen begegnet die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in den angegriffenen Beschlüssen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dies gilt insbesondere, soweit die Gerichte darauf verweisen, dass einer Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung gemäß § 67d Abs. 2 StGB die erhebliche Gefahr weiterer Straftaten des Beschwerdeführers in Form des (schweren) sexuellen Missbrauchs von Kindern entgegenstehe. Das Risiko derartiger Taten im Falle einer Entlassung des Beschwerdeführers hat auch der Sachverständige Prof. K. nicht ausgeschlossen. Die hieran anschließenden Ausführungen der Gerichte zur Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung geben keinen Anlass zu verfassungsrechtlicher Beanstandung. Dabei können auch die Hinweise des Beschwerdeführers auf die Annahme von Therapiedefiziten zum Nachteil des Beschwerdeführers durch den Sachverständigen Prof. K. dahinstehen. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts liegen die Gründe dafür in der Person des Beschwerdeführers selbst, der sich im Ergebnis - insbesondere bedingt durch seine Persönlichkeitsproblematik - nicht auf eine erfolgreiche Behandlung einlassen könne. Gleichzeitig hat es aber die Möglichkeit gesehen, dass durch den Maßregelvollzug die Voraussetzungen für eine Entlassung mit vertretbarem Risiko noch geschaffen werden können, weil bei dem Beschwerdeführer eine Nachreifung erfolgt sei und die bisherigen therapeutischen Bemühungen immerhin zu einer leichten Milderung der Persönlichkeitsstörung geführt hätten. Dass das Oberlandesgericht vor diesem Hintergrund angesichts der Bedeutung der geschützten Rechtsgüter auch unter Berücksichtigung der Dauer der Unterbringung ein Überwiegen des Freiheitsinteresses des Beschwerdeführers gegenüber den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit und eine darauf gestützte Beendigung der Unterbringung im Maßregelvollzug verneint hat, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 836

Bearbeiter: Holger Mann