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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 692

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 1180/15, Beschluss v. 07.07.2015, HRRS 2015 Nr. 692


BVerfG 2 BvR 1180/15 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 7. Juli 2015 (Thüringer OLG / LG Mühlhausen)

Medizinische Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit; gerichtliche Zustimmung; Überschreitung der gesetzlich vorgesehenen Dauer; Verhältnismäßigkeit; Bestimmtheit des Zustimmungsbeschlusses; Art und Weise der Behandlung; Begründungsanforderungen); Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Rechtswegserschöpfung; Antrag auf gerichtliche Entscheidung).

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; § 29 Abs. 5 ThürMRVG; § 312 Satz 2 FamFG; § 323 FamFG; § 329 FamFG; § 109 StVollzG; § 138 Abs. 3 StVollzG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten mit Neuroleptika handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

2. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird eine Gerichtsentscheidung nicht gerecht, welche die Zustimmung zur Verlängerung einer Zwangsbehandlung für eine Dauer von zwei Jahren erteilt, obwohl eine Zustimmung nach der gesetzlichen Regelung jeweils nur für sechs Wochen erteilt werden darf.

3. Ein Beschluss über die Zustimmung zu einer Zwangsbehandlung oder deren Verlängerung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen außerdem nur, wenn sich ihm - über die bloße Nennung der zu verabreichenden Medikamente hinaus - Einzelheiten zur Art und Weise der Behandlung entnehmen lassen und wenn erörtert wird, inwieweit der Beschwerdeführer krankheitsbedingt nicht in der Lage war, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

4. Gegen die Anordnung von Zwangsbehandlungsmaßnahmen durch einen Arzt sowie gegen deren Durchführung steht einem im Maßregelvollzug Untergebrachten der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu. Diesen Rechtsweg hat er vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde zu erschöpfen.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe

1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen; die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <26>; 96, 245 <250>; BVerfGK 12, 189 <196>). Zwar begegnet zumindest der Beschluss des Landgerichts vom 17. April 2015 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unzulässig.

a) Bei der medizinischen Zwangsbehandlung eines Untergebrachten mit Neuroleptika handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 128, 282 <302>). Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird der auf der Grundlage von § 29 Abs. 5 ThürMRVG ergangene Beschluss vom 17. April 2015, mit dem das Landgericht der „am 15.11.2014 begonnenen Zwangsmedikation […] für die Dauer von weiteren 2 Jahren zugestimmt“ hat, nicht gerecht.

Insbesondere hätte das Landgericht seine Zustimmung zu der Verlängerung der Zwangsbehandlung nicht für eine Dauer von zwei Jahren erteilen dürfen. Gemäß § 29 Abs. 5 Satz 6 ThürMRVG in Verbindung mit § 312 Satz 2, § 329 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 FamFG darf die Zustimmung zu der Verlängerung einer Zwangsbehandlung jeweils nur für die Dauer von sechs Wochen erteilt werden (vgl. auch Thüringer OLG, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 1 Ws 40/15 -, Rz. 18, juris). Auch unabhängig von dieser gesetzlichen Regelung erscheint eine Verlängerung um zwei Jahre unverhältnismäßig. Außerdem ist der Tenor des Beschlusses zu unbestimmt, da sich hieraus nichts zu der Art und Weise der Zwangsbehandlung ergibt (vgl. § 29 Abs. 5 Satz 6 ThürMRVG i.V.m. § 312 Satz 2, § 323 Abs. 1 Nr. 1 FamFG; siehe hierzu BTDrucks 17/11513, S. 8 mit Verweis auf BGH, Beschluss vom 1. Februar 2006 - XII ZB 236/05 -, Rz. 27, juris). Auch den Gründen des Beschlusses lässt sich zu der Art und Weise der Behandlung nur entnehmen, dass die Medikation „mit den Medikamenten Ciatyl-Z-Accuphase, und sobald möglich Fluanxol depot“ durchgeführt werde. Darüber hinaus fehlt es an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 ThürMRVG. Insbesondere lässt sich dem Beschluss nicht explizit entnehmen, ob der Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 2 Nr. 1 ThürMRVG krankheitsbedingt nicht in der Lage war, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahmen zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. hierzu BVerfGE 128, 282 <304 ff.>; 129, 269 <281 f.>; 133, 112 <134>).

b) Indes ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Im Hinblick auf die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen ergibt sich die Unzulässigkeit bereits daraus, dass die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG nicht gewahrt worden ist. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Anordnung von Zwangsbehandlungsmaßnahmen durch den Chefarzt sowie deren Durchführung wendet, hat er den Rechtsweg nicht erschöpft (vgl. § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Gegen diese Maßnahmen kann der Beschwerdeführer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 138 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 109 ff. StVollzG stellen (vgl. Thüringer OLG, Beschluss vom 11. Februar 2015 - 1 Ws 40/15 -, Rz. 6, juris; Thüringer OLG, Beschluss vom 26. Februar 2015 - 1 Ws 72/15 -, Rz. 3, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September 2014 - 2 BvR 1899/14 -, Rz. 2 m.w.N., juris). Soweit der Beschwerdeführer die Regelung in § 29 Abs. 5 ThürMRVG angreift, fehlt es ihm an der Beschwerdebefugnis. Er ist von der gesetzlichen Regelung nicht unmittelbar betroffen, da es weiterer Vollzugsakte bedarf, um seine Rechtsstellung zu verändern (vgl. BVerfGE 110, 370 <381 f.>; 125, 39 <75 f.>; 126, 112 <133>). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, inwieweit die Verfassungsbeschwerde den Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügt.

2. Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 692

Bearbeiter: Holger Mann