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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 2

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvQ 47/15, Beschluss v. 02.12.2015, HRRS 2016 Nr. 2


BVerfG 1 BvQ 47/15 (3. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 2. Dezember 2015 (LG Dresden)

Akteneinsichtsrecht für den Verletzten einer Straftat (Einsicht in die Anklage für einen Kapitalanleger; Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Offenbarwerden von Daten; keine einstweilige Anordnung zugunsten eines in einer Anklage erwähnten Steuerberaters).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1; § 32 BVerfGG; § 406e StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es begegnet keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, einen Anleger, der eine Orderschuldverschreibung bei einer dem Angeklagten zuzurechnenden Gesellschaft gezeichnet hat, als Verletzten im Sinne des § 406e Abs. 1 S. 1 StPO anzusehen und ihm ein Akteneinsichtsrecht zuzubilligen.

2. Wird dem Verletzten einer Straftat Einsicht in die strafrechtlichen Ermittlungsakten gewährt, so greift dies in das informationelle Selbstbestimmungsrecht desjenigen ein, dessen personenbezogene Daten dadurch offenbart werden.

3. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder andere Grundrechte sind jedoch nicht verletzt, wenn sich die dem Verletzten offenbarte Information über den Betroffenen darauf beschränkt, dass dieser für die Gesellschaft eines Angeklagten steuerberatend tätig geworden ist.

Entscheidungstenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller, ein Steuerberater, wendet sich gegen die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 406e StPO in einem Wirtschaftsstrafverfahren gegen Mitglieder der Geschäftsleitung von Gesellschaften, die er steuerlich beraten hat.

II.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsbericht im Streitfall - auch schon vor Anhängigkeit eines Verfahrens zur Hauptsache - einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln. Eine einstweilige Anordnung darf jedoch dann nicht ergehen, wenn sich das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweisen würde (BVerfGE 103, 41 <42>; vgl. BVerfGE 71, 350 <351 f.>; 82, 310 <313>; 89, 38 <43 f.>; 92, 130 <133>; stRspr). So aber liegt es hier. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache wäre in Teilen bereits unsubstantiiert und im Ergebnis offensichtlich unbegründet.

2. Die fachgerichtlichen Entscheidungen, die einem Kapitalanleger ein beschränktes Akteneinsichtsrecht in die Anklageschrift gewähren, sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Das prüfungsmaßstäbliche Recht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ist nicht verletzt. Dieses Recht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten grundsätzlich selbst zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 <41 f.>; 115, 166 <187 f.>; 130, 1 <35>). Einschränkungen dieser Befugnis bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen; sie dürfen nicht weiter gehen als zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich (vgl. BVerfGE 65, 1 <44>).

Die Gewährung von Akteneinsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten nach § 406e StPO greift in das Recht derjenigen Personen ein, deren personenbezogene Daten hierdurch offenbart werden. Die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich darauf, ob die Auslegung und Anwendung des § 406e StPO grundrechtliche Positionen der Betroffenen - hier: des Antragstellers - außer Acht lässt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Dezember 2006 - 2 BvR 2388/06 -, NJW 2007, S. 1052 <1053>).

b) Es begegnet keinen grundsätzlichen Bedenken, dass das Landgericht einen Anleger, der eine Orderschuldverschreibung bei einer den Angeklagten zuzurechnenden Gesellschaft gezeichnet hat, als Verletzten im Sinne des § 406e Abs. 1 S. 1 StPO versteht und ihm ein Akteneinsichtsrecht zubilligt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2008 - 2 BvR 1043/08).

Auch im Übrigen ist nicht auszumachen, dass die Fachgerichte die Grundrechte des Antragstellers verkannt hätten. Der Vortrag des Antragstellers, der sich im Wesentlichen auf die Darlegung beschränkt, dass er als Dritter in der Anklageschrift mehrmals erwähnt werde und die Offenbarung seiner steuerberatenden Tätigkeit unter Namensnennung seine berufliche Reputation irreparabel beschädigen würde, lässt eine Grundrechtsverletzung nicht erkennen. Allein die unstreitig zutreffende Information, dass er in freier Ausübung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit Dienstleistungen für Gesellschaften der Angeklagten erbrachte, begründet unter den vorliegenden Umständen eine Verletzung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 2

Bearbeiter: Holger Mann