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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1116

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2921/14, Beschluss v. 03.11.2016, HRRS 2016 Nr. 1116


BVerfG 2 BvR 2921/14 (3. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 3. November 2016 (OLG Zweibrücken / LG Landau in der Pfalz)

Fortdauer der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (Freiheitsgrundrecht; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; integrative Betrachtung; Begründungstiefe; verfassungsgerichtliche Kontrolldichte; einzelfallbezogene Gefährlichkeitsprognose; Konkretisierung künftig zu erwartender Delikte; Grad der Wahrscheinlichkeit; steigende Anforderungen mit zunehmender Unterbringungsdauer; Bezugnahme auf das Anlassdelikt; erörterungsbedürftige Aspekte im Einzelfall; Vollzugsverhalten; Bewährungsversagen; fehlende Behandlungsaussichten; milderes Mittel; Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht; Entlassung in eine Wohneinrichtung).

Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 63 StGB; § 67d StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person, die unter den Grundrechten einen hohen Rang einnimmt, darf nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden, zu denen in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts - einschließlich der Unterbringung eines nicht oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters im psychiatrischen Krankenhaus - zählen.

2. Bei der Entscheidung über die Aussetzung einer Maßregel ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung zu tragen, indem die Sicherungsbelange der Allgemeinheit und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten einander als wechselseitiges Korrektiv gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen werden. Dabei sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen.

3. Je länger der Freiheitsentzug andauert, desto strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit sowie die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungstiefe einer negativen Prognoseentscheidung. Zugleich wächst mit dem stärker werdenden Freiheitseingriff die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte.

4. Zu verlangen ist eine einzelfallbezogene Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen. Dabei ist auf das frühere Verhalten des Untergebrachten, die von ihm bislang begangenen Taten, die seit Anordnung der Maßregel eingetretenen Umstände, den Zustand des Untergebrachten sowie seine künftig zu erwartenden Lebensumstände abzustellen.

5. Die von einem Untergebrachten ausgehende Gefahr ist durch den bloßen Verweis auf die Anlasstaten nicht in der gebotenen Weise konkretisiert, wenn dem Anlassurteil neben einer Brandstiftung auch Diebstähle zugrunde lagen. Auch die Bezugnahme auf die Brandstiftung wäre nicht ausreichend, wenn durch diese im Einzelfall keine Menschen gefährdet und lediglich Sachschaden verursacht worden ist.

6. Ein Schluss auf Art und Schwere zukünftig drohender Taten lässt sich insoweit auch nicht damit begründen, der Untergebrachte habe im Vollzug Mitpatienten gestoßen und beleidigt, wirke manipulativ und berechnend und unterliege Stimmungsschwankungen, ohne dass ein Zusammenhang mit den Anlasstaten herzustellen ist.

7. Bei einem insgesamt seit über 28 Jahren im Maßregelvollzug Untergebrachten sind insbesondere die von diesem bedrohten Rechtsgüter konkret zu benennen. Hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit neuer Taten genügt der Verweis auf ein mehrfaches früheres Bewährungsversagen nicht, wenn dieses bereits über 20 Jahre zurückliegt. Außerdem ist auszuführen, welche Bedeutung die festgestellten geringen Behandlungsaussichten des Betroffenen für die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung haben.

8. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist auch zu erörtern, inwieweit etwaigen Gefahren durch mildere Maßnahmen wie insbesondere durch geeignete Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden kann. Dies gilt vor allem dann, wenn der hinzugezogene Sachverständige eine Entlassung des Untergebrachten in eine geeignete Wohneinrichtung für möglich erachtet.

Entscheidungstenor

Die Beschlüsse des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 4. November 2014 - 1 Ws 266/14 - und des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 16. September 2014 - 1 StVK 196/05 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 10.000 Euro (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.

I.

1. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Mayen - Jugendschöffengericht - vom 23. Juni 1983 von dem Vorwurf, mehrere Diebstähle sowie eine Brandstiftung begangen zu haben, unter Anwendung des § 20 StGB freigesprochen. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB wurde angeordnet.

Der Brandstiftung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am Abend des 2. Dezember 1982 begab sich der Beschwerdeführer zu einem Kinderhort in Koblenz, hebelte dort mit einer Eisenstange den Fensterladen und das Fenster auf und stieg in das Gebäude ein. Auf der Suche nach etwas Brennbarem fand er in dem Gebäude einen Behälter mit Terpentin und ein Handtuch. Er legte das Handtuch in ein Regal, übergoss dieses mit dem Terpentin und zündete es an. Anschließend verließ er das Holzhaus wieder durch das aufgebrochene Fenster. Als er dichten Rauch aus dem Häuschen aufsteigen sah, bereute er seine Tat und alarmierte eine Anwohnerin, die die Feuerwehr anrief. Das Feuer hatte jedoch schon auf das Dach übergegriffen, so dass erheblicher Sachschaden entstanden war.

2. a) Mit Beschluss vom 20. Juli 1983 setzte das Amtsgericht Mayen die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung aus, wobei dem Beschwerdeführer unter anderem aufgegeben wurde, sich unverzüglich zur therapeutischen Behandlung in ein Jugendhaus zu begeben und dieses ohne vorherige Zustimmung des Bewährungshelfers, der Führungsaufsichtsstelle oder des Gerichts weder zu verlassen noch die therapeutische Behandlung abzubrechen. Da der Beschwerdeführer am 25. August 1983 das Jugendhaus ohne Erlaubnis verlassen hatte, am 26. August 1983 durch die Kripo Bonn aufgegriffen wurde und vor seiner beabsichtigten Einweisung in das Landeskrankenhaus wieder flüchtete, widerrief das Amtsgericht Mayen mit Beschluss vom 5. Oktober 1983 die Bewährungsaussetzung.

b) Mit Beschluss des Amtsgerichts Mayen vom 3. September 1990 wurde die Maßregel erneut zur Bewährung ausgesetzt, wobei dem Beschwerdeführer auferlegt wurde, sich in eine betreute Wohneinrichtung zu begeben. In der Folge führte die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den Beschwerdeführer ein neues Ermittlungsverfahren, in welchem dem Beschwerdeführer versuchte schwere Brandstiftung in zwei Fällen, mehrere Diebstähle und eine Reihe von Körperverletzungen vorgeworfen wurden. Daraufhin widerrief das Amtsgericht Mayen mit Beschluss vom 9. Juli 1993 die Aussetzung zur Bewährung.

c) Seit Juli 1993 befindet sich der Beschwerdeführer ununterbrochen im Maßregelvollzug. Im Zeitraum von 2002 bis 2004 war er in ein betreutes Wohnen beurlaubt.

3. Mit angegriffenem Beschluss vom 16. September 2014 ordnete das Landgericht Landau in der Pfalz die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers an.

Der Sachverständige Prof. Dr. D. habe in seinem Gutachten vom 27. Juli 2013 ausgeführt, dass außerhalb des Maßregelvollzugs Taten im Sinne der Anlassstraftaten weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien.

Diagnostisch bestehe bei dem Beschwerdeführer eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf der Grundlage einer organischen Persönlichkeitsstörung sowie eine leichte Intelligenzminderung mit deutlicher Verhaltensstörung, die Beobachtung und Behandlung erfordere. Darüber hinaus sei eine Lernbehinderung zu konstatieren. Unverändert stelle sich bislang aufgrund der nach wie vor ausgeprägten und handlungsleitenden Persönlichkeitsstörung aus therapeutischer Sicht keine Alternative zum Maßregelvollzug, da bei einer Entlassung aus diesem weitere rechtswidrige Taten im Sinne des Anlassdelikts zu erwarten wären.

Die Kammer schließe sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an und halte die Fortsetzung des Maßregelvollzugs für derzeit unabdingbar. Im Hinblick auf die von dem Beschwerdeführer früher begangenen und auch weiterhin zu erwartenden Delikte sei die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers im Maßregelvollzug auch nicht unverhältnismäßig. Hierbei seien unter anderem die Art und die Schwere der Anlassstraftaten sowie das mehrfache Bewährungsversagen berücksichtigt worden.

4. Die gegen den landgerichtlichen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 4. November 2014 als unbegründet. Dabei verwies es auf die aus seiner Sicht zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts.

5. Die Fortdauer der Unterbringung wurde zwischenzeitlich erneut mit Beschluss des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 8. September 2015, rechtskräftig seit dem 28. September 2015, angeordnet.

II.

Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 GG verletzt.

Die Beschlüsse genügten nicht den aus dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers folgenden Begründungsanforderungen, die aufgrund der im Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als 20 Jahre andauernden Unterbringung erhöht seien.

Weder das Oberlandesgericht noch das Landgericht hätten dargelegt, welche erheblichen rechtswidrigen Taten vom Beschwerdeführer drohten und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung sei. Das Landgericht habe insofern pauschal auf die Erklärungen der behandelnden Ärzte und Psychologen bei der Anhörung des Beschwerdeführers sowie auf das letzte Sachverständigengutachten vom 27. Juli 2013 Bezug genommen. Aber nur wenn durch das Gericht selbst festgestellt werde, dass und welche erheblichen rechtswidrigen Taten vom Beschwerdeführer mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien, sei eine Abwägung der Sicherungsbelange der Allgemeinheit und des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers überhaupt möglich. Ausführungen dazu, wie der Umstand zu werten sei, dass der Beschwerdeführer ausweislich der psychiatrischen Sachverständigengutachten im Maßregelvollzug wohl keine weiteren Fortschritte machen werde, enthielten die Entscheidungen nicht. Es werde auch nicht mitgeteilt, ob und in welchem Umfang nach einer geeigneten betreuten Entlasseinrichtung gesucht worden sei.

III.

1. a) Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Rheinland-Pfalz hat von einer Stellungnahme abgesehen.

b) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

Dem Zusammenhang der Beschlussgründe sei unmissverständlich zu entnehmen, dass die Fachgerichte - im Einklang mit dem externen Sachverständigengutachten - eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür annehmen würden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung gemeingefährliche Straftaten, insbesondere Brandstiftungen, in einer den Anlasstaten entsprechenden Art und Schwere begehen werde. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des externen Sachverständigen, dessen Einschätzung die weiterhin mündlich angehörten Sachverständigen der psychiatrischen Klinik nicht widersprochen hätten, hätten die Fachgerichte von einer hohen Wahrscheinlichkeit für vom Beschwerdeführer drohende Straftaten wie die Anlasstat ausgehen dürfen.

Auch die von den Fachgerichten vorgenommene Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung halte trotz der relativ knappen Darlegung verfassungsrechtlicher Nachprüfung noch stand.

2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die staatsanwaltschaftlichen Akten vorgelegen.

B.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere die anzulegenden Maßstäbe bei der Anordnung der Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297 ff.). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

I.

Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

1. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet jedermann die Freiheit der Person und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Das kommt darin zum Ausdruck, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG die Freiheit der Person als „unverletzlich“ bezeichnet, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ihre Beschränkung nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes zulässt und Art. 104 Abs. 2 bis 4 GG besondere Verfahrensgarantien für ihre Beschränkung statuiert (vgl. BVerfGE 35, 185 <190>; 109, 133 <157>; 128, 326 <372>).

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Zu diesen Gründen gehören in erster Linie solche des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts. Eingriffe in die persönliche Freiheit auf diesem Gebiet dienen vor allem dem Schutz der Allgemeinheit (vgl. BVerfGE 22, 180 <219>; 45, 187 <223>; 58, 208 <224 f.>); zugleich haben die gesetzlichen Eingriffstatbestände freiheitsgewährleistende Funktion, da sie die Grenzen zulässiger Einschränkung der Freiheit der Person bestimmen. Das gilt auch für die Regelung der Unterbringung eines schuldunfähigen oder erheblich vermindert schuldfähigen Straftäters, von dem infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297 <307>).

b) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 <222>) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 58, 208 <230>).

c) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das hier bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidung über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass die Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden (BVerfGE 70, 297 <311>). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in die Prüfung der Aussetzungsreife der Maßregel nach § 67d Abs. 2 StGB einzubeziehen (integrative Betrachtung). Die darauf aufbauende Gesamtwürdigung hat die von dem Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 <312 f.>).

d) Je länger die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Bei langdauernden Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) wirkt sich das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch auf die an die Begründung einer Entscheidung zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit wachsender Intensität des Freiheitseingriffs wächst auch die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, juris, Rn. 17).

Zu verlangen ist die Konkretisierung der Art und des Grades der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen (vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2014 - 2 BvR 1795/12, 2 BvR 1852/13 -, juris, Rn. 42). Dabei ist auf die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles einzugehen. Zu erwägen sind das frühere Verhalten des Untergebrachten und von ihm bislang begangene Taten. Abzuheben ist aber auch auf die seit Anordnung der Maßregel eingetretenen Umstände, die für die künftige Entwicklung bestimmend sind. Dazu gehören der Zustand des Untergebrachten und die künftig zu erwartenden Lebensumstände (vgl. BVerfGE 70, 297 <314 f.>; BVerfGK 16, 501 <506>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Februar 2014 - 2 BvR 1795/12, 2 BvR 1852/13 -, juris, Rn. 40; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 442/12 -, juris, Rn. 15).

Genügen die Gründe einer Entscheidung über die Fortdauer einer bereits außergewöhnlich lange währenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus diesen Maßstäben nicht, so führt dies dazu, dass die Freiheit der Person des Untergebrachten nicht rechtmäßig eingeschränkt werden kann; sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist verletzt, weil es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage für die Unterbringung fehlt (vgl. BVerfGE 70, 297 <316 f.>).

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben sind die Beschlüsse des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 16. September 2014 und des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 4. November 2014 nicht zu vereinbaren. Sie genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung der Anordnung einer Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers nicht. Es fehlt bereits an der hinreichend begründeten Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr zukünftiger rechtswidriger Taten (a). Daneben wird in den angegriffenen Beschlüssen nicht dargelegt, dass die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das angesichts der Dauer der Unterbringung zunehmende Gewicht seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag (b). Schließlich fehlt auch eine Befassung mit der Frage, ob dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit nicht auch durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen Rechnung hätte getragen werden können (c).

a) Das Landgericht stellt unter Bezugnahme auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. D. vom 27. Juli 2013 lediglich fest, dass außerhalb des Maßregelvollzugs mit hoher Wahrscheinlichkeit Taten im Sinne der Anlassstraftaten zu erwarten seien. Außerdem nimmt es Bezug auf ein mündliches Gutachten der Sachverständigen Dr. B. und Dipl.-Psychologe S. vom 16. September 2014 sowie die schriftliche Stellungnahme der ärztlichen Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung vom 28. Juli 2014 und kommt zu dem Ergebnis, dass derzeit noch nicht erwartet werden könne, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde. Damit legt das Landgericht aber nicht mit ausreichender Bestimmtheit dar, welche Art von Delikten vom Beschwerdeführer konkret drohen. Allein der Verweis auf die Anlassverurteilung reicht nicht aus, weil diese neben einer Brandstiftung auch wegen mehrfachen Diebstahls erfolgte. Insoweit wäre eine konkrete Benennung der vom Beschwerdeführer zu erwartenden Delikte erforderlich gewesen.

Die Art und Schwere der von dem Beschwerdeführer drohenden rechtswidrigen Taten bleibt auch unklar, soweit das Landgericht in dem angegriffenen Beschluss einzelne Vorfälle im Rahmen des Vollzugsverhaltens des Beschwerdeführers schildert. Das Wegstoßen eines Mitpatienten sowie die Beschimpfung dieses Mitpatienten als „Kanacke“ durch den Beschwerdeführer stehen in keinem Zusammenhang zu den Anlasstaten. Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer von seinen Mitpatienten als ausgesprochen manipulativ und berechnend wahrgenommen wird und wiederholt starken Stimmungsschwankungen unterliege, lassen keinen Schluss auf die Art und Schwere zukünftig drohender Taten des Beschwerdeführers zu.

Selbst wenn dem Beschluss des Landgerichts zu entnehmen wäre, dass dieses von einem Risiko künftiger Brandstiftungsdelikte ausgeht, hätte es angesichts des Ablaufs des Anlassdelikts (Brandstiftung in einem Kinderhort am Abend; nur Sachschaden, Alarmierung einer Anwohnerin durch den Beschwerdeführer selbst) einer Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahren und bedrohten Rechtsgüter im Fall einer Entlassung aus der Unterbringung bedurft.

b) Damit fehlt es aber bereits an einer ausreichenden Grundlage für die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers und den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit. Das Landgericht stellt insoweit in zwei Sätzen fest, dass die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers im Maßregelvollzug im Hinblick auf die früher begangenen und auch weiterhin zu erwartenden Delikte nicht unverhältnismäßig sei, wobei die Kammer „u.a. die Art und die Schwere der Anlassstraftaten sowie das mehrfache Bewährungsversagen berücksichtigt“. Das Oberlandesgericht verweist lediglich auf die Entscheidung des Landgerichts. Dies genügt den verfassungsrechtlich vorgegebenen Begründungsanforderungen nicht:

Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung dauerte der Maßregelvollzug des Beschwerdeführers seit dem erneuten Bewährungswiderruf vom 9. Juli 1993 bereits über 21 Jahre an. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer bereits vor der zweiten Aussetzung der Maßregel zur Bewährung sieben Jahre im Maßregelvollzug untergebracht war. Damit hat sich der Beschwerdeführer insgesamt über 28 Jahre im Maßregelvollzug befunden, so dass eine langandauernde Unterbringung im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung vorliegt. Dem aufgrund dieser Dauer der Unterbringung gestiegenen Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers hätten die Gerichte dadurch Rechnung tragen müssen, dass sie die Verhältnismäßigkeit einer Fortdauer der Unterbringung eingehend begründen und sich nicht - wie geschehen - mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügen.

Insbesondere hätte es der Darlegung der Rechtsgüter bedurft, deren Verletzung durch den Beschwerdeführer zu erwarten ist. Diese werden in den angegriffenen Beschlüssen aber nicht benannt. Hinsichtlich etwaiger Gefahren für Leib oder Leben hätten die Gerichte sich mit den Umständen des Anlassdelikts und der Wahrscheinlichkeit erneuter Brandstiftungen trotz der langen Dauer der Unterbringung auseinandersetzen müssen. Der knappe Hinweis auf das mehrfache Bewährungsversagen des Beschwerdeführers genügt dem nicht, da dieses ebenfalls bereits mehr als 20 Jahre zurückliegt. Auch verhalten die Gerichte sich in den angegriffenen Beschlüssen nicht zur Bedeutung der geringen Behandlungsaussichten des Beschwerdeführers für die Verhältnismäßigkeit seiner weiteren Unterbringung.

c) Schließlich fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Falle einer Aussetzung des Maßregelvollzugs zur Bewährung den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit durch Maßnahmen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe (§§ 68a, 68b StGB) hinreichend hätte Rechnung getragen werden können. Dies wäre jedoch insbesondere im Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass der Sachverständige Prof. Dr. D. in seinem Gutachten ausgeführt hat, dass eine Entlassung des Beschwerdeführers in eine Einrichtung des betreuten Wohnens zwar grundsätzlich möglich sei, sofern eine solche Einrichtung ähnliche Unterstützungs- und Kontrollmöglichkeiten vorhalte wie das derzeitige Stationssetting, ihm eine solche Einrichtung jedoch nicht bekannt sei. Die bloße Feststellung des Landgerichts, die Fortsetzung des Maßregelvollzugs sei unabdingbar, genügt vor diesem Hintergrund nicht. Vielmehr wäre es verfassungsrechtlich geboten gewesen, weniger belastende Maßnahmen zu erörtern und gegebenenfalls darzulegen, weshalb diese nicht in Betracht kommen.

II.

Demgemäß ist festzustellen, dass die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 16. September 2014 und des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 4. November 2014 den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen. Einer Aufhebung der Beschlüsse bedarf es hingegen nicht, da sie durch die erneute Anordnung der Fortdauer der Unterbringung durch Beschluss des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 8. September 2015, rechtskräftig seit dem 28. September 2015, mittlerweile prozessual überholt sind.

Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 1116

Bearbeiter: Holger Mann