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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 630

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 1 BvR 2150/14, Beschluss v. 17.05.2016, HRRS 2016 Nr. 630


BVerfG 1 BvR 2150/14 (3. Kammer des Ersten Senats) - Beschluss vom 17. Mai 2016 (OLG Karlsruhe / LG Karlsruhe)

Schutz der Meinungsfreiheit und Strafbarkeit wegen Beleidigung durch Verwendung des Akronyms „ACAB“ bei einem Fußballspiel (Schutzbereich und Schranken der Meinungsfreiheit; Wechselwirkungslehre; Kollektivbeleidigung; Beleidigung unter einer Kollektivbezeichnung; persönliche Betroffenheit der Mitglieder des Kollektivs; hinreichende Individualisierung des negativen Werturteils; Erfordernis der personalisierten Zuordnung auch bei Schmähungen; enge Auslegung des Begriffs der Schmähung).

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; Art. 5 Abs. 2 GG; § 185 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Hochhalten eines Transparents mit dem Akronym „ACAB“ (als Abkürzung für die englische Parole „all cops are bastards“) bei einem Fußballspiel bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck und fällt damit in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit.

2. Der in einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Beleidigung liegende Grundrechtseingriff ist nicht gerechtfertigt, wenn die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung nicht beachtet worden sind.

3. Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Gesetze, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, müssen dabei jedoch so interpretiert werden, dass der prinzipielle Gehalt dieses Rechts in jedem Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.

4. Eine herabsetzende Äußerung, die nicht erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne Individualisierung ein Kollektiv erfasst, kann unter bestimmten Umständen als Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs gewertet werden. Dabei ist die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds des Kollektivs allerdings umso schwächer, je größer das Kollektiv ist.

5. Für die Annahme, eine alle Angehörigen einer Gruppe - hier: alle Polizeibeamten - erfassende Äußerung beziehe sich tatsächlich nur auf eine abgegrenzte Personengruppe - hier: auf die die Parole wahrnehmenden Polizeikräfte im Stadion - bedarf es konkreter Anhaltspunkte, die auf eine hinreichende Individualisierung des negativen Werturteils schließen lassen. Hierfür genügt es nicht, dass sich zur Sicherung des Fußballspiels Polizeikräfte im Stadion befanden, die nach der Vorstellung des Beschuldigten möglicherweise die hochgehaltene Buchstabenfolge wahrnehmen würden.

6. Die personalisierte Zuordnung einer Äußerung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn sie als Schmähung zu werten ist, die keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit mehr verlangt. Der Begriff der Schmähung erfasst außerdem nur Fälle, in denen es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Eine Schmähung liegt daher fern, wenn unmittelbar vor der fraglichen Äußerung Kritik an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden war.

Entscheidungstenor

1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Juli 2012 - 1(8) Ss 64/12-AK 40/12 -, das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 25. September 2013 - 9 Ns 410 Js 5815/11 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Mai 2014 - 1(8) Ss 678/13-AK 15/14 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.

2. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Karlsruhe zurückverwiesen.

3. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. Juni 2014 - 1(8) Ss 678/13-AK 15/14 - gegenstandslos.

4. Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

5. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung.

1. Der Beschwerdeführer besuchte im Oktober 2010 ein Fußballspiel in Karlsruhe. Während des Spiels hielt der Beschwerdeführer gemeinsam mit anderen Personen im Fanblock verschiedene großflächige Banner hoch. Ein Transparent trug die Aufschrift „Stuttgart 21 - Polizeigewalt kann jeden treffen“, ein weiteres war mit der Aufschrift „BFE ABSCHAFFEN“ versehen, wobei „BFE“ für die Beweis- und Festnahmeeinheiten der Polizei steht. Der Beschwerdeführer und vier weitere Personen trennten vier Buchstaben aus diesem Transparent heraus und hielten diese dann in der Formation „A C A B !“ hoch. Einige der im Stadion anwesenden Polizeibeamten fühlten sich durch das Transparent mit dem Akronym ACAB, das für „all cops are bastards“ steht, in ihrer Ehre verletzt.

2. Das Amtsgericht sprach den Beschwerdeführer vom Tatvorwurf der Beleidigung frei. Nachdem die Berufung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht erfolglos geblieben war, hob das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurück.

3. Das Landgericht stellte daraufhin fest, dass der Beschwerdeführer der Beleidigung schuldig sei, und verwarnte ihn unter Vorbehalt der Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 30 €. Die ohne Zweifel ehrverletzenden Gehalt aufweisende Parole „all cops are bastards“ beziehe sich vorliegend nicht auf eine unbestimmte Vielzahl von Polizeikräften. Durch das Hochhalten des Banners liege eine ausreichende Individualisierung auf die abgrenzbare Personengruppe der im Fußballstadion anwesenden Polizeibeamten vor, ohne dass es weiterer bezugsbegründender Handlungen wie etwa ein Hindeuten auf einzelne Personen oder ein Ansprechen Einzelner bedurft hätte. Eine Rechtfertigung gemäß § 193 StGB oder gemäß Art. 5 GG komme nicht in Betracht. Ausnahmsweise könne zwar auch eine unangemessene, ehrenrührige Äußerung gerechtfertigt sein, insbesondere, wenn ein irgendwie gearteter Zusammenhang zwischen Äußerung und Tätigkeit oder Verhalten des Adressaten denkbar sei. Die Bezeichnung als „Bastard“ weise aber keinerlei inneren Bezug zur Tätigkeit oder zum Einsatz der Polizei auf, sondern sei eine Kundgabe mit verunglimpfendem Charakter ohne sonstigen sachlichen Inhalt.

4. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision des Beschwerdeführers. Das Landgericht habe rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Aufdruck „ACAB“ objektiv den Sinngehalt „all cops are bastards“ habe und dass die so bezeichnete Person sowohl im englischen als auch im deutschen Sprachgebrauch als minderwertig und verachtenswert gekennzeichnet werde. Das Landgericht sei in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei der Bezeichnung von Polizisten als „Bastarde“ um eine herabsetzende Äußerung handle, bei der es nicht mehr um Kritik an der Tätigkeit der Polizeibeamten, sondern ausschließlich um die Diffamierung ihrer Person gehe. Dass eine solche Schmähkritik nicht den Schutz der Meinungsfreiheit genieße, entspreche höchstrichterlicher Rechtsprechung. Die Gehörsrüge des Beschwerdeführers wies das Oberlandesgericht zurück.

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Verurteilung. Er rügt die Verletzung seines Rechts auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Es handle sich bei der Äußerung nicht um Schmähkritik. Es dürfe nicht nur isoliert die Äußerung „ACAB“ betrachtet werden. Aus dem Gesamtkontext ergebe sich, dass es maßgeblich um die Auseinandersetzung mit zu diesem Zeitpunkt auch in landesweiten Medien stark kritisierten Polizeieinsätzen gegangen sei. Somit habe das Verhalten durchaus einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung dargestellt.

6. Dem Land Baden-Württemberg wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen dem Bundesverfassungsgericht vor.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt namentlich für den Einfluss des Grundrechts der Meinungsfreiheit bei Auslegung und Anwendung von dieses Grundrecht beschränkenden Strafvorschriften (vgl. BVerfGE 43, 130 <136 f.>; 82, 43 <50 ff.>; 93, 266 <292 ff.>).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

a) Die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers greift in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung ein. Die Kundgabe des Akronyms ACAB fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Meinungen sind im Unterschied zu Tatsachenbehauptungen durch die subjektive Einstellung des sich Äußernden zum Gegenstand der Äußerung gekennzeichnet. Sie enthalten sein Urteil über Sachverhalte, Ideen oder Personen (BVerfGE 93, 266 <289>). Sie genießen den Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird (vgl. BVerfGE 90, 241 <247>; 93, 266 <289>; 124, 300 <320>).

Die Gerichte sind zutreffend davon ausgegangen, dass der Aufdruck „ACAB“ für die englische Parole „all cops are bastards“ steht. Da diese Auflösung der Buchstabenfolge sowohl der Polizei als auch den Äußernden allgemein bekannt ist, begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Verwendung der Buchstabenfolge der Äußerung der Aussage gleichgestellt wird. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Parole ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltlos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. Februar 2015 - 1 BvR 1036/14 -, NJW 2015, S. 2022).

b) Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet, sondern unterliegt nach Art. 5 Abs. 2 GG den Schranken, die sich aus den allgemeinen Gesetzen sowie den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre ergeben. § 185 StGB ist als allgemeines Gesetz geeignet, der freien Meinungsäußerung Schranken zu setzen (vgl. BVerfGE 93, 266 <290 f.>).

c) Der in der strafgerichtlichen Verurteilung liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht gerechtfertigt, weil die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung nicht gewahrt sind.

aa) Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Gesetze, die in die Meinungsfreiheit eingreifen, müssen jedoch so interpretiert werden, dass der prinzipielle Gehalt dieses Rechts in jedem Fall gewahrt bleibt. Es findet eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (vgl. BVerfGE 7, 198 <208 f.>; 93, 266 <292>; 124, 300 <342>; stRspr).

Die Meinungsfreiheit findet in den allgemeinen Gesetzen und der durch diese geschützten Rechte Dritter ihre Grenze. Dies ist der Fall, wenn eine Meinungsäußerung die Betroffenen ungerechtfertigt in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der durch sie geschützten persönlichen Ehre verletzt. Dabei kann eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, unter bestimmten Umständen auch ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein (vgl. BVerfGE 93, 266 <299>). Je größer das Kollektiv ist, auf das sich die herabsetzende Äußerung bezieht, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs und seiner sozialen Funktion sowie der damit verbundenen Verhaltensanforderungen an die Mitglieder geht. Auf der imaginären Skala, deren eines Ende die individuelle Kränkung einer namentlich bezeichneten oder erkennbaren Einzelperson bildet, steht am anderen Ende die abwertende Äußerung über menschliche Eigenschaften schlechthin oder die Kritik an sozialen Einrichtungen oder Phänomenen, die nicht mehr geeignet sind, auf die persönliche Ehre des Individuums durchzuschlagen (BVerfGE 93, 266 <301 f.>). Es ist verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. BVerfGE 93, 266 <302 f.>).

bb) Hiermit sind die angegriffenen Entscheidungen nicht vereinbar. Sie tragen die Annahme einer hinreichenden Individualisierung des negativen Werturteils nicht. Hinreichende Gründe dafür, dass sich die allgemein formulierte Äußerung im konkreten Fall auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht, lassen sich ihnen nicht entnehmen. Hierfür reicht es nicht, dass die die Parole wahrnehmenden Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizisten und Polizistinnen bilden. Ebenso wenig genügt es den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine personalisierte Zuordnung der Äußerungen, dass sich zur Sicherung des besuchten Fußballspiels auch Einsatzkräfte der Polizei im Stadion befanden und nach der Vorstellung des Beschwerdeführers die Möglichkeit bestand, dass diese die von ihm mit hochgehaltene Buchstabenfolge „A C A B !“ wahrnehmen würden.

Eine strafbegründende Deutung der Aktion des Beschwerdeführers, wonach die Buchstabenkombination ohne weiteren Zusammenhang mit anderen Äußerungen im Rahmen des durch Einsatzkräfte der Polizei gesicherten Sportstadions als an diese adressiert hätte erscheinen müssen, war vorliegend den Feststellungen der Fachgerichte nicht zu entnehmen. Vielmehr war unmittelbar vor der Verwendung des Akronyms „ACAB“ Kritik an den Beweis- und Festnahmeeinheiten „(BFE)“ sowie an den Polizeieinsätzen im Rahmen des Projekts „Stuttgart 21“ geäußert und damit eine in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage aufgenommen worden. Hiermit setzen sich die Fachgerichte nicht sachhaltig auseinander. Aus den Feststellungen des Gerichts ist insofern nicht ersichtlich, dass die Äußerung sich individualisiert gegen bestimmte Beamte richtete.

Insoweit kann die strafgerichtliche Entscheidung auch nicht darauf gestützt werden, dass es sich bei der Aktion des Beschwerdeführers um eine unzulässige Schmähung gehandelt habe. Zum einen setzt auch die Annahme einer Schmähung eine personalisierte Zuordnung der Äußerungen voraus. Zum anderen ist der Begriff der Schmähung, der - anders als im Regelfall bei Entscheidungen über eine mögliche Beleidigung - keine Abwägung mehr mit der Meinungsfreiheit verlangt, von Verfassungs wegen eng zu definieren und erfasst nur Fälle, in denen es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 93, 266 <294>). Auch hier konnten daher die zuvor gezeigten Transparente mit der allgemeineren Kritik an aktueller Polizeiarbeit nicht außer Betracht bleiben.

d) Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.

3. Wegen der festgestellten Verletzung der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kann offen bleiben, ob die Entscheidung des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer auch in seinen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und 103 Abs. 1 GG verletzt.

4. Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen, da weitere Tatsachenfeststellungen nicht erforderlich sind. Dies dient dem Interesse des Beschwerdeführers, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfGE 84, 1 <5>; 94, 372 <400>). Der Beschluss über die Anhörungsrüge ist damit gegenstandslos.

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 630

Bearbeiter: Holger Mann